Monika Bonheio, Walter Hövel, Helga Lenhard, Uschi Resch, Peter Wedekind, Lutz Wendeler
EIN NEUES ZENTRUM
FuV 84/1998
Im Zentrum, dass nicht mehr der Materialvertrieb in Bremen ist, steht eine Zentrale mit neuen Aufgaben. Mit dem Wort ‘Zentrale’ ist nicht gemeint, dass diese alle oder die wesentlichen Aufgaben der Freinetpädagogik als kleiner Bewegung auszufüllen oder gar zu gestalten hatte. (Vielleicht liegen die meisten dieser Aufgaben in den Regionen.)
Das Zentrum meint eher den Ort, an dem jene Aktivitäten geschehen können, die über die Reich-weite und die Möglichkeiten der lokalen Initiativen hinausgehen, und die die regionalen Aktivitaten bisher vielleicht vermisst haben.
Das Zentrum orientiert sich an den Überschriften Organisation, Information und Fund-Raising. Zu den Aufgaben dieser neuen Zentrale gehören in Zukunft vielleicht die Betreuung der Redaktion
der FuV, als auch ihrer Verteilung und Verwaltung, die Organiation von Treffen, Tagungen und Symposien, das Besorgen von Geldmitteln für Forschung, Seminare, Kooperationsprojekte, u.a.
Sie soll aber auch die Kontaktstelle von den meist vereinzelten Menschen sein, die sich der Freinetbewegung nähern wollen. Damit ist sie nach wie vor Service-Station und weniger ein inhaltliches Zentrum.
Ein inhaltliches Zentrum ist im Gegensatz zur Zentrale kein einzelner Ort, sondern die Bündelung, Gestaltung und Initiierung von Begegnung im inhaltlichen Bereich. Sie ist das verabredete Gegengift gegen die Beliebigkeit der Frickelei in den Details des Alltags oder vor Ort. Hier hat unseres Erachtens die Bewegung ein wesentlich größeres Defizit als im wirtschaftlichen Bereich, derentwegen wir uns in Erfurt versammelt haben. Dieses Zentrum nennen wir vorläufig die
‘Freinet-Universität“.
Darunter stellen wir uns also keine örtliche Institution vor, sondern eher die Form, die wir der pädagogischen Forschung auf der einen Seite und der Vermittlung und Diskussion auf der anderen Seite geben wollen. Beides sind die klassischen Aufgaben von Universitaten.
Zu einer Freinet-Universtät könnte z. B, gehören:
• Die Entwicklung von Angeboten zur Freinetpädagogik an den Hochschulen
• Die inhaltliche Gestaltung von Symposien und Tagungen. Symposien bündeln die inhaltlichen Aktivitäten auf einen kurzen Zeitraum. Zugleich sollen sie aber auch einen Workshopcharakter
haben. Sicher sind auch interne alljährliche Tagungen notwendig, in denen wir die Ergebnisse, Fragen und Probleme unserer Arbeit vorstellen und auswerten können.
• Eine verstärkte europäische und weltweite Kommunikation und Kooperation, auch unter dem Aspekt internationaler Solidarität.
• Die Einrichtung und Verabredung von Forschungsschwerpunkten in der gesamten Freinet-bewegung. Beispielsweise könnten wir uns alljährlich eine pädagogische Aufgabe stellen, die wir besonders beobachten und auswerten wollen. Wir könnten auch nach Menschen suchen, die sich im Rahmen von Diplom oder anderen Arbeiten besonders mit Fragen beschäftigen, in die wir tiefer
eindringen wollen.
• Ein größeres Forschungsvorhaben ist natürlich die Einrichtung von staalichen Schulversuchen, von „Freien Schulen“ oder von Mischformen. Dort ist es natürlich möglich mit großer Kontinuitat
und hoffentlich auch mit hoher Qualität, neue pädagogische Ansätze und Muster zu entwickeln, so dass sie quasi serienreif werden. Zuweilen ist die Vereinzelung von Freinetkolleginnen an den Staatsschulen nur von begrenzter Produktivitat und bindet mitunter die Energien im persönlichen Überlebenskampf. Diese neue Schulen könnten Orte sein, an denen sich im günstigsten Falle viele Energien, viel Kreativitat, Kompetenz bündeln. Die Verbindung von schulischer Praxis, Lehrer-innenbildung und Forschung als Konsequenz unseres ganzheitlichen Handelns wäre eine weitere Aufgabe, die sich stellen konnte. Natürlich könnte man sich in diesem Zusammenhang auch Freinetzentren vorstellen, die mehr im Umfeld haben als nur eine Schule zu sein, wie dies beispiels-weise in Prinzhöfte der Fall ist. In diesem Sinn käme es vielleicht darauf an, nicht nur neue Schulen,
sondern auch neue ‘Häuser’ zu gründen.
Neben oder über alledem gibt es bereits jetzt ein Netzwerk von regionalen Initiativen, Gruppen an Schulen, in Städten und Regionen, sowie ein ganzes Netzwerk persönlicher Freundschaften und
Beziehungen mit lang- und kurzfristigen Kooperationen und Projekten.
Die Tatsache aber, dass es so viele arbeitende Freinetgruppen nun aber auch wieder nicht gibt, zeigt deutlich, das die Frage der sozialen Struktur der Freinetbewegung mehr Aufmerksamkeit geschenkt
werden muss. Stabile soziale Bezüge, die über lange Zeit eine hohe Qualität in der Arbeit haben, schaffen sich eben nicht so einfach nebenbei. Damit in Zusammenhang steht die Frage, wie eigent-lich das Tor beschaffen ist, durch das Menschen eintreten müssen oder können, um an die ‘Fleisch-töpfe’ der Bewegung zu kommen.
Wenn man sich das Durchschnittsalter des Treffens in Erfurt mit annähernd 50 Jahren ansieht, so könnte man auf den sarkastischen Gedanken kommen, dass die ganze Bewegung schlicht und ergreifend ausstirbt. Die Näherungen an die Freinetpädagogik scheinen momentan eher geprägt zu sein durch die beiden Zustände Zufall und/oder Hartnäckigkeit. Es gibt nur sehr vereinzelte Angebote, in denen wir unsere Erfahrung wiedergeben und Eintritts- und Schnuppermöglichkeiten für Interessierte bieten. Die Seminare reichen dafür vermutlich nicht aus. Sie leisten auch nur wenig Kontinuierliches, so das viele Menschen nach dem Besuch von Seminaren zwar voller Elan sind, aber natürlich noch wenig Erfahrung mit Freinetpädagogik in der konkreten Unterrichtssituation
haben.
An diese Stelle könnte vielleicht eine Art von „Freinetausbildung“ treten, die nicht nur Seminar-, sondern auch unterrichtsbegleitenden und Lerner-selbstorganisierenden Charakter haben müsste, damit es nicht länger so sehr mit der Umsetzung hapert, damit uns jene Menschen verbindlich erreichen, die mehr über Freinetpädagogik wissen wollen, als ihnen einwochige Seminare oder Bücher verraten können.