Die Verabredung
Vor der Verabredung hatte ich einfach ein Gefühl der Angst. Was wusste ich eigentlich von ihr? Drittes Semester an meiner Hochschule, etwa zwanzig. Und ich fand sie schön, einfach schön.
Sie war mir bei einem meiner üblichen Kreuzzüge aufgefallen. Ein solcher Ausflug ist keinesfalls ein "Aben-teuerkreuzzug", sondern einer meiner - deshalb typichen - Organisationsstreifzüge. Oder einfacher, ich suchte mal wieder Kommilitonen und Kommilitoninnen aus den Fachschaften, die eine Aktion der Studentenschaft in einer Veranstaltung ankündigen sollten.
Es war nichts besonderes an diesem Morgen. Normalerweise wäre er, wie die übrigen Morgende in meinem Erinnerungsvermögen untergegangen.
Aber da hockte ich neben einer Kommilitonin nieder. Sie war mir eigentlich auch nicht so gut bekannt, nur durch ihr Lachen, das mir schon des Öfteren begegnet war. Keines dieser lauten Lachen, sondern eines jener seltenen, das einen im Gewühl der Studentenmassen herausfindet, ein Lachen, das Sympathie schafft. Ausgerechnet neben ihr musste ich mich hinhocken, ausgerechnet zu dieser Zeit musste ich wiedermal organisieren.
Der Zufall - der auch von uns (selbst in der Geschichtsschreibung) als wichtig und einschätzenswert betrachtet wird, brachte mich zu dieser Verabredung, dem Gefühl der Angst vor einer Verabredung.
Ich hockte also neben dem lachenden Gesicht, aber sah in ein anderen, kaum dreißig Zentimeter entferntes. Eingerahmt von blonden, brav-aussehenden Haaren, sah ich ein Augenpaar, das zu einem Wesen gehörte, das ich nie zuvor gesehen hatte. Mich traf nicht der Blitz, oder wie andere sagten, es "knallte" nicht, aber ich sah diese Augen, dieses faszinierende Wesen.
Würde ich an einen Gott glauben, oder gar griechische und römische Gottheiten verehren, hätte ich vielleicht auf jenen kleinen Pfeil geachtet, der mich rücklings und scmerzlos traf, und meinen Körper langsangsam, sehr langsam mit seinem Gift verseuchte. Ich armer Ungläubiger tat es nicht, ich war wehrlos dieser überirdischen Machenschaft ausgesetzt.
Ich hockte also noch immer und hörte mich reden, "da ist noch eine ..."; ich hörte mich reden, und merkte eine leichte Unsicherheit in meiner Stimme. Ich ertappte mich dabei, wie ich nicht auf meine Stimme achtete, sondern dieses Gesicht musterte.
Es gibt viele hübsche Gesichter an meiner Hochschule, so viele sind es, die vom Lehrerberuf gelockt wurden, dass gehässige Zungen oft von einem Heiratsmarkt sprechen und die Kommilitonen benachbarten, mädchenarmer Hochschulen allzu oft und auffällig durch die Gänge unserer Bildungsanstalt schlendern. Obwohl ich die Einschätzung des Marktes bis heute nicht so recht teilen mag, sah ich in dieses Gesicht. Es waren eigentlich nur Bruchteile von Sekunden, die meine Augen an den ihrigen festhielten, aber es reichte, reichte für eine Verabredung.
Ich bin nicht einer jener Menschen, die mit einem penetrant-charmanten Lächeln die Bemerkung "Fräulein - ich - kenne - sie - doch" mühelos über die Lippen bringen. Auch gehöre ich nicht zu jenen, die einfach und ehrlich sagen: "Du gefällst mir, wer bist du?" So mußte ich, weder der Frechheit noch des Mutes fähig, meine Hockstellung wieder verlassend das Weite suchen. ohne eine Verabredung, ohne ihren Namen zu kennen, nur mit der Gewißheit, zwei Augen gesehen zu haben, die zu einer Person gehörten und zu dieser paßten.
Den ersten ungewollten Anlauf wollte ich nun um einen zweiten, geplanten ergänzen.
Wenn die Faszinierende mit diesen Augen kaum dreißig Zentimeter von der LKachenden entfernt war, musste diese die andere kennen und umgekehrt. Also galt es nur jemanden zu finden, der die Lachende kannte und somit zum auffindbaren Wegweisers meines Zieles werden könnte. Dieser Wegweiser, der sich der Beschimpfung des Kupplers in diesem Falle nicht schämen sollte, ward schneller gefunden als gedacht. Dass dieser Kuppler während der Abgabe eines Verwaltungsschriftstückes gefunden wurde, tat der Bedeutung was jetzt folgte, was jetzt folgte. keinen Abbruch. Im Gegenteil, sei er sich des Titels eines geschickten Kupplers bewußt, da es ihm gelang, das Gerücht meines Interesses an diesen Augen an den Adressaten zu bringen, ohne daß mein Name genannt wurde, ohne daß der Vorgang einer gewissen Spannung entledigt worden wäre.
Es war der Faszinierenden selbst überlassen, meinen Namen und meine Identität herauszufinden. Der Vorgang des "Herausfindens", sei hier zugunsten der Anonymität der Faszinierenden und des Schreibers hier nicht geschildert.
Von nun an stand demn Ansprechen der Faszinierenden nichts mehr im Wege. Daß das Ansprechen der Faszinierenden - ihr Name war mir unterdessen bekannt - während des Ausrechnen von Bierpreisen geschah, sei bereits hier bemerkt.
Beide - sie und ich - eingeteilt beim Organisationsprogramm eines Festes, zufällig oder nicht, zur gleichen Zeit, am gleichen Ort, mit der gleichen Aufgabe betreut, eben zwischen dem Ausrechnen von Preisen, was wiederum durch die Perspektive einer Verabredung behindert wurde.
Was meine Angst vor der Verabredung wiederum steigerte, war die Tatsache ihres plötzlichen Verschwindens nach Beendigung der Festlegung der Personalaufgaben beim Fest und nach dem gemeinsamen Ausmachens der Modalitäten und Daten unserer Verabredung.
Doch woher sollte ich damals ahnen, daß dieses Gefühl, daß ich unvollkommen und ungenau mit "Angst" bezeichnete, "Angst vor einer Verabredung" keine Angst vor dieser Verabredung war, sondern ein Gefühl, daß genau in diesem Verschwinden begründet war. Das heißt nicht, daß ich ein Verschwinden für einen nicht zu bemißtrauenden Vorgang halte. Nein, vielmehr empfand ich in diesem Augenblick ein Gefühl der Befriedigung. das mich dazu animierte mit Bekannten und weniger Bekannten auf der Tanzfläche zu sein. Ich war ganz einfach froh. dieser Verabredung sicher zu sein, Befürchtungen oder Angstgefühle konnten eigentlich übersehen werden.
Es war meine erste Verabredung dieser Art seit langer Zeit. Nicht, daß ich der Gegenwart von Frauen lange Zeit abstinent gewesen wäre, oder daß ich von Frauen nichts wissen mochte. Nein, es war nur eine andere Art der Verabredung, eine jener Verabredungen, die einen an die Freundschaften vergangener Jahre fatal erinnerte. Doch war dies nicht der gleiche Vorgang wie früher. Es war keine jener heiß ersehnten Primanerverabredungen oder eine in der Retroperspektive fahlen Tanzstundenverabredungen. Es war ganz einfach eine ehrliche Verabredung, eine Verabredung ohne diese gewisse Routine., die ab und an in den letzten Jahren auftauchte. Es war eine Verabredung, die einfach neu war, die irgendwann kommen mußte, die nur auf ihren Partner gewartet hatte.
Ich habe diese Verabredung hinter mich gebracht. Der ersten mit ihr folgten andere, aber auch die letzte, wo sie mir nach Monaten eingestand, daß ich für sie eine "Traumvorstellung" ihrer Vorstellungen von einer Zweierbeziehung war. Trotzdem blieb sie bei ihrem alten Bekannten.
Es waren sehr schwierige Verabredungen, die ich mit ihr hatte. Ich hatte immer gespürt, daß sie sich nicht trennen wollte, aber das unbekannte zukünftige Verhältnis war ihr zu unbekannt, zu unwirklich. Sie zwang sich selbst bei ihrem alten Freund zu bleiben. (Vielleicht wußte sie oder ich, daß ich toxisch war).
Trotzdem schätze ich diese Zeit, da ich allzu viel dabei gelernt habe. Und - eigentlich habe ich jetzt keine Angst mehr - vor Verabredungen.