Lisa Perkmann

 

Interview 2022 mit Walter Hövel über mehrere Tage

 

Wird die Kunst die Pädagogik retten?

 

Ein Dialog von jung und alt 

 

 

L.P.: Ich schreibe meine Arbeit an der Uni Bozen in Italien zum Thema Gemeinschaft

 

und Teilhabe in einer vereinzelten Welt – neue Impulse zur kulturellen Gestaltung

 

fernab von ökonomisierten Lebensräumen- und dazu möchte ich nun im Folgenden Sie

 

in der Funktion eines Sozialpädagogen und Pädagogen interviewen:

 

W.H.: Die Teilhabe ist sicherlich ein Begriff neuerer individueller Psychologie.

 

Ideologisch muss das Individuum wieder an die Gemeinschaft angebunden werden.

 

Teilhabe hat aber auch eine soziale Wirklichkeit.

 

„Gemeinschaft“, ein älterer Begriff, muss wieder neu definiert werden. Mein Vater,

 

Jahrgang 1916, schwärmte immer vom germanischen „Thing“. Es war für ihn der

 

Ausdruck der Basisdemokratie. Heute, 100 Jahre später, begegnet mir dieser „Gemein-

 

schaftsgedanke“ wieder. Die Rechten, die „Alt“- Denkenden, verstecken sich gerne hinter

 

ihrer Mehrheit, hinter ihrer Gemeinschaft. Sie wollen „unter sich bleiben“ und die

 

Fremden ausschließen. So glauben sie Altes, „Ihrs“, zu bewahren. Sie leben noch im

 

Früher und sie wollen es in ihre Gegenwart retten, sie wollen die Zukunft mit ihren

 

'Neuerungen' bereichern“.

 

Wir stehen aber an der Stelle, dass „Gemeinschaft“ für alle Menschen gilt, ob Frau, Mann

 

oder Kind, ob arm oder reich, ob alt oder jung, ob Aus- oder Inländer, ob Flüchtling oder

 

Klimageschädigter, ob Land- oder Stadtbewohner, ob Fremder oder Bekannter, etc. Wir

 

leben in einer Demokratie. Somit ist das Thema „nahe an ökonomischen Lebensräumen“.

 

Nur Ökonomie braucht immer das Alte und das Neue. Nur „unsere“ Ökonomie braucht die

 

Herrschaft über den Menschen.

 

Die Frage, die für mich dahinter steckt, ist ob unserere Ökonomie noch zu uns (als)

 

Menschen passen?

 

L.P.: Meine erste Frage wäre: wo zieht es Sie hin/ welche besonderen Ziele treiben Sie an?

W.H.: Als Kind der Unterschichten wußte ich immer, dass ich Lehrer werde. Ich war der erste in „meiner“ großen Familie mit 30 Onkeln und Tanten. Meine Volksschullehrerin erkannte meine „Begabung“ und schickte mich zum Gymnasium. Ich konnte selbst vielleicht drei Wörter Englisch, aber ich wollte schon im Kindergarten Englischlehrer werden. Später kam Kunst dazu. Meine Eltern waren Nazis und erzogen mich – als Einzel- und Schlüsselkind - in der „Neu“zeit im Sinne der kaiserlich-feudalen und dem Faschismus. Mit 14 oder 15 wechselte ich meine Gesinnung. Ein Nazilehrer beauftragte mich – an einem Kölner Gymnasium - mit einem Referat über den russischen Bürgerkrieg. Ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Mit ungefähr 20 wurde ich Kommunist. Mit 25 begriff ich, dass jede gesellschaftliche Veränderung nur über die Anerkennung der Menschenrechte gehen konnte. Ich wurde Anhänger von Antonio Gramsci, den Freinets, von Janusz Korczak und vielen Künstlern wie Max Ernst, Agosto Boal und später John Lennon.

Ich lernte weiter zunächst in der Schule, dann mehr und mehr vom Lernen selbst. Ich lernte, dass die Befreiung der Menschen nur das Werk von Menschen sein kann. Ich mußte Vertrauen entwickeln. Das fällt mir bis heute sehr schwer! Ich entschied mich – zunächst wollte ich nur Lehrer für und mit den Menschen sein – eine Schule zu leiten und diese anders zu machen als ich sie erlebte und erlebt hatte. Ich ging nicht zur Schulaufsicht oder wurde Prof an einer Uni. Seit 1992 mache ich allerdings auch Hochschularbeit. Noch heute mache ich Seminare an der Uni Bremen und Worchester. Bis jetzt half ich Prüflingen beim Denken und Schreiben ihrer Arbeiten an der TH Köln und arbeitete fast 10 Jahre dort mit Lehrtätigkeiten.

Ich weiß nicht wie lange ich lebe. Ich machte „meine“ Schule und gebe „mein“ Wissen weiter. Ich verließ meine Frau, lebe alleine, habe viele Freunde und Kinder und Enkelkinder.

Ich lebe/lebte in meiner Zeit. Ich versuche Andersdenken zu begreifen.

L.P.: Weitere Fragen zu 1.)Sehr spannend ihre Einzelheiten, jetzt schwer aus dem Kontext in Detail nachzuvollziehen...aber im Wesentlichen ist der geschichtlich- kulturelle Kontext auch in Ihrer Geschichte wichtig, wie ich sehe.

 

Gibt es für Sie wesentliche Unterschiede, ob sie als Sozialpädagoge oder Pädagoge "auf

 

die Bühne gehen"?

 

W.H.: Zum Pädagogen eine historische Bemerkung:
Pädagogen sind nur Hilfskräfte der Lehrer (Lehrerinnen, wie Schülerinnen gibt es erst später in der Geschichte). Schon vor Aristoteles gab es eine Unterscheidung von Lehrern und Pädagogen. Er, Aristotiles als Lehrer, brachte den oberen Söhnen das Fragen bei, die Pädagogen lehrten „nur“ die Fächer. Sie holten die Kinder nicht nur zu Hause ab, wo ihr Name herkommt. Sie sind Abholer.


Zum 2. war die Erziehung in Händen der Kirche. Der Staat hat erst vor 70 Jahren die Oberherrschaft errungen. Es ist kein Zufall, dass wir immer noch - wie in der Kirche - Seminare in Pädagogischen Instituten, Hochschulen oder Lehrer*innenseminaren, etc kennen. Erst später wurden Universitäten als staatliche Ausbildungsstätten zuständig.

Zum dritten komme ich aus einem Land, das noch immer die äußere Unterscheidung der Schulen kennt. Ich kenne Kindergärten (in Frankreich ist es eine Schule) und Grundschulen, die alle Kinder des Volkes ausbilden. Sie haben eine noch immer unterschiedliche Aus-bildungen. (In Finnland werden alle Pädagoginnen gleich ausgebildet und bezahlt.) Dann kommen die Lehrer*innen der Schulen der SekI und SekII. Sie sind heute noch unterteilt in Haupt- Gesamt-, Sekundar-, Sonder(!) oder Förder-, Berufs-, Real-, offenen Ganztags-schulen und Gymnasien. Auch in ihrer Ausbildung sind sie sehr verschieden. Zudem werden Lehrer* innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen „höherer“ Schulen sehr verschieden bezahlt... Und du fragst mich nach einer freiwilligen Einordnung?


Ich weiß nur von meinen Hochschultätigkeiten, dass Erzieher*innen und Förderlehrer-*innen, und dann noch Grundschullehrer*innen am ehesten fragen, was sie da tun.

Nach meiner Devise ist der Beruf zum Lernen da.

L.P.: Gesellschaftliche Dynamiken, die räumlich vereinnahmend den menschlichen Lebensraum zunehmend begrenzen und geistig die menschliche Denkweise „kolonialisieren“ können: müssen sozialpädagogisch adressiert werden (denken wir an Neoliberalismus ecc): stimmen Sie mir zu bzw. wenn nicht, warum?

In Südtirol gibt es im städtischen Raum nahezu keinen öffentlichen Platz auf dem kulturellen und sozialen Angeboten „frei“ beigewohnt werden kann, ohne nicht etwas konsumieren zu müssen: alles ist „touristisch“ aufgeputzt und kommerziell, die einheimischen Subkulturen und gesellschaftlichen „Spielwiesen“ werden verdrängt

Gleichzeitig ist der Mensch immer eingeschränkter in seiner Entscheidungsfreiheit, neoliberale Denkweisen (Deutungsmuster, Handeln nach Plausibilitäten), Konsum, Leistungsdruck ecc. nehmen Überhand über gemeinschaftliche Denkweisen…

W.H.: Gesellschaftliche Dynamiken müssen nicht begrenzen. Konsum hat unsere Ernährung ersetzt. Wir leben um zu konsumieren.

(Ohne dass ich es jetzt weiß, wirst du gleich das „Prinzip Hoffnung“[Bloch] vertreten.)

Ja, seit dem Wegfall einer „sozialistischen Realtät“ (Abschaffung der Sowietunion) haben wir mit dem Nachvornedrängeln eines Kapitalismus zu tun, der Reichtum immer mehr auf immer weniger Menschen konzentriert. Die Auswirkungen sind eine Katastrophe und werden Krieg, Arbeiten für andere, Umweltzerstörung, etc folgen lassen.

Entweder dieses System wird an seiner eigenen Nichtverwaltungsfähigkeit wie alle anderen Reiche zugrunde gehen und abgelöst werden,

oder wir werden einen oder mehrere Kriege überleben (und wie vorher „Freiheit“ weiter entwickeln,

oder wir sehen dem Ende der Menschheit entgegen. Vielleicht ist es nur das Ende unseres

Lebensstandards, dessen, was wir „Zivilisation“ nennen.

Ja, die jetzige gesellschaftliche Begrenzung findet in den Ländern der Führung der jetzigen

Wirtschaft statt. Eine deutliche Form sind u.a. Pandemien, ein Betroffensein der

„reichen“ Gesellschaften. Italien, Deutschland, fast alle Teile Europas, besonders Südtirol

zählen dazu. Es gibt regionale Unterschiede.

Unsereins (mein Alter) suchte noch eine Definition und ein Dasein mit Freiheit. Deine Welt

(dein Alter) muss sich im jetzigen System der Verschiedenheit und Unwahrheiten zurecht

finden. Es hängt davon ab, welche Rechte ihr rettet. Inhalte der Vergangenheit wie Faschis-

mus, Kaisertum, Frauenfeindlichkeit, Erziehung, etc. scheinen in den alten Formen über-

wunden. Wir sind, denken, fühlen und leben anders als unsere Vorfahren.

L.P.: Das ist eine spannende Antwort ...ich erinnere mich an Ihren Satz mit der Verschie-

denheit ist nicht gleich Freiheit. Würden Sie das auch den Menschen so sagen, mit denen Sie

sozial-pädagogisch tätig sind?

W.H.: Eben bei manchen Studies nicht. Sie fragen „im Notfall“ die Kinder selbst (besonders

spannend, wenn die Kinder noch nicht sprechen können). Ob ich das auch von Dozenten und

Professoren sage? Hier bin ich mit viel weniger zufrieden. Manche wiederholen nur was sie

lasen. Viele sagen viel Quatsch, andere sprechen die von ihnen gelernte Ideologie nach,

einige erinnern sich an Zeiten ihrer Kindheit und Arbeit. Hierbei kommt es darauf an, wie

sie gelernt haben zu denken. Die meisten passen sich an.

Leider prägt der Beruf.

L.P.: Welche Kommunikationsformen oder Mittel/Methoden ermöglichen es aus diesem

Verschiedenheitsdurck (zumindest kurzzeitig vielleicht) auszusteigen?

W.H.: Vielleicht indem mensch das nicht als Druck sieht, sondern als Normalität, als

Entwicklung.

L.P.: Ist Kunst und Kultur ein Bereich, den besonders Jugendliche und Heranwachsende

brauchen, um Selbst- und Weltverhältnisse herzustellen? Wenn sie noch Zeit und Lust haben

auch auf diese Fragen zu antworten.#

W.H.: Jetzt trenne ich Kunst von Kultur. Ich halte Kunst für ein sehr individuelles Mittel um

sich auszudrücken. Ich bin ein Fan des „Freien Ausdrucks“. Ich glaube, das wir zu viel

denken, reden, … wir können mehr „sinnen“, tanzen, malen, spielen, filmen … Ich glaube,

auch mehr zu schreiben.

Wie komme ich zur Kunst? Ich weiß es nicht. Vielleicht über Max Ernst, der mit seinem

Bild „Maria schlägt das Jesuskind immer noch“ alle Nazis und Katholischen, auch über das

Rheinland hinaus zu Lebzeiten mehr verärgerte, als mit Worten.

Mit der Kunst scheine ich selbst „unsicher“. Vielleicht ist sie mir als freier Ausdruck zu

selbstverständlich. Vielleicht ist sie mir zu alltäglich. Ich sehe nur, dass wohl Schrift und

Sprache aus dem Malen und dem menschlichen Sich-Ausdrücken hervorgehen.

Dozent*innen an der TH Köln machen große Versuche mit der „Ästhetik“. Sie lassen das

Comikzeichnen, Filmen, Fotographieren, Postergestalten, Gemaltes und Zeichnungen, etc.

zu, während das Prüfungsamt das bekämpft. Ich weiß nicht, ob einige Dozent*innen auf-

gegeben haben oder mit der Bekämpfung leben. Ich weiß nicht, ob sie die Ästhetik bei jun-

gen Student*innen fördern, später es als „nicht so notwendig erachten“. Es ist bei vielen

„nur“ eine „Sensibilisierungs- oder Mit-Kindern-arbeiten-können-Phase“.

Ich habe in meiner 2.Ausbildungsphase zum Entsetzen meiner Fachleiterin gesagt, dass ich

glaube, dass „Kunst“ immer ein Auftrags- und Geldanlegeplatz der Reichen (nach der Auf

teilung der Menschen in arm und reich) schon vor Hunderten von Jahren war. Heute würden

somit die meisten Künstler*innen in den Medien arbeiten.

Oder sie oder er – wie mein guter Bekannter Giovanni Vetere - übrigens ein (Süd)-Italiener

aus Kalabrien - von den „Expert*innen so gefördert wird, dass er seit Jahrzehnten von seiner

Kunst lebt. Er ist über 80.

Wo gibt es Volkskunst – bei Kindern und jungen, alternativen Menschen, in der Wissen

schaft, die nach anderen Anerkennungsmitteln als Sprache(n), Nachplappern und

Verschriftlichung suchen?

Verkommt Kunst als Herrschaftsmittel, das die Künstler*innen kauft und mit Geld fördert

(und das seit 1000den von Jahren)?

Der Inklusionsstudiengang der Uni Siegen (Basteistudium) arbeitet engstens mit Künstler-

*innen zusammen.

Vielleicht ist die Kunst der Ausstieg aus der Macht oder Ökonomisierung der Pädagogik

(Freinet, Bauhaus), Sozialpädagogik oder Wissenschaft?

L.P.: Was macht die Sozialpädagogik für aus- und entgrenzte oder orientierungslose Menschen, um ihnen Gehör zu verschaffen?

W.H.: Was meinst Du? Schafft die Sozialpädagogik erst Menschen, die ausgrenzen und entgrenzte oder orientierungslose Menschen, denen sie dann Gehör verschafft oder was macht die Sozialpädagogik, um ausgegrenzten, entgrenzten oder orientierungslosen Menschen Gehör zu verschaffen?

„Meine“ Hochschule, die TH Köln ist mit ihren „sozialpädagogischen“ Abteilungen, übrigens örtlich neben der der Kunst, nachdem sich beide der „Technik“ untergeordnet haben, der „“Inklusion“ (die ich gut finde) verbunden. Ansonsten versuchen selbst fort-schrittliche Profs sich so zu verhalten, wie in meinen Studienzeiten: Sie glauben die Inhalte der Studien zu bestimmen und die Menschen, die dort arbeiten. Die „Mittelbauleute“, die (weit unter bezahlten) Lehrbeauftragten, die Studies, geschweige denn Kinder und Behin-derte, haben viel zu sagen. Es herrscht das Landesministerium mit ihren Verwaltungsspitzen und Prüfungsordnungen.

Es geschieht also beides. Die „Sozialpädagogik“ ist „aktiver Schaffer“ dieser Menschen und gleichzeitig deren Sprecher. Nur alle Menschen machen dies nicht mit. Ein Teil bleibt aus-gegrenzt, ein Teil ist autoritär, rassistisch, selber Kinder und Behinderten feindlich, ein weiterer Teil ist ohne Orientierung. Alle sind eben normale Menschen.

Aber in den Arbeiten der Studies konnte ich (für mich) berechtigte Fragen hören. Das sind junge Menschen, die nach Orientierung suchen. Jede Kritik, einmal formuliert und ausge-sprochen, ist real da und zwar unterdrückbar, aber nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Ich weiß, dass die tägliche Arbeitspraxis einiges wie die Ausbildung tut. Ich weiß, um den Zeitgeist und „die normative Kraft des Faktischen“, also die herrschende Meinung. Studies fragen trotzdem nach der Rolle der Familie, den Kulturen und den Schichten, nach den Erziehungsmaßnahmen z.B. beim Essen, nach der/den Sprache/n, sie versuchen Theorien oder Abwehrideologien zu bauen, etc, etc.

L.P.: Wie könnte man darauf reagieren?

Sie nutzen ihre Position, um die Position von Kindern, Behinderten und „Entgrenzten“ zu beschreiben. Hierhin (zu diesen Studien) kommen mehr von der „lower sort“ oder vom Denken der Freiheit her. Die „Pflege“ der Menschen nimmt zu und mit ihr das Denken und Fühlen darüber. Viele Studies suchen Antworten auf ihre Fragen, während sie arbeiten (müssen), Beziehungen aufbauen und Kinder kriegen.

Meine persönlichen, zentralen Aspekte der Arbeit als Pädagoge sind die Menschen.

L.P.: Eine Frage, die aus all ihren Antworten, nun in mir sich aufdrängt:

Glauben Sie, dass man die Zeit beeinflussen kann oder ist alles dialektisch?

Welche Funktion schreiben sie der Gemeinschaft zu?

W.H.: Ich weiß nicht, ob man die Zeit beeinflussen kann. Auf der Erde leben 7 Milliardem

Menschen und mehr. Ich glaube nicht etwas besonderes zu sein. Aber ich sage meine Dinge.

Ich versuche den Zeitgeist mitzubestimmen. Vielleicht ist das größenwahnsinnig, aber nicht

dialektisch. Ich tue es einfach, weil ich glaube, es ist nützlicher etwas zu sagen als nicht.

Auch der Begriff der „Gemeinschaft“ ist mir höchst suspekt (siehe das Geschriebene zu

Anfang). Im Englischen ist noch deutlicher, dass das „Gemeinsame“ noch das „comman“,

das Allgemeine, das Gewöhnliche, das „Volk“ ist. Bei uns kommt das z.B. noch in der

„Gemeinde“ raus. Deutlicher wird es es über das Französische oder Lateinische. Von der

„commune“ zu „kommunal“ ist es nicht mehr so weit. Vielleicht sollten wir uns mehr als

ein „Sprachrohr“ verstehen, und nicht alles Reden anderen überlassen. (Aber das glauben

auch viele Rechtskräfte).

 

Mein Denken mag für einige 'schön' sein, aber sie sind begrenzt durch die Farben.

Ich kann Farben höchstens vertauschen“

 

L.P.: Welche Ansätze und Handlungsleitlinien haben sie, damit (problematische) Jugendli-

che und entgrenzte Menschen niederschwellig Gemeinschaft und Teilhabe erleben können?

W.H.: Es gibt keine (problematischen) Jugendlichen....

L.P.: Wie wahr ... Wie können diese Menschen zukunftsorientiert gebildet, emotional stark und optimistisch gegenüber schwer zu bewältigbare Zukunftsaufgaben werden?

W.H.: Ich kann Menschen nicht erziehen. Ich orientiere mich auf meine Zeit, versuche „stark“ zu sein und realistisch. Ob ich Zukunftsaufgaben habe, geschweige denn, ob ich sie „bewältige“, weiß ich nie. Ich will keine Lösungen haben, nur Sichtweisen.

L.P.: Mühlum hat geschrieben, dass es in der heutigen ökonomisierten Zeit zu sozial-pädagogischen Konflikten zwischen „Solidarität und Ökonomie“ kommt, und, dass sozial-ethische und sozialemotionale Hilfestellungen von Seiten der Sozialpädagogik angesichts der Sinnkrise, Vereinzelung und Verinselung zu wenig angegangen werden. In welcher Bildungsrealität würden Sie die Sozialpädagogik verorten? Wo ist ihre Spielweise, wo kann sie am Meisten bewirken?

W.A.: Meine Spielwiese oder Spielweise sind nur Menschen, einzelne. Ich kenne Albert Mühlum nicht, kann also nichts zu ihm sagen. Ich kann nur sagen, ich mag alle Theorien nicht (Was kürzlich jemand bezweifelte. Es gab mir zu denken).

Ich kann nur sagen, dass es seit 5000 Jahren zu Konflikten zwischen Solidarität (der Arbeitenden) und Ökonomie kommt.

Seit wann gibt es „Sozialpädagogik“? Sie wird erstmals 1844 erwähnt. Sie scheint also eine späte Geburt des bürgerlichen Denkens. In ihr sind also Elemente der Menschenrechte und des Kapitalismus gleichzeitig. Da ist auch meine Verortung von Sozialpädagogik in einer Bildungsrealität. Der Keim von Widerstand liegt im bürgerlichen Denken selbst.

Sozialpädagogik benennt einen Wissenschaftszweig von Erziehung, Bildung und sozialstaatlicher Intervention. In der Sozialpädagogik wird versucht, die Eigenverantwortung eines Menschen und damit seinen selbstständigen Umgang mit allgemeinen Lebenslagen in der Gesellschaft zu stärken.“ (wikipedia)

Seit wann gibt es Sinnkrisen, Vereinzelungen und Verinselungen?

L.P.: Selbst- und Weltverhältnisse sind immer auch durch alltägliche Praktiken bestimmt. Wie und wodurch (welche aktivierende Ästhetiken) kann Lernen am „Effektivsten“ für den Einzelnen und die Gemeinschaft (also für gemeinschaftliches zukünftiges Handeln und transdisziplinäre gesellschaftliche Herausforderungen) geplant oder ausgeführt sein?

W.H.: Sind es „alltägliche Praktiken“ oder sind solche auch Ergebnis „unserer“ Inter-pretation, unserer „Konstuktion“, unserer Sichtweise, unsere Erklärung unseres Lebens?

Ich Walter, drücke das aus, was mich am meisten beeindruckt. Ich bin und bleibe Fan meiner eigenen Interpretation und Ausdrucksweise. So male ich gerne, andere reden gerne, andere tanzen gerne, ich schreibe gerne, andere reden nicht oder können es nicht oder reden so, dass ich sie nicht verstehe. Auf Englisch bin ich schon ein anderer Mensch als auf Kölsch.

Gibt es ein bewusstes gemeinschaftliches zukünftiges Handeln? Wollen die mächtigen Familien (im Sinne einer Oligarchie) und ihre herrschenden Denker nur ein gemeinsames Handeln, damit sie besser handeln können in ihrer Herrschaft? Bin ich nicht frei selbst zu handeln oder handle ich nur anders. Freiheit ist ein gesellschaftliches Konstrukt eines ge-meinsamen Handeln. Oder ist Freiheit, auf der Grundlage meines Soseins, meiner Verschie-denheit, meine menschlichste Erinnerung einer Zeit ohne Ausbeutung.

Ich verantworte mein Leben, meinen Tod. Ich gebe die Antworten. Ich tue dies nie auf deine oder anderer Leute Kosten.

L.P.: Was halten Sie von dem Ausspruch, „Wir formen mit unseren Gedanken unsere Reali-tät“, inwiefern können Sie darin eine Verbindung zur sozialen Plastik sehen, aber auc h sozial-emotional, sozial-ethischen und v. A. bildungsrelevante Handlungsweisen der Sozial-pädagogik?

W.H.: Ich halte das für keinen Ausspruch, sondern für das jetztige Vermögen unseres

Verstands. Ich glaube, das wir zur Zeit dahin kommen müssen. So dachten wir nicht vor

1000 Jahren, und auch nicht in 1000 Jahren, aber jetzt. Und so stimmt der Satz auch nicht.

Er ist idealistisch.

Wir bestimmen unsere Rationalität auf der Grundlage der jetzt herrschenden Naturgesetze.

Auf einem anderen Planeten würden wir anders denken und fühlen. Wir denken aber noch

sehr religiös und verhaftet in unserer Herkunft.

Zudem denkt jedes Tier anders, aber nicht wie wir.

Delphine, glaube ich, denken in Bildern, Vögel können zählen (wie wir). Wir sind in der

Lage festzustellen, dass ein Oktupus denken kann. Wir wissen auch, dass Blumen und

Bäume Leid empfinden, …

L.P.: Diese Antwort gibt mir zu denken ...

Zurück zu uns. Kommt es darauf an, welche Realität wir formen. Wir können das Weltbild

der uns beherrschenden Menschen formen, das Bild der Delphine oder ein anderes. Es kommt

auf unsere Kraft an, und nicht darauf wie wir gehorchen oder funktionieren.

Zu den anderen Punkten sagte ich schon etwas.

L.P.: Eine ganzheitliche Sozialpädagogik ist immer auch Bildungs- und Kulturarbeit…sie muss sich immer neu entwerfen, selbstreflektieren und dialektisch denken und äußern, sie schließt niemanden aus, ist inklusiv und mehrgenerational. Ist das eine realistische Ansichtsweise?

W.H.: Ja.

L.P.: Wo kann die Sozialpädagogik diese ihre Qualitäten am Besten umsetzen:  Außerschulisch, Schulisch (intern), zwischen Systemen; als Familienhilfe, in der Jugendhilfe, in der Erwachsenenbildung, in Kulturzentren, wo alle hinkommen?

W.H.: Da, wo wir sind. In Köln kommen die meisten (aller Studiengänge) in die Kindergärten. Die Studies arbeiten dort schon während oder im Laufe des Studiums. Viele kommen auf die billigen Bezahlungsplätze und werden unterbezahlt.

L.P.: Wie unterscheidet sich soziale Kulturarbeit von städtischer und ländlicher Arbeit? Könnte angesichts der Landflucht eine ländliche Kulturarbeit positive Auswirkungen und weniger Abwanderung zur Folge haben?

W.H.: Ja, die Landflucht. Ich habe einen Aufsatz darüber geschrieben. Ich glaube nicht, dass die Menschen in Städte zogen, weil „Stadtluft frei machte“. Sie wollten -. wie Millionen von DDR-Bürgern, Rußland“deutschen“ oder „Gast“arbeiter aus Ost oder Süd bessere und modernere Arbeitsplätze. Und die Wirtschaft rief sie! Sie erhofften sich für sich und ihre Kinder eine besser bezahlte (Arbeits)Zukunft.

Heute ziehen viele junge Familien wieder aufs Land, weil die Lebensbedingungen dort billiger und besser sind. Sie arbeiten (und fahren mit ihren Autos) in der Stadt, weil dort die Arbeitsbedingungen besser sind.

Es ist so, dass Stadtbewohner jünger und ansprechbarer für gesellschaftliche Veränderungen sind. Daher sind ländliche Veränderungen vielleicht effektiver, werden aber „schlechter aufgesogen, als städtische.

L.P.: Könnte Kulturarbeit, z.b. durch künstlerischen Austausch, auch die mehrgenerationalen Familien- und Dorfqualität und ihren Zusammenhalt fördern?

W.H.: Ja.

L.P.: Wie stellen Sie sich eine solche Kulturarbeit vor?

W.H.: Eine solche Kulturarbeit ist nicht das „Arbeiten für andere“. Es ist nicht das, was der Einzelne tut. Es ist das Mühen unserer Zeit menschlicher zu werden. Es ist das Finden eines nicht entfremdeten Tuns (oder eines „Müßiggangs“) in der eigenen Zukunft.

L.P.: Welche Ansätze und Bildungskonzepte müssen gegeben sein, damit Gemeinschaft und Teilhabe ermöglicht werden kann und reflektierter Wandel gelingen kann?

W.H.: Es gelingt, wenn „Inklusion“oder „Bildung“ verstanden wird als überall notwendig und wirksam. Es reicht z.B. nicht, die „lower sort“, also Unterschichtler, Ausländer*innen, Flüchtlinge, Kinder, etc auf die Schiene der „mehr Bildung“ zu bekommen. Was machen sie, wenn sie oben oder in der Mitte angekommen sind, werden sie Kleinbürger oder bezahlen sie „ihre“ Arbeitskräfte und „Ideologieträger“? Reden sie dann von der von ihnen genehmigten Teilhabe? Was ist für sie „Gemeinschaft“? Unterscheiden sie dann ihre Gemeinschaften und die anderer?

L.P.: Gute Frage ...

Ich sehe keine andere Möglichkeit als die „Rat-Race“ aufzulösen. Wie das allerdings gehen soll, will ich nicht wissen. Ich arbeite nur daran.

L.P.: Beuys sprach auch von einem überparteilichen, transdisziplinären (also gesamtgesell-schaftlichen) kulturell- künstlerischen Gestaltungsentwurf und Kunstverständnis: Wie kann er in der Sozialpädagogik am Besten und Breitesten zur Anwendung kommen?

W.H.: Die Lehrer(*innen)(aus)bildung ist in Deutschland nicht nur „standesmäßig“ sehr verschieden, sondern auch nach Fächern „geordnet“. Das wollte, glaube ich, Beuys nicht.

Die Sozialpädagogik bleibt in Deutschland besonderen Hochschulen wie THs oder Fhs oder gar Fachschulen überlassen. Dort studieren viele Auf- und Absteiger der Bildung und Gesellschaft. Zudem geht es in der Regel um die „kleineren“ Kinder. Im Gegensatz zu anderen Ländern sind hier Erzieher*innen keine Lehrerìnnen (So ein Quatsch!), vor allem in der Bezahlung (je kleiner das Kind, umso weniger Bildung für die Erwachsenen, um so weniger Geld für sie).

Das Bauhaus knüpfte in der Vergangenheit an und ließ die Dozent*innen nicht nach einem „idealen“ Konzept arbeiten. Vielmehr galt es ihre (vor allem künstlerischen) Fähigkeiten, ihren „Maximalkonsens“ anstelle von Minimalkonzept in einem Gesamtkonzept zu entwickeln. Ihre bereits vorhandenen Errungenschaften bildeten ihr Konzept. (Zudem konnte man da ohne Abitur studieren, so wie Kinder noch keins haben.) Ich finde es zu dem toll, dass die Studies entschieden, wie lange sie bei einer/m Meister*in blieben.

L.P.: Sehr spannend. Das Maximalkonsenskonzept merke ich mir.

Ich traue nun nur wenigen Lehrer*in oder fast keinen Hochschulen. Schlecht für mich. Weil ich auch „keinem Beuys traue“. Er war Kind der Oberschicht und in deren Werten verfangen. Er war mir zu sehr kulturell und zu wenig (Lebens)Künstler. Vielleicht habe ich mich auch nicht genügend mit ihm und seinem Wirken beschäftigt.

Seine Kunstansicht, seine Kunst kommt für mich am ehesten zur Ansicht, je mehr jeder Mensch ein/e Künstler*in wird. Ich möchte, dass alle Menschen sich so erziehen, dass sie nicht nur Demokrat*innen, sondern auch Künstler*innen werden.

L.P.: Haben Sie Erfahrungen mit künstlerischen Gestalten gehabt? Gerne ausfühlicher?

W.H.: Auf die Frage ein deutliches Ja. Aber das „alles“ beantworte ich jetzt nicht.

L.P.: Welche methodischen Vorzüge/Mehrwerte hat das künstlerische Arbeiten und Gestalten in der Gruppe (z.B. fördert es den Zusammenhalt, Empathie, neue Erkenntnisse usw.)

W.H.: Das weiß, die Gruppe, die einzelnen Menschen. Ich überlasse jeder/m einzelnen wie

sie „es“ nach einem gemeinsamen, immer wiederkehrend gemeinsamen Gespräch machen.

Das ist das, was ich „Maximalkonsens“ nenne. In einer Art Blitzlicht sagt jeder was sie oder

er mitbekam und was sie oder er nun tun will. Dies ergibt nachher den maximalen Konsens.

So versuche ich auch mit Kindern und allen anderen Lerner*innen zu arbeiten.

L.P.: Wie wichtig ist ein lebensweltlicher und ganzheitlicher Ansatz als Idee für einen

gesamtgesellschaftlichen Entwurf und einem kritischen sozial-ökologischen Bewusstsein?

W.H.: Die Antwort ist die Frage.

L.P.: Wie sehr glauben Sie kann soziale Kulturarbeit durch das künstlerische Mittel neue

Rahmenbedingungen schaffen, in denen sowohl Jugendliche/Kinder, als auch Erwachsene

und alte Menschen sich gerne hinbegeben, um sich auszudrücken, sich zur Gemeinschaft

ermächtigt und aktiviert fühlen und darüber hinaus neue Wege gehen?

W.H.: Dito

L.P.: Wie kann Kunst durch Sinnlichkeit und Ästhetik sinnliche und rationale, oder auch

emotional, neue Erkenntnisse liefern?

W.H.: Ich halte, wie schon gesagt, die ästhetische Weise, also die künstlerische für eine

unserer Ausdrucksweisen unserer mindestens 5 Sinne. Ich denke, dass auch das Denken und

das innerliche Fühlen oder Michfühlen einer unserer Sinne ist (Und es gibt noch mehr).

Neue Kenntnisse und Erkenntnisse nenne ich Lernen. Wir Menschen lernen ständig.

L.P.: Das profitorientierte Denken und das Gesellschaftsideal „immer höher, immer weiter,

immer besser“ finden sich auch in der Schule - und allgemein im Bildungssystem – als

Bildungsideal wieder, kann kulturelle, beteiligungsorientierte Sozialpädagogik hier als eine

Art Widerstandskraft aktiv sein?

W.H.: Dieser Gedanke gefällt mir sehr gut!

Dazu hat Renz-Polster einiges geschrieben. (Auf der Homepage ist eine Rezension zu finden.)

L.P.: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihren Blog zu schreiben?
W.H.: Ich habe mein Leben lang geschrieben. Ich glaube, ich habe mit 16 angefangen. Viel

später bin ich bei den Freinetpädagogen auf das Freie Schreiben gestoßen. Das war meins.

Als ich pensioniert wurde, kam ich auf die Idee alle Artikel auf einer eigenen Homepage zu

sammeln. Eine ehemalige Schülerin sagte vor einem Jahr, dass ich mein Leben archiviere.

Na ja, jetzt tue ich es.

 

Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen."

Pearl S. Buck

(Das Zitat steht immer in der E-Mail-Post von Lisa Perkmann)

 

L.P.: Man versucht  es.