Walter Hövel, Uschi Resch

                  „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“

Demokratie lernen in der Grundschule

 

 

Demokratie ist ein Synonym für verschiedenste Auffassung geworden. Schon zwei beliebig ausgesuchte allgemeine Definitionen beschreiben Verschiedenes: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache definiert sie als „Regierungsform mit dem Volk in allgemeinen Wahlen bestimmter Regierung“, der große Duden (Fremdwörterlexikon) als „Volksherrschaft; Regierungssystem, in dem im Gegensatz zur Diktatur der Wille des Volkes ausschlaggebend ist“, und „demokratisch als den Grundsätzen der Demokratie  entsprechend“.

So wie in der Pädagogik  der Begriff der Struktur (wenn auch hier und da als Modebegriff strapaziert) als Strukturdebatte seit vielen  Jahren präsent ist,  taucht hier immer wieder der Begriff „demokratische Strukturen“ auf (wenn auch hier und da die Strukturen nur zu „demokratischen Strukturen“ demokratisiert werden). Die gleichzeitige Sicht auf  Schule und Demokratie sind in der Bundesrepublik Deutschland in der öffentlichen Diskussion vernachlässigt, in der täglichen Arbeit der Schulen, der erziehungswissenschaftlichen Forschung und Publikation und den pädagogischen  Kongressen und Diskussionen  präsent.

 

Eigene Erfahrungen mit Demokratie und Schule

Aus unserer eigenen Schulzeit können wir uns eher daran erinnern, dass Demokratie im Klassenraum eine seltene Ausnahme als Unterrichts- und Verkehrsform in Randbereichen war, initiiert durch außergewöhnlich engagierte Pädagogen, vielleicht im Geschichts- Politik- oder Religionsunterricht, mal als Podiumsdiskussion mit geladenen Experten, mal als „offene“ Diskussion im Klassenraum mit dem „mit Thesen zur Pro- und Contra-Diskussion provozierendem Lehrern.

Ansonsten ging es in Schule darum, „auf das Leben“, also auf die „Zukunft als mündiger Bürger“ vorzubereiten, der es versteht die Spielregeln der Demokratie zu kennen, einzuhalten und vielleicht sogar zu benutzen, als zukünftiger Bürger, der sich Wissen anzueignen und gelernt hatte, „sich in die Gemeinschaft einzuordnen“. Der Unterricht selbst hatte nichts mit Demokratie zu tun, er war immer die keinen Widerspruch duldende 45-Minuten-Herrschaft der Schulbücher, der Lernziele und seiner Vermittler. Schule selbst war top-down-strukturierte „Anstalt des Öffentlichen Rechts“ mit Schulordnungen, Schulleitungen, Klassenleitungen, Hackordnungen, Leistung pervertierende Benotung, Zeugnissen, Versetzungen, Selektierung und Auslese.

Wenn es nicht mitten in diesem hierarchischen System jene durch die britischen und amerikanischen Alliierten eingebrachte „Re-Education“ in Form von Schülermitverwaltung, Klassen- und Schulsprechern, „SMV-Versammlung“, später „SV“, „SMV-Stunde“, später „Orientierungsstunde“, dann „VS“ oder „Vertrauensstunde“ und „Vertrauenslehrer“, später „Verbindungslehrerin“ gegeben hätte. Dies führte zweifellos zu einem ersten „Demokratie lernen in der Schule“, wie dann in den 70iger Jahren die Einführung der Mitbestimmungsrechte der Schülerinnen und Schüler in den Mitbestimmungsorganen der Schule.

Die ursprüngliche Absicht der „Re-Education“ scheint erfolgreich gewesen zu sein. Die Deutschen haben die Regeln der parlamentarischen Demokratie - wohl auch durch die Schule gelernt - und als selbst-verständlich akzeptiert, wie auch andere Intentionen erfolgreich waren. Eltern und Kinder wollen heute als mündige Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen  mitbestimmen, wenn es auch noch verschieden verstanden wird, hier als Recht der Formulierung einer Beschwerde gegenüber der Institution Schule oder ihres Personals, dort als engagierter Akt des Verantwortung-(Mit)Tragen-Wollens. Andere Bestandteile des Demokratiebegriffs wurden ebenfalls erfolgreich abgesichert. Kaum ein Kind unserer heutigen Schulen würde sich gegen den Umweltschutz aussprechen, die Mädchen- und Frauenförderung ist zumindest vom Anspruch her unumstritten, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung wendet sich gegen Krieg, Grundschulkinder engagieren sich weit über das zu erwartende Maß für den Frieden. Auch die aktuell auf dem Programm stehenden Anti-Aggresions-Kampagnen zur Konfliktprävention und-lösung scheinen Erfolge aufzuweisen.

Bei der Reflexion der eigenen Erfahrungen spricht einiges für nachzuweisende Spuren von Demokratie-Lernen in unseren Schulen und/oder in der Gesellschaft.

Hans und Hanni scheinen einiges gelernt zu haben.

 

Fehlende Erfahrungen mit Demokratie in Schule

Eine solche Reflexion erlaubt aber auch den Blick auf fehlende Elemente der Demokratisierung  der Schule in Vergangenheit und Gegenwart, vor allem mit dem Blick auf die Zukunft, wenn wir Hans und Hanni, dem modernen Lernbegriff folgend, unterstellen, dass sie weiter lernen wollen.

  • Weder die Schülermitverwaltung noch eine Form der SchülerInnenvertretung wurde – ebenso wenig wie Mitbestimmungsrechte für Kinder in den Organen der Schule - bis heute  an der Grundschule eingeführt.
  • Den Schülerinnen und Schülern ist es auch mit ihren Vertretungsorganen  bis heute, nach über 50 Jahren, weder gelungen, die feudale Struktur von Schule noch den Lehrer und Lehrplan bestimmten Unterricht selbst strukturell und grundlegend zu demokratisieren.
  • Der Wille des Volkes ist in der Schule weder als Wille der Eltern, geschweige denn  als Wille des Kindes ausschlaggebend für die Gestaltung von Schule und Lernen geworden.
  • Die Grundsätze der Demokratie, also die Menschenrechte und die Rechte der Kinder der UNO,  die freiheitlichdemokratischen Grundrechte unseres Grundgesetzes gelten nur partiell oder gesondert definiert für Kinder im Allgemeinen und in der Schule im Besonderen.
  • Nicht das Ringen um Demokratie und ein demokratisches Menschenbild bestimmt die tägliche Diskussion der Erziehung und der Bildung in unseren Schulen, sondern das Ranking zwischen Schulen, Schulformen, Bundesländern und anderen Nationen, das Streiten um einen „Leistungs“begriff zwischen „tragfähigen Grundlagen“, „Qualitätssicherung“, „Hochbegabtenerziehung“ und „Wettbewerbsfähigkeit“, das Agieren von Bildungspolitikern mit „Angst um die Zukunft“ und „Misstrauen in Unbekanntes“ als politische Instrumentarien der Reformverhinderungen.
  • Ein demokratischer Lernbegriff stellt noch immer nicht den Menschen mit seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten in den Mittelpunkt der Schule, sondern weiterhin Lernziele und ein pädagogisches Herrschaftswissen, das weiß, was für andere richtig sein soll. Der Popanz der „Beliebigkeit“ dient als Begründung für die Festlegung von Formen und Inhalten in der Schule.
  • Die Frage „Was wollen Hänschen  und Hanni lernen?“ ist kein Ausgangspunkt der zaghaft und halbherzig geführten Bildungsdiskussion. Wann wird ein Kind gefragt, was es überhaupt, wie, wann, wo, mit wem, lernen will, was es braucht für das Verstehen und die Bewältigung seiner Gegenwart, zur Verarbeitung der Vergangenheit (diese Frage wurde einer Nachkriegs- und Nachfaschismusgeneration nie gestellt. Schule fand in der Regel mit als Tätern und Opfern traumatisierten Lehrerinnen und Lehrern statt) und zur Konstruktion einer eigenen Zukunft, die Kinder wiederum bereits heute leben.

 

Die gemeinsam gelebte Demokratie von Kindern und Lehrern ist noch immer nicht gelebter Schulalltag, sondern weiterhin „Zukunftsprojekt“.

 

Selbstgeschaffene Modellerfahrungen mit Demokratie in Schule

Wenn es nicht auch hier bei genauer Betrachtung viele, viele Anzeichen in der Diskussion um die Gestaltung einer neuen europäischen Schule gäbe. Internationale Vergleiche stellen auch die Frage des gesellschaftlichen Hintergrunds der Staaten, die eine bessere Schule nachweisen können als wir. Hier wird auch immer wieder für die erfolgreichen Länder die Frage nach dem Demokratieverständnis und dem Verständnis vom Kind gestellt, das die Bildungspolitik der jeweiligen Länder steuert. In den Diskussionen um Richtlinien und Lehrpläne wird mehr und mehr nicht nur um einen demokratischen Bildungsbegriff, sondern auch um einen demokratischen Lernbegriff (wie etwa beim Lernen-lernen, bei der Selbststeuerung und Selbstbestimmung der Lernwege, etc.) gerungen.

Aber die heutige unzureichend finanzierte Bildungslandschaft bietet weniger Raum für große visionäre Diskussionen und Veränderungsmöglichkeiten. Vielmehr gibt es eine sich selbst demokratisierende Schul- und Bildungslandschaft, die die Möglichkeit gibt, - in der Regel kleinere - Modelle in Klassen, in Schulen, hier vor allem in Grundschulen, und beginnend in ganzen Kommunen aufzubauen, die von Bildungsverantwortlichen gestützt und gerne gesehen werden. Um den Realismus zu stärken, muss an dieser Stelle betont werden, dass solche Modelle natürlich nichts kosten, keine zusätzlichen Planstellen fordern, keine zusätzlichen baulichen Maßnahmen benötigen, keine Eltern beunruhigen und am besten vom ersten Tag an erfolgreich möglichst viele Kinder zum Abitur führen dürfen. Nichts desto trotz gibt es diese Modelle überall, einige weniger oder mehr beachtet oder entdeckt.

Im Folgenden wollen wir eigene Erfahrungen schildern, die wir selbst in Klassen wie der „Maulwurfsklasse“ an der Grundschule „Heiderhof“ in Bonn oder mit einer ganzen Schule, der Grundschule Harmonie in Eitorf in Nordrhein-Westfalen, gemacht haben.

Wir schildern Aspekte und Strukturen, die wir für „Demokratie-lern-relevant“ halten.

 

Das Verständnis vom Lernen selbst ist das Wesen der Demokratie in der Schule

Im Gegensatz zur Diktatur des gleichschrittigen Unterrichts mit Fibeln, Arbeitsblättern, Stationen und Schulbüchern für alle, lernen die Kinder in unseren Klassen nicht zunächst das Beschäftigtwerden mit von den Lehrerinnen bestimmten Aufgaben. Das Kind mit seinen Fähigkeiten, Bedürfnissen, seinem eigenen Lerneifer, seiner eigenen Zeit, sei....lernt vom ersten Tag an, in der Schule selber zu arbeiten und zu spielen. Es lernt sein Vorhaben für sich selbst zu formulieren, anderen die Absicht des eigenen Handeln zu erklären, seine eigene Arbeit allein und mit anderen zu gestalten,  die Arbeit erfolgreich (oder vorzeitig, begründet) zu Ende zu bringen, sein Lernen durch die Präsentation für die Klasse oder andere Menschen zu artikulieren und als sein eigenes Lernen zu begreifen. Es lernt andere nicht zu stören, sich nicht stören zu lassen, zu kommunizieren und kooperieren. Sie lernen Regeln, Grenzen, Bedürfnisse des Umgangs mit einander, Verabredungen, Unverträglichkeiten, Unzufriedenheit und Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit und dem Erkennen des eigenen Erfolgs zu artikulieren. Es lernt, sein eigenes Wohlbefinden herzustellen, was unabdingbare Voraussetzung zum Erhalt der Lernbegierde ist, die uns Menschen so zu eigen ist, wie Essen und Trinken. Sie lernen zunächst nichts mehr, aber auch nichts weniger als ihren Schulalltag aus eigenem und nicht fremd bestimmtem Antrieb heraus selbst zu gestalten. Sie lernen sinnvolle Betätigungen von sinnentleerten Beschäftigungen zu unterscheiden, sie lernen ihre Lernorte im Klassenraum, in der Schule und, wenn möglich, draußen zu finden.  Sie lernen vom ersten Tag an, ihre Inhalte mit ihrer Wahrnehmung in ihrer eigenen Umgebung und ihrem eigenen Denken zu entdecken, diese Inhalte frei zum Ausdruck zu bringen, zu vertiefen, mit anderen auszutauschen, von und mit anderen zu lernen. Sie lernen Partner wahrzunehmen, zu unterscheiden, mit wem was getan werden kann, und mit wem nicht. Sie lernen, dass sie für ihr eigenes Lernen verantwortlich bleiben, so wie sie es schon die letzten 6 Jahre ihres Leben waren, als sie laufen, denken, malen, sprechen, bauen und gestalten lernten.

Sie müssen nicht mit einer Fibel ihre Sprache Buchstabe für Buchstabe neu lernen, sondern werden als kompetente Menschen anerkannt, die sich selbst die Buchstaben erobern, weil sie ihre Sprache  schon beherrschen und lernen so das Lesen. Sie müssen nicht laut „vorbellen“ (Altenburger), sondern lernen bald ihre eigenen freien Texte vorzulesen und in Büchern und per Internet sich das lesend zu erschließen, was sie lernen wollen. Sie bauen, malen, erforschen, beobachten, experimentieren, philosophieren, tanzen, berichten, zeichnen, musizieren, spielen Szenen und Rollen, zählen, messen, ordnen, rechnen, schneiden, nageln, und reden und reden, über sich, ihre Welt, ihre Gedanken und Fantasien, ihre Probleme, ihre Freuden. Sie lernen all dies gemeinsam zu organisieren, zu steuern, mit Problemen fertig zu werden, anderen und sich selbst zu helfen und eine Atmosphäre aufzubauen, in der Mühe und Spaß, Leistung und das Erfahren der eigenen Lernerpersönlichkeit keine Gegensätze sind.

Sie lernen nach und nach, dann auch Lernangebote von Materialien und Lehrerinnen, verschiedene Formen der Arbeit, Techniken und Methoden des Lernens, verschiedene Lernorte und Lernarrangements...für das eigene und das gemeinsame Lernen zu nutzen.

Das Erlernen der Sprache ist der wohl sensibelste Bereich eines demokratischen Lernens. Sie darf nicht beigebracht werden. Vielmehr erobern sich die Kinder die Sprache auch in der Schule weiter selbst, wenn ihnen „das Wort gegeben wird“. Sprachliche Angebote, die Begegnung mit z.B. literarischer Sprache sind dabei erwünscht. Im Mittelpunkt sollte der freie sprachliche Ausdruck der Kinder mit freien Texten, dem eigenen Sprache-Erforschen und eigener Versprachlichung von gewonnenen Kenntnissen und Erkenntnissen stehen. „So werden die Kinder eine Sprache beherrschen, die sonst sie beherrschen sollte.“ (Paul Le Bohec)

In der Folgezeit wird die Organisation des Lernens der Klasse immer komplexer. Die Lernerinnen und Lerner bestimmen nicht nur die Formen ihrer Arbeit, sondern auch die Inhalte. Sie lernen die Strukturierung des eigenen Lernen-Lernens. Sie lernen die Quantitäten der Schule kennen, die Breite der Inhalte und Fertigkeiten, die sich selbst erschließen genau so wie die Anforderungen der Richtlinien und Lehrpläne, verschiedene eigene Arbeitsformen zu entwickeln, wie andere zu übernehmen, Methodenvielfalt und verschiedenste Zugänge zu Informationen und deren Verarbeitung. Sie lernen die Qualität ihres Zusammenlebens- und arbeitens zu bestimmen, sie gestalten also ihre eigene konkrete Demokratie in Klasse und Schule.

Sie brauchen ihre Zeit und ihren Raum für ihre selbst bestimmten Entwicklungs- und Lernprozesse in ihren Regeln und ihrer Atmosphäre. Sie brauchen hierbei die Begegnung mit Erwachsenen die Ihnen ihre Verantwortung für ihr Lernen lassen können und umgekehrt verantwortlich sind für ihre eigenen Kompetenzen, ihre Professionalität und ihre eigene Verantwortung für ihr eigenes Erwachsensein. Sie müssen Kinder lassen können, ohne sie alleine zu lassen, sie müssen ihnen nahe sein können, ohne sich selbst zu verlieren. Identische, wissenschaftlich und beruflich qualifizierte und demokratische Vorbilder, die selbst lernen, entwickeln und verändern können, sind gefragt.

Wenn Schule lernt, dem Lernwillen der Kinder zu trauen, den Prozess der Selbstorganisation der Kinder als Menschen und Lerntypen professionell zu begleiten, dann wird der eigene Wille  ausschlaggebend, dann kann an einem wirklich demokratischen Lernen gearbeitet werden.

Dies ist das Wesen einer demokratischen Schule. Die erste Frage ist, ob das Lernen selbst „als  Herrschaft über sich selbst“ verstanden wird, ob die Methoden des Lernens dieses Verständnis von „demokratisch“ in sich selbst tragen. Menschen sollen nicht durch fremdbestimmte didaktische Programme gesiebt und selektiert werden, sondern „die Kunst der Pädagogik und der Pädagogen“ dient dem Aufbau von leistungsstarken, individuell verschiedensten und verschiedene Fähigkeiten in die Kooperation einbringende Lernerpersönlichkeiten. Alle anderen Formen einer Demokratie in der Schule können diese Grundintention stützen, ergänzen oder zum Bestandteil eines demokratischen Lernens werden. Ein Klassenrat oder ein Kinderparlament allein mag demokratische Formen  lehren. Ein eigenes demokratisch gesteuertes Lernen führt zur Verinnerlichung eines demokratischen Menschbildes und menschlichen Handelns.

Das Wohlfühlen scheint uns dabei nicht nur eine Voraussetzung für das Lernen zu sein, sondern Ziel und Bedingung demokratischen Verhaltens. Die Menschen heißen dann nicht mehr nur Hänschen und Hanni und sie können dann immer lernen, ob früher oder später. Sie lernen ihre Dinge nur früh genug.

 

Ein Grundrechtsverständnis von Schule am Beispiel der Grundschule Harmonie

  • Die Kinder gestalten mit den Lehrerinnen ihr eigenes Leben, Arbeiten, Spielen und Lernen in der Schule in einer kooperativen menschlichen Atmosphäre.
  • Jedes Kind hat das Recht auf seine eigene Lern-, Schul- und Lebenszeit.
  • Der Freie Text von Anfang an, ausgehend von „Lesen durch Schreiben“, ist wesentliches Element des Lernens, weit über den Sprachunterricht hinaus.
  • Das Berichten und Vorstellen von Gefundenem und Erfundenem, von Erlebtem und Gelebtem ist Alltag von Anfang an.
  • Das Finden eines eigenen mathematischen Weges hat immer Vorrang vor der Schuldidaktik. Jedes Kind kann seine Gleichgewichtung zwischen mathematischem Handeln, der Entwicklung von Rechenfähigkeiten und Erfindungen suchen.
  • Jede Form des Freien Ausdrucks, ob Tanz, Zeichnung, Musik, Text, Malen, Bewegung oder Theater als Mittel des selbst erfahrenden und selbst bildenden Lernens ist wichtig.
  • Regeln werden als die Formulierung des Umgangs mit sich selbst, den anderen, dem Lernen und Leben in der Schulgemeinde auf der Grundlage gemeinsam verständigter Werte verstanden. Die Einhaltung ist Angelegenheit aller.
  • Das Vorlesen, Erzählen oder Hören von Musik ist niemals ein Verlust an Lernzeit.
  • Für das Experimentieren, Erforschen und Entdecken muss genügend Zeit und Raum geschaffen werden.
  • Die Anwesenheit, Respektierung und Pflege verschiedener Sprachen prägt Toleranz und Verstehen.
  • Alle Inhalte und Formen, die es den Kindern ermöglichen ihre Welt zu konstruieren, zu verstehen und zu verändern müssen im täglichen Lernen präsent sein.
  • In die Mitte der Schule gehört eine Bücherei, die jederzeit von allen zugänglich ist.
  • In jeder Klasse ist ein Internetanschluss, der jederzeit genutzt wird.
  • Von den Kindern individuell oder in der Lerngruppe selbst bestimmte Themen haben zumindest die gleiche Gewichtung wie Themen der Lehrpläne und Lehrerinnen.
  • Einer natürlichen Methode des Lernens, bei dem Kinder ihre eigenen Lernwege gehen, ist immer der Vorrang zu geben.
  • Die Selbstbestimmung der Arbeit und des Lernens, die Selbstorganisation der gemeinsamen Arbeit, wie die Regelung der hierbei auftretenden Konflikte ist Aufgabe aller und im Besonderen des regelmäßig stattfindenden Klassenrats.
  • Das Vorlesen und Veröffentlichen selbst geschriebener Texte in Dichterlesungen, im Kreis oder auf Schulversammlungen, in Klassenzeitungen und eigenen Bücher ist elementarer Bestandteil des Schulalltags.
  • Das Lernen findet im Klassenraum, in allen Räumen der Schule, auf dem Schulgelände und außerhalb der Schule in Gemeinde und Natur statt.

 

  • Jede Klasse, Kinder und Lehrerinnen gestalten ihre Klassenräume nach ihren Bedürfnissen.
  • Die Arbeit wird gemeinsam als Tages-, Projekt- oder Wochenplan abgesprochen und in Tages- oder Wochenabschlusskreisen ausgewertet.
  • Über die Wahrnehmung der religiösen Angebote, wie Gottesdienst oder Projekte entscheiden die Kinder selbst, über die Teilnahme am Religionsunterricht die Eltern. Über die Bearbeitung religiöser Themen in allen Phasen des Lernens alleine die Kinder.
  • Die Formulierung, Beantwortung und Bearbeitung der „Fragen zur Welt“ durch die Kinder ist ein „Hauptfach“.
  • Es gibt ein Kinderparlament, in dem jede Klasse durch je ein Mädchen und einen Jungen vertreten wird, dessen Beschlüsse den gleichen Rang haben wie die der LehrerInnenkonferenz oder die der Elternpflegschaft.
  • Das Schulgelände ist als Abenteuerlandschaft gestaltet, in dem gespielt und gearbeitet werden kann.
  • Alle Arbeiten können in der Schulversammlung, an allen Wänden, auf Stellwänden und in der Öffentlichkeit ausgestellt werden.
  • Die Schule kooperiert mit allen Institutionen oder Vereinen, die den Kindern als geladene Gäste oder Besuchspartner Begegnungen des Lernens organisieren, wie Umweltamt, Sportvereine, andere Schulen, Künstler, Altenheimen, Chören, Universitäten, Kirchen, Golfclub, Theater, etc.
  • Kinder dürfen jederzeit essen und trinken, solange es sie selbst und andere nicht stört oder bei der Arbeit behindert.
  • Sie können jederzeit „ohne Erlaubnis“ zur Toilette und sich im Rahmen der gemeinsamen Regeln frei bewegen.

 

Der Klassenrat, das Parlament der Klasse

Ein Schüler des zweiten Schuljahres sagte: „Klassenrat, das ist doch unser Herz“. Er pumpt das Lebenselixier in alle Bereiche des lebendigen Körpers „Lernen mit und in der Klasse“, er bestimmt den Pulsschlag, als Herz symbolisiert er das Leben selbst, das in einer demokratischen Lernergemeinschaft herrscht.

Mindestens einmal in der Woche treffen sich alle Kinder und, wenn es geht, alle LehrerInnen, die in der Klasse mitarbeiten, im Kreis. Jederzeit kann der Klassenrat nach Bedarf  spontan einberufen werden. Geleitet wird die Sitzung schon nach wenigen Tagen oder Wochen des ersten Schuljahres von den Kindern selbst. Es gibt Klassen, die die Präsidentschaft wöchentlich, 14-tägig oder monatlich wechseln, in der einen Klasse erteilen ein Mädchen und ein Junge gemeinsam das Wort, in anderen gibt es eine PräsidentIn, Protokollanten, oder einen „Joker“ oder „Einmischer“. Die Lehrpersonen müssen sich wie alle anderen melden und können nur reden, wenn ihnen das Wort erteilt wird.

Hier wird gelernt, den eigenen Lernprozess in Form und Inhalt für sich selbst, mit und in der Gemeinschaft, zunehmend und umfassend selbst zu organisieren und zu bestimmen.

Hier wird alles hinterfragt, was ein erfolgreiches Arbeiten und Lernen der Einzelnen und der Gemeinschaft beeinflusst und prägt:

Warum haben wir das Thema ausgewählt?

Wie sind wir in die Thematik eingestiegen?

Wie hat jeder sein Thema gefunden?

Wie haben wir die Gruppen oder die Einzelarbeit organisiert?

Wie haben wir die Informationen beschafft?

Wie haben wir sie geordnet, ausgewählt und überprüft?

Wo haben wir gearbeitet, wie haben wir den Arbeitsplatz gestaltet?

Wen haben wir eingeladen, wo sind wir hingegangen?

Was haben wir gelernt, direkt am Thema oder als Produkt des „wilden Lernens“?

Welche Methoden haben wir benutzt, welche Materialien, welche Darstellungsformen?

Passten die Formen unseres Arbeiten mit dem Inhalt zusammen?

Habt ihr das Gefühl genug gelernt zu haben, seid ihr mit eurer Arbeit zufrieden?

Was war besonders erfolgreich, wo waren Highlights?

Gab es Probleme zwischen den Kindern, mit der Lernatmosphäre, der Lautstärke?

Gab es Konkurrenz- oder Motivationsprobleme?

Welche Arbeit war mir am wichtigsten?

Was brauchen wir um gut arbeiten zu können?

Gab es positive oder negative Erlebnisse mit anderen Menschen, wie Experten oder Lehrern? Welche Erfahrungen waren im Arbeitsprozess wichtig?

Wie haben wir präsentiert, war es zufrieden stellend?

Was können Einzelne für ihre Arbeits- Vortrags- oder Dokumentationsweise lernen?

Was lernen wir aus Störungen oder Fehlern, was war warum erfolgreich?

Was haben wir über das Lernen gelernt?

Was lernen wir für die Fortsetzung unserer Arbeit?

Können wir Formen unserer Kooperation verbessern?

Wie organisieren wir die nächste Phase unserer Arbeit?

An welchen Themen arbeiten wir?

 

Hier wird ein Regelwerk erstellt, dass nicht einfach dazu dienen soll, es einzuhalten, sondern das nur so lange bestand hat, wie es die Arbeit der Klasse erfolgreich organisiert. Hier werden Grenzen vereinbart, die es allen möglich machen, in engen Klassenräumen oder außerhalb der Schule zu lernen.

Hier werden Projekte und andere Vorhaben geplant, begleitet, organisiert und ausgewertet.

Hier ist der Ort, um andere zu beraten und sich beraten zu lassen, ob es den nächsten Arbeitsschritt betrifft, oder Spannungen im Team.

Hier geht es um die Schaffung von eigenen brauchbaren Strukturen und  lebenden Systemen, um Verträge, Verbindlichkeiten, Zuverlässigkeit, die Einhaltung von Absprachen, das Entwickeln von Sensibilität, den Umgang mit Emotionen und Zeitrhythmen, um Regeln und Lernen aus eigener Einsicht und Überzeugung, um die Entwicklung von Verantwortungsfähigkeit.

Lehrerinnen und Lehrer sind hierbei Projektmitarbeiter und Projektbegleiter, die selber an eigenen Themen arbeiten und mit ihren Erfahrungen für das Team zur Verfügung stehen. Sie drängen sich nicht auf, sie legen den Zwang ab, immer etwas beibringen zu müssen. Sie geben den Kindern - und sich selbst - Zeit und Gelegenheit eigene Vorschläge und Lösungen zu entwickeln.

Der Klassenrat braucht Zeit, da Demokratie Zeit und keinen Zwang braucht. Demokratie heute ist selbst gelebte Zeit. Demokratie und Klassenrat sind, wie vieles in der Grundschule, als grundlegender Erziehungs- und Lernprozess angelegt. In der Anfangsphase muss hin und wieder ordnend und beratend eingriffen, aber zuallererst den Kindern von Anbeginn an das  Vertrauen gegeben werden. Kinder sind kompetent ihr eigenes Lernen zu steuern.

 

Jede Klasse entwickelt eine eigene Ordnung, eine eigene Interpretation entsprechend ihrer Zusammensetzung und ihrer Umstände. Die Regeln der Klassenräte ähneln sich, sie müssen aber immer wieder selbst formuliert werden.

Die folgenden Regeln haben wir aus der Arbeit unserer jetzigen Klassen formuliert:

  • Die Präsidentin erteilt das Wort in der Reihenfolge der Wortmeldungen. Es wird immer nur zur Sache (zum Tagesordnungspunkt) gesprochen.
  • Im Kreis darf nie über einen Anwesenden gesprochen werden. Sie oder er muss direkt angesprochen werden.
  • Niemand darf ausgelacht, lächerlich gemacht oder verletzt werden.
  • Die Präsidentin lässt über Anträge abstimmen.
  • Jeder (auch die  LehrerIn) hat eine Stimme.
  • Bei Abstimmungen mit verschiedenen Alternativen kann jeder für mehrere Möglichkeiten stimmen.
  • Bei Abstimmungen, die nicht einstimmig sind, muss gemeinsam so lange nachgedacht werden, bis alle wissen, was sie tun wollen und die Arbeit der anderen akzeptieren.
  • Die Beschlüsse des Klassenrats sind für alle verbindlich. Beschließt keine Strafen, sondern vereinbart gemeinsam Grenzen, ihre Einhaltung und Konsequenzen, die dem Wohl aller Betroffenen dienen.
  • Alle hören zu, nur eine(r) redet. Wenn ich nicht mehr zuhören kann, sage ich es.
  • Es kann einen Joker oder „EinmischerIn“ geben, die oder der jederzeit in alles eingreifen darf, wenn sie glauben, dass etwas schief läuft. Ein solcher „Joker“ oder eine „EinmischerIn“ muss das Vertrauen aller in der Klasse haben.

 

Organe der demokratischen Klasse,  Planungs-und Kreisarbeit

Klassen, die die größtmögliche Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Selbststeuerung  und Selbstbestimmung der Kinder zum Ziel ihrer Arbeit haben, verabschieden sich von fremdbestimmten Unterrichtsformen als tragende Elemente der Schule. Dies ist aber nur in dem Maße erfolgreich, wie es gelingt, weitere Strukturelemente eines funktionierenden Schullebens und -lernens zu entwickeln.

So arbeiten wir nicht mit von LehrerInnen gemachten Wochenplänen. Statt dessen gibt es zur Planung im Klassenrat, je nach Situation und Notwendigkeit verschiedene Organisationsformen.

Im morgendlichen Tagesplanungskreis stellen alle Kinder ihre Arbeitsabsichten des Tages vor, beraten sich oder lassen sich inspirieren. In den ersten Klassen erstellen wir zur Strukturierung der Arbeit mit den Kindern gezeichnete und geschriebene Mindmaps,  in denen immer wieder gesammelt und dokumentiert wird, welche selbständigen Arbeits- und Lernformen die Kinder sich schon erobert haben. Diese dienen dann wiederum der  Planung der eigenen täglichen Arbeit. Am Ende des Tages wird die Arbeit im Kreis vorgestellt, dann hier oder im Klassenrat (hier ist ein fließender Übergang)  gewertet. In anderen Phasen  wird mit Wochenplanungskreisen, bei Projekten mit Anfangs-, Mittel- und Schlussplenen gearbeitet.

Die Kinder lernen in besonderen Arbeitsphasen auch individuelle Pläne, entweder zur Strukturierung oder eigenen Kontrolle der Arbeit, zu erarbeiten. Dies sind Angebote zur Strukturierung der eigenen Lernerpersönlichkeit. Kinder, die diese Strukturierungen für sich brauchen, werden sich von ihnen verabschieden, wenn sie sich strukturiert haben. Andere brauchen solche Hilfen nicht, weil sie bereits ihre Strukturierung haben, oder auf dem Weg sind, sich diese in der eigenen Praxis zu erarbeiten. Andere brauchen Beratungen im Klassenrat, vielleicht im Gespräch mit der LehrerIn und wenige einen individuellen Lernplan der im Gespräch mit dem Kind und gegebenenfalls den Eltern oder Familien- oder Erziehungsberatern verabredet wird. (Dies ist auch ein Mittel die Kinder vor „falschen“ und zusätzlichen Hausaufgaben durch die Eltern zu schützen, denn oft brauchen Eltern eine kompetente Beratung.)

So begegnen ihnen auch wieder Arbeits- und Lernorganisationsformen, die nicht mehr im Mittelpunkt stehen. In Absprache mit den Kindern lernen sie für möglichst kurze Zeit, für ein paar Tage bis zu zwei Wochen Lehrer gemachte Wochenpläne oder Arbeitsblätter, eine Stationsarbeit oder Werkstätten oder verschiedene Testverfahren kennen. Diese Arbeitsphasen machen neben den Inhalten die Form selbst zum Inhalt, d.h., die Kinder lernen „mit Schule“, die nach der Grundschule sicher auf sie zukommt, umzugehen.

Kinder, die frühzeitig lernen ihre eigene Arbeit zu bestimmen, werden frei, selbstbewusst  und selbstverständlich mit ihrem eigenen Lernen umgehen. Kinder, die später in unsere Klassen kommen, haben immer Probleme mit der Umstellung auf ein demokratisches Lernen. „Hänschen“ lernt es zwar dann nur in Ausnahmefällen „nimmer nicht“ mehr, aber es ist ein mühevolles Unterfangen mit vielen Lernprozessen.

In allen unseren Klassen pflegen wir den „Wochenabschlusskreis“. Die letzte halbe Stunde der Woche sitzen wir im Kreis und tragen noch einmal alles zusammen, was in der Woche gearbeitet worden ist. Zum Beispiel kann hier zuerst aus dem Klassenbuch vorgelesen werden,( was zu diesem Zweck geführt wird), dann gibt es eine kurze Ruhephase zum Nachdenken und dann erzählen alle nacheinander. Dies geschieht unter der Fragestellung: „Was war dir diese Woche wichtig?“, also nicht „was war schlecht oder gut“, sondern die Kinder lernen zu artikulieren, was für sie selbst wirklich wichtig war. Dieser Vorgang ist ein wichtiges  Kommunikationsmittel untereinander, als auch zwischen Erwachsenen und Kinder, baut, wie bei der Präsentation, der Dichterlesung oder bei Vorträgen, den Respekt gegenüber  dem Lernen und der Arbeit jedes Einzelnen und der Verschiedenheiten des Erlebens, Wahrnehmens und Lernens der verschiedenen Lernertypen auf. Hier wird im Sinne  der Menscherechte der Respekt vor Einzigartigkeit und der Würde  jedes Menschen eingeübt.

Zudem lernen die Kinder immer wieder kleinere Kreise, neben der Arbeit anderer Gruppen oder Einzelner selbst zu bilden, etwa um eine „Generalprobe“ für einen Vortrag zu hören, um einem Gast oder einem Lehrer bei einem besonderen Thema zu lauschen, um ein spezielles Problem zu erörtern oder um einen „Sorgenkreis“ auch ohne LehrerInnen zu bilden, z.B. von Kindern, die Zuhause gerade unter kleineren Geschwistern „leiden“, oder austauschen, wie sie mit dem Streiten von Erwachsenen zurecht kommen sollen.

 

Schulversammlungen als Treffpunkt eines demokratischen Schullebens

Die Woche an unserer Schule beginnt mit der Montagsversammlung im Forum unserer Schule. Alle Menschen, die hier lernen und arbeiten, nehmen an dieser 20- bis 30minütigen Versammlung teil, 250 Kinder, 11 Lehrerinnen und Lehrer, zur Zeit 2 Lehramtsanwärter, Praktikantinnen aus Schulen und Hochschulen und Eltern, die an diesem Tag in der Druckerei, in der Bibliothek oder in einer der vielen kleinen Lerngruppen arbeiten.

Die Schulleitung begrüßt zunächst alle und leitet sie. Es werden alle Geburtstage seit der letzten Montagsversammlung gefeiert. Jedem Geburtstagskind, ob jung oder alt, gehört eine Strophe des „Happy Birthday“, und das „Cos she’s a jolly good fellow“ schließt sich an. Kinder und Erwachsene tragen alle Nachrichten, die für den Verlauf der Woche relevant sind mit, also etwa ein Projekt einer Klasse, ein Fest, Besuche, Sitzungen der Mitbestimmungsorgane der Schule, Ausstellungen, Einladungen an Kinder anderer Klassen oder Sonstiges aus der Vielfalt der Ereignisse an der Schule. Hier werden auch Bitten, Beschwerden oder Kritik vorgetragen, die die Schulöffentlichkeit angehen. Hier können Dinge, die alle angehen beschlossen werden. So wurde kürzlich ein Beschluss des Kinderparlaments bestätigt, das nur noch auf dem Bolzblatz Fußball gespielt werden darf. So wurde beschlossen, dass das Tauschen von Karten nur in den offiziellen Pausen geschehen darf, die Verabredung zum Tausch von Münzen und Briefmarken zum Schulmorgen gehört, dass wieder ein Schachturnier für die ganze Schule durchgeführt wird oder, dass eine Klasse einen neuen Dienst übernimmt, wie den Verleih der Einräder in den Pausen, oder Aktionen, wie eine Demonstration zum Schutz einer Buchenhecke, bei denen die ganze Schule mit machen kann. Es folgt die Beantwortung der letzten und der Vortrag der neuen „Frage der Woche“, wie etwa „Wie hoch ist das Forum unserer Schule?“ oder „Wie groß ist das Weltall?“ oder „Warum heißt es bei einigen Ländern: Wir fahren in die Türkei, in die Schweiz oder in die USA und bei anderen: Wir fahren nach Griechenland, nach Österreich oder nach Indien?“. Oft werden noch gemeinsam Lieder gesungen.

Alle 14 Tage findet donnerstags die Schulversammlung aller 250 Kinder und LehrerInnen im Forum statt. Hier werden Ergebnisse der Arbeit in den Klassen oder von Arbeitsgruppen vorgestellt. Die Kinder in den Klassen entscheiden, was sie vorstellen. So werden Freie Texte, Experimente, Theaterstücke,  Schattentheaterspiele, Lieder, Tänze, Singspiele Kompositionen, Projektergebnisse, Gedichte, Quizfragen und andere möglichen repräsentationswürdige Dinge von den Kindern dargeboten. Für die Zusammenstellung des Programms, die Leitung durch die Versammlung, die Ruhe, die nötige Technik, das Kommen,  Setzen und Gehen der Klassen im Forum ist immer eine Schulklasse vom 1. bis zum 4. verantwortlich. Die gesamte Durchführung liegt alleine in den Händen der Kinder. Diese Versammlung dauert in der Regel 30 bis 60 Minuten. Manchmal kommt ein Problem der ganzen Schule in das Programm, um es gemeinsam zu diskutieren und beschließen. Häufiger wird an dem „freien“ Donnerstag zu speziellen Themen, wie „Streitschlichtung“ oder „Mut zum Einmischen“ oder „Es ist zu laut im Haus“ zur Schulversammlung eingeladen. Manchmal gibt es auch die Versammlung zum Beispiel nur der Jungs der Schule, weil „ihre Toiletten zu schmutzig waren“. Noch häufiger finden an den „freien“ Donnerstagen „Sing-Ins“ der ganzen Schule, zu Karneval, Weihnachten oder einfach nur zum Einstudieren eines mehrstimmigen Stückes, gesungen von der ganzen Schule oder längere Theateraufführungen der Kinder statt. Hier gehören dann auch Vorführungen von Gästen hin, wie alle zwei Jahre in diesem Rahmen „Zartbitter“ ein Theaterstück gegen sexuellen Missbrauch aufführt.

Hier wird gemeinsam gefeiert, gewürdigt, Kritik geübt und beschlossen eine Form  direkter und gelebter Demokratie einer Schule.

 

Das Kinderparlament

Vor nun mehr 5 Jahren wurde das Kinderparlament an der Grundschule Harmonie gegründet. Seitdem wählt jede Klasse und seit diesem Schuljahr die Übermittagsbetreuung ein Mädchen und einen Jungen für eine unbestimmte Zeit in das Kinderparlament. Es tagt wöchentlich in einer 5. Stunde.  Es kann Beschlüsse fassen, die den gesamten Schulbetrieb angehen. Das Kinderparlament wird von einem „Kids -Manager“ betreut, die/der in direkter Wahl von den Kindern aus dem Kreis aller Lehrerinnen und Lehrer für ein Schuljahr bestimmt wird. Wir wissen heute, dass ein solches Parlament eine lange Zeit der eigenen Entwicklung braucht. Wir haben ihnen niemals erzählt, was sie tun sollen oder dürfen, nie ihre Kompetenzen oder Grenzen definiert. Wir haben es „wachsen“ lassen.

In der Anfangszeit verbrachten sie viele, viele Sitzung damit, zu diskutieren, wer wann mit wem Fußball spielen darf, wann die Kleineren spielen dürften, ob Mädchen ihre eigenen Spielzeiten erhalten und warum die Jungs beim Fußballspielen so rumschreien müssen und so aggressiv werden. Sie versuchten zig Lösungswege, gründeten von Kindern geleitete Fußball-AGs und verbrauchten Regeln und viel Geduld.  Mehr als zwei Jahre trat das Kinderparlament an unserer Schule nicht besonders in Erscheinung, sie beschlossen nichts weltbewegendes, aber jeder wusste, dass es existierte und es etablierte sich.

Vor zwei Jahren fassten sie dann auf Vorschlag der Kids-Managerin oder weil eine Klasse an diesem Thema arbeitete, den Beschluss als Kinderparlament das Projekt „Die Rechte der Kinder“ für die ganze Schule zu initiieren. Sie schafften es, dass die LehrerInnenkonferenz und alle Klassen mitzogen. Die Kinder der Schule arbeiteten aktiv an der Formulierung ihrer Rechte und es endete mit der Vorstellung des Projekts durch alle Klassen auf den Schulversammlungen. Ein großer Schritt in die eigene demokratische Legitimierung war getan.

Vor zwei Jahren übernahm das Kinderparlament bei einem jährlich stattfindenden vierwöchigen Praktikum der Uni Köln, an dem 4 bis 8 Studentinnen teilnehmen,  diesen eine Themenliste vorzuschlagen, wie (in der Reihenfolge der Abstimmung):

Fußball nur für Mädchen – Schachturnier und Schachtraining – Zirkus – Einen Videofilm drehen - Das Weltall - Entstehungsgeschichte der Erde – Computer – Was Vornamen bedeuten – Weltrekorde - Kuchenbacken – Leonardo da Vinci –etc.

Mit dieser Themenliste der Kinder bieten sie dann Projektarbeitsgruppen in verschiedener Größe oder (z.B. Jahrgangs übergreifender) Zusammenstellung an, an denen dann Kinder am Vormittag teilnehmen können.

Heute beginnt jede Sitzung des Kinderparlaments damit, dass nach dem Aufstellen der Namenskärtchen und der Übernahme des Protokollbuchs durch ein Kind, beginnend mit den ersten Klassen alle berichten, was zur Zeit in ihrer Klasse los ist, ob Probleme dort oder in

der Schule gesehen werden. Sie tauschen dann Erfahrungen und Vorschläge aus, wie die Kinder in ihren Klassen Probleme lösen können: „Das müsst ihr sofort im Klassenrat behandeln“, „Schickt ihn doch ein paar Tage zum Lernen in unsere Klasse, dann sieht er, wie ein 4.Schuljahr das macht“ oder „Rede doch mal mit ihm, erklär es ihm! Ich kann dir ja helfen beim Reden“. Oft ergeben diese Berichte das Schwerpunktthema der Sitzung, sonst schlagen die Kinder oder der Kidsmanager ein Thema vor. Hier einige Beispiele für Beschlüsse und Aktivitäten aus dem laufenden Schuljahr:

Sie denken darüber nach, was auf dem Schulgelände verändert werden kann, wie die Rutsche mit einem Weidentunnel überdachen. Sie beschließen, dass es eine Zone auf dem Schulgelände gibt, wo mit Schneebällen geworfen werden darf und anderswo nicht. Sie handeln mit dem Förderverein den Kauf von Spielgeräten für die Pause aus. Sie sorgten dafür, dass der Hausmeister Stellwände für ihre Exponate baute. Sie sorgten durch endlose Gespräche dafür, dass Kinder aufhörten Klopapierrollen ins Klo zu stecken. Sie berichten über ihren Gebrauch der Computer, baten andere Klassen um Hilfe bei der Einführung in die Arbeit mit dem Internet, gaben den LehrerInnen Tipps zur Anschaffung „brauchbarer“ Software. Sie luden die Feuerwehr ein, weil sie eine Schikane bei der Zufahrt zum Schulhof wollten, wo nur die Feuerwehr und der Krankenwagen durchkommen. Drei Wochen später wurde im Schulausschuss der Gemeinde darüber gesprochen. In diesem Jahr diskutiert die gesamte Schule die mögliche Einführung Jahrgangs übergreifender Klassen. Auch im Kinderparlament wurden die verschiedenen möglichen Modelle vorgestellt. Sie wägten die Vor- und Nachteile sehr kompetent ab und sprachen sich dann deutlich gegen Klassen von 1-4 aus. Ihre Begründung war, dass sie in solchen Klassen zu wenig gleichaltrige Freunde finden würden. Sie bevorzugten eher Modelle in denen immer zwei Jahrgänge zusammen sind. Diesen Aspekt hatten wir LehrerInnen bis dahin nicht gesehen. Immer wieder behandeln sie Probleme einzelner Kinder, sie bringen diese auch manchmal mit ins Kinderparlament. Sie arbeiten Beschwerden ab, fordern Schulleitung und Kollegium auf Dinge zu klären, die sie stören oder ihnen Angst machen.

Ein größeres Problem war seit einigen Wochen die Unruhe auf unserem Flur. Da wir kleine Klassenräume bei zu großen Klassen und zu wenig Räumen haben, müssen wir in jedem Winkel der Schule arbeiten, also auch auf den Fluren. Im ganzen Gebäude werden Hausschuhe getragen, dort darf im Gegensatz zu draußen, wo jeder jederzeit hin darf, nicht gelaufen werden und jeder soll so leise arbeiten, dass die anderen nicht gestört werden. Dies klappte nicht. Es war allen zu laut, immer wieder durchbrachen Kinder die Regeln. Auf Schulversammlungen und im Kinderparlament kam immer der gleiche Vorschlag: Wir müssen Wachen im Flur aufstellen. Niemand im Kollegium wollte diese Maßnahme, aber es fiel uns nichts besseres ein. Im Kinderparlament kam der Tag der Abstimmung, da meldete sich Luisa aus einer vierten Klasse mit den Worten: „Im zweiten Schuljahr haben wir solche Probleme immer durch bekloppte Vorschläge gelöst. Hat jemand einen?“ Marc Bohlen, unser Lehramtsanwärter murmelte sofort und vernehmlich vor sich her: „Rückwärtsgehen“. Diese Idee brachte die Lösung. In der Montagsversammlung stellte das Kinderparlament seinen Beschluss vor: „Für einen Tag darf jeder, auch Besucher, in den Fluren und im Forum nur rückwärts gehen!“ Mit diesem Tag kehrte wieder jener lebensfrohe Sound der Geschäftigkeit der Kinder bei der Arbeit in unserem Haus ein.

So lernt Hans von Hänschen und Luisa, auch neue Wege der Demokratie, so lernen wir Demokratie in unseren Klassen und unserer Schule.

 

Hospitationen an der Grundschule Harmonie sind erwünscht. Sie können sich dann aussuchen, ob sie alleine durch die Schule gehen, oder ob Ihnen ein Kind als Begleitung, die Dinge erklärt, die sie wissen wollen. Aber auch die Lehrerinnen und Lehrer reden mit ihnen:

Grundschule Harmonie – Sankt-Martins-Weg 5 – D 53783 Eitorf - Telefon: 02243912620

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