Walter Hövel
Kinderparlament

 

 

 

Um ihres Fortbestandes willen müssen freie Gesellschaften die nachfolgenden Generationen mit immer größerem Aufwand zur Freiheit erziehen. Freiheit gibt es nicht ohne Verantwortung, und Verantwortung nicht ohne Autonomie oder Selbstbestimmung.“
Celestin Freinet

 

 

 

Förderung und Forderung jedes einzelnen Kindes braucht Verantwortungs-übernahme. Die selbstbestimmung jedes einzelnen Kindes seines Lebens und Lernens und für die Gemeinschaft. Kinder müssen selbstbestimmt sein. Kinder wissen so viel wie Erwachsene. Sie können abstimmen, oft besser als ihre Altvorderen.

 

 

 

Die Verantwortungsübernahme über sich selbst und sein Lernen wird im Kinderparlament gefördert, indem sich einmal die Woche jeweils zwei Delegierte jeder Klasse gemeinsam mit den ebenfalls von allen Kindern gewählten Kidsmanagern über Belange des Schullebens austauschen. Sie suchen nach Veränderungen und Verbesserungen ihres Zusammenlebens und Lernens. Dort werden verbindliche Regeln der Schule und ihres Lernens selbst gemacht, und nicht die von Erwachsenen bestätigt.

 

 

 

Es geht nicht darum, Rechte an die Kinder abzugeben. Viele Schulen tun dies, indem sie „auf Demokratie vorbereiten“. Sie brüsten sich mit einer Demokratie, die an ihrer Schule praktiziert wird, indem sie Kinder immerhin über Schulbauten, Einrichtungen, Klassenfahrten oder Konflikte unter Kindern entscheiden lassen. Einige reden sogar über ihre Stunden und das Lernen. Dies tun sie dann im schulischen Kinderparlament als manchmal auch in ihren Klassenräten. Das eigene Lernen aber steht konsequenterweise in Klassenrat und Kinderparlament im Mittelpunkt.

 

 

 

Wie sagte eine Konrektorin einer anderen Grundschule einmal auf die Frage von Studentinnen, wie sie damit umgehe, wenn Kinder etwas anderes wollen als sie: „Meine Kinder entscheiden was ich will. Ich kann mich auf sie verlassen“. Das ist keine Demokratie.

 

 

 

Verantworten heißt Probleme mit Lust lösen!

 

 

 

An der Grundschule Harmonie entschieden die Kinder des Kinderparlaments alles. Ihre Beschlüsse konnten andere oder verschieden sein von Beschlüssen der Eltern, Lehrer*innen oder der Schule. Sie galten.

 

 

 

Verschiedene Beschlüsse gab es nicht, so dass ich nicht darüber berichten kann. Schade, sie hätten ausgehandelt werden müssen. Vielleicht sind Kinder zu clever, oder gar angepasst, um sich mit er Umwelt anzulegen. Vielleicht hätten sie mehr Jahre gebraucht, um „Gegner“ von Schule zu werden. Sie tendierten dazu, ihre „Insel“ zu erhalten.

 

 

 

Vielleicht muss die Veränderung von Schule im größeren Maße, flächendeckender stattfinden. Vielleicht bedarf sie mehrerer Anläufe, bevor eine andere Richtung eingeschlagen wird.

 

 

 

Nur die Vorgaben des Ministeriums stehen über allen Beschlüssen. Da ist Bildung feudal und autoritär wie ehemals. Allerdings erlauben einge Ministerien das von Kindern bestimmte Lernen. Selbst „das Fehlen“ der Sinti, welches in der Schulzeit vorkam, ließ das NRW-Ministerium zu. In Coronazeiten darf Schule und ihr „Stoff“ sogar ausfallen.

 

 

 

Am eigenen Alltag lernen

 

 

 

Zu Beginn der Sitzung des Kinderparlaments berichten die Delegiert*innen aus ihren Klassen und der Schule. Hier kann von Ereignissen, Aktionen, Problemen oder Erfolgen erzählt werden. Hieraus ergeben sich des öfteren Themen, die vom Kinderparlament besprochen werden.

 

 

 

Das heißt, es werden Ideen ausgetauscht, gesammelt, gegeneinander abgewägt, verglichen, ausgeweitet. Es wird über Ideen geredet und über ihre Umsetzung abgestimmt1, Assoziationen und Bezüge werden erstellt. Es können Anträge über die Veränderung von Regeln und Abläufen gestellt werden, die den Schulalltag betreffen und in der Klasse nicht lösbare Probleme einzelner Kinder.

 

 

 

Eigene Beschlüsse als bindend empfinden

 

 

 

Dies geschieht nicht in einer Mehrheitsdemokratie. Beschlüsse müssen so sein, dass alle Verhalten möglich sind. Minderheiten werden nicht „demokratisch“ beherrscht. Demokratie ist eine Haltung, keine Spielregel.

 

 

 

Bei der Behandlung von Themen wird Bestehendes überdacht, auch ausgefallene Situationen und Ideen provoziert und berücksichtigt, um das Spektrum der Möglichkeiten, wie Probleme angegangen werden können, zu erweitern. Bei der Thematisierung von Problemen wird immer wieder Bestehendes und bereits Geschafftes überprüft, in Frage gestellt.

 

 

 

Eine Entscheidung von einst, vielleicht gestern, erscheint heute nicht mehr als die Akzeptabelste. Die Kinder lernen, dass sich Lösungen zu ähnlichen Problemen doch immer unterscheiden: Von Fall zu Fall. Von Mensch zu Mensch. Somit gibt es stets etwas zum Aushandeln, das ist das Kernstück des Kinderparlaments: aushandeln, resümieren, analysieren, auswerten von Beobachtetem, verändern und überarbeiten von Ideen, die in der Praxis nicht, oder nicht den Ansprüchen entsprechend, funktioniert haben.

 

 

 

Entscheiden lernen – Entscheidungen evaluieren  

 

 

 

Es findet somit keine Inszenierung von Demokratie und Leben statt, sondern ein Erleben von eigenen demokratischen Verhaltensweisen und Aushandlungs-prozessen.

 

 

 

Kinder aller Jahrgangstufen übernehmen soziale Verantwortung, wenn darüber gesprochen wird, wie man mit einzelnen Kindern umgehen kann, damit es allen Kindern im Zusammenleben gut geht. „Unmögliche“ Fälle gibt es nicht. „Schwierige“ ja. Es gibt im Kinderparlament Herausforderungen, die die Kinder mit sehr viel Empathiefähigkeit annehmen.

 

 

 

Die Kinder entwickeln hier ihre Kommunikations- und Argumentationsfähigkeit und die Fähigkeit der Perspektiven-Übernahme und tragen diese Fähigkeiten wiederum als Multiplikatoren zurück in ihre Klassen.

 

 

 

Etwas wollen und es formulieren können und tun

 

 

 

Sie lernen auf einer Meinung sinnvoll zu beharren oder von ihr begründet Abstand zunehmen. Sie lernen Aushandlungen durchzuhalten und Komplexe und schwierigen Prozessen standzuhalten.

 

 

 

Wenn die Beschlüsse des Kinderparlaments und der anderen Mitglieder der Schule als gleich wichtig und wertig angesehen werden, soll es die Kinder in ihrer Würde zu Menschen erklären. Die Kinder beteiligen sich maßgeblich an Veränderungen im Schulleben und erfahren, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst und wichtig genommen werden. Das bestärkt die Bereitschaft etwas verändern zu wollen, sich als „mündiger Bürger“ mit Rechten zu sehen.

 

 

 

Mündig werden – wachsen – Learning by doing

 

 

 

In der Gemeinde Eitorf gab es ein „Kinder- und Jugendparlament“. Dies hatte manche Frau und mancher Mann sich als Nachfolgereservoir für Politiker*innen bar jeder eigener Erfahrung vorgestellt. Aber es ging schief. Es wurde wegen mangelnden Interesses wieder aufgelöst Es hatte sich selbst überlebt. Der FDP-Bürgermeister der Gemeinde wollte es so, oder dachte so.

 

 

 

Das Alter der Mitgliedschaft wurde auf den Eintritt in die „weiterführende“ Sek-I-Schule festgelegt. Die Grundschulen mit Kinderparlamenten protestierten vergeblch. Der Tod dieser Demokratie trat ein mit der Initierung von Demokratie, in einer nichtverstandenen Übernahme von Ideen von teilweise durchaus es gut meinenden Mitgliedern des Rats.

 

 

 

Die Demokratiefähigkeit der Kinder wird durch eigene Erfahrungen im Kinderparlament gefordert. Nur Menschen, die Demokratie im eigenen Wort und eigenem Handeln begriffen haben, selbst erleben, können die Demokratie lebensfähig machen, können sie wirklich fördern, nicht für eine Zukunft, sondern für das Jetzt.

 

 

 

 
Demokratie ist nicht als Fach oder abstrakt lernbar.

 

Sie sollte spürbar für jede*n Lerner*in selbst gültig gelten.

 

 

1Auf verschiedensten Wegen, abhängig von der Sache