Walter Hövel
Unsere
tägliche Frühkonferenz
2018 habe ich sieben Protokollbücher der Frühkonferenzen der Grundschule Harmonie vor mir liegen. Sie umfassen den Zeitraum von Ende November 2002 zum 24.März 2011. Es fehlt die Zeit davor, die von September 2007 bis November 2008 und die Bücher nach 2011. Jedes Buch umfasst 14 -18 Monate.
Ich schreibe diesen Aufsatz und habe gerade einmal eines der Bücher wieder, zum ersten Mal, überhaupt, durchgelesen.
Die Frühkonferenz
Wir, die Lehrenden der Grundschule Harmonie, trafen sich jeden Morgen um 7.15 Uhr zu einer Frühkonferenz, die etwa 20 Minuten, manchmal auch länger dauerte. Wir besprachen alles, was die
Schule anging. Nichts und niemand waren unwichtig.
Die Schule hatte einen gemeinsamen Beginn. Wir lernten professionelle Kommunikation und Zusammenarbeit in Kooperation. Es war nicht mehr das zufällige Gespräch auf dem Gang, in den Pausen im
Lehrer*innenzimmer oder das schnelle Verschwinden in den eigenen Klassenraum. Die Konferenz hatte Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit. Vieles sahen wir dadurch gelassener, professioneller und
engagierter.
Auch die Schüler*innen betraten ab 7.00 die Schule und ihre Klassen. Sie lernten dies ohne uns Erwachsene, aber immer im Gefühl des Beaufsichtigtseins. Dies war nicht die Kontrolle, sondern die
Erreichbarkeit von Lehrkräften.
Besonders die Lage und die Anlage der Lehrer*innenzimmers machten das möglich. Mitten in der bungalowähnlichen Schule gab es mittig ein Forum mit ein einsehbares Lehrer*innenzimmer. Es hatte drei
durchgehende Glaswände und keinen Knauf auf der nie verschlossenen Tür. Wir lernten, die Scheiben nicht mit Plakaten oder Sonstigem zuzuhängen. Es war ein Gesehenwerden und ein Sehen.
Es gab nicht mehr die Konrektorinnenaufgabe mehr „Vertretungspläne“ auszuhängen. Es gab keinen Schulleiter, der bestimmte und womöglich mit einer Gruppe steuerte, sondern einen, der leitete und lotste, anderes leiten und lotsen ließ. Es gab keine Stundentafel an der Wand. Die Kinder und Lehrer*innen wussten, wer wo und wann arbeitete.
Das Hauptproblem der Schule war, dass immer Lehrer*innen insgesamt und täglich wegen Krankheit oder Erschöpfung fehlten. Wir haben die Frühkonferenz zum möglichen Grund gemacht. Aber keiner, die oder der sie erlebt hatte, wollte sie wirklich abgeschafft sehen.
Wie die ganze Schule, wie alle Klassen und Konferenzen, waren die Veranstaltungen – bis auf den sehr seltenen Widerruf zum Schutz der Persönlichkeit – immer öffentlich. So haben in ihrer Existenzzeit hunderte, eher tausende von Student*innen, Lehrer*innen, Eltern, Assistent*innen, Praktikant*innen und Kinder diese Manifestation der persönlichen Wichtigkeit in einer selbst gestalteten demokratischen Umgebung erlebt.
Eine zufällige Woche in der Frühkonferenz Mai 2006
Alle möglichen Themen wurden behandelt. Hier das Beispiel einer Woche:
Mittwoch:
Kein Schwimmen. Die Gemeinde renoviert wieder in der Schulzeit, nicht in den Ferien.
Der Standort eines Epilepsiemittels für ein Kind wird bekannt gegeben.
Kein Chor heute. Er fand immer offen für alle im Forum oder Musik- und Theaterraum der Schule statt.
Eine überörtliche Blechmusikgruppe probte in der Schule. Bald gaben sie Kindern der Schule regelmäßig Unterricht.
„Englisch mit allen“, eine zusätzliche Englischstunde, fand heute im Forum statt. Hier sangen wir englische Lieder, begrüßten unsere Partnerschule aus England, erzählten englische
Kettengeschichten, sahen uns englische Theaterstücke der Kinder an, evaluierten unsere Arbeit in den stattfindenden Englischgruppen und machten, was immer uns einfiel, wie man gemeinsam Englisch
sprechend lernen kann.
Heute gab es die Theater-AG und Einrad-AG. Es gab sie wie andere Veranstaltungen auch, wenn keine Lehrer*innen da waren. Die Aufsicht wurde geregelt.
Terminvorschläge für das „Schulnetzwerktreffen“ wurden gemacht.
Donnerstag:
Bekanntgabe des Auftritts einer Theatergruppe von Eltern und andere Erwachsenen aus der Gemeinde und ihre Proben bei uns.
Das Geometrieprojekt einer Studentin wurde vorgestellt.
Das Konzept der nächsten jährlich stattfindenden Schulgeländeaktion von Eltern, Kindern und Lehrer*innen wurde gemacht.
Heute gab es Experimentiergruppen im Forum. Viele Inhalte des Lernens mussten besonders beworben werden. Kinder lernten sie als ihr schulrelevantes Lernen wahrzunehmen. Ältere Kolleg*innen, die
in der eigenen Ausbildung das eigen aktive, den Kanon der Schulen erweiternde Agieren nie gelernt hatten, erfuhren vor allem von jüngeren und sich fortbildenden Kolleg*innen Neues in die Mitte
des Bekannten zu setzen. Für Neues sollte allerdings Altes, Unnötige weichen.
Eine Kinderoper wurde angekündigt.
Es wurde gecheckt, wer beim Schulfest da ist und wer nicht kann, wer welche Aufgaben vorher, während und nachher übernimmt.
Der nächste Konferenzthemenplan für montags wurde aufgehängt. Alle Lehrkräfte bestimmten die Themen in dafür festgelegten Zeiträumen.
Eine Kollegin kündigte an, dass sie bei der nächsten Montagskonferenz früher geht.
Freitag:
Wir ließen keine Fotofirmen in die Schule.
Bis jetzt gab es 481 Bewerber für den ersten Deutschen Schulpreis.
Die im Schulgelände gebauten Steinpyramiden wurden zerstört.
Ein Lehrer erzählte, wo ein Sandstrand an unserem Fluss zu finden war. Es ist ein fantastischer Lernort, ob für freies Schreiben, Sachunterricht, Kunst oder den Müßiggang.
Bei Projektwochen oder ähnlichen Veranstaltungen blieben die Schulzeiten.
Eine Versammlung aller Helfer und Assistenten der Projektwoche wurde für Montagmorgen angekündigt.
Montag:
Hilfen für die Radfahrprüfung.
Welche Kinder gingen zu welchen Veranstaltungen der anstehenden Kinderuni.
Englisch fiel aus, da (damals noch Zusatz)lehrerin nicht kommt. Englisch war noch kein offizielles Fach der Grundschule. Bei uns gab es aber bereits „Englisch“ im Rahmen des Begegnungserlasses.
Alle Eltern, die konnten und wollten, zahlten für den Englischunterricht einen Euro, alle Kinder nahmen teil. Die Gemeinde unterstützte uns bei der Suche nach Native Speakern aus dem Ort.
Eine Kollegin brauchte Badmintonschläger.
Bäumchen wurden im Gelände noch angepflanzt, gefundenes Holz zum Gebrauch entsorgt.
Es werde erklärt, dass unsere Weiden im Wasser Wurzeln schlugen. Restliche Pflastersteine wurden am Teich verbaut. Das Gartenhäuschen wurde von Eltern noch von innen gestrichen. Auf- und Abgänge
zu Brücken waren - auch von Kindern - noch zu hämmern.
Dienstag:
Spülmaschine lief nicht. (Wir hatten für so etwas selten einen Hausmeister).
Verantwortliche für Kinderoper wurden gefunden.
Um 9.00 fand im Lehrer*innenzimmer eine Versammlung mit allen „Assistent*inn*en“, die an der Schule waren, statt. Sie arbeiteten im Ganztag, den wir mit einem eigenen Verein selbst machten,
mit kleinen Verträgen, als Eltern, als 1-€-Kräfte, als „Schwer-Vermittelbare-Verträge des Arbeitsamts, als Praktikanten aller Art. Später gab es
immer 3 Semester lang einmal in der Woche Studentinnen des Studiengangs Inklusion der Uni Siegen oder als „Integrationshelfer“, die an der Schule zuverlässig wirkten. Wer es schaffte während der
Arbeit der Kinder zu kommen, war herzlich eingeladen. Es wurden nicht zu vergessende Themen und Teilnahmen aus der Kollegenschaft gesammelt.
Gleichzeitig gab es ein Treffen der Fahrradgruppe in einer Klasse. Durch die beiden Veranstaltungen fiel die heutige, sonst wöchentlich stattfindende, Vorlesung aus.
Eine Kollegin bestellte Bälle und Laminierfolien (für alle).
Die Homepage musste neu gemacht werden. Es wurde viel und lange überlegt.
Eine vermisste Mappe war wieder da.
In jeder Klasse wurden „Computerzuständige“ (Kinder) gesucht.
Wie gingen wir mit dem „Verbleib für ein weiteres Jahr oder eins weniger in der Schuleingangsphase“ um?
Warum machten wir die Frühkonferenz?
Der erste Grund war der, dass die wöchentliche Lehrer*innenkonferenz jeden Schulmontag (, wenn dieser
ausfiel entsprechende Tage später,) immer nur zu einem Thema stattfand. Diese Themen wurden wechselnd von den Kolleg*innen und dem Schulleiter bestimmt. Die Vorschlagenden leiteten in der Regel
auch diese Konferenzen. Dieses war am ersten Montag im Monat bald die KinderKonferenz (siehe Homepage). Es konnte ein Thema zur Entwicklung der eigenen Schule sein, ein Repro einer gelungenen
Fortbildung einer Kollegin, ein pädagogisches Thema, die Vorbereitung von Kinderunis oder Projektwochen. Immer wieder luden wir auch Gastreferent*innen ein oder Gäste unserer Schule ein. Niemals
durfte vorneweg oder hinterher Organisatorisches oder Sekundäres behandelt werde.
Die Frühkonferenz war also die „Konferenz für alles“.
Turnus
Wenn
ein*e Kolleg*in an einem Montag nicht sein Thema parat hatte, übernahm sofort der Schulleiter. Wenn dies zu oft passierte intervenierte er und sorgte wieder für die Übernahme der
Konferenzverantwortung durch eine Kollegin oder einen Kollegen. Manchmal bereitete ich als Schulleiter Sitzungen mit einzelnen oder einer Gruppe des Kollegiums vor.
Die tägliche Frühkonferenz, unvorbereitet, wurde immer von einer Person nach der anderen, wie ein Klassenrat geleitet. Das Protokoll schrieben die Leiter*innen der letzten Sitzung.
LAAs
Eine
Besonderheit war, dass die vielen „Lehramtsanwärter*innen“ vor ihren Prüfungen ihr zentrales Thema der Prüfung zum Montagskonferenzthema machten. In der Prüfung erprobten und prüften wir auch sie
zu ihrem Thema. Niemand ging unvorbereitet in eine staatliche Prüfung. In den Frühkonferenzen wurde dies festgelegt, sobald die Termine da waren.
Kollegium mit Demokratie in einem Zwangssystem
Des Weiteren war „mein“ Kollegium für mich als Schulleiter „meine Klasse“. Als Freinetpädagoge imitierte ich den demokratischen Umgang mit einer
Klasse zu immer mehr Autonomie und Selbstbestimmung des Lernens mit dem Kollegium. Dies waren der Alltag, die Frühkonferenz, die Montagskonferenz, jede Schulkonferenz, die schulinterne
Fortbildung, der Umgang mit den Schüler*innen, Gespräche, etc.
So stellte sich nach Jahren des Arbeitens eine Grundhaltung ein. Sie fand ihren Ausdruck unter anderem darin, dass sich Lehrkräfte als Lernkräfte verstanden.
Wir waren uns im Klaren darüber, dass wir immer noch in der staatlichen Zwangsveranstaltung Pflichtschule arbeiteten. Doch wir wollten mehr als nur „Freigang“ im Freien, am Wochenende oder in
Pausen.
Historische Vorgänger hatten uns gezeigt, dass Freiheit immer ein Ausdruck vom Grad der Gefangenschaft ist. Wir wollten wie Nelson Mandela aus dem Inselgefängnis Robben Island eine
ANC-Universität, wie Adolph Reichwein aus der Schule im Nazi-Dorf in Bayern eine reformpädagogische Schule, wie Janusz Korczak mitten im Warschauer Ghetto eine demokratische, kinderrechtliche
Republik, aus der Grundschule Harmonie ein Lernort in einer halbwegs demokratischen Gesellschaft machen.
Abstimmung
In
den Konferenzen wurde nur abgestimmt, wenn der Dienstherr dies verlangte. So wurden die Altersmischung, die Verlängerung des Schultags, Lehrerrats- und Schulkonferenzmitgliederwahlen, und die
Einführung der Frühkonferenz selbst, abgestimmt. Die beiden Gegenstimmen der Frühkonferenz verließen in den nächsten Jahren die Schule. Immer wieder stiegen Kolleg*innen aus, denen die
Weiterentwicklung von autonomem Lernen und Leben an der Schule zu viel Veränderung ihrer Selbst und ihrer Praxis verlangten.
Ansonsten wurde solange miteinander geredet, bis das Thema klar war und/oder jeder*r wusste, was sie oder er tun wollte. Sie sagten, ohne eine Abstimmung, was sie tun würden. Es entstand das Verschwinden des Minimalkonsenses eines Schulprogramms hin zu einem Verständnis des Maximalkonsenses einer lebenden und lernenden Schule. Diese Haltung und dieses Handeln bestimmten auch die Frühkonferenzen.
Die Frühkonferenz selbst
Der dritte Grund war die Frühkonferenz selbst. Sie war unersetzbar! Alles wurde mit einander besprochen, nichts musste ungesagt bleiben. Der Alltag hatte immer das Gesicht der
Frühkonferenz. Es gab nicht mehr den manchmal vollständigen Rückzug in die Klasse. Die Schule selbst als eigenständige Lernumgebung wurde immer offensichtlicher.
Nicht Regeln und Rituale bestimmten die Kinder und Lehrer, sondern die selbstbeschlossenen, immer wieder veränderten Entscheidungen und Inhalte, die selbst in allen Organen der Schule beschlossen
wurden. Wenn dies in der Klasse der Klassenrat war, waren dies in der Schule die Frühkonferenz, die Montagsversammlung, die Montagskonferenz, das Kinderparlament und dadurch das Lernen
selbst.
Viele interne Probleme wurden so gelöst. Manchmal bedeutete dies auch Mehrarbeit für das Kollegium und die Schulleitung. Nicht jeder holte seine Leichen aus dem Keller. Auch eine gewisse
Selbstarroganz entstand. Die eigene pädagogische und menschliche Arbeit wurde manches Mal überbewertet.
Aber so wurde Schule aus der Anonymität des Unterrichtens, Bewerten und Benotens herausgeholt. Sie verwandelte sich in einen Ort, der mit allen Mitteln das Lernen jedes Individuums und der
Gruppen bis hin zur Schule insgesamt in den Mittelpunkt stellte. Nicht die Frühkonferenz wurde als professionelle Belastung empfunden, sondern die vielen Probleme der Kinder, die Bearbeitung der
Skepsis der Erwachsenen und der Umgang mit der Gesellschaft in Form der ewiggestrigen Verwalter und Politiker und manches Mal auch mit den verschiedenen Mitarbeiter*innen der verschiedenen
Schulämter.
Unsere Frühkonferenz, wie der gesamte Umgang mit allen Angehörigen der Schule, wurde immer systemischer, den Lernern zugewandter und
demokratischer. Eine scheinbare Belastung in der Frühe der Zeit, wurde zu einer entscheidenden Erleichterung und Hilfe im Umgang mit den Alltagsproblemen der Kinder, Lehrer*innen und anderen
Erwachsenen.
Allerdings wurde auch die Kluft zwischen dem eigenen Anspruch an Lernen und Leben in der eigenen Schule einerseits und der gesellschaftlichen Einrichtung einer in Deutschland noch immer
autoritären und selektiven Einrichtung Schule und Bildung andererseits offensichtlich.
Auch war es eine fortwährende Herausforderung des eigenen Denkens und Verstehens. Es gab keinen Stillstand, sondern eine ständige Weiterentwicklung seiner selbst und seiner Arbeit wurde von jeder
Lehrer*in verlangt. So gab es nebeneinander eine hohe Fluktuation als auch eine große Konstanz der Menschen im System Grundschule Harmonie. Immerhin blieb fast 20 Jahre lang von den anfänglichen
zehn Menschen die Hälfte bis zu meinem Weggehen. Zwei ließen sich durch Heirat versetzen, drei gingen aus sehr persönlichen und berufsbedingten Gründen, die mit der wachsenden Demokratie
gegenüber den Kindern zu tun hatte.
Eine Kollegin Konrektorin sagte einmal: „Harmonielehrer*in ist man nur ganz oder gar nicht.“ So war es auch mit der Frühkonferenz.
Wie ging nun die Frühkonferenz?
Immer war die oder der nächste als Leiter*in der Sitzung dran und begrüßte alle. Sie oder er schaute wer da war. Es wurde sich erkundigt, wenn jemand fehlte, was mit ihr sei,
es wurde nachgefragt, angerufen. Manchmal wurde jemand geweckt oder stand in einem Stau und kam später, manchmal wurde jemand nachhause geschickt, weil sie oder er sich zur Schule geschleppt
hatte.
Die „Vertretung“ wurde immer anders geregelt. Mal entschieden die Kinder zu wem sie gingen, manchmal die Lehrerinnen, wer zu ihnen kam. Mal ging eine Lehramtsanwärter*in oder ein Gast in die
Klasse. Mal blieb die Klasse ohne Erwachsene. Oft genug ging der Schulleiter in die Vertretungen (und sah so die Arbeit in den Klassen). Ein anderes Mal trafen sich zwei oder gar drei Klassen zum
Kreis im Forum und entschieden, was sie lernen und machen wollten. Niemals (!) wurde eine Klasse nachhause geschickt oder Unterricht fiel für sie aus. Es gab auch kein „Hitzefrei“, weil unser
Gebäude bei Hitze kühl blieb.
Es wurde gefragt, was wem heute wichtig war.
Hier weitere Beispiele aus einem der Protokollbücher der 10 Jahre Frühkonferenz:
„Eine Lehramtsanwärterin, die zur gleichen Zeit bereits Lehrerin bei uns war, arbeitet heute an ihrer Arbeit. Es bleibt ihr überlassen, wo sie es
tut.
Die Loggix, die runden Legosteine fliegen rum. Es muss eine Ausleihe organisiert werden.
Die wöchentlichen „records“ unserer Comenius-Projekt-Schulen werden bei einer Lehrerin abgegeben.
Heute Nachmittag treffen sich die Englischlehrer*innen und Lehramtsanwärter*innen zum Englischerfahrungsaustausch an der Nachbarschule.
Zwei Lehrerinnen versuchen wieder einmal, dass die Kinder in den Pausen rausgehen. Zumindest nicht immer rein und raus. Es wird „abgeschmettert“. Es wird zu besseren Absprachen und verbesserter
Kommunikation aufgefordert.
Ein „Kind in Not“ schmiert Kot an die Wände. (Wir werden ein paar Tage benötigen, bis die Kinder und wir wissen wer das macht. Das Kind findet seine Gründe heraus und findet andere Wege des
Protests.)
Ein Vater hält heute Abend einen Vortrag über sein Projekt „Kinder einer Welt“. Es wird als Projekt in der Schule stattfinden.
Dieses „Programm“ ist wieder nur das Programm einer
einzigen Frühkonferenz aus dem Jahr 2010.
Am nächsten Tag geht es um die „Forscherwerkstatt“ von Studies einer Universität. Wir hatten
absolut regelmäßige Besucher*innen aus den Universitäten und PHs aus Bremen, Osnabrück, Oldenburg, Essen, Köln, Siegen, Bonn, Kassel, Heidelberg, Koblenz, Riga, Wien, Klagenfurt, Zagreb, Linz und
viele andere mehr. Die meisten von ihnen machten ihre Seminare bei uns an Ort und Stelle. Immer gab es eine Nachbesprechung mit zwei Kolleginnen der Schule unter dem Motto „Was habt ihr
gesehen?“. Jede Woche gab es das für mindestens eine Hospitation aus Schulen, Wirtschaft, Ausbildung, Unis, Leistungskursen von Schulen, etc.
Um 8.15 gibt’s ein Angebot für alle Interessierten zum Thema „1mal1“.
Die heutige Vorlesung einer Lehrerin im Forum der Schule geht zum Thema „Berühmte Frauen“. Jede*r kann teilnehmen. Wer genug gehört hat, kann auch vorzeitig zu seiner Arbeit zurückgehen.
Der Elternabend der Erstklasskinder wird angekündigt.
Eine Lehramtsanwärterin macht heute „Englisch für Alle“ im Forum. Sie hat ihre Staatsarbeit bestanden.
In einer Woche kommt die Brandschutzkommission von Gemeinde und Kreis. Der Kreis wird endlich feststellen, dass wir Tische und Stühle, Druckerei und Aquarium im Forum der Schule stehen haben
dürfen. Es gibt genügend Fluchtwege. Im ganzen Gebäude dürfen die Wände vollgehängt werden. Die Gemeinde muss klein beigeben.
Am Wochenende probt ein Chor in unserem Gebäude.
Das war wieder nur ein Tag.
Sprachveränderungen
Durch die tägliche Arbeit bildete sich ein Procedere heraus, das die Kinder überhaupt nicht störte. Nur standen „fremde Lehrer“ mal im Weg. Ansonsten waren Gäste für einige Kinder „Opfer“,
die mit ihnen arbeiteten, oder für viele Menschen, die Dinge wussten oder etwas Spannendes zu erzählen hatten.
Unbemerkt blieb, dass das Berichten der Kinder ihre Sprache immer mehr verbesserte und erweiterte. Eines Tages sagten ihnen das die Gäste.
Lehrer*innen gewöhnten sich daran, jeden Tag auf „der öffentlichen Bühne“ zu stehen, und gesehen zu werden. Das war ein Weg der Verbesserung der Arbeit, die Frühkonferenz ein Ort der Vorbereitung
und Verarbeitung.
Es bildete sich ein Procedere des Umgangs mit der eigenen Öffnung, der Eigenreflexion und der Verbesserung des Lernens und Lehrens heraus. Mit Lehrenden waren bei uns auch Kinder gemeint.
Veränderungen
Das Lernangebot unserer Schule wurde durch die Gäste, die eigene Arbeit auch der Frühkonferenz, durch die Öffnung zur Region ungemein erweitert. Und die Kolleg*innen verloren ihre
Kontrollverlustangst, Überblickshemmungen oder Machtabgaberisikoverhalten. Durch die ständige Präsentation des Gelernten, der Reflexion in Klassenrat, Schulversammlung und Konferenzen, durch die
Selbsteinschätzung und Eigenevaluation wurde die Kenntnisse und Erkenntnisse aller an der Schule Lernenden immens erweitert. Die Frühkonferenz war einer der nötigen „Regler“.
Weitere Themen aus dem gleichen Jahr
Andere Themen sind in den nächsten Tagen: Büchereibesuch, Essensgeld, kollegiale Fallberatung, Probleme bei Kooperation mit
Gymnasiallehrern, Blickmobil der Uni Freiburg. Es sind die Einführungen eines interaktiven Smartboards in Händen der Kinder, Slacklines, Kinderunithemen das Thema „Was ist Lernen“, Läuse, Eltern
und Erziehung, Wechselklamotten. Es folgen Besuche der örtlichen Industrie, Themen wie Überbelastung und Entlastung, Spielen.
Es gab ein Gespräch mit Lehrerausbildungsseminar, Fernsehen im Haus. Lange diskutierten wir, ob Hartz-IV-Kräfte bei uns eine sinnvolle Arbeit finden Wir erlebten den Feueralarm, Berichte über
BÜZ, die Themen Kinderwohl, Schlagen von Kindern, pränatale Suchtschäden,. Wir kümmerten uns um die Druckerei, die Themen Adoption, Zwillinge, Bindung und Beziehung.
Wir machten Kommunikationstraining. Wir regelten das Schwimmen der Kinder und unsere Musik und das Selbstkomponieren. Es ging um Muster und Mathematik, Inklusion, Anmeldung eines mehrfach
behinderten Kindes, Förderverein, Geländeaktion, Kücheneinweihung. Wir luden neben vielen anderen „Skills for life“ ein.
Wir führten unser kostenloses Schulfrühstück für alle ein. Wir beschäftigten uns mit Scheidungen der Eltern und ihr Einfluss auf Kinderverhalten, Selbsteinschätzungsbögen,
Kinderparlamentsbüchern, Arbeitsverhalten. Wir stellten fest, dass Haushaltsgelder immer da sind. Es wurden neue Stühle oder Fahrräder besorgt.
Wir redeten über Aggression, „Alle-haben-ihn-lieb-Tag“ für einen Schüler, Fremde in der Schule, Müll, Vandalismus im Schulgelände zum 1.Mai, Busprobleme oder genügend Sport. Jedes Jahr gab es
Krötensammeln. Der Adam-Ries-Kreis zur verbesserten Qualität der Mathematik wurde durchgeführt. Wir stellten fest, oft gibt es zu viele Erwachsene im Haus oder Streit unter Kolleginnen.es gab,
Chor, Filmen, EUDEC oder WDR-Besuche.
Wir verbesserten stetig unseren Ganztag, als schulische Veranstaltung, die sich an Vormittag und Nachmittag zumindest ähneln. Unter anderen erreichten wir das dadurch, dass unsere Lehrer*innen
auch nachmittags mitmachten.
Wir beschäftigten uns mit der eigenen und gemeindlichen Reinigung und Reinlichkeit, Kriegspielen, Essensmanieren, Missbrauch, Leadershiptreffen, Fortbildungen, Gewichte, Maßstäben,
Schulversammlungen oder unserem „Verbotener Wald“. Wir wollten Lernen mit dem ganzen Körper, dem Gehirn und mit anderen anregen und provozieren.
Wir besuchten regelmäßig das „Junge Theater“, das Beethovenhaus und das Museum König in Bonn. Wir arbeiteten an unserer Draußenschule, an Religion, Fragebogen-Homepage-Eltern Ergebnissen,
Geschenken an die Küchenfeen, am „Lehrer*innen kochen für andere erwachsene Mitarbeiter*innen“. Wir erforschten das Rollenspiel als Lerntechnik, Kooperationsspiele, Imaginäres Lernen und neue
Handlungsmuster, …
Wieder sind dies nur Stichwörter nur eines Monats aus Frühkonferenzen 2006/7.
Wachsende Verantwortung für das Lernen der Schule
So viele Themen sind nicht in Pausengesprächen und Konferenzen erfassbar! Erst die Frühkonferenz öffnete das Gefühl der Verantwortungsübernahme
beim Kollegium für etwas, was sonst hauptsächlich die Kraft der Schulleitung kostet, und in der normativen Kraft des Schulalltags mit jeder Lehrerin, jedem Lehrer und den Lernerinnen
geschieht!
Kein Wunder, dass 2018 jede siebte Schulleiterstelle unbesetzt bleibt. Kein Wunder, dass so viele Lehrer*innen ihre Pension nicht erreichen. Kein Wunder, dass so viele Kinder leiden.
Durch ein gemeinsames Beginnen in einer Frühkonferenz rücken Lehrer*innen, und die Schulleitung mit ihnen zusammen. Die Schule wird das Programm aller. Jeder Mensch der Schule verantwortet das Ganze und seine Entwicklung.
Die Verwaltung der Schule, die Verantwortungsübernahme nach außen, gegenüber der Gemeinde, der Schulaufsicht oder der „eigenen“ Schulgemeinde bleibt die des Schulleiters. Die innere Lern- und Entwicklungsarbeit aller verlangt von der Leitung mehr als Delegation. Es verlangt „Prokura“. Er oder sie muss auch die Fehler seiner Leute mitgehen. Alle haben Handlungsvollmacht, alle sind Schule. Das ist nicht immer einfach oder widerspruchsfrei.
Die Frühkonferenz ist ein entscheidender Ort der Übersicht, die die Leitung immer braucht. Es ist der Ort der Rückversicherung, wo
spürbar ist, ob sich jede*r verwirklichen kann.
Das Ende
Der beste Gradmesser dafür, ob Beschlüsse und Initiativen brauchbar sind, sind die Kinder selbst.
Der andere ist die eigene Fähigkeit sich täglich mit all seiner Kraft und Freude einzubringen. Es ist der Wille, immer Mehrheiten zu finden, die Neuerungen in Schule und Lernen mitmachen.
Zwei oder drei Jahre vor meiner Pensionierung war es vorbei mit der Selbstverständlichkeit des täglichen Einsatzes für ein besseres Lernen der Kinder in einer Institution Schule. Meine Kraft schwand nach 60 Jahren Schule als Lehrer und Schüler. Es reizte mich nun öfter nicht mehr das Machbar demokratisch durchzusetzen, sondern zu sehen, wie viel Demokratie für Kinder zu verwirklichen ist.
Zu meinem eigenen Unglück wurde ich schon mit einem Jahr in den Kindergarten geschickt, erlebte aber zu meinem Glück einige Jahre später die Welt ohne Schulbank. Zu meinem Glück fand ich schon als Kind Menschen, die mir bei meinem Weg halfen. Durch meinen eigenen Weg aus einfachsten gesellschaftlichen Verhältnissen, verstand ich viele Kinder, ihre Nöte und Ansprüche. Nun ertrug ich nicht mehr die Schrullen einiger Lehrpersonen, ihre falschen Empfindlichkeiten und ihren Widerwillen gegen „bildungsferne“ und „unerzogene“ Blagen.
Ich ertrug nicht mehr den Konservatismus einiger Eltern, der sich immer wieder neu gegen die eigenen Kinder entschieden. Ich ertrug nicht mehr den offenen und versteckten Hass der Mehrheit von Politik und Verwaltung. Obwohl es immer auch Mehrheiten gab, die diese Schule wollten, unterstützten und möglich machten. Es gab immer die Mehrheit von Lehrer*innen und Eltern, die Kinder und Menschsein verstanden.
Die schulischen Behörden zeigten zu wenig Bereitschaft unser Modell zu erhalten. Vielleicht waren es nur vereinzelte konservierende
„Widerständler“, aber sie setzten sich gegen Schulpreise, Auszeichnungen und pädagogische Arbeit mit ihren Mitteln der Verwaltungstätigkeit durch.
Ich hörte auf mit der Frühkonferenz. Eine Mehrheit der Kolleg*innen war für die Fortsetzung. So wurde zum ersten Mal ein Kompromiss ausgehandelt und jeden Morgen fand die Frühkonferenz mit immer
zwei alternierenden Kolleg*innen statt.
Aber es war niemals mehr „unsere Frühkonferenz“, die der Schule über 15 Jahre diesen Sinn und dieses Leben gab, die eine veränderte demokratischere Schule für das eigen-autonome Lernen der Menschen möglich machte.