Es gibt keinen Plan, der für jede Klasse funktioniert… wenn alle gelernt haben zu lernen, sind Pläne überflüssig, 1991[1]
Der Klassenrat 2019
von Walter Hövel
Erst in den letzten beiden Jahrzehnten, nach dem Jahr 2000 ist mir richtig klar geworden, was eigentlich ein Klassenrat bedeuten kann.
Früher habe ich geglaubt die Tatsache, dass das Lehrpersonal und die Kinder oder Jugendlichen einer Lerngruppe (in Schulklasse, Kita oder bei einem Uniseminar) in einem gemeinsamen Kreis saßen, wäre schon der ultimative Ausdruck dessen, was an Veränderung sein sollte.
Und in der Tat erfüllten Freinetpädagog*innen und sehr viele andere Erzieher*innen und Lehrer*innen in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts eine historische Leistung. Zum ersten Mal in der neueren Bildung, nach der Einrichtung staatlicher Schulen, setzten sich die Lernenden und Lehrenden in einen Kreis. Zum ersten Mal redeten sie überhaupt über das, was da in der Schule oder in der Kita passierte.
„Ein Kreis ist das Demokratischste, was es gibt. Alle sitzen in der ersten Reihe“, sagte Jahre später ein Vater in Graz.
Ich lernte „den Klassenrat“ gegen 1980 von Rolf Wagner, einem Grundschullehrer in Köln und später in Essen und der Kölner Lehrer*in Ute Geuss. Heute, wie damals, kommen Studierende in der Praxis der Schulen „mit dem Klassenrat in Kontakt“[2]. Aber heute geschieht dies viel häufiger.
Wichtig war es in der Entstehungszeit der Klassenräte, dass der oder die Erwachsenen genauso eine Stimme bei der Abstimmung hatten wie jedes Kind oder jeder Jugendlicher. Es galt das Motto der amerikanischen Demokratie „One man – one vote“.
Wir erwarben einfache Regeln wie „nur eine/r spricht“ oder „immer zum Thema zu reden“. Wir lernten selbst bestimmen, sogar kindlichen Leitungen zu folgen. Wir äußerten die eigene Befindlichkeit, verhinderten Mobbing und fanden neue Lösungen für alte Probleme.
Wichtig war die Wandzeitung mit „Ich lobe“, „Ich kritisiere“ und „Ich beantrage“. Sie gab uns eine Struktur. Wir verglichen regelmäßig per Protokoll unsere Beschlüsse mit unserem eigenen Procedere.
Bei einigen fand der Klassenrat zu Beginn und am Ende der Woche, bei anderen täglich statt. Es gab Klassen, wo ein Klassenrat auf Antrag jeder Zeit geschehen konnte.
Wir lernten nicht über einen anwesenden Menschen zu sprechen, sondern mit ihm. Wir lernten zu sagen, was wir wollten, was wir von anderen wollten.
Zu Anfang mussten Lehrkräfte lernen, immer wieder selber Themen in den Klassenrat zu bringen. Viele mussten lernen, genau das nicht zu tun, sondern zu schweigen, bis etwas geschah. Lehrkräfte, die „das Wort gaben“, lernten Kindern, sich selbst und demokratischen Prozessen zu trauen. Wir lernten selbst aufmerksam und demokratisch zu werden.
Wir lernten Kindern zuzutrauen, dass sie lösbare Probleme selbst lösten. Lehrkräfte mussten lernen, nicht die Regelung von Konflikten und Problemen „als Sheriff“ wieder zu übernehmen, sondern sie den Beschlüssen des Klassenrats zu überlassen. Sie mussten lernen sich nicht mehr verantwortlich für Unruhe zu sehen. Ihr Job war im Klassenrat mit den anderen die Ursachen zu finden. Nicht laisser-faire war die Antwort, sondern ein Klassenrat als Zentrale des Zusammenlebens. Lehrer*innen lernten ihre Lehrermacht abzugeben.
Einige fanden dann heraus, dass sie eine solche Verschiebung der Macht nicht wollten – und viel häufiger – nicht konnten. Sie hatten nie gelernt in Demokratie zu leben und zu lernen. Sie fühlten sich überfordert und schoben dies gerne „auf die neuen Methoden“. Veränderungen brauchten starke Menschen und demokratische Pädagog*innen.
Wir experimentierten mit einer/m Zeitnehmer*in, der wechselnden Leitung, der Protokollant*in, dem „Joker“ und anderen Ideen, die uns kamen. Es gab Klassenräte ohne Lehrer*innen. Wir entwickelten Teilversammlungen etwa für Mädchen, Busfahrende oder Klobenutzer. Wir entwickelten Vollversammlungen der ganzen Schule. Wir vereinigten alle Klassenräte in einem „Kinderparlament“ oder bauten diese wie einen Klassenrat auf.
Wir kapierten, dass der Klassenrat viel mehr war als eine Klassensprecher*innenrunde, eine SV-Stunde oder eine Orientierungsstunde, die in der Regel von Klassenlehrer*innen geleitet wurde. Der Klassenrat wurde „zur Mitte“, „zum Kopf“ oder „zum Herzen“ der Klasse.
Der Klassenrat wurde um 1990 zum Sprachorgan eines eigenen Kinderrechtsystems. Aus der UNO-Formulierung der Rechte aller Menschen wurde die Formulierung von Kinderrechten. Und diese waren identisch mit den Menschenrechten. Später folgte die Unterschrift der Bundesrepublik unter den internationalen Inklusionsvertrag.
Wir lernten Berichte und Zwischenberichte zu geben. Wir lernten eigene Probleme zu lösen und „Fehler“ als „Lerntriebkraft“ zu verstehen. Wir lernten uns zu helfen, nicht aufzugeben, unsere Arbeit zu präsentieren, Expert*innen zu holen und außerhalb der Schule zu lernen.
Wir entwickelten ein Gefühl der individuellen Zufriedenheit, des gemeinsamen Erfolgs, der eigenen Leistung und des privaten Glücks. Wir erkannten den Unterschied der Störungen durch uns selbst und der Probleme, die von außen kamen. Wir lernten uns selbst zu finanzieren, eigene Regeln aufzustellen und sie einzuhalten. Wir fanden Perspektiven und Sinn unseres zunehmenden selbstbestimmten Lernens und Arbeitens.
Aber wir lernten Eigenverantwortung, Sorgfalt, Ästhetik, Gelassenheit. Wir lernten nicht mehr „nach vorgeschriebener Schrift“ zu kopieren, sondern mit unseren eigenen freien Texten zu lernen. Wir lernten viel über demokratische Lernformen und ein demokratisches Miteinander. Wir lernten uns zu organisieren, unsere Interessen zu vertreten und uns selbst zu bestimmen. Schüler*innen und Lehrer*innen entwickelten ein Wirgefühl. Wir lernten sehr viel über die Gruppe und unsere Rechte.
Wir lernten viel über das Abstimmen. Um Minderheiten nicht zu überstimmen, gab es keine Enthaltung mehr, Lösungen für jeden und Konsensbeschlüsse im Sinne eines Maximalkonsenses. Wir lernten individuell transparent machend die eigenen Aktivität auf der Grundlage permanenter gemeinsamer Gespräche mit einander und anderen anzukündigen. Wir lernten das Nebeneinander verschiedener Meinungen und Aktionen oder kluge integrierte Lösungen des Akzeptierens von Verschiedenheit auf der Grundlage der Menschenrechte zuzulassen. Entscheidend wurde, dass der Klassenrat so arbeitet, dass individuelle Bedürfnisse und die Kooperation aller nicht zum Gegensatz zu einander standen.
Mich begleitete der Klassenrat in fast meiner gesamten Hauptschulzeit bis 1990. Ich erlebte ihn an der Gesamtschule und vielen Seminaren der Hochschulen seit 1990 bis heute im Jahr 2019. Ich erlebte ihn in meinen sechs Klassen an vier Grundschulen. Ich erlebte von 1996 bis 2015 an der Grundschule Harmonie seine Weiterentwicklung immer bewusster.
Anfangs war der Klassenrat, das Organ zur Aussprache. So wurde bereits 1985 an der Gesamtschule Kassel-Waldau der Klassenrat wie folgt begründet: „Die Schüler machen auf diese Weise die Erfahrung,, dass ihre zwischenmenschlichen Beziehungen ernst genommen werden. Spannungen, die ihr Wohlbefinden und auch ihre Leistungsfähigkeit und -motivation beeinträchtigen, können so in der Regel abgebaut werden. Sie lernen darüber hinaus, emotionale Probleme zu verbalisieren und miteinander zu diskutieren.“
Doch die Klassenversammlung, oder auch Klassenrat genannt, wurde dort, wo das Lernen selbst im Mittelpunkt stand, zum Instrument der Kinder und Jugendlichen. Sie organisierten mehr und mehr ihr eigenes Lernen mit Hilfe dieses Kreises.
In dieser Zeit, zwischen 1970 und 1990, begann die große Übernahme des Klassenrats in freien und staatlichen Grundschulen. Erste Sekundarstufenschulen, vor allem Gesamtschulen folgten. Dann waren es Kindertagesstätten und letztendlich Seminargruppen der Universitäten.
Viele wählten die psychologischen Varianten. Wir sagten abwertend, dass „Kinder und Jugendliche dort Probleme der Schule und der Gesellschaft lösen sollten, die Schule und ihre Lehrer*innen nicht lösen konnten“. Einige versuchten das Lernen angepasster, verträglicher zu machen, ohne das System Bildung wesentlich zu verändern. Eine Neuerung wurde zur Reformierung und Erhaltung eines alten Systems gebraucht.
So gab es „alten Wein in neuen Schläuchen“. Sie machten „Klassenräte“ wie S(M)V-Stunden. Kinder uns Jugendliche durften reden. Sie durften vieles mitbestimmen, wie innere Bauvorhaben, ihr Essen, Klassenfahrten oder die Einrichtung von Lernbüros.
Aber zwei Dinge wurden nicht flächendeckend fortgesetzt. Zum einen führten sie nicht zur Selbstbestimmung der Lerninhalte durch die Kinder und Jugendlichen. Des Weiteren führten sie nicht zur Abgabe von Macht. Sie führten nicht zu einer grundsätzlichen Veränderung von Bildung. Die verpflichtende Teilnahme an einer Zwangsschule und die soziale und psychologische Selektion blieben, die Macht der Lehrer*innen und die Bestimmung der Inhalte durch die Schule und den Staat. Stattdessen gab es immer mehr die Orientierung auf Abschlüsse und eine immer stärkere Ökonomisierung durch „Fachkräfte“.
Erst lernten Lehrer*innen die Aufgabenstellungen der Richtlinien und Lehrpläne und das eigenständige Lernen der Kinder und Jugendlichen miteinander zu vereinbaren. Um Schule als Schule aufrecht zu erhalten, wurden die „Abschlüsse“ und „sichtbare Vergleichsarbeiten“ als Lernerfolge, als „Nachweise von Leistung“ wieder stärker in den Mittelpunkt von schulischen Lernen gerückt. Während auch Raum für „Freies Arbeiten“, „demokratische Partizipation“ und schülereigene Aktivitäten gestärkt wurde. Dann wurden sie wieder „wissenschaftlich“ zusammengeführt und stärker denn je an „ökonomischen“ Zielen orientiert. Eltern entschieden sich unter diesen Bedingungen für etwas Bekanntes. Eine Mehrheit befürwortete „gute Abschlüsse an Gymnasien“ stärker als Erfolge des eigenen Lernens. Sie ließen sich von einer öffentlichen, bildungsskeptischen Meinung bis heute leiten.
An wenigen Bildungseinrichtungen – so an der Grundschule Harmonie von 1996 bis 2014 - galten die Beschlüsse der Schulvollversammlung und des Kinderparlaments genauso wie Beschlüsse der Eltern oder Lehrer*innen und (!) der Schulleitung. Sie bestimmten den Gebrauch der Handys und anderen Computer während ihres Lernens, ihre Pausenaufenthalte innerhalb und außerhalb des Schulgebäudes, das Abschaffen der Schulglocke, ihre Bewegungsfreiheit während der gesamten Schulzeit, die Gestaltung ihres Ganztags, ihr Essen, die eigene Konfliktregelung und sehr viel anderes mehr.
Nicht immer „klappte“ an der Grundschule Harmonie jeder Klassenrat oder das Kinderparlament als „Klassenrat der Schule“. Immer wieder benutzten z.B. - zur Langeweile der Mehrheit der Nicht-Fußball-Spielenden, - Jungs das KiPa dazu über ihre Probleme beim Fußballspielen zu reden. Und die Gespräche drehten sich immer wieder im Kreis. Unsere Demokratieentwicklung war ernsthaft in Gefahr!
Da kam um die Jahrtausendwende jemand auf die Idee mit der ganzen Schule eine „Kinderuni“ zum Thema „Kinderrechte“ durchzuführen. Jede Lehrer*in, - sie bestimmten damals „wenigstens noch“ in der dreitägigen Kinderuni die Themen der Kinder, - ließ sich mit eigenen Formen und Inhalten Seminar- oder Atelierangebote einfallen. Aus diesen wählte jedes der Kinder eines der über 10 Seminare aus.
Die Schule verwandelte sich innerhalb von drei Tagen in Diskussionsrunden zum Thema, in Rollenspielforen, in Plakat- und Bilderausstellungen, Theaterstücke und Expertenbesuche. Entscheidend war, dass das Thema „Menschenrechte und Demokratie für und mit Kindern“ ins Zentrum unserer Arbeit kam. Nicht die Belehrung, das Kontrollieren oder der gehobene pädagogische Zeigefinger machten die Änderung, sondern die Eigentätigkeit der Kinder zum ureigensten Inhalt in Spiel, Arbeit und Freiheit veränderte alles.
Ein weiterer erheblicher Schub in dieser Entwicklung bildete der Einzug des „offenen Lernens“ in die Grundschule Harmonie. Sie sorgten dafür, dass es selbstverständlich wurde, dass die Kinder in ihrem Kreis - auch ohne Erwachsene beschlossen - was, wie, wann, wo und mit wem sie lernen. Damit verbunden sind Namen wie Falko und Steffi Peschel, Jürgen Koch, Manuela Selzner, Nicola Meschede, Julia Klein oder Marc Bohlen. Sie halfen erheblich, die Selbstplanung und Beschließung des eigenen Lernens durch die Kinder voranzutreiben.
Als von ihnen nur noch Marc Bohlen da war – alle anderen beschlossen an freien und staatlichen, an eigenen und bekannten Schulen und an Universitäten zu arbeiten - setzten die Kinder, ihre Eltern, größte Teile des Betreuungspersonals und das gesamte Kollegium die vollkommene Autonomie der Lernbestimmung der Kinder fort. Zum diesem Kollegium gehörten Anne Witt, Heike Wagner, Rieke Schiemann, Christine Schaumann, Annette Kaeshammer, Gitte Haane, Martina Morenzin, Daniela Klaes und Ulli Schulte.
Ihre Vorgänger waren - oft über viele Jahre bei uns : Ina Spreen, Alessa Wielpütz, Juliane Koch, Alma Schmitz (Tamborini), Thomas Stahl, Nacho Ruiz, Sandra Weinert, Susanne Hesse, Conny Huhn, Birte Hoffmann, Sina Althoff, Miriam Wissmann, Katharina Weber-Grohe, Marion König, Mirja Half, Melanie Moskop, Sara Roth, Vera Berger oder Markus Spannan.
Immer parallel zur Entwicklung des Klassenrates, war die Entwicklung der Organisation und Bestimmung des eigenen Lernens.
Dies war bei mir Anfang der 80iger Jahre eine Mischung aus Themen der Lehrpläne, der Themen der Lehrer*innen und Themen der Kinder und Jugendlichen selbst.
In meinen Klassen an der Hauptschule lasen die Kinder und Jugendlichen erst die Lehrpläne selbst und stellten sie sich gegenseitig vor. Sie befragten sich selbst und setzten so eigene Themen dazu. Sie brachten sich Schritt für Schritt bei, wie sie über das Schreiben eigener freier Texte, auch in den Fremdsprachen, wie sie durch Theaterspiel und erweiterte Präsentation, wie sie über eigene Themen und eine eigene Kunst, über Materialien, Karteien und Experimente zu einem eigenen Lernen kamen.
Gut 10 Jahre später, in der Grundschule lernten die Kinder die eigene Arbeit einzuschätzen, ihre Entwicklung zu erkennen und für andere zu versprachlichen, wie sie lernten. All dies geschah im Klassenrat, oder wie wir es später nannten, im Kreis. Die Kinder nannten diesen gesamten Bereich „Versammlung“.
So lernten sie immer besser selbst zu bestimmen, wie sie lernten. Sie lernten sich selbst zu verändern, sich zu (er)kennen, sich selbst zu entwickeln. Sie lernten sich selbst zu planen, zu organisieren und zu bestimmen.
Gestandene Professoren wie Henning Günther der Uni Köln schrien im Rheinischen Merkur „Abwertung“, Psychologen wie Michael Winterhoff und die Bildzeitung sprachen „von der Tyrannei der Kinder“. Andere lenkten ein auf einen eben „erlittenen“ Pisa-Schock. Wieder andere verwiesen gerne „auf die widersprüchlichen Forschungsergebnisse und so verschiedenen Meinungen von Wissenschaftler*innen“.
Alle jungen, also viele Hundert von Menschen, Lehramtsanwärter*innen, Inklusionsstudentinnen aus Siegen oder Student*innen aus dem In- und Ausland, die die Grundschule Harmonie einen Tag bis zwei Jahre lang erlebten, hatten nie Probleme mit unserer Art zu lernen. Sie stellten sich schnell auf das Recht der Kinder ein, ihr Lernen selbst zu bestimmen. Das zeigte umso mehr, wie archaisch unser Schulsystem ist, wo immer noch Lehrer*innen und Lehrpläne, später selektive Systeme tonangebend sind.
Heute sagen Studentinnen: „In meinem Praxissemester mache ich ein Forschungsprojekt über den Klassenrat, da ich den Klassenrat als besonders spannend wahrgenommen habe.“
Die Durchsetzung einer Idee dauert länger als wir denken. Eine hat eine Idee oder stößt darauf, wenige setzen sie um. Oft scheitert sie. Manche führen ein Schattendasein. Realität verändert und formt Absichten.
Sie werden so verändert wie Menschen sie verstehen. Manchmal ohne etwas zu verändern, manchmal etwas verändernd, meist anders als mensch dachte.
Ideen werden bekämpft, gelassen, gerade gebraucht oder zugelassen. Eine Idee wird gerne in Gesetzen oder Plänen formuliert. Auch dann dauert es noch lange bis sie „da“, also realisiert sind. Aber wie bei allen demokratischen Ideen, sind sie entstanden. Sie können nicht mehr abgeschafft werden.
In einem Lied schrieben im 19.Jahrhundert bürgerliche Demokraten über den Kuckuck, der zu Anfang des Jahres wieder ruft, trotz Vertreibung, Treibjagden und Ausrottung. Und bald wird eine Neuerung zur neuen Praxis, die bald wieder der Weiterentwicklung oder gar nach der Veränderung verlangt.
Jugendliche sagen: „Ich erhoffe mir Erkenntnisse über den Klassenrat allgemein, über den Umgang der Kinder mit dieser Form der Offenheit und deren Bewertung und den Aufbau eines Klassenrates.“
Sie wollen auf jeden Fall einen Klassenrat, aber vielleicht, oder ganz sicher anders, als die Alten. Sie fragen sich, wie er machbar ist. Sie interessiert weniger ob, sondern welche Erfahrungen bereits beim Wie gefunden wurden.
Vielleicht ist ihnen gar nicht mehr wichtig, dass wir so, also mit dem Klassenrat, an die Selbstformulierung der Arbeits- und Lernziele der Kinder kamen. Sie werden die „Form“ des Klassenrats mit ihren Inhalten füllen.
Sie hören uns Alten höflich, manchmal voller Anerkennung zu. Aber sie verfolgen nicht unsere Ziele, sondern die eigenen! Sie sind sogar bereit, unsere Ziele zu vergessen. Der französische Lehrer Paul le Bohec sprach einmal von der „Imperialisierung vorhandener Ideen durch die veränderte Übernahme“.
Wir scheinen immer in einer Übergangswelt zu leben. Dabei leben Jüngere bereits in ihrer neuen Gegenwart, aber auch nicht mehr in der zukünftigen Welt der Kinder, die diese bereits in ihren Köpfen, Seelen und Leben planen.
Es wird nicht so weitergehen wie bisher. Wir Alten fürchten die Rechten. „Sie wollen zurück in die Zukunft, andere von ihnen vorwärts in die Vergangenheit“. Dagegen stehen Demokrat*innen.
Ihnen sind schon mehrere Kriege gelungen. Ihnen ist selbst die Vernichtung der „weltanschaulichen Schulen“, des „Bauhauses in Dessau und Weimar“ oder anderer demokratischer Ansätze gelungen. So geschah es in der Kaiser- und in der Nazizeit. Aber immer - mit ihrer immer kommenden Niederlage - sind die Ideen der Menschenrechte für Kinder, für Frauen, für die Welt und unser Leben mehr geworden. Und mehr denn je werden sie immer wieder und weiter realisiert. Aber immer von den folgenden Generationen.
Wie sie eine uns bekannte Schule erhalten, ob es zu einer Selbstbestimmung des Lernens der Kinder und jungen Menschen kommt oder gar zu einer Realisierung von Menschenrechten für alle also auch für Kinder, kommt, weiß ich nicht. Das ist ihre Sache und ihr Weg.
Ich weiß nicht, ob wir stark genug sind unsere demokratische Zukunft zu gewinnen. Ich weiß aber, das die Enkel und wieder deren Enkelkinder, und die Besucher unserer Klassenräte immer Neues durchsetzen werden.
„Die Enkel fechten‘s besser aus“, heißt es schon in einem alten Landsknechtslied.
Literatur:
Im Netz ist der Begriff „Klassenrat“ voll in der Hand einer Verkaufsfirma unter dem Titel www.der klassenrat.de.
Wikipedia setzt noch bei Freinet an, widmet sich dann aber der psychologischen Bearbeitung, die der Alfred-Adler-Schüler Dreikurs (1987) auf dem Hintergrund der Individualpsychologie in Amerika – ohne Bezug zu Freinet – entwickelte. Als wesentlicher Unterschied zu Freinet geht es nicht mehr um Selbstverwaltung im Rahmen der Klassenkooperative, sondern die Klassenversammlung wird zum Problemlöseinstrument und Streitschlichtergremium. (Beim Klassenrat geht es nicht darum, ob er psychologisch-amerikanisch oder selbstverwaltend-europäisch ist. Es geht darum, ob er eine „Quasselbude“ ist, oder ob in ihm Kinder und Jugendliche das eigene Lernen bestimmen.)
Walter Hövel. Der Klassenrat ist Garant des freien und offenen Lernens. Eitorf 2017. https://www.walter-hoevel.de/klassenrat/der-klassenrat-ist-der-garant-des-freien-und-offenen-lernens/
Uschi Resch und Walter Hövel. Was ist ein Klassenrat? Erstveröffentlichung 1991. https://www.walter-hoevel.de/klassenrat/was-ist-ein-klassenrat/
Ingried Dietrich (Hrsg.), Handbuch der Freinetpädagogik. Weinheim und Basel.1985
Walter Hövel. Die Rechte der Kinder – Freinetpädagogik. Bremen 1993
Die DeGeDe vereinigt die beiden Ansätze zu drei Wurzeln: https://www.klassenrat.org/wp-content/uploads/legacy/Aktivitaeten/Klassenrat/Paedagog_innenmaterial_2015/final-Paedagog_innen-Material_webfassung.pdf
[1] Walter Hövel. Pläne und das Lernen. In: Walter Hövel (Hrsg.). Freie Arbeit; Wochenplan. Konzepte und Kontroversen. Mühlheim an der Ruhr 1991
[2] Studentin der Uni Köln