Walter Hövel
Gelebte Inklusion
Grundschule Harmonie 1996 - 2015
Inklusion? Sie haben keine Mittel? Ihnen fehlt es an Unterstützung? Sie haben keine Leute, oder nicht die richtigen? Sie brauchen Hilfe? Sie sind nicht vorbereitet? Sie brauchen Zeit? …
Muss Inklusion erst gelernt werden?
Nein, solche Argumente stehen für etwas anderes!
Inklusion geht immer!
Wie?
Schulleiter oder Schulleiterinnen nehmen jedes Kind, dessen Eltern es wollen, an ihrer Schule auf!
Was, das geht bei Ihnen nicht?
Da sind die Ressourcen, die Lehrer, die Kinder, die anderen Eltern, das Niveau der Schule,…?
Doch, es geht!!!
Der Schulleiter, die Schulleiterin nimmt jedes Kind, dessen Eltern es wollen, an der Schule auf!
So geschehen, an der Grundschule Harmonie in Eitorf zwischen 1995 und 2015.
Schon im ersten Jahr der Schule, 1996, gab es mutige Eltern, die ihr Kind einfach in der Regelschule anmeldeten. Oft geschah dies gegen den Rat der damals noch auf die „Sonderschule“ eingeschworenen Kindergärten und Schulämter, der Freunde und Verwandten. Es bedurfte immer der Verabredung mit dem Schulleiter. Es ging mal ohne, mal mit AOSF [1], also der „Feststellung eines pädagogischen Förderbedarfs“.
Viele Eltern hielten die “Beschulung an der Regelschule“ über die volle Grundschulzeit durch, immer erfolgreich (!). Einige gaben auf. Sie versuchten es, in den Anfangsjahren und aktuell wieder oft erfolglos[2] an Nachbarschulen. Andere fanden zurück in die Sonder- oder Förderschule, die in der Tat nicht als Institution, aber in Gestalt toller Pädagoginnen und Pädagogen gute Arbeit leisteten.
Wir, als Regelschule, mussten sehr viel lernen, andere konnten ihren Job schon. Damit sind nicht die Konditionierungen der Kinder, das Herausselektieren oder das Ruhigstellen der „schwierigen Fälle“ gemeint, sondern die Arbeit jener Fachkräfte, die über fachliche Qualifikation und (!) eine menschliche Lehrerprofessionalität verfügen [3].
Und nochmals, die Schulleitung der Regelschule entscheidet jedes (!) Kind, dessen Eltern es wollen, an ihrer Schule aufzunehmen!! Das gilt auch für die Sekundarstufen!
Bitte kommen Sie nicht damit, dass nur so und so viel Prozent „dieser Kinder“ in jeder Klasse oder an der ganzen Schule aufgenommen werden könnten, es wären zu wenig
Sonderpädagoginnen da, das Personal hätte zu wenig Ahnung , das sei gegenüber den Kindern, Eltern und Kollegen unverantwortlich…
Das ist Unsinn!! Die Schulleitung entscheidet!!!! Sie macht Inklusion möglich.
Inklusion an „Grenzen der Schule“ scheitern zu lassen ist beabsichtigte oder zugelassene Verhinderung von Inklusion!
Inklusion findet ganz andere Einschränkungen, ganz andere Grenzen des „Noch-nicht-Könnens“, ganz andere Hindernisse! Aber erst nach der Einschulung!
Machen Sie nicht die Schuleingangstür zur nicht überwindbaren Schwelle!!! Richten Sie keine Transitzonen ein! Liebäugeln Sie nicht mit der Noch-Existenz von „Förder“schulen!
SchulleiterInnen sind „die Göttinnen oder Götter“, sie entscheiden. Es gibt keine administrativen Einschränkungen! Sie müssen niemanden fragen, ob „sie dürfen“! Sie können immer!
Die UNO, das Grundgesetz, die Menschenrechte, die Rechtsprechung, das Wissen um Menschlichkeit stehen auf deren Seite!
Wenn Sie die Inklusion wollen, findet sie statt! Sie müssen es nur wollen!
Inklusion heißt, das Lernen für alle an Ihrer Schule machbar machen!!
An der Grundschule Harmonie ging dies 20 Jahre lang
Egal ob Christian langsamer lernte als andere, Susanne als selektive Mutistin
erst im fünften Jahr anfing mit anderen zu reden… Wehe Jean hatte seine Ritalintabletten nicht genommen… Wehe Aytins Mutter hatte wieder von Selbstmord gesprochen… Wehe Jakobs Eltern hatten
wieder die ganze Nacht gestritten, sich sogar geschlagen… Wehe Janette glaubte wieder für ihre Mutter verantwortlich sein zu müssen… Wehe, Ken hatte seine Mutter wieder geschlagen oder ein
anderer abends die Pornos seines Vaters gefunden…
Glauben Sie, davon würde irgendetwas nicht an Ihrer Regelschule geschehen?
Die Grenzen waren oft die Eltern, die mit einem Besuch von RTL oder in der „gehobenen“ Variante mit dem Rechtsanwalt drohten. „Zuhause kann mein Kind das aber“ argumentierten die einen, andere wollten, dass ihr Kind aber doch „normal“ lernen sollte …. Viele Eltern, die es nicht besser wussten… und viele Eltern, die einfach nicht mehr konnten.
Da waren und sind die dumm konservativ Argumentierenden und Handelnden (!) einiger Jugendämter, die den Eltern und uns (!) die Sonderschule anpriesen,….
Wir, die Schule, lernten die Regeln dieser „Ämter“ zu begreifen, sie zu kennen und anzuwenden, um den Kindern und Eltern konkret zu helfen. Hierbei begegneten uns immer mehr Menschen, die unsere Arbeit verstanden und unterstützten.
Das Problem blieben oft die eigenen Kolleginnen und Kollegen, die einfach nicht wussten, wie das Lernen und Zusammenleben in der Schule so verändert werden konnte, dass alle lernen konnten. Viele wollen nicht vom gelernten und selbst erfahrenen Belehrungsunterricht abweichen.
So kann ich die Kollegin nicht mehr hören, die von „Inklusionskindern“ spricht. Ich vertrage den Schulleiter nicht mehr, der glaubt „für das Kind ist die Förderschule aber noch besser“. Ich kann die Schulleiterin nicht mehr ernst nehmen, die „ ihren Kollegen nicht noch mehr zumuten wollen“. Ich kann die Schulrätin nicht mehr ab, die die Generalie „Inklusion“ hat und Kinder nicht mehr an die Sekundarschule lassen will, weil dort die Klassen schon jeweils zwei „AOSF-Kinder“ haben.
Ich ertrage aber die Eltern, die immer noch an die Förderschule glauben, die Ängste haben, die für ihr Kind das Beste wollen, die Schule aus eigener nicht verarbeiteter Erfahrung nicht trauen.
Wir werden sie überzeugen müssen, damit überzeugen, dass die „Regelschule“ erst einmal so gut wird, wie manche Hilfs-Sonder-Förderschulen schon sind!
Es ist das gleiche Problem wie in der Asylfrage! Ich kann Ängste bei anderen schüren, die die Umsetzung von Menschenrechten verhindern, weil ich selbst nicht helfen will! Methoden des „Sich-vor-der-Verantwortung-drückens“ können durch den Mut zum Normalen überwunden werden!
Ich möchte meinen Widerwillen gegenüber den Menschen, die internationale Vereinbarungen wie das Recht auf Inklusion unterlaufen, nicht mehr unterdrücken! Weil sie die Rechte der Menschen nicht ernst nehmen, sagen sie Sätze wie: „Das kann ich den Kindern nicht antun“, „Meine Eltern machen da nicht mehr mit“, „Meine Kollegen sind schon ausgelaugt“, „Da muss der Staat erst die Ressourcen stellen“ oder „Wir wissen nicht wie das geht“!
Sprüche, die verhindern! Da wusste es schon Pippi Langstrumpf besser: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!“
Wir haben bereits seit 1996, seit der Gründung der Schule, jedes Kind aufgenommen, dessen Eltern das wollten!
Da waren Kinder im Rollstuhl, „Lernschwierige“, „Emotionalgeschädigte“, „Asperger Autisten“, “echte Autisten“, Kinder mit „Glasknochen“, „Selektive Mutisten“, „Aufmerksamkeitsgeschädigte“, „Hochbegabte“, „Minderbegabte“, „Debile“, Hochsensible“, angehende „Psychopathen“, „Gewalttätige“, Opfer von „Helikoptereltern“, „mehrfach Schwerbehinderte“, „Sprachgestörte“, missbrauchte Kinder, „unscheinbare“ Kinder, „Ängstliche“, „Übergewichtige“, querschnittgelähmte Kinder, „Beaten Children“, „Aggressive“, „Depressive“, „Unverstandene“, Kinder „depressiver Eltern“, „Sprachbehinderte“, Kinder von „Alkoholikern“, geschlagene und misshandelte Kinder, Waisenkinder, „Traumatisierte“, „Sehgeschädigte“, „beidseitig halbsprachige Kinder“, „Inselbegabungen“, „Borderliner“, „ungeklärte Fälle“, „Unerzogene“, Diskalkulieopfer“, Sprachbegabte, Asylsuchende, „Hörgeschädigte“, „Kopftuchkinder“, „Unterschichtler mit Bildungsferne“, Zeugen Jehovas, „Arztkinder“ oder den, „Zwergwüchsigen, „Übererzogene“, „Vernachlässigte“, „Gelangweilte“, ADSler, „Opfer von Jugendämtern“, „Schulgeschädigte“, “Sintikinder“, „Familienaufstellungsprobleme“, „Trennungskinder“, „Frühleistungsgestresste“, das Kind, das „kein Deutsch kann“, „verhätschelte Bürgerkinder“, Kinder von „Hippies oder Esoterikern“, „Normale“, … eben „ALLE Kinder“, Kinder der Inklusion unserer Gesellschaft!!!
Das Problem entstand nie bei der Aufnahme!! „Die Probleme“, die a la Karl Popper immer „die Lösungen sind“, sind bei jedem Kind sichtbar, wenn du es so akzeptierst wie es ist und wird.
Kinder und junge Menschen nicht verhätscheln und bespaßen, nicht beschuldigen und ihnen misstrauen, nicht als bessere Menschen verklären, sondern Kinder als Menschen ernst nehmen[4].
Die Kinder nicht als Problem sehen, sondern als Träger einer Aufgabe, die von ihnen selbst gelöst werden will. Du, als Erwachsener kannst helfen, aber ohne Helfersyndrom. Montessoris Spruch „Hilf mir es selbst zu tun“ gilt unverminderter denn je.
Nicht die Kinder waren es. Mal schienen es die „unmöglichen Eltern“ zu sein, mal war es die Schule selbst. Mal war es das Jugendamt, mal die Unfähigkeit des Integrationshelfers, mal …
Es waren Eltern, die Ritalin geben wollten oder das Schlagen nicht schlimm fanden. Eltern, die ihre Kinder so überbehüteten, dass es schier nicht mehr atmen konnte. Es waren die Lehrerinnen und Lehrer der anderen oder eigenen Schule, die „Betreuer“ von Jugendämtern, die Großeltern, Geschwister, die Familie, der Vater…
Wichtig war immer, dass die Schulleitung genau die Lehrerinnen und Lehrer im eigenen Team ansprach, die „das Problem mit einem neu aufzunehmenden Kind“ lösen konnten, also wollten. Wichtig war immer, dass dort, wo Integrationshelfer oder „Schulbegleiter“ benötigt wurden, die richtigen gefunden wurden und dort, wo keine gebraucht wurden, sie auch weg blieben!
Wichtig war, dass Lehrerinnen und Lehrer klar hatten, dass sie keine Therapeuten, Sozialarbeiter, Politiker oder Psychologen sind! Sie sind für das richtige Lernen zuständig! Sie sind nicht der immer perfekte Tausendsassa! Ihre Aufgaben ist es, sie lernen zu lassen, damit Kindern für sich selbst finden, was sie zum eigenen Lernen brauchen.
Die Lehrerinnen und Lehrer müssen wissen, was sie nicht leisten können, und wo sie Hilfe „von außen“ organisieren müssen.
Sie müssen wissen, dass die Kinder selbst (!) für das Lernen verantwortlich und zuständig sind!! Sie müssen lernen, sie alleine lernen lassen zu können, ohne sie allein zu lassen.
Über das Lernen an der Grundschule Harmonie
Wer die Grundschule Harmonie nicht kennt, muss mindestens das Folgende wissen.
Lehrerinnen und Lehrer unterrichten hier nicht. Es sei denn sie kündigen an es zu tun und dann entscheiden die Kinder, ob sie hin gehen und zu wem sie gehen.
Kinder lernen hier selbst. Sie lernen gemeinsam, mit anderen Kindern, den Erwachsenen und ihrer Welt. Sie lernen ohne Vorgaben durch Wochenpläne, Lernbüros oder anders hergestellte Pläne. Sie
entscheiden jeden Tag, was sie, bei wem, mit wem, in welcher Zeit und - warum arbeiten.
Dies erzählen sie morgens im Kreis des Klassenrates, wo sie auch ihre Ergebnisse vorstellen, würdigen und evaluieren. Sie arbeiten alleine oder in von ihnen ausgesuchten Gruppen und
Verabredungen, altersgemischt und oft genug über ihre Klasse oder die Schule hinaus. Wir kreieren die Normalität der Eigenverantwortlichkeit des Lernens.
Dabei machen Kinder, Lehrerinnen, Eltern, Integrationshelfer oder Gäste, Angebote für einzelne, auch schon einmal für kleinere Gruppen. Sie werden täglich von maximal zwei bis fünf Kindern pro Klasse angenommen. Die anderen arbeiten an den eigenen Fragen, Themen und Aufgaben. Sie finden diese über Materialien oder Medien, meist durch eigene Wahrnehmung, Fragen und Forschung.
Alle 14 Tage findet die Kinderuni und Fachateliers statt. Sie dauern von einen bis zu drei Tagen, manchmal auch die ganze Woche. Hier suchen die Kinder sich aus in welche Vorlesungen, Seminare oder Ateliers sie gehen, oder – ob sie weiter der eigenen Arbeit nachgehen. Die Angebote machen mal Erwachsene, mal Fachleute aus der Region, mal die Kinder selbst.
Die Kinder reflektieren ihre Leistungen im Kreis, mit Selbsteinschätzungsbögen und in Gesprächen mit den eigenen Eltern und Lehrkräften. Im Alltag gibt es weder Tests, noch Klassenarbeiten, noch Noten oder Smileys.
Noch nie hat die Schulleitung die Einschulung eines Kindes abgelehnt. Es ist in der Verantwortung der Eltern und Kinder, ob sie hier lernen wollen oder nicht.
Brauchen alle Kinder Demokratie?
Das Verhältnis von Kindern, Demokratie und Lehrkräften
Das Verhältnis von Lehrerinnen und Lehrern zu Kindern der Grundschule Harmonie wird bestimmt durch das Verhältnis von Demokratie und Lernen.
Klar, da war schon eine demokratische Grundhaltung bei den Lehrkräften. Bei der eine mitgebrachte christliche und humane familiäre Einstellung, bei der anderen aus persönlicher Erfahrung im Umgang mit den eigenen Kindern und beim dritten aus einer Nachkriegs-Re-Education-Erziehung und der eigenen Unterschichtenherkunft. Sie lernten in Harmonie diese eigene Haltung in Handlung umzusetzen. Sie mussten ihre Kompetenzen so erweitern, dass sie sich selbst und ihrer „Self-Leadership“ vertrauen lernten.
Es ist nicht so sehr die Demokratie, die dich zur Demokratie in der Schule treibt, sondern, dass du willst, dass die Kinder selber lernen. Du willst, dass sie ihre Kompetenz nutzen und die Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen. Das funktioniert nur, wenn sie ihre eigene Art zu lernen gut finden. Du musst sie als „Bündnispartner ihres eigenen Lernens“ und deines „offenen“ Konzepts gewinnen.
So entsteht die Demokratie durch die eigen bestimmte und bestimmt eigene Arbeit der Lernenden. Diese prägt das Verhältnis zwischen Kindern, Lehrerinnen und dem selbstbestimmten Lernen, in Kreis und Klassenrat, über die Planung, Vorstellung und Auswertung des Lernens.
Eine weitere Dimension der Entfaltung der gesamten menschlichen Fähigkeiten ermöglicht die Versammlung aller Schulangehörigen, die Montagsversammlung, die Teilversammlungen und last but not least das Kinderparlament.
Hier finden keine „Mitbestimmung“ oder partielle Machtabgabe zur Aufrechterhaltung der Macht der Erwachsenen statt. Es ist keine „Gleichmacherei“ unter den Generationen. Hier lernt jeder seine Bedürfnisse zu finden, zu formulieren und umzusetzen. Es geht um die „Gemeinschaft der Gleichwürdigen“, um einen Begriff Jesper Juuls zu gebrauchen.
Das Kinderparlament wollte, um 1998 herum gegründet, zunächst nur über Regeln beim Fußballspiel reden. Die Schule oder ihr eigenes Lernen waren nicht das Thema der Kinder. Es war etwa so wie Harriet Beecher-Stowe die Befreiung der Sklaven in „Onkel Toms Hütte“ beschrieb. Einige wollten gar nicht „frei werden“, andere wussten nicht, wie „frei sein“ geht.
Da wir die Themen zur Selbstdemokratisierung nicht vorgeben wollten, machten wir mit der ganzen Schule eine Projektwoche zum Kern unseres Demokratiebegriffs, zum Thema „Die Rechte der Kinder“. Der Groschen fiel. Seitdem entwickelten sich das notwendige Gefühl für sich selbst und die anderen in der Gemeinschaft, das Wissen um den eigenen und Wert des Anderen und das Selbst- und Fremdbewusstsein. Wir begannen die Achtung der Achtung aller Menschen in einer staatlichen Zwangsveranstaltung Schule so umzusetzen, dass das von humanistischer Pädagogik angestrebte Ziel der Freiwilligkeit des Lernens sich verwirklichen konnte.
Das offene Lernen entsteht nicht durch veränderte Form. Das offene Lernen gibt jedem Kind jeden ihm möglichen Zugang zu seinen eigenen Themen und Inhalten
Heute ist die Gefahr eher, dass die einstündige Sitzung so etwas wie eine Fortsetzung der Soap „Kinderparlament“ wird. Viele, auch Erwachsene (!) spielen „Demokratie“. Da ist es wichtig, dass Beschlüsse in die Schulversammlung, mit Urabstimmungen, Meinungsbefragungen, Statistiken und Gesprächen zurück in die Schulgemeinde oder zurück in die Klassenräte delegiert werden. Autonomie braucht Kreisläufe, Spiralentwicklungen und Lebensfreude.
„Demokratie ist keine Angelegenheit von Mehrheiten, sondern die Sache aller. Demokratie ist nicht die „Herrschaft des Volkes“, sondern die Umsetzung von Menschenrechten. Und das gerade für alle Kinder in jeder Schule.
Da die Beschlüsse des Kinderparlaments an der Grundschule Harmonie zumindest 20 Jahre lang die gleiche Wertigkeit wie Beschlüsse der Lehrerinnenkonferenz und Elternschulpflegschaft hatten, wirkt die Umsetzung der eigenen Beschlüsse für die Kinder am meisten.
So ging eine Kollegin erst als das Kinderparlament verbindlich beschloss, dass der Klassenrat in allen Klassen stattfand. Später wurden per Beschluss die Pause und die Schulzeit verlängert. Das Jahrgangsübergreifende Lernen und die weitere Selbstverständlichkeit der Inklusion wurden bestätigt. Die Kinderuni als fester Bestandteil des Schullebens war Eigeninitiative der Kinder und wurde kurz darauf von ihnen als Kinder-Kinderuni eingeführt.
So bringt die Schülerinnenschaft ihren absolut eigenen Anteil in das Leben und Zusammenwirken der Schule ein und wichtige Entscheidungen gehen nicht an ihnen vorüber. Sie werden nicht mit
Demokratiehäppchen gefüttert, sondern lernen ihre eigenen Suppen zu kochen.
Das eigene Handeln macht die demokratische Haltung unumkehrbar, selbst wenn demokratische Formen in Frage gestellt werden.
Die eigene Haltung führt in die Lernhandlung und in echte Lernprozesse. Lernprozesse haben ihren Ursprung also nicht nur in individueller intrinsischer Motivation, nicht nur im kooperativen Wollen der Klassengemeinschaften, sondern auch aus dem Willen und der Verantwortung zur demokratischen Gemeinschaft.
Es gibt kein Lernen ohne Gemeinschaft und keine Gemeinschaft ohne die lernenden Individuen.
Lehrkräfte sind keine Herren über Kinder. Sie sind nicht die allmächtigen Vermittler der Inhalte der Fächer. Ihre Aufgabe ist es, jedes Kind beim erfolgreichen Verstehen zu begleiten.
Lehrkräfte sind Lernkräfte
An der Grundschule Harmonie muss sich (!) jeder lehrender als lernender und jeder lernender als
lehrender Mensch verstehen.
Alter, soziale Herkunft, Vorbildung, Begabung, jede bisher erfahrene Behinderung oder Aufenthaltszeit an der Grundschule Harmonie spielen für alle Kinder und alle Erwachsenen die gleiche Rolle.
Jeder dieser Hintergründe macht jeden Menschen zum Lerner und Lehrer mit seiner Welt- und Selbstsicht! Dies gilt auch für die Institution Schule selbst, ihre Eltern, ihre Vernetzung in Gemeinde,
Wissenschaften und Partnern! Die Grundschule Harmonie ist eine lernende Institution.
Wir warten niemals bis “die Mittel genehmigt“, „das Personal eingestellt“ oder „die Erlaubnis gegeben“. Wir machen alles was möglich ist und lassen alles sein, was hier und jetzt nicht machbar ist.
Wir warten nicht mit der Einschulung dieser oder jener Menschen bis der Staat oder die Politik, das an Inklusion umgesetzt hat, was sie vor Jahren bei der UNO schon unterschrieb. Bei uns kann jedes Kind lernen, dass bei uns lernen kann und will!
Menschlicher Zwang zum Lernen ist der Weg der Demokratie
Demokratisches Zusammenleben ist kein abstrakter Unterrichtsinhalt. Demokratie sind für uns nicht Formen, Rituale und Spielregeln, sondern
Inhalte der jetzt zu lebenden Menschenrechte.
Die Techniken des Lernens selbst müssen demokratisch sein. Sie müssen so vom Lernenden einsetzbar, benutzbar sein, dass er selbst sein Lernen bestimmt, nicht mehr der Lehrer, nicht die Lehrpläne,
das Material oder die allgewaltige Schule.
So bringen sich die Schülerinnen und Schüler das Lesen und Schreiben selbst bei. So sind dies die Techniken des freien Schreibens, die es ihnen ermöglichen, ihre eigene Sprache so zu entwickeln,
dass sie ihrer eigenen Grundlage eines menschlichen Zusammenlebens wird. Dies gilt für die “Dichterlesung”, die ihre sprachliche Entwicklung über Jahre begleitet und ermöglicht.
Dies gilt für handelnde problemlösende Materialien und Techniken in der Mathematik. Dies gilt für das Bearbeiten die Erforschung eigener oder vorhandener Fragen und Themen. Dies gilt für das
eigene Experimentieren, Musizieren, Wahrnehmen, Gestalten, Bewegen, Erkenntnis- und Wissensansammeln. Es sind Themen, die die Lerngelegenheiten machen, nicht Aufgaben und Fächer.
Der Klassenrat ist nicht der Ort, wo Kinder die Probleme und Konflikte lösen, die Schule selbst schuf und nicht lösen konnte. Dies ist vielmehr der Ort, wo das eigene Lernen in Selbstbestimmung und Verantwortung gemeinsamer Gegenstand der Planung, Umsetzung und Auswertung wird.
Der Klassenrat ist das Herz, die Seele, die Mitte. Der Klassenrat ist kein Mittel zur Konfliktlösung, wenn Lehrern nichts mehr einfällt. Der Klassenrat plant und organisiert das selbst bestimmte eigene und das gemeinsame Lernen.
Wir geben die Verantwortung des Lernens an die Lerner zurück, indem wir aufhören zu unterrichten. Die gesamte Zeit steht der Effektivierung des Lernens und Lebens jedes Einzelnen zur Verfügung.
Wir revitalisieren das Lernen. Wir nehmen jedes Kind ernst, damit jedes Kind seine Lebensfreude erfahren und entwickeln kann.
Öffnung von Schule ist eine Öffnung zu allen Inhalten der Kinder und der Welt, unter Entfaltung des eigenen Denkens, Lernens und Lebens.
Demokratisches Zusammenleben ist kein abstrakter Unterrichtsinhalt
Stützen der Lernbarkeit sind:
· die Benutzung von in sich selbst demokratischen Lernmethoden, weil sie auch ohne Lehrpersonal von den Kindern benutzbar sind
· eine Atmosphäre von Vertrauen und Ästethik, Fragen und Wahrnehmen, Gelassenheit und Selbstkonstruktion von Arbeitsprozessen
· die offene und immer wieder auf die individuelle und gemeinsame Arbeit zurückführende Diskussion von Konflikten
· die Hilfe zur individuellen und kooperativen Durchführung der eigenen Arbeit
· die Versprachlichung, Überschreitung, ständige Neufassung und Erweiterung von Regeln und Strukturen der Gruppe
· die Offenlegung von Machtverhältnissen in der eigenen Gruppe und der Umwelt
· die selbst bestimmte Bewusstmachung der eigenen Arbeit, ihrer Umwege, ihrer Erfolge und ihrer Wirkungen.
Die Bedeutung der Lern- und Arbeitstechniken
Unsere Praxis ist es, dass jeden Tag die Lernenden im Kreis ihre Arbeitsvorhaben vorstellen: Wann sie wie, was und warum schreiben, mit wem sie wo an welchen Experimenten arbeiten werden, womit
sie sich unabhängig von Schulbüchern oder schulinternen Verlaufsplänen mit eigenen Problemstellungen in der Mathematik beschäftigen. Sie geben an, zu welchen Themen sie forschen und Vorträge
halten, welche Theaterstücke sie schreiben und spielen, welche Kunstwerke sie frei oder zu Themen kreieren, welche Musik sie mit wem machen, was sie lesen, sich aneignen, bereden oder darstellen
wollen. Die Kinder berichten im Klassenrat über ihre Lernstrategien, Erfolge, Schwierigkeiten und weiteren Arbeitsvorhaben.
Damit Kinder in einer Lernkooperative selbst bestimmen und organisieren können, bedarf es des Knowhows von Arbeitstechniken, die das eigenständige Arbeiten möglich machen. Sie entwickeln sich
einerseits aus der selbstständigen Arbeit der Kinder, andererseits aus dem Angebot der Erwachsenen.
Lernen geht ohne Zwang und Strafe. Wir vertrauen in die schöpferischen, friedlichen Entwicklungskräfte des Menschen. Die Quelle ist der Mensch selbst. Neugierde und intrinsische Motivation sind
der Motor des Lernens. Klassenrat, Schulversammlung oder Kinderparlament helfen das Lernen selbst konsequent in die Hände der Lernenden zu legen.
„Wir erkennen das Recht der Kinder auf Vergnügen an, das schon immer von Schule verdrängt wurde. Das Recht auf Vergnügen wird von jenen als etwas Ungeheuerliches angesehen, die die Menschen von Kindheit an auf die Entfremdung einer von ‚oben‘ auferlegten Arbeit vorbereiten. Leben sollen sie erst in Konsum und Freizeit erfahren. Die Bestrebungen der Kinder aus eigenem Antrieb zu lernen, werden von uns nicht durch willkürlichen Zwang zu fremdbestimmten Zielen umgeleitet. Wir akzeptieren den Wunsch, aus eigenem Interesse ein frei gewähltes Ziel zu erreichen. Dieser Weg wird nicht ohne Mühe und Enttäuschungen sein. Aber die Erfahrung der eigenen Leistungsfähigkeit garantiert Vergnügen. Für uns gibt es keine andere Formung des Willens als die Erziehung zu freien Menschen durch die Übernahme von Verantwortung.“ [5]
Mehr über die Grundschule Harmonie
Wenn sie noch mehr über uns und unsere Arbeit, unsere Haltung, unser Handeln, unser Knowhow und unsere Arbeitsweise erfahren wollen, empfehlen wir Folgendes zu lesen oder sich anzuschauen:
• Walter Hövel, Arbeitsgruppe zu "Gute Schulen". edugroup TV Oberösterreich. https://www.youtube.com/watch?v=ZEjniD0m1us
• Luzie Gilde u.a. Jedes Kind, eine Geschichte!! http://www81.jimdo.com/app/sfea7765bba5fbb81/p2a10e3d435382d20?safemode=0&cmsEdit=1
• Walter Hövel. Gesammelte Zitate, Eitorf 2015. http://www81.jimdo.com/app/sfea7765bba5fbb81/p14d49ab148e07d8e?cmsEdit=1
• Walter Hövel. Die Dichterlesung. http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Artikel/Die-Dichterlesung.pdf
• Walter Hövel. Children Need the Whole Village. In: Rabensteiner/ Rabensteiner. Internationalization in Teacher Education. Interculturality. V 2. Schneider Verlag. 2014. S.215ff. http://www81.jimdo.com/app/sfea7765bba5fbb81/pd187fdc847ed5582?safemode=0&cmsEdit=1
• Uschi Resch. Das Recht anders zu sein, Fachtagung Inklusion. http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Artikel/Fachtag-Inklusion-an-der-Grundschule-Harmonie-Bericht.pdf
• Walter Hövel. Draußen-Tage: Kinder erfinden ihre Lernwerkstatt. In: Beiträge zur Reform der Grundschule-Band 137, Lernwerkstätten. Potentiale für Schulen von morgen. Herbert Hagstedt/Ilse Marie Krauth (Hrsg.) Grundschulverband, Frankfurt/Main 2014. S. 76-86
• Walter Hövel/Ulli Schulte/Heike Wagner. Chronik des Schuljahres 2013 und 2014. Eitorf 2014. http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Chronik/chronik-2013-und-2014-komplett.pdf
• Walter Hövel. Gedanken zur Inklusion. Eine aktualisierte Fassung. Eitorf 2014. http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Artikel/Gedanken-zur-Inklusion.pdf
• Walter Hövel. KinderKonferenz. Eitorf 2014. http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Artikel/KinderLernKonferenz.pdf
• Dr. Helle Becker. Grundschule Harmonie Eitorf: Schule mit besonderem pädagogischen Profil. In: Partizipation von Schülerinnen und Schüler im GanzTag, Institut für Soziale Arbeit (ISA). Münster 2014. S.67ff
• Walter Hövel. Bericht von einer anderen Schule als Reflex auf die Entwicklung der eigenen Schule. http://www.grundschule-harmonie.de/pdf/Reflex_auf_die_Entwicklung_der_eigenen_Schule.pdf
• Walter Hövel. Grundschule Harmonie - „Sich selbst und sein Lernen begreifen“ - vom eigenem Arbeiten bis zur Kinderuni. Eitorf 2013. http://www.grundschule-harmonie.de/pdf/artikel_kinderuni.pdf
• Kollegium der Grundschule Harmonie. Europaschule-Inklusive Schule - Grundschule Harmonie. Eitorf 2012. http://www.grundschule-harmonie.de/pdf/Harmonie_Flyer_2012.pdf
• Kollegium der Grundschule Harmonie. Grund-Sätze des Lernens an der Grundschule Harmonie. http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Grund-Saetze.pdf
• PAD der Kultusministerkonferenz. Europe4you - Pädagogische Pioniere unterwegs. Bonn 2012. http://www.grundschule-harmonie.de/artikel
pdf/Artikel_2_pdf/Europe4you_Paedagogische_Pioniere_unterwegs.pdf http://www.kmkpad.org/fileadmin/Dateien/download/VEROEFFENTLICHUNGEN/web_4_GGS_Harmonie_Eitorf.pdf
• Alessa Günther. Wege der Inklusion am Beispiel der Grundschule Harmonie in Eitorf. Uni Köln 2011. http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Artikel_4_pdf/Examensarbeit_Alessa_Guenther_Inklusion.pdf
• Walter Hövel, Kinder-Uni selber machen! Wer forschend und eigenständig lernt, entdeckt die Universität wieder, Eitorf 2011, http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Artikel_2_pdf/Kinder_Uni_selber_machen.pdf
• Walter Hövel. Vortrag zu Inklusion und die Grundschule Harmonie. VOB.AVI an der Uni Siegen 2011. http://www.youtube.com/watch?v=LF5fLaymfxM&feature=player_embedded#
• Walter Hövel, Kinder schätzen ihr eigen verantwortliches Lernen ein, Ergebnisse einer Befragung an der Grundschule Harmonie, August 2011. http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Artikel_4_pdf/Kinder%20schaetzen%20ihr%20Lernen%20ein.pd
• Walter Hövel, Eigen verantwortliches Lernen und Inklusion an der Grundschule Harmonie, In: Buchmann, Diezemann ,Huisinga, Köhler, Zielke (Hrsg.), Internationale Perspektiven der Subjektentwicklungs- und Inklusionsforschung, G.A.F.B. Frankfurt am Main 2011, http://www.grundschule-harmonie.de/artikel pdf/Artikel_4_pdf/Eigen%20verantwortliches%20Lernen%20und%20Inklusion%20an%20der%20Grundschule%20Harmonie.pdf
• Oliver Mohr, "Die Kinder sind verantwortlich für ihr Lernen"- Individuelle Förderung an der Grundschule Harmonie in Eitorf, Zukunftsschulen MSW NRW 2009. http://www.zukunftsschulen-nrw.de/cms/front_content.php?idcat=192&idart=1062
• Walter Hövel, Gemeinschaftsgrundschule Harmonie, Eitorf, In: Gelingende Schule, Lucia Schneider (Hrsg.), Schneider Verlag 2010. http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Artikel_4_pdf/Eine_Schule_fuer_alle.pdf
• Daphne Eisen, Walter Hövel, Unsere Jahrgangsmischung aus der Sicht der Eltern, 2009,http://www.grundschule-harmonie.de/artikel pdf/Artikel_2_pdf/Was%20Eltern%20der%20Grundschule%20Harmonie%20ueber%20die%20Altersmischung%201%20bis%204%20denken.pdf
• Anne Witt, Die Bedeutung des Offenen Unterrichts für die Bildungschancen, 2009,
http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf/Anne%20Witt.pdf
• Walter Hövel, Begabtenförderung, Innsbruck 2009, http://bidok.uibk.ac.at/library/hoevel-begabtenfoerderung.html und: http://www.grundschule-harmonie.de/alte_website/artikel-pdf/Artikel_2_pdf/Begabtenfoerderung.pdf
Homepages:
[1] So heißt in NRW das Verfahren, das Kinder zu „Förderfällen“ macht(e).
[2] Was nicht darauf bezogen ist, wenn sie einmal an der Regelschule sind.
[3] Von diesen gibt es im gesamten Schulsystem leider viel zu wenige
[4] Zitate
[5] Politische Ziele der Freinet-Pädagogik, Ingrid Dietrich (Hrsg.), Weinheim und Basel 1982