Walter Hövel
Eine Antwort auf einen
Englischfragebogen
einer Studentin von 2009
„Liebe K. B. ,
leider gibt der Fragebogen nicht her, was Sie wahrscheinlich erfragen wollen. Nicht, dass er schlecht oder falsch wäre, sondern es ist zu sehen wie Fragen oft aus Antworten entstanden, die 'man' hören möchte. Wir sind in eine prüfungsähnliche Situation gebracht worden, in der wir lieber durchfallen als die 'erwarteten' Antworten geben.
Wir lernen Englisch, indem wir täglich unterwegs sind mit einzelnen Kindern und Gruppen, deren Weg es ist herauszufinden, wie sie sich der englischen Sprache bemächtigen können. Dies ist unspektakuläre Kleinarbeit, hohe Entwicklung von rollenspielähnlichen Kommunikationsevents, Angeboten der Medien, Lesen und Verstehen. Es sind Freies Schreiben, eigene Texte, direkte Kommunikation über Mail, Cams, Online Contacts, Schulbesuche in England und hier, klassische Korrespondenz und vieles andere mehr.
So entsteht kein 'Best Practise', kein Modell eines 'funktionierenden modernen Englischunterrichts' den Lehrer*innen geben oder erteilen. Wir unternehmen alles, damit Kinder zuerst und permanent selbst und selbstständig lernen. Sie finden ihren Lernweg der Aneignung der englischen Sprache selbst.
Wie dieses Lernen funktioniert, bleibt eine Blackbox. Wir können nur die Kinder und ihre Arbeit (besser das von uns Gesehene) beschreiben. Andererseits bieten wir uns als Personen an. (Englisch-Unterricht kennt durch die Fähigkeit Englisch - sprechen – zu – können in der öffentlichen Meinung, vergleichbar mit dem Fach Musik, immer eine hohe Dominanz der Lehrkraft). Wie in den anderen Fächern (!) - oder ohne Fächer – sprechen wir als Lehrer*innen alle Englisch. Somit geben wir alle den Unterricht in allen Fächern – außer Religion. Die Kinder suchen entsprechend ihrer eigenen (Lerner)persönlichkeit die Lehrer*in, das Thema und ihre Lernpartner aus. Wir Lehrer*innen bieten uns mit unseren personalen Qualifikationen den verschiedenen Lerntypen an. Diese (Aus)Wahl überlassen wir den Kindern!
Hiervon weichen wir allerdings offiziell bei der Ausbildung unserer Lehramtsanwärter*innen ab. Dies zeigt einer unserer Filme auf der Homepage der Schule. Unsere Angebotsseminare, wie Aufsätze zum Englischlernen sind ebenfalls auf der Homepage zu finden [Leider exisiert die Homepage der Schule nicht mehr. Jemand der Nachfolger ließ um 2017 fast alles verschwinden.]
Sie [die Studentin] möchten untersuchen, in wie weit Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachen-unterricht Freihheiten zum selbstständigen Lernen bei gleichzeitiger Wahrung des sprachlichen Inputs eingeräumt werden können.
Hierzu ein paar Antworten:
Freiheit zum selbständiugen Lernen ist ein Automatismus unseres Gehirns! Das Gehirn kann nur selbständig lernen!! Gehirne können nicht 'belernt' werden. (Soweit 'belehren' ankommt, ist wissenschaftlich in seinem bescheidenen Erfolg belegt.) 'Unterricht' kann beim Lernen nur förderlich, irrelevant oder hinderlich sein. Den 'Unterricht' in diesem Sinne haben wir (zumindest versuchen wir es) aufgegeben. Wir wissen, dass es einen 'Englischunterricht', in dem alle gut lernen, nicht gibt.
Was nicht heißt, dass es ein gemeinsames Lernen in gemeinsamen Aktionen, an gemeinsamen Themen, etc. nicht geben darf. Im Gegenteil!
Wir schaffen also Lernsitutionen, die die Kinder (mit)schaffen.Und/oder sie suchen sich diese Situationen und Lernumgebungen aus. Hier ist immer wieder die Frage: „Wie, wie ist dein Erfolgsweg hin zu deinem Englischlernen?“, „Wie bekommst du eigene Motivation diese (oder jene) Sprache lernen zu wollen?“, „Wie, wann., wo, mit wem, auf welchem Weg, in welchem Thema, redend, hörend, lesend, in Kunst oder im Text, forschend, filmend, …?“
Die Menschen der letzten Jahrzehnte, die Englisch in Schule lernen sollten, waren, trotz Schule und Unterricht – oft in der Lage sich englische Sprache anzueignen. Dies wurde um so besser, je vielfältiger die Inhalte und Formen (wenn auch über Unterricht) vermittelt, bzw. angeboten wurden. Gelehrte und ausbildende Englischdidaktik tendiert immer wieder dazu, die einzig gültige Form des Unterrichts als oberstes zu praktizierendes Ziel der Ausbildung zu erzwingen. Aber Didaktik behindert das Lerne. Sie macht es nicht unmöglich. Es entwickelt Ansichten, die das Angebot der Lernmöglichkeiten entwickeln und bereichern, wenn sie zum Knowhow und zu den Techniken der Kinder gehören.
Wir brauchen also eine Riesensammlung von Ideen, Techniken, Methoden, Inhalte, Zugangs-möglichkeiten zu der zu lernenden Sprache, um dem Gehirn der selbständigen Lernen zu helfen. Es geht darum, den originalen Vorgang das eigenen Lernens bewusst zu machen.
Ich lernte Englisch in einer englischen Arbeiterfamilie. Andere lernten es über eine Au-Pair-Situation, einen Schüler*innenaustausch, über 'ihre' Fernsehserie, über den Beruf, elektronische Spiele, Fantasy-Kartenspiele, mit der eigenen Sprachenbegabung oder sonstwie. Kaum einer lernte Englisch von und über die Schule, obwohl die mehr leistete als etwa ihr Lateinunterricht. Natürlich verbessert sich auch die Didaktik eines Faches, wenn das Fach 'neu' ist oder die wissenschaftlichen Erkenntnisse Einzug halten.
Dies ist allerdings keine Freiheit, sondern Vielfalt (was allerdings in der Konsumgesellschaft gerne mit Freiheit verwechselt wird). Nur frei sein können Menschen, die ihre Freiheit selbst erfahren. Sie leben die Freiheit ihres Lebens, wenn sie lernend lernen zu leben.
'Freiheit im Unterricht' ist also in der gesellschaftlichen Zwangsanstalt Schule 'Quatsch'.
Hierzu ein Zitat von Josef Albers, Mitbegründer der Bauhausschule, das bestehende Schule kritisiert: 'Aufgabe der Schule als öffentliche Einrichtung ist es, das Individuum in Gemeinschaft und Gesellschaft einzupassen. Die Entwicklung der Persönlichkeit ist eine außerschulische Aufgabe, denn Entfaltung zu persönlichen Zielen kann der Einzelne nur selbst leisten … produktive Individualität behauptet sich ohne und gegen Erziehung'. (R. Wieck, 1982, S.152)
Die Kinder sollen eine Sprache beherrschen lernen, die sie sonst als politische Sprache Europas und als 'Erfolgskriterium' für Schule in der Hand des Lehrers beherrschen würde.
Die Mittel der Steigerung des sprachlichen Inputs müssen ständig erforscht, gefunden und wieder erfunden werden, sowohl vom Lerner Schüler*in, als auch vom Lerner Lehrer*in.“
Auszüge und Eintragungen in den Fragebogen:
„... 8.) An unserer Schule sind 182 Schüler.
…
11.) 4mal: Eines meiner Studienfächer war Anglistik.
0mal: ich habe außerhalb meines Studiums eine Lehrqualifikation erworben.
10mal: Ich habe einige Weiterbildungen absolviert.
Sonstiges: Partnerschule, Aufenthalte, koll. Fortbildungen, intern. Besuche und Darstellung unserer Schule in Englisch, eigene Konferenzen, Learning by doing,
12.) Meine Muttersprache ist: Kölsch (oder Friesisch, Deutsch, Englisch, Schwäbisch, Schwitzer-dütsch, etc
13) Ich spreche mit den Schülern Englisch, Türkisch und Deutsch
14.) Über welche Auslandserfahrungen verfügen Sie?
2Mal Ich habe im englischsprachigen Ausland viele Monate gelebt.
4mal Ich habe 1 bis 4 Monate im englischen Ausland unterrichtet.
15.) Das Fremdsprachenlernen an unsere Grundschule gestaltet sich wie folgt/orientiert sich an folgenden Konzepten:
Selbstlernen der Kinder
Methode Naturelle
englisch-sprachigen Seminarangeboten/aktionen
Partnerschaft mit englischer Schule
elektronisches Lernen
16.) Folgende Ziele will unsere Schule im Fremdsprachenlernen erreichen:
Englisch sprechen können.
17.) An unserer Schule wird wie folgt gearbeitet:
jahrgangsübergreifend 1 bis 4
fächerübergreifend: kein Fachunterricht außer in Sport
zeitliche Begrenzung: keine, 8-15 Uhr
vernetzt unter den Kollegen, wie folgt: unter anderem Frühkonferenz von 7.15 bis 8 Uhr, Englische für alle einmal wöchentlich für alle
…
19.) Offenes Fremdsprachenlernen zeichenet sich an unserer Schule aus: Durch kein Lehrwerk oder Lehrbuch, Lernen der Kinder, Aufbau von Dialogsituationen in Rollenspiel und Theater.
Die Frage 20 bis 24 wird von uns überschriebem mit 'So denken wir nicht'. U.a. wird gefragt nach: autonomen Lernen, interaktiven/kommunikativen Situationen, Mitbestimmung der Schüler, Eigenverantwortung von Lernprozessen durch Schüler, offenen Lernformen, … Handlungsorien-tierung, Bezug zur außerschulischen Lernwelt, … Fremdsprachen, … eingebundene/berücksichtigte Komponenten, ...Schrift, Grammatik, Hilfestellung, Übergang zur weiterführenden Schule (!), … Methoden, Meterialien/Medien, Differenzierungen, Offene Unterrichtsformen.
25.)Im vergangenem und laufendem Schulhalbjahr habe ich folgende Unterrichtsformen für die Vermittlung der Fremdsprache benutzt: (Bei sehr merkwürdigen Formulierungen, haben wir trotzdem geantwortet): Projekte, von Kindern selbst entwickelte Dialoge, aktives Stationenlernen, never 'Freiarbeit', zwei englische Bibliotheken mit mehr als 150 verschiedenen Büchern, never 'Wochenpläne', und alle 'offenen' Lernformen.
26.) Auftretende Probleme: Es muss gelingen, dass die Kinder selbst lernen wollen, dass sie eigene Strategien finden.
…
29.) Die Leistungen der Schüler werden erhoben durch Selbstevaluation und Fremdevaluation
…
„Wir (alle Kolleg*innen der Grundschule Harmonie) haben verschiedene Bögen angefangen auszufüllen. Wir alle kamen zu gleichen und ähnlichen Antworten. Wir stoppten immer wieder.
Daher kann dieser Artikel als Beantwortung aller vierzehn angesprochenen gesehen werden.“