Walter Hövel
„Aufstieg der Lerchen“ aus Derbyshire
10 Jahre des Austauschs von Larkrise- und Harmoniekindern
2004 fuhren die Leiterin der Grundschule Eitorf und ich als Leiter der Grundschule Harmonie nach England, um eine doppelte Schulpartnerschaft aufzubauen. 2006 war es soweit. Es kam zum Austausch.
Sie sollte, was die Grundschule Harmonie angeht, noch zwei Jahre über mein Ausscheiden 2014 hinaus andauern. Sie kam auf immerhin 10 Jahre. Es wurde viel darüber geschrieben und noch viel mehr gemacht.
Doch zunächst einmal mein Kurzbericht des ersten Austauschs mit der Larkrise School, wie er damals auf der Homepage der Schule erschien:
„36 Kinder der Grundschule Harmonie in Eitorf, 5 Lehrer und zwei Väter waren drei Tage von Montag, den 4. bis Mittwoch, den 6.Juni 2006 in England.
Sie besuchten ihre Partnerschule ‚Larkrise School‘ in Dunstable, nordöstlich von London mit Flugzeug und Bus. 14 Tage vorher waren genauso viele englische Kinder bereits zu Gast an der Grundschule Harmonie.
Es wurde in der Schule in Klassenräumen übernachtet und die Kinder nahmen am ganz normalen Unterricht der Gastschule teil.
Es war eine Riesenfreude zu beobachten wie 8 bis 10jährige Kinder zweier Sprachen drei englische Schultage von morgens bis abends miteinander lernten, spielten und in der abendlichen Disco tanzten.
In drei Tagen wurde mehr Sprache gelernt als in vielen, vielen Stunden Unterricht, mehr über andere Menschen, Sitten und deren Kultur verstanden als jeder Lehrfilm oder Vortrag vermitteln könnte.
Diese Kinder werden von nun an wissen, warum das Lernen einer anderen Sprache Spaß machen kann, warum es sich lohnt zuzuhören, sich zu mühen, um etwas zu können, was Sinn macht.
Der Kontakt der Schulen wird von nun an fester Bestandteil des täglichen Lernens sein. Es gibt Brieffreunde, E-Mail-Partner und Konferenzschaltungen per Webcam, Headset und Computer. Im nächsten Jahr werden die nächsten Drittklässler beider Schulen wieder hier und dort zusammenkommen. Innerhalb der nächsten drei Jahre werden alle Lehrer beider Schulen die jeweils andere Schule als Gast und (!) Lehrer erlebt haben.
So macht Lernen und Schule Freude, auch den Müttern und Väter, die schon froh waren, am Flughafen ihre Kinder wieder in die Arme nehmen zu können.“
Rückblick I
Die gegenseitigen Besuche dauerten 10 Jahre an. In der Tat war es an einer Europaschule keine Angelegenheit von England-Spezialisten, sondern alle Lehrer*innen,
Lehramtsanwärter und viele Ganztagsmitarbeiterinnen, Studies und Eltern fuhren und erfuhren mit. Insgesamt nahmen über 600 Kinder aus beiden Ländern an dem Austausch teil. Für ganz Eitorf waren
es weit über 1000 Kinder, da auch die Grundschule Brückenstraße erfolgreich „durchhielt“.
Über 600 englische Menschen werden immer erzählen, dass sie schon mal in Eitorf in Germany waren ‚and i have a friend there‘. Über 600 deutsche Menschen werden immer erzählen, dass sie schon mal in England waren und in Dunstable eine Freundin oder einen Freund haben, dass sie dort anfingen Englisch zu reden.
Bei uns organisierten immer Christine Schaumann und Marc Bohlen, an der anderen Schule Angela Conrads die heiß begehrten Fahrten. Es war bei uns nie ein Problem genügend Kinder für diese Fahrt zu finden. Wir bezahlten unauffällig manch einen Flug und Aufenthalt aus den Kassen des Fördervereins.
Ein weiterer eigener Rückblick
Ab meinem 11.Lebensjahr fuhr ich nach England. Ich fand meine Familie, träumte und schrieb in der Sprache und lernte englisches Denken und
Fühlen. Hier machte ich ein Praktikum an einer englischen Gesamtschule, kooperierte mit der Uni Liverpool und lernte Kricket spielen.
Ich war immer Internationalist, hier, in Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland, der Türkei, Russland, Kroatien, Österreich, Ungarn, der Schweiz, Spanien, Rumänien, Polen, Lettland, den Niederlanden…. Ich war mehr Europäer als Deutscher, mehr Rheinländer als Eitorfer. Ich sah viele amerikanische Länder, Japan oder Australien, alle Kontinente.
Ich lernte von den Freinets, von Paul le Bohec aus der Bretagne, von Summerhill, der Open Education, den Reggio-Pädagogen Italiens, der türkischen Dorfpädagogik, dem deutschen Bauhaus und den Lernwerkstätten, den österreichischen Psychologen, den Wilds in Ecuador. Ich studierte Herrn Dewey in den USA, die kanadische Inklusion, die skandinavische Schule und ihrer Lehrer*innen-Ausbildung oder den australischen Konstruktivismus. Ich bewunderte Korczak aus Polen, Reichen oder Stemmle aus der Schweiz, die Eis-Schoul in Luxemburg, die Praxis der Niederländer und Belgier. Ich war Gast der Unis in Kroatien, der baltischen Erziehung, las viel Literatur der russischen Lerntheoretiker, traf auf Lehrkräfte und Schulen in Slowenien oder Irland … Ich nahm von jeder Reise und jedem Besuch bei uns etwas mit.
Rückblick II
Schule war für mich immer nicht nur eine europäische Angelegenheit. Austausch war nicht Sache des Fremdsprachenunterrichts. Internationale Kontakte waren weit entfernt
von einer Werbemaßnahme für eine attraktive Schule.
Wir tauschten Kinder mit der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Belgien und England aus. Wir hatten Studierende und Auszubildende Lehrer*innen aus dem Vereinigten Königreich, aus Österreich, der Schweiz, Lettland oder Kroatien für viele Wochen zu Gast. Wir hatten Korrespondenzen mit Österreichischen, Belgischen, Schweizer, Italienischen, Kanadischen und Niederländischen Klassen. Wir hatten Comeniusprojekte mit elf Schulen aus 8 Ländern. Bei uns waren Besucher aus über 50 Ländern der Welt.
Lernen war für mich - und andere Erwachsene und die Kinder übernahmen dieses Denken - immer mit allen Menschen auf der Welt zu denken. Es war der gelebte Traum des gemeinsamen Lernens.
Daher waren das Comeniusprojekt mit den Österreichern (vorher bereits Partner), den Finnen, den Engländern (unsere Partnerschulen in Derbyshire) und der Nachbarschule für mich das größte. Wir nahmen den bereits vorhandenen Schüleraustausch zur Grundlage, unsere elektronischen Erfahrungen auch mit den Kärntnern und erweiterten um den professionellen und pädagogischen Austausch unserer Lehrer*innen. Auf „Leadershiptreffen“ betrieben unsere fünf Schulleitungen auf regelmäßigen Treffen eine wahrhaft europäische Zusammenarbeit.
Über Jahre tauschten wir nicht nur das Lernen (Kinder) und Lehren (Lehrer) aus, sondern auch die Frage, wie wir das initiierten und dachten (Schulentwicklung). Es war großartig von den Schulen in Klagenfurt, Hämeenlinna, Eitorf und Dunstable zu lernen.
Rückblick III
Unsere englische Schulleiterin besuchte mit ihrem Ehemann uns privat in unserem Haus. Wie begeistert sie war, eine „rheinische Nacht“ auf dem Eitorfer Marktplatz zu
erleben. Nie vergesse ich ihre Worte „Bei euch singen und reden ja Jung und Alt auf den gleichen Fest miteinander! Bei uns saufen alle gegeneinander!“
Und Marcus, ein englischer Kollege aus Larkrise kam jährlich mit „seinen“ Kindern ins Forum unserer Schule und sagte als erstes „Back home again“.
Er unterrichtete ein anderes Mal außerhalb eines Besuchs ein paar Tage in einer unserer Klasse, bei den Kichererbsen. Das sah so aus, dass er mit in den Kreis ging, wo die Kinder ihr Lernen planten, um es den Rest des Tages umzusetzen. In der gleichen Zeit war unsere Christine Schaumann zum frontal Unterrichteten in seiner „Yellow Class“, Stunde für Stunde.
Wir machten gemeinsam Lehrer*innenkonferenzen, hospitierten uns auch außerhalb unsere Austauschtreffen und führten Hunderte von Gesprächen.
Unsere Kinder kannten ihre englischen Freunde, wenn sie kamen, schon über das Internet. Sie hatten bereits miteinander geschrieben, in gemeinsamen Chorproben „online“ gesungen und miteinander gesprochen. Das war bei uns ein Teil des Englischunterrichts.
„Unsere Engländer führten „Deutschunterricht“ ein und lernten in „Science“, dass Kinder an eigenen Themen arbeiteten.
Unsere setzten eine Kinderuni zum Thema „Erziehung“ durch, „weil die englischen Kinder so gut erzogen waren“. Auch lernten sie „zwischendurch“ ihre eigenen Lernveränderungen zu evaluieren. Und natürlich profitierten wir am meisten vom Englischlernen. Wie viele unserer Kinder – und unserer Lehrkräfte lernten Englisch!
Ausblick
Als ich die Schule verließ, war da weder die Gemeinde noch das Schulamt Willens oder in der Lage den Austausch mit England, mit Europa, noch diese Pädagogik, noch dieses hohe
Niveau fortzusetzen? Oder hatte ich verquere Erwartungen.
Wurde da nicht nach 20 Jahren nachgeholt, was vorher nicht durchsetzbar war. Mehrheiten, nie die vielen einzelnen Menschen, die ihre Kinder dieser Schule anvertrauten, wollten die Nichtzulassung dieser Schule. Dieses Kinder- und Menschenbild war einer politischen und Verwaltungsmehrheit Mehrheit zu suspekt. Wie sagte der Fraktionschef einer großen Volkspartei: „Solche linken Experimente wie in Harmonie soll es nie mehr in Eitorf geben.“
Genährt wurde ihre Antisympathie durch die ständige Bekämpfung von Armut und Unbildung, durch das Vorantreiben von Demokratie und Mündigkeit.
Innerhalb kürzester Zeit verließen mehrere (zählbar sind zehn im wahrsten Sinn des Wortes mehrfach) ausgezeichnete Pädagog*innen die Schule, wurden (zwangs)versetzt, hinausgeekelt oder eine sogar rausgeschmissen. Nur eine Kollegin blieb.
Heute arbeiten vor allem ehemalige Eltern an der Gründung einer neuen, freien Schule. Hierbei finden sie im Gegensatz zu anderen Gemeinden vor Ort weiterhin keine Sympathien oder Unterstützung. Hier wird nichts von den politisch Verantwortlichen verändert. Der Ort wird von der Zeit verändert!
Es ist eben nicht erzwingbar einen Weg der gepflegten Freundschaften und gelungenen Entwicklung zu mehr Menschenrechten und einer passenden Pädagogik zu gehen. Die Gemeinde Eitorf jedenfalls wollte diesen Weg der Grundschule Harmonie nicht fortsetzen. Ein Brexit wurde nicht nur in England gemacht.
Aber das Lernen einer demokratischen Haltung ist nie mehr aus europäischen Schulen wegzudenken!