Das Wort „Pflicht“ ist eine Ableitung von pflegen in dessen älterer Bedeutung „für etwas einstehen“; aus mittelhochdeutsch pflicht und
althochdeutsch pflicht; die Ableitung pflichten ist heute nur noch in Präfigierungen wie beipflichten „zustimmen“ und verpflichten „bindend festlegen, beauftragen“ erhalten[1]
Wenn man von den Leuten Pflichten fordert
und ihnen keine Rechte zugestehen will,
muss man sie gut bezahlen.[2]
Johann Wolfgang von Goethe
Walter Hövel
Rechte und Pflichten
Das Problem von "Rechten, Pflichten und Verpflichtungen“ ist immer eines unserer wichtigen Themen an der Grundschule Harmonie wie im gesamten Bildungssystem gewesen.
Angesichts meines Alters fallen mir immer erst Anekdoten ein: Ich arbeitete um das Jahr 1990 an einer großen Dorf-Grundschule in einer kleinen bergischen Gemeinde. Ich hatte eine Klasse, mit der ich nach den gleichen Grundsätzen wie an der späteren Grundschule Harmonie[3] arbeitete. Mir war gelungen, die Kinder von einem Projekt „Kinderrechte“ zu überzeugen. Unter anderem schrieben sie ihre Rechte auf und brachten sie in Verbindung mit selbstgemachten Bildern und Collagen auf Plakaten, die wir im gesamten Treppenhaus der Schule aushingen.
Dort standen Sätze wie „Kinder haben das Recht zu lachen“ oder „Kinder haben das Recht so lange auf zu bleiben, wie sie wollen“, „ Kinder haben das Recht jederzeit zu essen“ „Kinder haben das Recht auf die eigene Zeit“.[4]
Der Schulleiter sah die Sätze, Bilder und Plakate und sagte: „Ist ja alles gut und schön, aber wo bleiben denn da die Pflichten?“ „Ja“, konnte ich antworten, „das ist wie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Da stehen nur Grundrechte, aber keine Grundpflichten!“
Der Mann, der gleichzeitig Bürgermeister der Gemeinde war, schwieg.
„Es ist meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit…“[5]
Angela Merkel 2016
Grundpflichten gehören in die Vergangenheit
Geschichtlich waren die Gedanken des Mannes einzuordnen: Während noch in der Weimarer Reichsverfassung der zweite Hauptteil mit „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ überschrieben war, benutzt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland das Wort Grundpflicht an keiner Stelle.
Die Bundesrepublik Deutschland wurde historisch so spät gegründet, dass ihre Verfassung, das Grundgesetz, auf den Menschenrechten, in ihrer vorgeschalteten „Freiheitlich Demokratischen Grundordnung“, kurz FDGO, basiert. Diese menschlichen Grundrechte sind durch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die UNO „verpflichtend“ definiert.
Ehe man ihnen irgendwelche Rechte zubilligte,
sollten sie lernen, dass sie Pflichten hatten
und vor allem die Pflicht vollkommener Fügsamkeit
Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, 1941, Kindle Pos. 593
In Deutschland ist in der Frage der Rechte der Menschen die Geschichte nicht besonders gut verlaufen. Die Bauernaufstände endeten für das einfache Volk, im Gegensatz zu unseren nördlichen
Nachbarn, mit Niederlagen für Freiheit und Menschenrechte. Die „Deutschen“ ließen sich im Dreißigjährigen Krieg, im Hundertjährigen Krieg, im Ersten Weltkrieg und sonst wo in aller Regelmäßigkeit
für wechselnde Herren abschlachten. Die bürgerliche Revolution von 1848 endete in Deutschland und Österreich in einer historischen Katastrophe der Herrschaft des Adels. Nach der Niederlage des
kaiserlichen Deutschen Reiches und der österreichischen K-und-K-Monarchie hätten sich Freiheit und Recht entfalten können. Doch die deutsche Bevölkerung entschied sich in ihren ersten
demokratischen Versuch, der Weimarer Republik, als auch in „Deutsch-Österreich“ anders. 1932 wählten sie im größten Landesteil Preußen einen Nazi an die Spitze, dann ließen sie sich ab 1933 in
eine der größten und mörderischsten Niederlagen ihrer Geschichte führen. Die anderen, bereits „blau“, sprich deutsch-national-faschistisch beherrscht, begrüßten jubelnd ihren Besetzer, um in den
gleichen Abgrund zu folgen.
Noch vor dem ersten Weltkrieg sah die bürgerliche Oberschicht in Wien den kaiserlichen Staat so:
„Die Rechte, die er seinen Bürgern gewährte
waren verbrieft vom Parlament,
der frei gewählten Vertretung des Volkes,
und jede Pflicht genau begrenzt.“
Stefan Zweig,
In der DDR wurden im Namen der Demokratie die individuellen Freiheitsrechte und die Menschenrechte mit Füßen getreten. Immerhin gelang ihren Bewohnern ohne Revolution oder Krieg ein Schritt in die Freiheit. Die Adenauerzeit brachte die anderen „Deutschen“ in das von den USA geführte „Verteidigungsbündnis“. Es besiegte den Kommunismus, aber die NATO und ihre Führungsmacht USA selbst griffen seit der NATO-Gründung weit mehr als 50 Länder an. Nicht alle konnten „besiegt“ werden.
In den eigenen Grenzen, nicht nur der USA, waren „Neger“, "Latinos", Chinesen, die indigene Urbevölkerung, „Kommunisten“, Frauen, Kinder, Flüchtlinge, Migranten, Arbeitslose, Obdachlose, Ghetto- und Slumbewohner, Behinderte und die Armen oft die Opfer. Aber die Menschen fingen an ihre Rechte und ihre Freiheiten zu erringen. Sie begannen, wie Barack Obama es Ende des ersten Jahrzehnts der 21.Jahrhunderts nannte, sich zu organisieren. Es hinderte die US-Bürgerinnen und –Bürger aber nicht daran, sich freiwillig einen Nazi zum Präsidenten zu wählen. Sie hielten es für ihr Recht weiß, führend, bewaffnet, folternd und rassistisch zu sein….
Ihr Weg der Pflicht zum „guten Amerikaner“ hatte diesen Weg geebnet.
Noch heute akzeptieren wir gerne vergangene und gebliebene Pflichten, die Pflicht in der Armee zu dienen, zur Schule oder zur Arbeit zu gehen, sich an die Gesetze zu halten, die Pflicht sich auf der Straße anzuziehen, sich zu benehmen, sich zu bilden und ein guter Bürger zu sein.
Es hilft nichts, das Recht auf seiner Seite zu haben.
Man muss auch mit der Justiz rechnen.[6]
Dieter Hildebrandt, Kabarettist
Aber die Menschen begannen auch ihre Rechte zu kennen, Rechte als Autofahrer, als Konsumenten, als Versicherungsnehmer, als Mieter, als Käufer, ihr Recht auf Gesundheit, das Recht auf Schutz im
Krankheitsfalle und Armut, das Recht auf Wohnen, auf Kindeswohl, sogar das Recht auf Abtreibung, das Recht auf Reisen, freies Denken, auf gleichgeschlechtliche Beziehungen oder gesundes Essen.
Die Menschen haben noch kein Recht auf Arbeit oder Müßiggang, freies Lernen oder die absolute Selbstbestimmung ihrer Zeit in auch mehrheitsfähigen Mengen festlegen können.
Die Menschen erleben, dass ihre Rechte von großen und mächtigen, nationalen, europäischen und internationalen Industriellen, Banken, Medien, vom Staat, oder von der großen Masse immer wieder manipuliert und beschränkt werden. Zunehmend wehren die Menschen sich –nicht zum ersten Mal - gegen ein bürgerliches Establishment, dass ihnen Rechte - zur Füllung der eigenen Schatullen - vorenthält. Sie machen wieder, ob in Italien, Österreich, Griechenland oder in Spanien von ihrem Recht auf Widerstand als Demokraten Gebrauch. In anderen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Finnland scheint es an demokratischen mehrheitsfähigen Alternativen zu fehlen. Wieder in anderen Ländern wie Polen, Ungarn, der Türkei, Russland oder den USA scheint es an demokratisch-tradiertem Bewusstsein zu fehlen.
Viele Länder scheinen ihren Weg der demokratischen Entwicklung zu halten. Hier wiederholt die Linke nicht die Fehler der Vergangenheit und hält zu den Demokraten im Bürgertum. Wird das demokratische Bürgertum auch umgekehrt bei der menschenrechtlichen, humanen Orientierung bleiben oder sich, wie ihre eigenen rechten Teile, auf die Seiten der nationalistisch-rassistischen und faschistoiden Strömungen schlagen?
Aber sie alle lernten etwas über Menschenrechte. Rechtskräfte sind heute beleidigt, wenn sie „Nazis“ genannt werden. Sie geben vor – wie einst ein Hitler für den Frieden eintrat – für die Menschenrechte zu stehen. Ein Trump – und seine Wähler! - geben sich diese Mühe nicht mehr.
Wir leben in einer Menschenrechtsgesellschaft
Aber noch immer besteht die Mehrheit der kleinen und großen gesellschaftlich Verantwortlichen auf der Fortsetzung des Weges der demokratischen menschenrechtlichen Entwicklung. Die Mehrheit der
Bevölkerung lernte, dass sie das Recht auf Leben, Freiheit und Glück hat. Die Menschen lernten, dass auch andere Rechte hatten, dass es neben Inklusion und Demokratie eine Freiheitlich
demokratische Grundordnung in unserem Land, Freizügigkeit, Selbstbestimmung oder freie Meinungsäußerung gibt.
In einigen Momenten sehen wir gerne Feuerwehrleute, Ärzte oder Rettungsschwimmer. Wir akzeptieren ihre Pflicht zu helfen, die sie sich selbst auferlegten oder gar schworen, gerne. Gerne sagen wir, dass die Pflicht der Polizei ist Verbrechen zu bekämpfen, nicht die Rechte der Reichen zu schützen. Sie bekommen auch Rechte zugestanden, die zu unserer „Sicherheit“ auch unsere Rechte einschränken können.
In Fragen der Sicherheit gibt es sogar Menschen, die die Sicherheit höher ansiedeln als ihre Freiheit. Politiker gehen gerne auf diese Schiene. Auch gibt es Menschen, die Rechte nur für sich und ihresgleichen einfordern. Für andere wollen sie sie nicht. Sie nennt man dann auch Rechte.
Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.
Martin Niemöller, deutscher evangelischer Theologe
Besonders haben die Kirchen unsere Vergangenheit geprägt. Sie hielten als Kirche immer zu den Reichen und Mächtigen. Sie predigten gerne von den Pflichten, die wir hätten, weniger von den Rechten
mit denen Gott eigentlich alle Geschöpfe ausgestattet hatte. Nicht zufällig hatten die Kirchen noch in den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts die Ausbildung der Lehrer*innen und die Schulen
selbst in der Hand.
„Die Römisch-katholische Kirche definiert für ihre Angehörigen unter anderem die Pflicht zur Arbeit, zur brüderlichen Zurechtweisung (Katholischer Erwachsenenkatechismus 1995), die Pflicht zur Weitergabe des menschlichen Lebens (Fest der Heiligen Familie 2005) sowie die Pflicht zur verantwortungsbewussten Elternschaft und die Pflicht zur Pflege des Bewusstseins von „Gabe und Aufgabe“ (Weltfriedenstag 2007).“[7]
„Der Islam kennt die Farḍ, was „religiöse Pflicht“, „(göttliche) Verordnung“, „Verordnung“ bedeutet. „Farḍ ist die Summe derjenigen religiösen Verpflichtungen, die Muslime im Ritualleben
bedingungslos zu erfüllen haben. Das Verb dazu ist faraḍa bzw. iftaraḍa und kommt entsprechend in der Bedeutung von: „jemandem etwas als (religiöse) Pflicht auferlegen“, „verordnen“, „für
verbindlich erklären“ sowohl im Koran als auch im Hadith vor.“[8]
Es muss darauf geachtet werden,
dass das Grundgesetz nicht mit Methoden geschützt wird,
die seinem Ziel und seinem Geist zuwider sind.
Gustav Heinemann, Bundespräsident
1969-74
Schon gegen die Religion kam die deutsche Philosophie mit der „Pflicht“, gerne nach Kant, an. Pflicht kommt bei Kant in seiner „deontologischen Ethik“ als „moralischer“ Begriff vor: Es ist der
Grundsatz, dass „eine Handlung dann und nur dann objektiv geboten ist, wenn sie von einem unbedingten moralischen Gesetz verlangt wird.“ Für ihn ist die Pflicht „ein guter Wille“. Sie „ist erst
dann gut, wenn er durch die Pflicht bestimmt wird, eine Handlung also aus Pflicht getan wird. … Pflichtmäßig sind alle Handlungen, die man ausführt, um ein Ziel zu erreichen. Sei es um Genuss zu
erlangen oder aber wie im kantschen Beispiel des Kaufmanns für alle Kunden den gleichen Preis zu verlangen um den guten Ruf des Geschäftes zu festigen. Auch Hilfe für Andere und Bedürftige, die
mit dem Hintergedanken gegeben wird, später dafür einmal belohnt zu werden oder gar dafür in den Himmel zu kommen, sind pflichtgemäß und somit moralisch nicht gut. Nur eine Handlung aus Pflicht
ist moralisch gut. … Eine Pflicht muss weiterhin einer Achtung fürs Gesetz folgen, wobei unter Gesetz natürlich das moralische oder Sittengesetz gemeint ist: ‚Das praktische Gesetz ist die
Gesetzmäßigkeit, die herrschen würde, wenn bei allen vernünftigen Wesen die Vernunft die volle Gewalt über den Willen hätte, und nicht unsere Neigungen. Der Wert einer moralischen Handlung liegt
nicht in der Wirkung, oder den Beweggründen, sondern einzig und allein in der Befolgung der Pflichten.“[9]
Gut, dass wir uns vom Kant’schen Denken der kaiserlichen und großbürgerlichen „Zivilisationen“ verabschieden und lernen, die Menschen entsprechend ihre Würde und den daraus erwachsenden Menschenrechten zu sehen und uns selbst und andere so zu behandeln. Kants historischer Verdienst aber bleibt, dass er uns aus den Fesseln der Kirchen hinein in einem Begriff der Freiheit führte.
Dabei ist „Recht“ häufig gerne noch das, was die bekommen, die es sich leisten können. Große Unternehmen oder Banken haben ganze Abteilungen, die für sie, das „Recht“ kennend, arbeiten. Auch reiche Leute können sofort mit ihrem Anwalt drohen.
„Der Schwache kennt seine Rechte,
der Starke seine Pflichten.“[10]
Dr. phil. Michael Richter
(*1952), deutscher Zeithistoriker
… und ich habe eine Schwäche für Menschenrechte
und fühle mich verpflichtet sie stark zu machen
"Adel verpflichtet - Menschsein recht sich!
Wir verpflichten uns gerne noch einer Sache, einer Idee, einer Person, einer Partei, als Eltern, als Lehrer, als Bürger.
Es ist das Problem des Verstehens eigener Rechte. Rechte werden nicht von Landesfürsten oder Siegermächten geschenkt, sondern müssen –je nach historischer Positionierung - erkämpft, erstritten, verstanden, wieder erfunden, selbst kreiert, eigen verantwortet sein.
Gerade wieder befinden wir uns in einer solchen Phase, in der aller Orts Menschen wieder als die Weißen, die Einheimischen, die Christen oder die Erfolgreichen „wertvoller“ als andere sein wollen. Wie ließ George Orwell damals in Animal Farm die Obersau sagen: „ All animals are equal, but some animals are more equal than others“ [11].
Und trotzdem wurde das Recht für alle Menschen geschaffen. Das ist die Grundauffassung unserer Staatswesen, die Grundauffassung unserer Erziehung.
"Die Pflicht" ist in der Menschheitsgeschichte immer ein Mittel der Unterdrückung. In der Regel wird die Pflicht durch Religionen und ihre Kirchen vertreten. Noch heute sagt ein katholischer Priester, dass er sich eher seinem Papst als einer Landesverfassung verpflichtet fühlt. Ein islamischer Gläubiger wird den Glauben an seinen Gott auch höher stellen wollen als die Menschenrechte der Freiheitlich Demokratischen Grundordnungen. Menschenrecht braucht keinen Gott, aber Verpflichtung geschieht im Namen der Götter besser.
Seit den 50er Jahren plädieren Demokraten dafür, die Verfassungswirklichkeit herzustellen. Seitdem sind wir vorwärts gekommen. Immerhin gingen, und werden wieder einige, die Anderen Rechte und Würde, Leben oder Gesundheit wegnahmen, dafür ins Gefängnis gehen.
In der Schule lernten zunächst die Älteren die „Reeducation zur Demokratie“ kennen. Das hatten uns Amerikaner und Briten dagelassen, als sie uns von dem von uns selbst gewollten Faschismus befreit hatten. Wir konnten – zum Glück – nicht anders als demokratisch werden. Alle lernten, oder konnten zumindest die Verantwortungsübernahme für das Gesamtwohl und die Rücksicht auf die Anderen und sogar die, die anders waren, lernen.
Die Geschichte derer, die die Geschichte schreiben, griff bald zu einem neuen Trick. Die Besitzenden und Mächtigen, egal ob Staaten, Industrie oder Banken, wollten sich nicht in die Pflicht der Politik oder der Rechtsprechung nehmen lassen. Obwohl im Grundgesetz noch steht, dass „Eigentum verpflichtet“, gingen sie den ihnen angebotenen Weg der „Selbstverpflichtung“. Durch eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ entfällt (für sie) die „Rechtspflicht“. Die Banken verpflichteten sich ein „Girokonto für Jedermann“ zu führen (wer weiß das noch!), die Industrie verpflichtete sich selbst zur Ausbildung! Selbst Wikipedia schreibt dazu – hier auf die Medien bezogen: „Dieser Aspekt kann auch lobbyistisch als Hinhaltetaktik oder schlimmstenfalls zur vorsätzlichen Täuschung missbraucht werden.“[12]
Die Selbstverpflichtung ist für die einen ein Weg zur Umgehung von Menschenrechten geworden, für die anderen eine Deklaration ihres Willens die Rechte der Menschen zu respektieren.
Die allgemeine Achtung der Menschenrechte
ist ein gewaltiger Fortschritt.[13]
Dalai Lama
Wir lernen das Eintreten für die Rechte der Menschen zuerst in Kindergarten, dann in Schule und Hochschule. Allmählich ziehen sie auch in Familien, Vereinen, Politik und Sport ein. Schwieriger
ist es noch in Betrieben, im Straßenverkehr, erst recht bei Militär oder in anderen kasernierten Einrichtungen.
Ein heftiges Problem bei der Entfaltung von Rechten ist die Institution Schule selbst. Sie basiert nicht auf dem Recht des Lernens, sondern auf der so genannten „Schulpflicht“.
Die Schulpflicht basierend auf dem Grundgesetz. Art. 7 Abs. 1 GG sagt: „Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates“. Somit müssen alle Kinder 9 oder 10 Jahre zur Schule gehen. Zuwiderhandlungen werden schwer bestraft. Der „Vollzeitschulpflicht“ folgt die „Berufsschulpflicht“. Anders als in fast allen Ländern der Welt übernimmt der Staat nicht „die Pflicht“ des Rechts der Bildung für alle Menschen, sondern „erfüllt“ diese Pflicht durch das verpflichtende Angebot des staatlichen Schulwesens. Dieses „Zwangssystem Schule“, zudem noch ein sozial selektierendes gegliedertes System mit Gymnasien und anderen Sonderschulen, stellt Deutschland international sehr unter Druck.
Dagegen ist „das Recht auf Bildung“ unbestritten, der Weg in die Freiheit des Lernens nicht. Es liegt eine sehr große Spannung zwischen der „Schulpflicht“ und diesem „Recht auf Freiheit des Lernens“.
Kinderrechte bedeuten die vollständige Verwirklichung der Menschenrechte für Kinder
Diese Spannung entsteht auch dadurch, dass Menschenrechte nicht als Kinderrechte anerkannt werden. Kinder haben nicht die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen.
Erwachsene nehmen Kinder „in die Pflicht“, in ihre Pflicht, was sie „Erziehung“ nennen. Sie verpflichten sie, so zu werden wie sie bereits sind oder die Welt und das Leben im Sinne der Erwachsenen „besser“ zu machen. Sie nehmen sich diese Verpflichtung der Kinder als „ihr Recht“ heraus.
Sie fühlen sich für ihre Kinder verantwortlich. Dass sie dabei den Kindern das Recht auf ihre eigenen Rechte nehmen, haben viele bedeutende Pädagogen wie Janusz Korczak und Maria Montessori, die Freinetpädagogik, der Deutsche Kinderschutzbund, zahlreiche Schulen, wie auch die Grundschule Harmonie, die UNICEF oder die UNO (UN-Kinderrechtskonvention) schon sehr lange erkannt. Seit Korczak als der Vater der Kinderrechte gilt, verbreitet sich die Einsicht, dass für Kinder die gleichen Rechte wie für alle anderen Menschen gelten müssen.
Das ist die Situation des Kindes,
das in der Umwelt der Erwachsenen lebt:
ein Störenfried, der etwas für sich sucht und nichts findet,
der eintritt und sogleich fortgewiesen wird.
Seine Lage ähnelt der eines Mannes,
dem die bürgerlichen Rechte
und das Recht auf seine Umwelt aberkannt worden sind:
Es ist ein an den Rand der Gesellschaft
verwiesenes Wesen,
das jedermann ohne Respekt behandeln,
beschimpfen und strafen darf,
dank einem von der Natur verliehenen Recht:
dem Recht des Erwachsenen.[14]
Maria
Montessori
Aus der Sicht der Kinder ist es so, dass sie sich aus ihrem Status des Kindes hinein entwickeln wollen in die gesellschaftliche und biologische Rolle der Erwachsenen. Den Erwachsenen nacheifernd,
- Kinder haben keine anderen Vorbilder als ihre vorhandenen Erwachsenen! – wollen alle Kinder die Menschen werden, der sie bereits sind.
Um ihren unbedingten Einfluss auf die Entwicklung der Kinder zu behalten, äußern die Erwachsenen ihr „Misstrauen“ in die Kinder und ihre Entwicklung als Erziehung, Ausbildung, Bildung und Beschulung. Hinzu kommt, dass die Mächtigen einer Gesellschaft, Industrie, Banken, Medien, Kirchen und Staat - für ihren Verdienst - ihr besonderes Interesse am Konsum angepasster Menschen haben.
Sie sehen es gerne auf Kinder ab, da sie eine gute Einnahmequelle sind. Ihre Ziele sind – in aller Regel – identisch mit denen der Menschen, die in die Wohlfahrt des kapitalistischen Wohlstands hinein wollen. Nicht die Abschaffung ihrer Abhängigkeit ist das Ziel der meisten, sondern die Bekehrung der Reichen hin zur Verantwortungsübernahme auch für die Armen und ihre Kinder. Sie trauen ihnen mehr zu, weil sie – wie die Kinder bei den Erwachsenen – keine erfolgreicheren Vorbilder haben. Die Menschheit scheint immer den Status des lernenden Kindes zu haben, dass – bevor es stirbt – besser leben will.
Könnten die Erwachsenen sich selbst und ihrer Gesellschaft mehr trauen, könnten sich alle Kinder freier entwickeln.
Für die Kinder müssen die gleichen Rechte wie für alle Menschen gelten. Als Menschen sind die Menschen nur ihren Menschenrechten verpflichtet.
Es scheint zumindest zwei Entwicklungslinien der Menschheit zu geben. Das eine ist die politische. Sie schwankt, springt vorwärts und rückwärts in ihrer selbst auferlegten Moral, in ihrer Auffassung von Rechten und Pflichten. Ihre schlimmsten Waffen sind Armut und Krieg. Konsum, kurzfristige Profitorientierung, das Verzocken von Milliardensummen in nur einer Nacht - und Medienindustrie stützen diese in Zickzackkurven.
Dann gibt es eine soziologische Entwicklung. Hier scheinen fast in Jahrzehnten messbar, die Rechte der Menschen, wenn auch wellenförmig, zu steigen.
Das Wahlrecht für alle Männer wird historisch vom Wahlrecht der Frauen gefolgt. Die Obergrenze des Alters wird gesenkt. Rechte der Menschen, die gleichgeschlechtliche oder Beziehungen vor der oder außerhalb von Ehe, werden legitimiert. Alle Menschen erhalten nach und nach die Menschenrechte. Dem Recht auf Schule für alle folgt die Diskussion über die Rechte der Kinder.
Der Kapitalismus wird in Frage gestellt, die Armut der Menschen wird bekämpft. Ausbeutung und Krieg werden nicht mehr als gut oder notwendig hingenommen. Die Menschen beginnen eine gesunde Ernährung zu fordern. Ausreichend viel Trinkwasser für alle wird ein Thema für alle. Flüchtlinge werden willkommen geheißen, Migranten als Menschen mit gleichen Rechten anerkannt.
Fast die ganze Welt erkennt das Recht auf Bildung in Einheitsschulen als einer „Schule für alle“ an. Hier werden soziale Benachteiligungen in gegliederten Schulsystemen in Frage gestellt. Behinderte bekommen Rechte. Die Inklusion wird in Selbstverpflichtung zum Ziel von Staat und Gesellschaft erklärt.
Die Existenz der Natur wird verteidigt. Selbst Rechte der Tiere werden angesichts der Lebens-mittelmassenproduktion, der Tierversuche und dem Ausrotten ganzer Spezies öffentlich in Frage gestellt.
Der Kuckuck der Demokratie kann so oft mundtot gemacht werden wie es immer ging, im nächsten Jahr hört man ihn wieder.
Menschen sind lernbegabt. Sie werden die Gleichwürdigkeit aller –auch in und nach Zeiten schwerer Rückschläge - in die Tat umsetzen!
[1] https://de.wiktionary.org/wiki/Pflicht
[2] http://zitate.net/pflicht-zitate
[3] www.walter-hoevel.de
[4] Walter Hövel. Die Rechte der Kinder - Freinet-Pädagogik, Bremen 1993
[5] http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/8144630/-es-ist-meine-verdammte-pflicht-und-schuldigkeit-.html
[6] http://zitate.net/dieter-hildebrandt-zitate
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Pflicht
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Far%E1%B8%8D
[9]http://www.neuemoral.de/www_neuemoral_de/Philosophen/Immanuel_kant/Kant_und_Moral/kant_und_moral.html
[10] https://www.aphorismen.de/zitat/57285
[11] George Orwell. Animal Farm. Longman Readers 1996
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstverpflichtung
[13] https://www.aphorismen.de/zitat/112709
[14] Maria Montessori, Kinder sind anders. Klett. 1952, S. 8