Björn Serke und Walter Hövel

 

Inklusion und Demokratie am Beispiel der Grundschule »Harmonie« in Deutschland

 

 

1. Das inklusive Schulkonzept der Grundschule Harmonie – ein kurzer Einblick

 

 

Die offene Ganztagsgrundschule Harmonie im gleichnamigen Stadtteil des Ortes Eitorf (Rhein-Sieg-Kreis) versteht sich seit ihrer Gründung 1996 als inklusive (Stadtteil-) Schule. Von Anfang an spiegelte sich im Kollegium die Grundhaltung wider, alle Lernenden zu inkludieren – zunächst ohne eine sonderpädagogische Ressource, da die Grundschule den »Gemeinsamen Unterricht« (GU) im offiziellen Sinne noch nicht offerieren konnte. Das hohe Engagement und die gemeinsame Verantwortungsübernahme des gesamten Kollegiums für alle Schülerinnen und Schüler ermöglichte, dass sich die Lernenden anerkannt und wohl fühlten. Dieses Wohlbefinden stellte für das Kollegium von Beginn an einen Gelingensfaktor für effektive Lernprozesse dar, zugleich ist es »Ziel und Bedingung demokratischen Handelns« (Hövel & Resch, 2003, S. 222). Die Schulleitung verstand sich in diesem Kontext als »Motor« inklusiver und demokratischer Schul- und Unterrichtsentwicklung.

 

Die Zusammensetzung der Schülerschaft entspricht der sozialen Schichtung der Gemeinde. Sehr viele Schülerinnen und Schüler weisen einen Migrationshintergrund auf, viele leben in Armut bzw. sozial benachteiligten Familien. Hinzu kommen Lernende (8%), denen ein sonderpädagogischer Förderschwerpunkt amtlich attestiert wurde. Die Zuweisung sonderpädagogischen Förderbedarfs muss im Fall lernzieldifferenter Beschulung und zur Generierung entsprechender Ressourcen erfolgen, auch wenn das Kollegium das Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs (AO-SF) sehr kritisch betrachtet (Hövel, 2016), da es u.a. an das Ressourcen- Etikettierungs-Dilemma gekoppelt ist (Füssel & Kretschmann, 1993) und Stigmata im Sinne einer Zwei-Gruppen-Theorie evozieren kann (Katzenbach, 2015; Hinz, 2013).

 

Die intra- und interprofessionelle Kooperation des Kollegiums, das sich als »professionelle Lerngemeinschaft « (Rolff, 2013) versteht, stellt einen wesentlichen Bestandteil des Schulkonzeptes dar. Beispielsweise initiiert die Schulleitung den gemeinsamen Austausch innerhalb des multiprofessionellen Schulteams durch die monatlich anberaumte Kinderkonferenz. Im Kontext dieser kooperativen Beratung der Lehrkräfte werden die Lern- und psychosozialen (Lebens-)Lagen aller Lernenden gemäß einer Kind-Umfeld-Analyse auf Basis einer Stärken- und Ressourcenorientierung fokussiert.

 

Weiterhin werden adaptive Lernarrangements sowie Unterstützungsbedingungen aller Lernenden ausgehandelt, um ihnen eine adäquate Partizipation (vgl. Schwab, 2016; Huber & Tulowitzki, 2015) zu ermöglichen (Hövel, 2016). Die professionelle Kooperation aller Kollegiumsmitglieder wird an dieser Schule als relevanter Faktor für das Gelingen inklusiven (Grundschul-)Unterrichts herausgestellt und auf einem hohen Niveau umgesetzt, was auch in inklusiven Schulen bislang noch keineswegs überall der Fall ist (Bertelsmann, 2016; Serke, Urban & Lütje-Klose, 2014).

 

2. Inklusives Lernen im Rahmen demokratischer Strukturen

 

Entsprechend der konstruktivistischen Lerntheorie und Didaktik (Reich, 2014, S. 48ff.) verstehen sich die Lehrkräfte des Kollegiums als Lernvorbilder, -berater und -begleiter (Grundschule Harmonie, 2016). Herausfordernde Lerninhalte können von den »Lernanstifter(n)« (ebd.) nicht aufoktroyiert werden, sie können die Lernenden als soziale Konstrukteure ihrer Wirklichkeit lediglich anregen (Werning & Lütje-Klose, 2012, S. 78ff.).

 

Die Lehrkräfte stehen deshalb vor der Lernaufgabe, ihre Schülerinnen und Schüler alleine lernen zu lassen, ohne sie allein zu lassen – gemäß Montessoris Credo »Hilf mir, es selbst zu tun« (zit. n. Werning & Lütje-Klose, 2012, S. 102). Die individuellen Lernvoraussetzungen, -stände und -prozesse aller Lernenden werden bewusst als Normalfall und Bereicherung wahrgenommen. In Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern selbst werden in kontinuierlichen Lern- und Entwicklungsgesprächen die heterogenen »Zonen der nächsten Entwicklung« (Wygotski, zit. n. Werning & Lütje-Klose, 2012, S. 132) verhandelt.

 

 Auf Grundlage einer individuellen Bezugsnormorientierung (Prengel, 2016) bieten die Lehrkräfte ihren Lernenden die Chance, demokratisch mitzubestimmen, »was, wann, wie und mit wem (…)« sie lernen (Grundschule Harmonie, 2016). Durch die Initiierung individueller, lebensbedeutsamer Themen unter Berücksichtigung verschiedener Lernniveaus (u.a. ikonisch) sowie unterschiedlicher didaktisch-methodischer Zugänge – z.B. individuelle Lernpläne als »Angebot zur Strukturierung« (Hövel & Resch, 2003, S. 225) – erfahren die Lernenden, dass sie selbst für ihren individuellen Lernprozess verantwortlich und zuständig sind. Die adaptiven Lernangebote bieten den Schülerinnen und Schülern zudem positive Selbsterfahrungen und können das schulische Wohlbefinden und Selbstkonzept besonders positiv beeinflussen (Hascher, Hagenauer & Schaffer, 2011).

 

Diese vom Kollegium präferierte organisatorische, methodische, inhaltliche und soziale Öffnung des Unterrichts (Peschel, 2002) stellt letztlich das Fundamentum inklusiven, selbstbestimmten und demokratischen Lernens dar. Des Weiteren ist es für die Lehrkräfte bedeutsam, dass die Lernenden permanent ein lernprozessorientiertes Feedback (Buhren, 2015) erhalten; dies wird verbunden mit einer kontinuierlichen Meta-Reflexion der Schülerinnen und Schüler (Hattie, 2012), bspw. anhand von Selbsteinschätzungsbögen (Hövel, 2016).

 

Neben der initiierten Selbst-Diff erenzierung bzw. Individualisierung als zentralem Prinzip und Indikator guten (inklusiven) Unterrichts (Lütje-Klose, Kurnitzki & Serke, 2015; Lütje-Klose & Miller, 2015) erweist sich für die Lehrkräft e der Grundschule Harmonie insbesondere die Herstellung von Gemeinsamkeit und sozialer Partizipation als konstitutiv (Hövel, 2016), um eine Balance zwischen individuellen und gemeinsamen Lernsituationen (Werning & Lütje-Klose, 2012, S. 166ff.) zu erzeugen. Es gibt kein Lernen ohne Gemeinschaft und keine Gemeinschaft ohne die lernenden Individuen.

 

Die Diversität der Lerngruppen als Chance für gemeinsame, inklusive Lernprozesse wird durch den jahrgangsübergreifenden Unterricht bewusst maximiert, der im Hinblick auf seine Organisationsform an dieser Grundschule (Jahrgänge 1-4) eine Rarität im deutschen Bildungssystem darstellt (Götz & Krenig, 2014). Auf diese Weise ergibt sich ein anregungsreiches Entwicklungsmilieu für alle Lernenden. Die so entstehenden vielfältigen, kooperativen und hoch wirksamen Lernarrangements mit den immanenten Rollenwechseln – vom Geholfenem zum Helfenden bzw. Experten – führen nicht nur dazu, dass alle Schülerinnen und Schüler eine Kompetenzsteigerung erleben, sondern auch in ihrem Wohlbefi nden gefördert werden (Büttner, Decristan & Adl-Amini, 2015).

 

Um die Gemeinsamkeit sowie die soziale Inklusion bzw. Partizipation bewusst formell zu initiieren sowie zu steuern, wurden in der Grundschule Harmonie verschiedene demokratische Strukturen und Instrumente konzipiert, die fest im Schulleitbild bzw. -programm verankert sind (Hövel, 2016).

 

2.1 Der Klassenrat und weitere demokratische Organe

 

Im Klassenrat als »Herzstück« der demokratisch kooperierenden Lerngruppen verhandeln alle Lernenden gleichberechtigt unterschiedliche, für die Schülerinnen und Schüler bedeutsame Angelegenheiten. » Dieser Rat dient zur gruppen-, klassen- und schulbezogenen Entscheidungsfindung, Konfliktlösung und fördert basisdemokratische Entscheidungsprozesse « (Reich, 2014, S. 116). Hier ergreifen die Lernenden das Wort; ihre individuellen und gemeinsamen Konstruktionen stehen im Fokus. So fungieren ein oder zwei Lernende, darunter auch selbstverständlich Lernende mit einem (sonderpädagogischem) Förderbedarf, als Kreisleitende bzw. »PräsidentInnen« (Hövel & Resch, 2003, S. 222), welche den Rat empathisch moderieren. Die Lerngruppen erhalten lediglich bei Bedarf instruktionale Anleitungen durch die Lehrenden.

 

Die (Kommunikations-) Regeln werden nicht per se als solche expliziert bzw. notiert, sondern werden im Laufe der gemeinsam verbrachten Lernjahre von den Lernenden selbst aktiv durch (reflexive) Gesprächsanlässe verinnerlicht. Einerseits werden im Klassenrat etwaige Konflikte zwischen einzelnen Schülerinnen und Schülern immer vor dem Hintergrund der Organisation der individuellen und kooperativen Arbeit geklärt. Die Lernenden suchen – zum Teil mithilfe der Lehrkräfte – nach effektiven individuellen Konfliktlösestrategien, beispielsweise im Fall vorliegender Unterrichtsstörungen.

 

Auf der anderen Seite kommunizieren und bestimmen die Lernenden in den morgendlichen Tagesplanungskreisen ihre individuellen Themen, die ggf. »epochaltypische Schlüsselprobleme« (Klafki, 1993), Fragen und Aufgaben betreff en. Diese finden sie über Materialien oder Medien, meist durch eigene Wahrnehmung, Fragen und Forschung.

 

Darüber hinaus entscheiden sie sich für förderliche Lernmethoden und –strategien z.B. zur Planung, Realisierung, Dokumentation und Evaluation ihrer selbst gewählten Lerninhalte. Diese unterschiedlichen Lernmethoden werden zur Auswahl und Strukturierung der Lernwege in Form von Mindmaps und/oder Lernlandkarten fixiert. Es ist auch möglich, dass Kinder, Lehrkräfte, Eltern, Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter oder Gäste Angebote für einzelne, auch für kleinere, jahrgangs-, klassen- und schulübergreifende Gruppen, offerieren, die täglich von maximal zwei bis fünf Kindern pro Klasse angenommen werden.

 

Alle 14 Tage finden die Kinderuni und Fachateliers statt. Diese Lernangebote, welche von Erwachsenen, Fachleuten aus der Region oder von den Lernenden selbst initiiert werden, dauern ein bis drei Tage, zum Teil auch die ganze Woche. Hier suchen die Kinder sich aus, an welchen Vorlesungen, Seminaren oder Ateliers sie partizipieren möchten, oder ob sie weiter der eigenen Arbeit nachgehen wollen. Dadurch, dass die Lernenden ihre Lernprodukte bzw. ihren Lernprozess am Ende des Tages im Kreis präsentieren, erfahren sie inspirierende Anregungen, gegenseitige Beratungsprozesse sowie zugleich ein wirksames, lernprozessorientiertes, adaptives Feedback seitens der Lehrenden und der Mitlernenden. Dabei rekurrieren die Schülerinnen und Schüler auf eine individuelle Bezugsnormorientierung: Für die Lernenden stellt die Heterogenität ihrer Klasse Normalität dar, sie wertschätzen die Lernleistungen und suchen nach den Stärken jeder bzw. jedes Lernenden.

 

In projektorientierten Lernphasen, die ein ganzheitliches Lernen ermöglichen sowie zur Maximierung (sozialer) Teilhabe beitragen, werden auch Anfangs-, Mittel- und Schlussplena sowie Wochenplanungskreise – partiell durch die Lernenden selbst – einberufen. In der letzten Schulstunde der Woche erfolgt ein Wochenabschlusskreis: Hierbei reflektiert jede bzw. jeder Lernende u.a. darüber, welche Aspekte und Situationen der vergangenen Woche eine immense Bedeutsamkeit für das Individuum aufwiesen. Damit werden die heterogenen Wahrnehmungen und Lernprozesse der Lernenden hervorgehoben und wird »i.S. der Menschenrechte der Respekt vor der Einzigartigkeit« (Hövel & Resch, 2003, S. 226) nachhaltig gefördert.

 

Aus der Erfahrung heraus bilden die Lernenden im Verlauf ihrer Schulzeit weitere kleinere Kreise, wie

 

z.B. einen »Sorgenkreis«, ohne Partizipation von Lehrkräften, in denen beispielsweise darüber kommuniziert wird, wie sie Konflikte mit Erwachsenen bewältigen können.

 

Schließlich stellen der Klassenrat und die o.g. Gesprächskreise Orte dar, an denen das individuelle, selbstorganisierte und eigenverantwortliche Lernen gemeinsamer Gegenstand der Planung, Umsetzung und Auswertung wird und demokratische Lernprozesse und soziale Partizipation angeregt werden.

 

2.2 Schulversammlungen

 

An jedem Montag beginnt der Schultag an der Grundschule Harmonie mit einer ca. 30-minütigen sog. Montagsversammlung. Alle Lernenden, Lehrenden und Gäste partizipieren an dieser »Form direkter und gelebter Demokratie« (Hövel & Resch, 2003, S. 228). Nach einer Begrüßung durch die Schulleitung werden etwaige Geburtstagsglückwünsche für alle Schulmitglieder ausgesprochen, zum Beispiel in Form von Liedern.

 

Im Anschluss werden aktuelle und relevante Ereignisse mitgeteilt, u.a. findet hier die Bekanntgabe von Sitzungsterminen der Mitbestimmungsorgane, schulinterner Ausstellungen oder die Ankündigung von Hospitierenden statt. Auch Bitten oder kritische Aspekte werden in diesem Gremium transparent kommuniziert. So werden Beschlüsse des Kinderparlaments (s.u., Kap. 2.3) in die Schulversammlung, mit Urabstimmungen, Meinungsbefragungen, Statistiken und Gesprächen zurück in die Schulgemeinde oder zurück in die Klassenräte delegiert. Beispielhaft wurde beschlossen, welche Klassen jeweils die Verwaltung des Dachbodens oder des Musikraums übernehmen. Abschließend wird die Forschungsfrage der Woche gestellt bzw. die vorherige beantwortet, wie zum Beispiel die Frage nach der Höhe des Schulforums.

 

Alle zwei Wochen donnerstags findet eine 30- bis 60-minütige Schulversammlung statt, die von den Lernenden – in der Regel von einer Lerngruppe – kooperativ vorbereitet und geleitet wird. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden hierbei selbst, welche Lernprodukte (z.B. Theaterstücke, Projektvorstellungen, Texte) präsentiert werden sollen. Partiell wird auch eine schulbezogene Thematik kritisch erörtert. An den freien Donnerstagen wird teilweise zu »Sing-Ins« aller an der Schule Beteiligten eingeladen oder es werden Theaterstücke von externen Kooperationspartnerinnen und –partnern aufgeführt, z.B. gegen sexuellen Missbrauch.

 

2.3 Das Kinderparlament

 

Das Kinderparlament als »Modell repräsentativer Demokratie in der Schule« (Reich, 2014, S. 116), das bereits 1998 gegründet wurde, tagt einmal wöchentlich. Der Klassenrat und die Betreuung über Mittag wählen jeweils abzuordnende Vertreterinnen und Vertreter, d.h. eine Schülerin und einen Schüler. Darüber hinaus wählen die Lernenden direkt eine Lehrperson in das Parlament, die als »Kids-Manager« fungiert und die Lernenden für ein Schuljahr begleitet. Dort fassen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam Beschlüsse zu den für sie bedeutsamen Problemstellungen.

 

In der Phase der Kinderparlamentsgründung beabsichtigten die »Parlamentarier« lediglich, über Regularien beim Fußballspiel zu kommunizieren. Die Schule oder ihre individuellen Lernprozesse waren nicht das Thema der Kinder. Da das Kollegium die Themen zur Selbstdemokratisierung nicht vorgeben wollte, initiierte es mit der ganzen Schule eine Projektwoche zum Kern des schulinternen Demokratiebegriff s, zum Thema »Die Rechte der Kinder«.

 

Durch diese Initialzündung konnten alle Schülerinnen und Schüler die Ansprüche demokratischen Lebens verstehen. Es entwickelte sich das erforderliche Gefühl für sich selbst und die anderen in der Gemeinschaft sowie das Wissen um den eigenen Wert und den der Anderen; die Lernenden begannen damit, intensiver demokratisch zu denken und zu handeln.

 

Heutzutage werden – auf Grundlage einer Berichtsrunde, in der die Vertreterinnen und Vertreter u.a. die aktuellen Problematiken ihrer Klassen schildern – kollaborativ einzelne, sehr bedeutsame Schwerpunktthemen der jeweiligen Sitzung identifiziert.

 

Die Lernenden diskutieren die Sachverhalte demokratisch und erarbeiten selbstaktiv Handlungs-, Gestaltungs- und Lösungsstrategien; lediglich teilweise muss eine möglichst selbstläufige Kommunikation unter den Kindern durch die Kids-Managerin bzw. den Kids-Manager angeregt werden. Im Anschluss werden die Schulleitung und das Kollegium aufgefordert, die Beschwerden und Problemlösestrategien der Lernenden, die in einem Protokollbuch festgehalten werden, gemeinsam und gleichberechtigt mit ihnen zu verhandeln. Beispielsweise wurden per Beschluss die Pause und die Schulzeit verlängert. Das jahrgangsübergreifende Lernen und die weitere Selbstverständlichkeit der Inklusion wurden bestätigt. Die Kinderuni als fester Bestandteil des Schullebens war Eigeninitiative der Kinder und wurde kurz darauf von ihnen als Kinder-Kinderuni eingeführt; hierbei haben die Lernenden selbst für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler thematisch gebundene Workshops initiiert.

 

 Da den Beschlüssen des Kinderparlaments an der Grundschule Harmonie die gleiche Wertigkeit zukommt wie Beschlüssen der Lehrer/-innenkonferenz und Elternschulpflegschaft, wirkt sich die Realisierung der eigenen Beschlüsse besonders positiv auf die Lernenden aus. Das Kinderparlament als Vertretung der gesamten Schüler*innenschaft bringt so seinen eigenständigen Anteil in das Leben und Zusammenwirken an der Schule ein, und wichtige Entscheidungen gehen nicht an den Schülerinnen und Schülern vorüber.

 

Die individuelle Meinung und eigene Haltung führen in die Lernhandlung und in echte Lernprozesse; diese haben ihren Ursprung also nicht nur in individueller intrinsischer Motivation und im kooperativen Wollen der Klassengemeinschaft en, sondern entstehen auch aus dem Willen, Verantwortung für die demokratische Gemeinschaft zu übernehmen.

 

3. Fazit: Die Bedeutsamkeit von Demokratie in einer inklusiven Schule

 

Die in der Grundschule Harmonie institutionalisierten demokratischen Strukturen und Instrumente ermöglichen eine umfassende Partizipation an demokratischen Prozessen für alle Lernenden. Dazu gehören das unterrichtsimmanente bzw. –externe adaptive und demokratische Lernen (z.B. individuelle Themenarbeit, Angebote der Kinder-Uni), die Förderung von Gemeinsamkeit durch verschiedene kooperative (Lern-)Arrangements sowie die oben erwähnte Gremienarbeit inklusive der ständigen, eigenverantwortlichen Neubearbeitung gruppeninterner (Diskussions-)Regularien und selbstbestimmten Bewusstmachung vielfältiger Denk-, Lern- und Umwege, ihrer Erfolge und ihrer Wirkungen. Des Weiteren stellt die Offenlegung von Machtverhältnissen in der eigenen Gruppe und der Umwelt eine fundamentale Säule demokratischen Lernens dar.

 

So erleben die Schülerinnen und Schüler demokratisches Denken und Handeln als authentisch und effektiv. Sie lernen, sich auf Basis argumentativer Aushandlungsprozesse mit Meinungsverschiedenheiten auseinanderzusetzen, ihre Stimme zu erheben, sich zu positionieren und Lösestrategien kooperativ zu erarbeiten, wobei die Sichtweisen und Individualität aller Lernenden gegenseitig anerkannt und wertgeschätzt werden.

 

Damit werden nicht nur emotional-soziale Kompetenzen wie zum Beispiel Diversitätsbewusstsein und Empathie sowie die Selbst- und Mitbestimmung gefördert, auch das Selbstvertrauen und die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit können sich erhöhen.

 

Darüber hinaus ist es möglich, dass sich die wahrgenommene Partizipation günstig auf das Wohlbefinden (Bacher et al., 2007) sowie die Motivation der Lernenden auswirkt und so auch die Verantwortungsübernahme für eigene Lernprozesse positiv beeinflusst werden kann.

 

4. Ausblick

 

Das Beispiel der Grundschule Harmonie zeigt, wie eng ein inklusives Leitbild und eine demokratische Orientierung miteinander verbunden sein können. Ausgehend von den im Index für Inklusion formulierten Dimensionen inklusiver und demokratischer Kulturen, Strukturen und Praktiken (Boban & Hinz, 2003) ist es von besonderer Bedeutung, im Rahmen inklusiver Schulentwicklung demokratische Strukturen und Prozesse gezielt zu berücksichtigen und auszubauen, um eine umfassende Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten. Dies ist insbesondere angesichts empirischer Befunde zu betonen, die partiell auf eine geringe Mitwirkung der Lernenden in Grundschulen verweisen (z.B. Bacher et al., 2007; Huber & Tulowitzki, 2015). Den (Grund-) Schulleitenden kommt dabei – wie neben den Erfahrungen der Grundschule Harmonie auch weitere Untersuchungen zeigen – eine zentrale Rolle zu (Lütje-Klose, Serke & Hunger, 2016 i.E.).

 

Eine inklusive Schule ist (…) eine demokratische und chancengerechte Schule, weil die Teilhabe, die Partizipation eine Leitidee ist, wenn inklusiv gehandelt wird.

 

Mit dieser Orientierung steht und fällt der inklusive Anspruch, der ein Leben in Diversität unter demokratischen Bedingungen nicht nur wünschenswert, sondern auch für realistisch umsetzbar hält und in allen unternommenen Formen der Umsetzung zu einer Realisierung beiträgt (Reich, 2014, S. 104).

 

 

 

Literatur

 

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