Walter Hövel

Thanks, Mr. Hattie

 

Vor einiger Zeit saß ich in Köln im Studio des Deutschlandfunks1 und war als „Experte“ geladen. Es ging mit Professor Hilbert Meier aus Oldenburg und einem Gymnasiallehrer aus Köln, Michael Felten, um den „Hattie-Beweis“, dass Lehrer beim Lernen denn doch wichtiger wären als die Lerner2. Ich hatte mir vorgenommen den üblichen Hattie-Hickhack nicht mitzumachen. Ich hütete mich die wirklich existierenden „guten“ Lehrerinnen und Lehrer gegen das Recht der Kinder auf ihr eigenesselbst bestimmtes Lernen gegen einander ausspielen zu lassen. Schließlich ist die Grundlage unserer Arbeit an der Grundschule Harmonie im Hauptteil die eigen verantwortliche, selbstbestimmte Lernentwicklung der Kinder3 und im anderen Teil unseres Alltags die „Kinderuni“4, in der Kinder sich Angebote der Erwachsenen auswählen. Feltens Mitstreiter benutzen Hattie, um „Faktorenvorn“ sehen zu wollen, „die sich nur im direktenVerhältnis von Schülern und Lehrern herausbilden können“5. Später sagte er in sehr populistischer Manier: „Wir brauchen endlich wieder Lehrer,die in den Klassen Regie führen“6 Als Herr Felten merkte, dass ich Hattie als jemanden sah, der Wissenschaftler ist und über 15 Jahre wissenschaftliche Ergebnisse gesammelt hatte, die wiederum dazu da sind, um bei der praktischen täglichen Arbeit zu helfen oder nicht, schaltete er sofort um. Ich konnte bemerken, dass er von nun an, seine Thesen wie „Der Lehrer muss wieder im Mittelpunkt stehen“ ohne Hattie vortrug. Ich mache mir seit einiger Zeit Gedanken darüber, warum Herr Felten, der ja weiß was er tut, so Hattie nicht brauchen konnte und ihn aus der Argumentation nahm. Sind Hatties Ergebnisse, die oft genug Zahlen aus den 80igern und 90igern zum Untersuchungsgegenstand7 nehmen, gar nicht wichtig für die modernen Gestrigen? Ist in seinen Ergebnissen vielleicht etwas, was die Thesen dieser selbst ernannten „Guter- Lehrer“-Lobbyisten8 gar nicht so sehr unterstützt? Haben sie sich Hattie vielleicht zu schnell auf ihre Fahnen geschrieben? Hattie untersucht die „Wirksamkeit von Faktoren, die sich auf die Leistungen von Schülern auswirken“. Gut, Schüler, die wissenschaftlich in vielen Studien untersucht wurden, müssen ihre Leistungen, die messbar sind, innerhalb des Systems Schule erbringen. Das System Schule, das dabei zur Forschung benutzt wurde, ist das uns bekannte „System Schule“.Und dieses System Schule ist, wie wir alle wissen, ein hierarchisch strukturiertes und hierarchisch funktionierendes System. Schule ist eine durch und durch autoritär aufgebaute Institution,Demokratie beginnt erst im Klassenraum, wenn wir sie praktizieren. Hattie hat also Ergebnissezusammengetragen, die zeigen, wie ein System funktioniert hierarchisch-autoritäres oder besserfunktioniert. Wundert es da, dass ein solches System an erster Stelle Menschen braucht, die „Vertrauen in dieeigene Leistung“ haben. Das brauchen Feuerwehr, Fußball, Verwaltungen, Militär, Kirchen, Polizeioder das Transportwesen genau so!Würde man diese Systeme nach Hatties Endkriterienuntersuchen, kämen genau die Ergebnisse dieserHattiestudie heraus: Natürlich braucht die FeuerwehrLeute, die an ihre

1 http://www.grundschule-harmonie.de/aktuelles/walter-hoevel-bei-deutschlandfunk/

2 PISA-plus, „Macht Eintrichtern schlauer?“ 19. Januar 2013

3 Um das zu können, musst du als Lehrerin oder Lehrer absolut fit sein!

4http://www.grundschule-harmonie.de/assets/Uploads/PDF/Artikel/kinderuni-sich_selbst_sein_Lernen_begreifen.pdf

5 Der Spiegel, „Zurück zum Kerngeschäft“, 16/2013, S.38

6 http://www.grundschule-harmonie.de/aktuelles/walter-hoevel-bei-deutschlandfunk/

 

eigene Leistung glauben. Natürlichspielen die jüngeren Männer und Frauen in den aktiven Fußballteams. Natürlich muss eine moderneVerwaltung fortlaufend überprüfen,was sie tut. Natürlich braucht das Militär Vorgesetzte, die klare Befehle geben. Natürlich braucht der Kardinal ein Feedback aus der Arbeit seiner Kirchenleute. Natürlich braucht die Polizei heute Vokabel- und Wortschatzförderung ihrer Polizisten im Einsatz mit Menschen. Natürlich braucht das Transportwesen Problemlösung, und, und, und. Und genau das, stellt Hattie für die Schule fest: Hierarchisch strukturierte Systeme brauchen ein modernes Management. Die Untersuchungen haben so gesehen etwas Banales. Sie bestätigen, was Systeme, die man erhalten will und mit Abermillionen bezahlen muss, heute zuleisten haben!!! Und er untersucht eben nicht, was Menschen wirklich gelernt haben, wie sie und was sie lernen, sondern die „Leistungsergebnisse des Systems Schule“. Und er hat nur systemimmanente Ergebnisse, die das Funktionieren eines bestehenden Systems als das System, was es ist, bestätigen. Sie haben 15 Jahre lang 800 Meta-Analysen9 über Schülerleistungen überwiegend aus Australien und Neuseeland zusammen getragen und wieder ausgewertet. Er hat Schulstatistiken ausgewertet!! Also dieStatistiken des Systems selbst!

 

Er bekommt also raus, wie Schulen vor 30 und 40 Jahren in englischsprachigen Ländern innerhalb ihres eigenen Systems (!) funktioniert haben.Und da kommen „Jahrgangsüber-greifende Klassen, Freiarbeit und Offener Unterricht“ unter die ersten 138 wesentlichen Faktoren!!! Selbst in einem so direktiven System wie Schule!!! Diese schaffen es, einzubrechen in ein System der vorgegebenen Rituale, Leistungsüberprüfungen und Zwänge. Gegen 200jährige Scolatismusstrukturen, die von vielen mit allen Mitteln erhalten werden wollen, erscheint ein „Offener Unterricht“10, der noch nicht mal in zweistelligen Prozenten in derSchullandschaft praktiziert wird. Das Ringen um mehr Demokratie, um mehr Menschenrechte, um besseres Lernen, um Inklusion, mehr Selbstinitiative und Verantwortungsübernahme, um Individualisierung und Kooperationzugunsten aller, scheint nicht nur in einer immer noch autoritären Schule nötig, sondern vor allem erfolgreich zu sein. Der Trend geht in einer Demokratie weg von hierarchisch strukturierten Systemen hin zu mehr Menschen- und Kinderrechten, wie sehr sich auch viele wehren. Und das geht mitlehrenden Erwachsenen, immer mehr mit lernenden Erwachsenen und im Erfolgsfalle ohne Erwachsene.

 

Und Hattie? Es geht ihm ziemlich sicher nicht um dieBildungsdinosaurier in unserem Lande. Er will etwasverbessern und hat Untersuchungenzusammengetragen. Er propagiert das „Feedback“ alswichtigstes Instrument in den Händen der Schulen. Feedback wiederum ist etwas, was Schulreformer seitvielen Jahren betreiben! Es waren die ersten Reformpädagogen vor 100 Jahren, die anfingen sich zutreffen und Ergebnisse ihrer Arbeit zurückzumelden. Es sind Freinetpädagogen, die die „Kooperation“ der Lehrerinnen und Lehrer auf Treffen und in Schulen für sich erfunden haben. Es ist ein Projekt namens „Blicküber den Zaun“11, das sich seit vielen Jahren als „Critical Friends“ organisiert und sich zwecks Feedbacks an die gesamte Schulgemeinde trifft. Es sind erfolgreicheSchulen der letzten Jahre, die Feedback in ihren Schulen praktizieren und deshalb erfolgreich sind,weil sie selbst zu lernenden Schulen12 geworden sind.

 

Liebe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, untersucht doch diese Erfolgskriterien! Es musste18 Jahre (!) dauern bis mit der Uni Bielefeld die erste wissenschaftliche Untersuchung13 an unsererSchule begann!Und, alle Reformer, die heute Schule konkret, immer auf eigene Art, in den Grundsätze einig,vorantreiben, setzen „Vertrauen des Schülers in eigene Leistungen“ neben das „Offene Lernen“, die „Klarheit der Lehrpersonen“ neben „das selbstständige individualisierte Arbeiten“. Thanks, Mr. Hattie! Sie beweisen recht schlüssig, wie autoritär und hierarchisch Schule heute immernoch arbeitet, und wie sinnvoll und erfolgreich (!) es ist, dies ändern zu wollen und zu können!

 

7 Wie sahen unsere ersten Versuche in den 80iger Jahren aus? Sind wir heute nicht ein Stück weiter?

8 Die Realität sieht anders aus, es gibt zu wenig „gute“ Lehrerinnen und Lehrer. Schon 1978 forderte Frederic Vester von der Bundeswehrhochschule München in seinem Buch „Denken, Lernen, Vergessen“, dass man „von 5 Lehrer 4 entlassen solle, damit es bessere Schulen gibt“!

9 Eine Metaanalyse ist eine Zusammenfassung von Primär-Untersuchungen zu Metadaten, die mit quantitativen, statistischen Mitteln arbeitet. (http://de.wikipedia.org/wiki/Metaanalyse)

10 Zu fragen bliebe, ob der „open classroom“, der untersucht wurde, das ist, was bei uns „Offener Unterricht“ heißt.

11 http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=b%C3%BCz&source=web&cd=2&cad=rja&ved=0CDkQFjAB&url=http%3A%2F%2Fwww.blickueberdenzaun.de%2F&ei=TmKoUYH_Keqh7AaMzIHoDQ&usg=AFQjCNHuYHzGkLHtS1l6v0pL41XwEyt5ZQ&bvm=bv.47244034,d.ZGU

12 http://www.grundschule-harmonie.de/artikel-pdf_3/lernende%20schule.pdf

13 http://www.grundschule-harmonie.de/aktuelles/besuch-uni-bielefeld/