Walter Hövel
Das „Duale Bildungssystem“
Der Gegriff war im Mittelpunkt der Diskussion auf der ersten Sitzung des Flüchtlingsrats des Rhein-Sieg-Kreises.
„Duales Bildungssystem“ ist ein anderes Wort für die Selektion im deutschen Bildungssystem. Andere bezeichnen nur den berufsorientiertetn Teil der doppelten Bildung.
In den ersten Jahren des Menschen soll Bildung in Deutschland ganzheitlich sein. Die Grundschule ist gleich für das ganze Volk zugänglich. Aber Menschen werden vorher schon in verschiedenen Familien in Hinsicht auf Geld, Macht und Bildung, im In- oder Ausland, geboren.
Es gibt einen „Kompromiss“ auf den sich die Deutschen seit 1923 per Reichstagsgesetz einließen. Vom 1. bis zum 4.Schuljahr gehen alle Menschen in eine nicht-differenzierte Schule, die gemein-same Grundschule. Kitas oder Kindergärten sind dagegen staatlich oder privat.
Bis heute sah sich die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage, eine gleiche Bildung für alle Menschen in jedem Alter per Gesetz durchzusetzen. Sie kennt aber, eigentlich alleine in der Welt, 9 Jahre Pflichtschule und (in jedem Bundesland anders) eine Pflichtzeit an „Berufsschulen“.
Die allgemeine Schulpflicht wird mit Bezug auf Flüchtlingskinder von den Bundesländern unterschiedlich ausgelegt. In manchen Bundesländern wird unterschieden zwischen dem Recht auf Schulbesuch einerseits (dem Schulbesuchsrecht) und der Verpflichtung zum Schulbesuch andererseits (der Schulpflicht). (Mehr auf https://de.wikipedia.org/wiki/Schulpflicht_(Deutschland)
In fast allen Ländern der Welt geht diese „Gleichheit“, bei uns gerne „Chancengleichheit“ genannt, bis ins Alter von 13, 14 Jahren, in einigen gilt sie immer. Sie ist vielerorts gesellschaftlich durchgehend, oft nur auf dem Papier, nicht aber in der Wirklichkeit des Alltages.
Nur in deutschsprachigen Ländern, in Bundesländern Deutschlands, Österreich, Lichtenstein, der der Schweiz oder Südtirol beginnt die gesellschaftliche Aufteilung in frühen Jahren im Alter von 11 Jahren. Die so (verschiedenen, aber immer herrschenden) entstandende „dualen Systeme“ verstehe ich als Trennung in „Berufsbevölkerung“ und „höher gebildetes Volk“, oder in Lehrlings- und studienberechtigte Menschen.
Das eine wird gerne „Ausbildung“, das andere „Bildung“ genannt. Diese Trennung findet spätestens an Gymnasien und Sekundar- oder ähnlichen Schulen statt. Gesamtschule und Berufskolleg lassen beides zu, den Weg zur Uni und direkt in den Beruf. In der Kommune Eitorf, am südlichen Rand des Landes NRW, gilt die alte Ordnung der Trennung der Bildung. Will ein Kind zur Gesamtschule muss es in die Nachbarkommunen, nach Hennef oder Windeck. Will es eine berufliche Ausbildung mit/oder Richtung Beruf muss sie oder er nach Siegburg. Immer aber ist Ausbildung und Bildung auf den Beruf, auf die Arbeit ausgerichtet.
In den USA und der Mehrzahl der Länder der Welt konnte eine „Duale Ausbildung“ niemals gegen das Primat einer menschenrechtlichen Verfassung durchgesetzt werden.
In anderen Sprachen gibt es auch den deutschen Begriff der „Bildung“ nicht. Er heißt in der eigenen Sprache so ähnlich wie „education“ oder „education“ wurde aus dem Englischen übernommen. Wissenschaftlich heißt er auch gerne „Pädagogik“. In Deutschland heißt „Pädagogik“ dann seit den 1920/30ern „Erziehungswissen-schaften“.
„Wikipedia“ sagt: „Die duale Ausbildung ist ein System der Berufsausbildung. Die Ausbildung im dualen System erfolgt an zwei Lernorten, dem Betrieb und der Berufsschule, und zeichnet sich durch lernortübergreifende Lernprozesse (Duales Lernen) aus. Die Person in der dualen Ausbildung wird als Auszubildende oder Auszubildender oder veraltet als Lehrling bezeichnet. Voraussetzung für eine Berufsausbildung im dualen System ist in Deutschland ein Berufs-ausbildungsvertrag und in Österreich, der Schweiz und Südtirol (Italien) ein Lehrvertrag mit einem Betrieb. … Der größte praktische Teil der Ausbildung wird den Auszubildenden in den Betrieben vermittelt, den theoretischen Teil übernimmt überwiegend die Berufsschule....“.
Weiter heißt es: „Als Vorteil gilt, dass durch die Bildung im Betrieb eine Praxisnähe garantiert wird. Die Auszubildenden werden mit neuesten technischen Entwicklungen vertraut gemacht. Sie können sich in den Betrieben einen Ruf erarbeiten, was eine Übernahme nach der Ausbildung positiv beeinflusst. Die Anlernphase sind durch die Erfahrungen als Auszubildender auch verkürzt. Den Lehrlingen wird durch die Ausbildungsvergütung ermöglicht sich auf die Ausbildung zu konzentrieren. Durch den Besuch der Berufsschule wird eine Grundlagenbildung sichergestellt und der theoretische Hintergrund zu den Tätigkeiten des Betriebes gelegt. Durch die Berufsschule ist es möglich, die Schulpflicht in der allgemeinbildenden Schule zu verringern, da durch die Fächer wie Deutsch, Sozialkunde, Religion und Sport die Schulbildung der Jugendlichen abgeschlossen wird. Es wird ein Mindestniveau der Ausbildung durch den Staat sichergestellt. ...“
Dann folgen weitere Passagen über weitere „gravierende Fehler“ des vermeintlichen „Erfolgsmodell“ aufgelistet. (https://de.wikipedia.org/wiki/Duale_Ausbildung)
In unseren Ländern, wie in anderen wird das Volk in arm und reich eingeteilt, in arbeitslos, in arbeitend und in besitzend. Aber das ist nichts Neues.
Neu (für mich) ist, dass ich Mitglied des Flüchtlingsrates Rhein-Sieg wurde. In Köln gibt es den Flüchtlingsrat schon seit über 35 Jahren, bei uns ist er frisch gegründet. Natürlich will ich, wie viele andere, den Flüchtlingen helfen. Das wollen wir nicht nur, weil es bei uns Menschen gibt, die sie nicht haben wollen. Sie lassen sie lieber ertrinken oder weisen sie einfach ab. Aber auch das ist nichts Neues.
Für mich neu ist, dass die anderen Menschen, die helfen wollen, nicht unbedingt meine Gesinnung haben. So will die Lichtgestalt oder besser Gründerin des Flüchtlingsrates Rhein-Sieg, dass „für Flüchtlinge unser duales Bildungssystem greift, weil es so erfolgreiches ist“. So waren zumindest ihre Worte.
Da nützte es nichts, dass eine ältere Frau sofort erzählte, dass dieses „duale System“ niemals funktioniert. Es funktioniert nicht, weil simpel die Lehrer*innen fehlen, um das zu verwirklichen, was auf dem Papier steht. Es fehlt nicht nur an Fachlehrer*innen. Es fehlt generell an Qualität und Quantität. Sie wird nicht finanziert.
Andere schilderten sofort, dass alle Hartz-4-Empfänger*innen und Migranten betroffen sind und Verwaltungsleute und (Mittelschichten-)Erzieher*innen und Lehrer*innen selten begreifen, um was es geht. Es geht um die ökonomische Macht über andere Menschen.
Vielen geht es nicht um die, die auf ihrer Flucht zu uns kamen, eine Flucht, die in unserem Namen bewirkt wird. Oft geht es um die Aufnahme oder Nichtaufnahme in unsere Mittelklasse. Zu oft geht es nicht um das Recht, nicht nur in unser Land mit einer freiheitlich demokratischen Verfassung zu kommen, sondern auch hier zu bleiben. Wollen Flüchtlingsratsmitglieder andere Regeln als die der universellen Menschenrechte in Kauf nehmen? Fordern sie das selbst?
Im Flüchtlingsrat wurde sich darüber beschwert, dass „auszubildende Flüchtlinge“ in ihrer Ausbildung oft weniger Geld im Portemonnaie und viel weniger Zeit haben als ohne Berufsausbildungsvertrag. Und das, wo Industrie und Wirtschaft dringend Auszubildende bräuchten.
Sie denken sogar über neue Begründungen für das Sprechen von Englisch nach. Jetzt lernen wir die Computersprache. Sie ist Englisch. Sie denken nach über ein Schriftbild ohne gebundene Schrift.
Die Anwesenden im Rhein-Sieg-Flüchtlingsrat wollen keine Hochsprache, sondern eine Sprache, die allen verständlich ist. Die Abschaffung der Textaufgabe in der Schulmathematik wird gefordert. Sie fordern Schulbücher, „die man lesen kann“. Eine Grüne versteigt sich sogar dazu, dass „Selbstbeschäftigung beim Lernen das unterste Niveau“ sei.
Die Lichtgestalt sagt, dass „wir Handwerker ausbilden wollen“ … Ist das nicht ein Weg bei dem eine Wiederbelebung einer volkstümlichen Bildung aus einer guten Motivation heraus riskiert wird? Wird das eigene System nicht verstanden?
Denn das alles führte am Abend mit dem Flüchtlingsrat keineswegs zur Ablehnung eines geteilten, dualen Bildungssystem. Sie wollten eine Aufteilung in eine niedrigere Bildung vor allem für „Neue“ (und eine bessere Bildung für die, die bereits besser gebildet sind). Sie wollten mehr Zeit für die, die das „gehobene Deutsch“ nicht können. Sie forderten eine „einfache Sprache“ auch für Flüchtlinge. Sie forderten eine einfachere (Berufs)schulausbildung vor allem Flüchtlinge.
Die Anwesenden steigerten sich in eine neue „Untere Bildung“ für die Neuen, „damit sie reinkommen“. Unsere Urgroßväter und Großmütter , die jungen erwachsenen „Migrantenkinder“ an unseren Unis wären so niemals gebildet worden und könnte heute nicht studieren.
Erschrocken hat mich die Sicherheit mit der Argumente vorgetragen wurden, ohne sie als oder zur Frage zu stellen.
Wir erleben gerade, dass unsere Welt sich nicht gleichmäßig entwickelte. „Hochburgen der Zivilisation“ gingen spätestens seit dem Imperialismus des 19.Jahrhunderts einen anderen Weg als die Völker, die wir noch heute ausbeuten. Die eigenen Leute werden noch immer, wenn auch anders ausgebeutet.
Ist das eine oder andere alter Wein in neuen Schläuchen, der Vorbote einer Nach-Corona-Zeit, ist von Lehrer*innen nicht mehr zu erwarten oder „nur“ das Durcheinander einer neuen Denke?