Walter Hövel
Ungewissheit und links

oder weiß ich wie es geht - und bin „Mitte“

"Gewissheit habe ich da nicht. Meine Position ist eher agnostisch:

Kann sein, kann nicht sein. Das ändert nichts."

Franz Müntefering, SPD

 

Ich mag trotz meines Berufs und meines Werdegangs den Berufsstand der Lehrerinnen und Lehrer bis heute nicht. Sie reiben sich als mittelschichtige Diener*innen, „gebildete“ Durchblicker*innen in Schule und Gesellschaft auf. Sie sind es die, die die Follower der Kaiser, Führer der Gesellschaft und Wirtschaft und die Politiker*ìnnen erziehen, bilden und heranzüchten. Sie wachsen in den Prüfungen ihrer selektierten Bildung auf.

 

 

 

Ich mag Elise und Célestin Freinet, weil sie Schule für Unterschichtler und die Schule für Alle hier und heute machten, nicht nur zukünftige Einrichtungen dachten. Ich mag sie, wenn sie (zwischen-)menschliche Kommunikation wollen und einen Austausch und eine Verantwortung auch gegenüber der nichtmenschlichen Welt sehen. Aber ich habe es lange aufgegeben, Lehrer*innen, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, oder generell Menschen zu verändern, sie belehren zu wollen. Ich stehe eher auf eigenem Lernen, nicht so sehr auf der Imitation des Vorhandenen, dem Lernen „aus zweiter Hand“ (Gerd E. Schäfer).

 

 

 

Ich muss schmunzeln, wenn junge Lehrer*innen 2020 (eigentlich 2021) rausbekommen, dass „freie“ Schulen besonders anfällig für rechte Ideen sind. Das waren sie immer gewesen. Staatliche Schulen übrigens auch. Beide sind geschaffen um das Denken “der Gesellschaft“ herüberzugeben. Es sind eben Schulen des „richtigen“ Denkens, die heute den Auftrag der Bildung und Erziehung (und dazugekommen, den Auftrag der täglichen Unterbringung von Kindern) seit ihrer Gründung als Pflichtschule übernehmen mussten.

 

 

 

Ich werde in meinem Denken kaum weiterkommen. „Entscheidungen kosten oft Jobs“, es sei denn du machst es „gut“. Ich kostete nichts. Ich ging nicht Klinken putzen oder antichambrieren. Mich muss mensch nur aushalten. Und ich mich.

 

 

 

Was ich bei der neuesten FuV lese ist: „Schließlich üben freie Schulen, wie sich zunehmend zeigt, eine besondere Anziehungskraft auf rechte Menschen aus“. Nein, sie üben besondere Anziehungs-kraft auf rechte Ideologien aus, weil sie rechte Ideologien produzieren. Menschen werden „rechts“ erzogen und gemacht, in Familien, Schichten und Schulen. Sie sind nicht „rechts“, nur Menschen, die von Ihrer Zeit (und die diese bestimmen) geprägt wurden.

 

 

 

Dies brauchten Gesellschaften die letzten paar tausend Jahre um zu existieren. Die Geld- und Machthabenden bezahlen und fordern dieses Denken der Menschen. Schließlich müssen Menschen nicht nur in Ausbeutung ihres Lebens, ihrer Kraft und ihrer Zeit funktionieren, sie brauchen auch ein Denken und Fühlen, dass ihnen das Überleben in ihrer heute entfremdeten Arbeit möglich macht. Dabei helfen sehr viele Vieles verstehende Diener in Familien, Kitas, Schulen, Berufen und den Wissenschaften1. Oft sehen Diener*ìnnen sich nur als Verwalter*innen2

 

 

 

"Wer rechten Terror und den Einsatz für Klimagerechtigkeit als zwei 'Extreme' einer ansonsten vorbildlich gesinnten Mitte gleichsetzt, kann nicht in der Lage sein, faschistische Tendenzen angemessen zu bekämpfen.

 

Grüne Jugend, Solid (Linke), Jusos

 

 

 

Der neueste Gegner heißt nun „Verschwörungstheoretiker“ oder „Querdenker“. Es wird nicht definiert was das ist, sondern es wird nur gleichgesetzt mit rechtem Denken. Es wird nur gebetsmühlenartig benutzt. Auch die Schreiber*innen in der FuV (siehe entsprechende Artikel bis Seite 12) sind von diesem Virus infiziert. Aber ich ahne, dass auch die Freinets und andere sich diese Vorwürfe gefallen lassen mussten. Ich ahne, dass in meinem Leben die Mehrzahl der Freinis immer so angepasst war, dass ich sie oft nicht aushielt.

 

 

 

Ich will niemanden anpissen. Ich bin froh, dass die Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche selbst denken und selbst handeln. Aber ich sage das, was ich über das was ich mitbekomme denke.

 

In den Gründungszeiten von PrinzHöfte, und der Schule in Bassum war ich dabei. Auch von daher weiß ich, dass jede Beschäftigung mit und in der „Schule“ ist eine Beschäftigung mit Macht und Herrschaft darstellt. Und – „der Beruf prägt“, viele bevor sie in Kindergarten, Schule oder Hochschule in den Dienst gehen.

 

 

 

Mutter Teresa
Um „Gottes“Willen, dachte ich als ich die Titelseite der FuV 174 sah3. Da war echt „Mutter Teresa“ abgebildet. Als Identifikationsfigur für „Bildung gegen rechts“. Dabei war sie eine glühende Anhängerin des Verbots jeder Abtreibung. Sie trat gegen das Scheidungsrecht ein.4 Sie ist eine typische Heilige der christlich-kirchlichen Verherrlichung von Ausbeutung.

 

 

 

Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass eine solche „politische Figur“ als positives Beispiel auf der Titelseite der Fragen und Versuche erscheint. Es wäre nachlesbar gewesen. So muss man oder frau wollen, auch wenn mensch es nicht will.

 

 

 

Weiter zu sehen ist Ruth Bader Ginsburg. Sie galt als Frauenrechtlerin und - als konservativ im Sinne E. Burkes', dem Vater des Konservatismus. Na ja, sie halte ich aus. Vor allem ist sie gegen Trump und andere Rechte haushaltbar.

 

Nelson Mandela verehre ich (immer noch) und mehr noch die Bewegung „Black lives matter“.

 

 

 

Unsere Demokratien sind jung, unreif und ausgesprochen unfertig. Was für das Individuum gilt, gilt erst recht für die Gesellschaft: Gefährlich wird es, wenn der Wille zur Gewissheit die eigene Zweifelhaftigkeit und Unreife leugnet. Der Irrglaube daran, mit dem Denken fertig werden zu können, führt zu einem Festhalten an politischen und ökonomischen Strukturen, die Ausschlüsse reproduzieren und verstärken. Wollen wir nicht in Barbarei zurückfallen, sind wir dringend angewiesen auf die selbstkritische Veränderung dieser zweifelhaften Strukturen.“ (Heidi Salaverria, Hamburg, Dozentin)

 

 

 

Ungewissheit
Auf jeden Fall fordert die jetzige die Redaktion der FuV von mir, dass ich nicht nur das aushalte, sondern ich mich auch noch mit der „Ideologie der Ungewissheit“ auseinandersetze.

 

 

 

Auf Englisch, im Französischen und in anderen europäischen Sprachen heißt Ungewissheit „uncertainty“ oder „uncertitude“. Zurückübersetzt heißt es immer „Unsicherheit“. Auch wird „Ungewissheit“ mit „dark, suspence, anxious, darkness, in suspence, fear, doubt“ übersetzt.

 

 

 

Handelt es sich (z.B. bei der Titelseite der FuV 174) um ein politisches Gewissen oder um eine Gewissheit?

 

"Ich weiß mit Gewissheit, dass es zu viel Gewissheit in der Welt gibt."
Michael Crichton in „Welt in Angst“

 

 

 

„Der Ausdruck Gewissheit bezeichnet alltagssprachlich meist die subjektive Sicherheit bezüglich bestimmter, für gut gerechtfertigt gehaltener Überzeugungen, die sich z. B. auf natürliche oder moralische Sachverhalte beziehen können. Sprachlicher Gegensatz ist die Ungewissheit. die in der Entscheidungstheorie von Bedeutung ist“5, soweit „Wikipedia“. Die Entscheidungstheorie entspringt dem BWL-Studium und steuert Unternehmen marktorientiert. 6 Seit 1921 setzt „man“ sich mit der Ungewissheit beim Erzielen von Gewinnen auseinander.

 

Wiki fährt fort: „In verschiedenen Wissenschaften wird „Gewissheit“ darüber hinaus in engerer, präziserer oder teils auch abweichender Bedeutung verwendet. So wird beispielsweise in der philosophischen Erkenntnistheorie von einigen Theoretikern Gewissheit für eines der Kriterien für Wissen gehalten. Viele diesbezügliche Debatten stehen in engem Zusammenhang zum Problem des Skeptizismus.

 

Außerdem wird diskutiert, welche Elemente welche Rolle für das Zustandekommen subjektiver Gewissheit spielen, darunter etwa „Beweise“, Verlässlichkeit von „Expertenmeinungen“, äußere Umstände wie Häufigkeit der gebrachten Argumente oder innere Modalitäten wie emotionale Stabilität.

 

Darüber hinaus findet der Ausdruck Gewissheit oder Sicherheit Anwendung u.a. in verschiedenen Ansätzen der Theorie der praktischen Rationalität, der Argumentationstheorie, Entscheidungs-theorie, unterschiedlichen Teilbereichen der modernen Logik, in der Informationstheorie und Automatentheorie, der Ökonomie und Psychologie.“

 

Ungewissheit? Sicherheit oder Freiheit. Das ist nicht zu verwechseln mit „Unwissenheit“. Das schützt bekanntlich vor Strafe nicht (Ignorantia legis non excusat). (Ignorieren – Legislative oder Gesetzgebende – nicht – entschuldbar)

 

Lange galt, dass du wissen musstest, was du tust. Heute musst du Ungewissheit über das haben, was du nicht tust. Ungewissheit ist Gegenwart, außer dem Tod und der Geburt alles Lebenden. Was lebt? Auch der Kosmos, die Welt, das All? Alles?

 

 

 

Darf ich überhaupt da mit-schreiben?7

 

 

 

Ich finde endlich John Dewey mit „der Suche nach Gewissheit“. Eine Untersuchung des Verhältnisses von Erkenntnis und Handeln. Frankfurt a. M.“8 Im Original heißt es „The Quest of Certainty. A Study of the Relation of Knowledge and Action. New York: Minton, Balch and Co. 1929.“9

 

 

 

Der Pragmatismus ist eine Denk- und Theorieströmung, in der die Demokratie v. a. als eine gemeinschaftliche und solidarische Form des Zusammenlebens, als eine kooperative soziale Praxis begriffen wird. Sie ist keine Methode der Elitenauslese, sondern zielt auf die umfassende Demokratisierung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse. Aus diesem radikaldemokratischen Ansatz speist sich das Primat der Praxis vor der Theorie, das den Pragmatismus kennzeichnet. Das bedeutet nicht, dass eine pragmatistische Demokratietheorie überflüssig oder gar unmöglich ist, deren Vertreter verzichten jedoch auf den Anspruch, eine normative Letztbegründung zu liefern.“10

 

 

 

Eigene Haltung und Handlung

 

Linke Eklektizisten wie die Freinets vertragen sich gut mit dem Pragmatismus. Seit Lew Tolstoj glaube ich auch, dass die Erfahrung gepaart mit dem Eintreten für Kinderrechte eine andere oder keine Schule verlangen. Ich weiß, dass ich mit der demokratischen Diversität der Menschen jene ausschließen muss, die andere umbringen oder töten wollen.Zumindest will ich ihr Töten verhindern.

 

 

 

Sollte ich da nicht wissen, wer ich bin, wenn ich schon weiß, was alles ungewiss ist?
Braucht meine Haltung und Handlung, meine Eigenverantwortung im Sinne Frankls und der Freinets nicht ein „inneres Gleichgewicht“ „als Herausforderung und Chance, als Bedrohung und Freiheit, als Aufgabe und Lösungsmöglichkeit, nicht Grund für meine Eigenverantwortung (s.o.)...

 

(wie) nehme ich meine Umwelt wahr?“11

 

 

 

Die Menschen, keiner ausgenommen, sind überhaupt noch nicht sie selbst.“
(Theodor W. Adorno, Negative Dialektik)12

 


Ich lebe in meiner Gewissheit und meiner Ungewissheit.

 

 

 

Ich lerne zu wissen, was ich will und nicht zu wissen, was immer richtig ist. Ich habe Fragen und Antworten. Ich ver-antworte.

 

 

 

Vom Mitdenken

 

Erziehung zur Freiheit bedeutet für uns, dabei das Gemeinwohl und die Freiheit unserer Mitmenschen mitzudenken.“13 Dieser Satz steht so in der Fragen und Versuche. Zuerst überliest du ihn vielleicht.

 

 

 

Leider kenne ich diesen Standort und Standpunkt von unseren Waldorfpädagog*innen und der Mehrzahl der Lehrer*innen. Sie wollen Lehrer*innen bleiben. Jetzt verstehe ich warum der Waldorfianer solange auf dem Recht bestand als Lehrer*in lehren zu wollen. Er ist umgeben von Rechtsdenkenden! und ? Und jetzt steht der Satz in der Zeitung der „deutschen“ „Freinet““pädagog

 

*innen“. Aber auch hier denke ich lieber quer oder gerade aus, je nach Sichtweise.

 

 

 

Ich war in diesem Gremium der „Reformpädago*innen“. Unser Auftrag war eine gemeinsame Erklärung der Reformpädagogik zu erstellen. Er, der Waldorfianer stimmte nachher zu, dass Lernende das Recht haben selbst zu lernen und nicht von uns Erwachsenen oder gar Lehrer*innen „belehrt“ zu werden. Dazu haben wir Erwachsene unsere Welt den Jüngeren zu schlecht übergeben. Schon vor vielen Jahren forderte ich, dass wir mit dem „Unterrichten“ aufhören müssen. Das gilt auch für das Erziehen.

 

 

 

Aus Menschen werden in der FuV „Mitmenschen“. Sie dürfen keine Querdenkenden oder Weltverbesserer als solche sein. Ihr Lehrer*innen entscheidet das. Ihr entscheidet, dass jemand/e „rechts“ ist.

 

 

 

Ich hasse rechte Politiker*innen. Meine eigenen Eltern versuchten aus mir einen Nazi zu machen. Meine gesamte „deutsche“ Gesellschaft war nach dem 2.Weltkrieg immer noch rechts. Sie alle liebten immer noch „ihren Führer“, ihr Geschäft und ihren Herrenstandpunkt. Ich gehörte zu jenen, die Demokratie und Menschenrechte für Kinder, Frauen und Männer durchsetzen werden. In dieser Gesellschaft kam ich in die Mehrheit, auch wenn ich noch lange nicht eine wirkliche Verbesserung unseres Lebens und unserer Gesellschaft erreicht habe.

 

 

 

Ich lernte, dass ich für andere nicht „mitdenken“ kann. Das ist autoritär. Ein „Gemeinwohl“ haben auch die Militärs, die Ausbeuter, die Klimaversauer, die Essensverkäufer, die Konsumgeilen und sonstigen Bildungsverantwortlichen im Sinn. Und sie haben das wirklich!

 

 

 

Wie oft versuchte ich den Kolleg*innen an der Schule klarzumachen: in jeder Elternbeschwerde steckt ein Kern Berechtigung. Arbeite diesen Kern heraus! Lass ihn nicht als eine Kritik der Demokratie oder der Freiheit stehen. Kümmere dich um die Menschen und ihre Sorgen.

 

 

 

Ich weiß heute, dass ich durch das Denken aller Menschen durch muss. Viele Jahrhunderte herrschten sie über uns mit Gewalt, Mord und Macht. Sie geben nichts an eine Diktatur des Proletariats, an Frauen oder Kinder oder ans „Gemeinwohl“ ab. Sie wollen nicht, dass die Zukunft anders wird. Sie wollen ins Gestern zurück.

 

 

 

Achte auf sie, aber achte sie als Menschen, auch wenn sie dich nicht achten.

 

 

 

 

 

Ihr sagt: »Der Umgang mit Kindern ermüdet uns.«
Ihr habt Recht.

 

Janusz Korczak

 

1Walter Hövel. Frei oder staatlich. Eitorf 2019. Download: https://www.walter-hoevel.de/politische-aufs%C3%A4tze/frei-oder-staatlich/

 

2Walter Hövel. Mathematik „des kleinen Mannes“. „Ich hab das amtlich!“`Eitorf 2021. Download: https://www.walter-hoevel.de/politische-aufs%C3%A4tze/mathematik-der-kleinen-menschen/

 

3https://freinet-kooperative.de/wp-content/uploads/2021/02/FuV174_S1-5.pdf

 

4 Weiteres zu ihrer politischen Haltung ist unter Wikipedia nachzulesen.

 

5https://de.wikipedia.org/wiki/Gewissheit

 

 

7 Walter Hövel. Mit Schreiben, Eitorf 2021. Download: https://www.walter-hoevel.de/lesen-und-schreiben/mit-schreiben/

 

 

 

 

11FuV 174/2020, Seite 53

 

 

13FuV 174/2021, Seite 13, im ersten Abschnitt, ausdrücklich unterstützt von der Redaktion, hier Carmen.