Pia-Maria Rabensteiner

Eindrücke von der Hospitationsfahrt zu

zwei Freinetschulen:

Eitorf und Köln (29. 8.1999 -1. 9.1999)

 

Vom 29. 8. 1999 bis 1. 9. 1999 nahmen 9 Kolleginnen an der vom Verein „Kooperative Freinet“ augeschriebenen Hospitationsfahrt nach Eitorf und Köln teil. Mit dem Zug ging die Reise vom Klagenfurter Hauptbahnhof um 17.20 Uhr los. Um die Reise angenehmer zu gestalten und sie verging so auch schneller, begannen wir, so wie die Schulkinder bei einem Ausflug, sofort mit einer gemein-samen Jause. Wir aßen, tranken einen guten Wein, tratschten, lachten und erzähl-ten uns gegenseitig von Ferienerlebnissen und den Erwartungen von dieser Hospitationsfahrt. In Salzburg kam dann noch Hanni Rendl, Vorsitzende des oberösterreichischen Freinet-Vereines „Atelier Schule“ zu uns. Wir waren komplett. In München, kurz vor Mitternacht, stiegen wir in den Liegewagen nach Köln um. Nach Beziehen des Nachtquartiers setzte sich der Zug in Rich-tung Norden in Bewegung und Ulrike, Hanni und Wolfgang fielen aufgrund des eintönigen Geräusches des Bahnrattems und Hin- und Herschaukelns sofort in einen tiefen Schlaf Anders erging es uns Reisenden im 6er-Abteil. Wir hatten noch so viel zu besprechen und das Lachen nahm kein Ende.

 

Etwas gezeichnet und sehr unausgeschlafen trafen wir kurz vor 6.00 Uhr am Kölner Hauptbahnhof an.

 

Hier trennten wir uns. 5 Kolleginnen gönnten sich ein Frühstück und blieben in Köln, um an der

Freinet-Schule (Schulleiter Klaus Hoff) zu hospitieren. Zu viert ging es noch weiter nach Eitorf, einer ca. 40.000 Einwohner großen Stadt, bei der der Stadtkern klein und die hohe Einwohner-zahl nur durch die umliegenden Orte so hoch ist. An der Grundschule Harmonie (Schulleiter Walter Hövel) wurden wir von den Kolleginnen schon erwartet und, gestärkt durch einen Kaffee, bereiteten wir uns auf den ersten Hospitationstag an der 8-klassigen Schule vor. Ich war bereits vor zwei Jahren für 4 Tage an dieser Schule - ich freute mich auf die bekannten Kolleginnen und war neugierig, was ich an Neuem entdecken konnte, was sich verändert hat und vor allem was die „Lila Kamuffeln“ tun - das ist nämlich die Korrespondenzklasse der Kinder aus meiner .,Stemenklasse“. (Ein Bericht über die Grundschule Harmonie ist in der Zeitschrift „Freinet Kooperativ” 1/1998 nachzulesen.)

 

 Die Kinder kamen in die Schule, wie beim Eindruck vor zwei Jahren, ohne Schreien, Toben. Streiten.

 

Einige kamen auch in das Lehrerzimmer, das auch für die Kinder - außer bei Konferenzen - offen steht. Der Unterricht begann ohne lautem Glockengebimmel, die Lehrerinnen gingen in die Klassen.

 

Einige Kinder hatten sich aber schon in der Aula versammelt und saßen entweder auf den Stufen oder den mitgebrachten Sitzunterlagen. Es begann die „Montagsversammlung", zu der in der Aula der Schule die Kinder aller Klassen zusammenkommen. Faszinierend war, wie diszipliniert sich die Kinder bei der Montagsversammlung verhielten. Es wurde plötzlich leise, leise und zwar ohne Aufforderung, ohne Ermahnung. Es wurden immer mehr Hände, die sich in die Höhe streckten. So bekundeten die Kinder selbst, dass sie leise sind. Es war faszinierend, innerhalb von 30 Sekunden so eine Stille bei fast 150 Leuten zu erzielen.

 

Ich erkundigte mich später bei Walter Hövel, von wem diese Montagsversammlung eingeführt wurde. Er meinte, dass seine Lehrinnen und die Schulkinder ja in allen Klassen ihre Gesprächs-runden praktizieren. Die Idee zur Montagsversammlung stammte aber von einem Kind, das allen aus der Schule etwas berichten bzw. zeigen wollte. So wurde aktiv handelnd, durch das Leben selbst, das Mitteilungsbedürfnis der Kinder die Experimentierfreude und -möglichkeit, etwas Neues geschaffen.

 

Bei der Montagsversammlung am 30. 8. 1999 wurde von allen ein Geburtstagslied fur ein Mädchen gesungen. Ein Mädchen aus der 1. Klasse meinte, auch Goethes Geburtstag konnte gefeiert werden, zeigte ein Bild von Goethe und wusste, dass er sehr viel geschrieben hat. Spontan ergab sich im Plenum eine Diskussion über Goethe. Weiter erzählte Thomas Stahl (Lehrer der Lila Kamuffel) von den Fortschritten des Schulprojektes bezüglich Kompostierung.

 

Man kann sich kaum vorstellen, wie diszipliniert anschließend die Kinder wieder in ihre Klassen zurückkehrten. Hier wurde der Geist des Hauses spürbar, das Vorleben, das Emst-nehmen der Kinder, die Achtung und Wertschätzung und die Freiheit der Kinder, dass nicht etwa Chaos, sondern Einhalten von Grenzen und Richtlinien beinhaltet, an denen aber auch die Kinder selbst mitwirken konnten.

 

Zwei Stunden verbrachte ich bei den Lila Kamuffehi (3. Schulstufe). Übrigens - jede Klasse hat sich gemeinsam ihren eigenen Klassennamen ausgewählt. Nach der freien Arbeit und der Kontrolle der sehr offenen Arbeitspläne der Vorwoche auf Unterschrift eines Eltemteiles, begannen die Lila Kamuffel mit dem Kreisgesprach. Hier präsentierten die Kinder ihre Arbeitsergebnisse, Untersuchungsergebnisse und lasen ihre eigenen Texte vor.

 

Nach der Pause, die die Kinder im Garten verbrachten und nach einer Stärkung durch Kaffee gegen die aufkommende Müdigkeit, besuchte ich die 1. Klasse von Walter Hövel. Hier lernten die Kinder aus dem 1. Schuljahr das Lesen und Schreiben mit Hilfe der Anlauttabelle von Jürgen Reichen. (Ein Bericht darüber findet sich auch in Freinet Kooperativ 3/1998.) Wer das Arbeiten mit der Anlauttabelle kennt, für den ist es klar, dass die Kinder schon zu Beginn der 5. Schulwoche eigene kleine Texte (Wörter und/oder Sätze) selbst verfassen konnen. Einige der 29 Schulkinder konnten bereits aufgrund des Arbeitens mit der Anlauttabelle lesen! Übungen zur Anlauttabelle (Bingo und Erkennen von Anlauten der Wörter aus der Anlauttabelle innerhalb einer Geschichte) und viele musikalisch-rhythmische Übungen zum Teil auch in englischer Sprache beendeten den Schultag der 1.Klasse.

 

Cornelia, Hanni, Isabella und ich konnten bei der Montagskonferenz (Dauer jeweils 1 Stunde) teilnehmen. Zuvor wurden jedoch Schulisches und Privates bei einem gemeinsamen Essen türkischen Spezialitaten besprochen. Einmal im Monat stellen Lehrerinnen aus den Parallel-klassen Kinder vor, über die es etwas zu berichten gibt. So eine Art der Beschreibung von Kindern war für uns alle neu.

 

Kinder, die bei uns sicherlich in den Topf der „auffalligen, störenden, verhaltensschwierigen Kinder“ eingestuft worden wären, das kam nicht vor. Es wurde über schulisehe Leistungen und ein Persönlichkeitsbild der Kinder gesprochen, das in keinster Weise abwertend und stigma-tisierend war.

 

Beeindruckend, nachahmenswert, verblüffend. Verblüffend nämlich auch in der Weise, dass alle anderen Kolleginnen mit Tipps und Ratschlägen, Hinterfragen und Nachfragen den Lehrerinnen so helfen konnten, andere Wege zu versuchen, klassenübergreifend Aufgaben zu überlegen uvm. Mit absolut positiven Eindrücken, sowohl vom Hospitieren als auch durch das Erleben einer konstruktiven gegenseitigen Hilfe aller am Schulleben Beteiligten, endete der Hospitationstag an der Grundschule Harmonie in Eitorf.

 

Der Nachmittag stand allen zur freien Verfügung. Die meisten erkundeten Köln und reflektierten ihre Eindrücke aus Köln bzw. aus Eitorf. Die Kolleginnen aus Eitorf erklärten sich alle bereit, uns bei sich zu Hause für eine Nacht einzuquartieren. Infolgedessen trafen wir uns alle in einem italienischen Lokal zum Abendessen. Hier wurde nicht nur über Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede, Visionares, über den Status quo, Projekte uvm geplaudert, sondern auch unsere Bereitschaft wurde bekundet, den Kolleginnen von der Grundschule Harmonie bei einem Besuch in Kärnten unsere Gastfreundschaft zukommen zu lassen.

 

Am 2. Tag wurden die Hospitationsschauplätze gewechselt. Durch die längere Anfahrt von Eitorf nach Köln kamen wir etwas verspätet in der Celestin-Freinet-Schule an. Hier genossen wir das Privileg, so wie die Kolleginnen am Vortag, dass wir diese Schule besuchen konnten.

 

Normalerweise werden hier Hospitationen nur fiir mehrere Tage ermöglicht. Wir hospitierten in unterschiedlichen Klassen. Ich besuchte die Bärenklasse (1. - 4. Schulstufe) von Klaus Hoff, da auch diese Schulklasse eineKorrespondenzklasse meiner Stemenkinder ist. Bei meinem Eintreffen in der Klasse arbeiteten dieKinder aller 4 Schulstufen bis zur Pause an ihren jeweiligen Arbeitsplänen.

 

Wahrend die Kinder der 2., 3. und 4. Schulstufe aus der Bärenklasse bei einer Frau, die für einige

Stunden pro Woche in der Klasse aushilft und von der Stadt Köln dafur bezahlt wird, in der Klasse

blieben, unternahmen die Kinder der 1. Klasse einen Lehrausgang zur Wohnung eines Schülers. Hier wurde ein Foto mit dem Schuler vor der Eingangstür gemacht. Nachdem die Eltern dieses Schülers ein Hotel besitzen, wurden alle Kinder auf ein Getränk eingeladen. Im vorangehenden Kreisgesprach der 1. Klasse vor dem Lehrausgang wurde bereits ein Arbeitsblatt mit einem Bild, das einige Tage zuvor von einem Schüler vor dessen Wohnung gemacht wurde, mit den Kindern besprochen, bis dahin bekannte Buchstaben gesucht...

 

Eine Nachbesprechung und ein Zusammensitzen mit Kolleginnen konnte nicht durchgeführt werden, da an diesem Tag ein Lehrerausflug angesetzt war. Es hatte den Anschein, dass unser schon lange angekündigter Besuch, bedingt durch den Schulbeginn, in Vergessenheit geraten ist.

 

Die Celestin-Freinet-Schule, die sich im 1. Stockwerk eines älteren Gebaudes befindet, bietet schon

alleine durch die räumlichen Gegebenheiten weniger Möglichkeiten einer großzügigen Pausengestaltung innerhalb als auch außerhalb des Schulgebäudes. An dieser Schule gibt es einen vermehrten Anteil an ausländischen Schulerinnen als in Eitorf. Die Klassenstärke liegt in Eitorf bei fast 30 Kindem/Klasse, in Köln um die 20 Kinder. Während der Freiarbeit wurde bei den Bären besonders stark auf Disziplin und Ruhe Wert gelegt. Mir fiel auch auf, dass die Kinder ihre Positionen während der Arbeitszeit fast nie verließen und dass das soziale Miteinander nicht in diesem Maße ausgeprägt ist wie in Eitorf. In einigen Klassen in Köln erfolgt integrativer Unterricht, in Eitorf, obwohl sich alle Kolleginnen für eine Integration beeinträchtigter Kinder aussprechen, findet diese dort nicht statt.

 

Diese zwei Tage vergingen sehr schnell, es ergaben sich aufgrund der mannigfaltigen Eindrücke aus den verschiedensten Klassen, in denen hospitiert wurde, laufend Gespräche um die Umsetzungsmöglichkeiten und Auslegung der Freinet-Padagogik. Dass sich die beiden, auch aufgrund der weiten Anreise sehr anstrengenden Tage gelohnt haben, bekundeten alle Teilnehmerinnen bei der gemeinsamen Reflexion.

 

Weitere Hospitationsfahrten vom Verein „Kooperative Freinet“ werden ganz sicher angeboten. Dabei sind Schulen in Österreich aber auch im benachbarten Ausland vorgesehen und bereits im Gespräch.