Sommer 1967
Der Sommer 67 war ein außergewöhnlicher Sommer.
Es gibt und gab viele Versuche diese Zeit einzuordnen. Es war die Zeit der Großen Koaliation zwischen CDU/CSU und der SPD. Bald sollte Willy-Wählen und eine andere (Ost-)Politik angesagt sein. Es war die Zeit des Alexander Dubcek. Die Ermordungen John F. Kennedys war vollzogen, Robert Kennedys und Martin Luther Kings standen an. Das Jahrzehnt der Beatles revolutioinierte unerwartbar die Welt. Es war die Zeit der Hoffnungen und der Jugend. Farbe kam in unserer Leben.
Es war jene Zeit, wo die Haarlänge zumindest die Länge der Ohren übertumpfte, wo um jeden Jungenhals, der sich sehen lassen wollte, eine Kette mit einem Anhänger gehörte, die Jeans aus breitem oder feinen Cord eng und gammlig sein musste. Ich zog Mamas Pelzjacke an, die Mädchen probierten den Sitz der Bluse nicht mehr in der Umkleide aus, sondern an Ort und Stelle. Ich kaufte meine Klamotten in der Frauenabteilung, und zumindest bei den Intellektuellen schwanden die Grenzen zwischen Mädchen und Jungen. Auch eine emanzipierte Frauenbewegung gewann wieder die Oberhand.
Auch gehörte die „individuelle“ Besonderheit zur Ausrüstung eines jeden. Ob es nun die selbst gebatikten US-Armeeunterhemden waren, der Schlapphut, eine Maobibel im Regal, eine Mundharmonika in der Tasche, der man an den Lippen Bluestöne entlockte, das Tonbandgerät mit der selbst aufgenommenen Musikrichtung, sogar das eigene Motorrad, Mofa, die NSU oder im besten der Fälle, die Gitarre unter'm Arm.
Die sich in ihrer Dekadenz aufbäumenden Vereinigten Staaten von Amerika hatten uns wieder einen Lösungsweg aus dem irdischen Jammertal geschickt, die „Flower-Power.Bewegung“. Jedes Haar schmückte ein Blümchen, vor allem aber das darunter. Unsere Köpfe waren voll von sentimental-pazifistischen Friedenstönen, was kräftig unterstützt und geschürt wurde durch jene Popmusik, die aus dem fernen San Francisco, oder besser aus den Studios der Plattenindusrie kam. Noch hatte uns noch nicht so richtig der Höhepunkt dieser schnell kommerzialisierten und später kriminalisierten Bewegung erreicht. Es fehlte uns noch „pot, grass, shit, Stoff, Hanf. Marihuana- LSD, Bewußtsein erweiternde Drogen oder wie das Zeug sonst noch hieß. Jugend entdeckte wieder den Kriegs- und Verbrechensstoff all ihrer Vorfahren, nicht nur der Nazis, auch älterer Ahnen. Wir „ersetzten“ diese Zustände noch mehr schlecht als recht – in guter, alter Tradition – durch Bier oder den Steinhäger im Frühstückstee. Andere fanden den Zugang zu Medikamenten, wieder andere zu altem Wehr-machtswissen. Ein Pfeifchen oder eine Selbstgedrehte war noch die absolute Ausnahme in der Runde, obwohl sich schon jeder nach der „Freiheit“ sehnte, der „Freiheit“ unter kalifornischen Himmel.
Wir waren in jener Zeit vier Freunde. Wir kosteten jede Minute aus, die damals Grundlagen für unser Handeln und Denken legten. Diese Zeit gab uns später zweierlei: Eine Erinnerung an eine Zeit voller Lebensmut und Naivität, geprägt von Flowerpop, Underground, Illegalität, geprägt von langen, vielen und intensiven Gesprächen über uns selbst, die Umwelt, unser Leben und unsere Zukunft. Hatten wir auch wenig Ahnung von Existentialismus, Rationalismus, Nihilismus oder Spontaneismus, so waren diese Begriffe stets Gegenstand unserer Diskussion. Sie waren wie Haken, die benötigt wurden, um unsere Gedanken zu befestigen, um Gedanken in festhaltbare Perspektiven zu verwandeln, um ihnen einen Ort zu bieten, der eine allgemeine Gültigkeit haben sollte.
Wie oft saßen wir doch zusammen und wälzten „philosophische“ Probleme, zu Verteidigern oder Vertreten von Adorno, Marcuse, Kirkegaard oder Nitzsche. Wie wenig wußten wir wirklich über sie, aber wie reich waren wir an Mut und Respektlosigkeit, uns an diese Gedanken heranzuwagen, selbst unsere Gedanken zu bauen.
Die zweite Erinnerung ist die Verschiedenheit unserer Lebenswege. Wir trennten uns später, verloren uns aus den Augen, durch verschiedene Wohnorte, Studiengebiete, zu verschiedene Freunde und Frauen, durch zu verschiedene Auslegung unserer Diskussionen. Diese Trennung zu beschreiben, die verschiedenen Lebenswege aufzuzeigen, ist nicht nötig. Es sind allzu bekannte Wege.
Wichtig bleibt nur, dass diese Zeit nötig war. So falsch es wäre heute so weiter zu leben, so wertvoll und erklärend ist diese Zeit in der Rethroperspektive.
„When I think of all the good times that's been wasted having good times.
Instead of complaining i should have been gaining, instead of been drinking i should have been thinking, of good times.“
Eric Burdon 1967