Walter Hövel
Wie Schule die Zahl der Erwachsenen um ein Vielfaches vermehrt
Das Lernangebot
wird Sache der Region
Ein erweiterter Lernbegriff schafft personelle Ressourcen
Bei ihrer Gründung 1996 waren an der Grundschule Harmonie bei zunächst 6 Klassen der ersten drei Jahrgänge 6 und im zweiten Jahr bei 9 Klassen 9 Lehrer*innen tätig. 15 Jahre später arbeiteten über 40 Menschen gegen Bezahlung mit den Kindern, noch mehr unentgeltlich. Bis 2015 betrieb die Schule eine Personalpolitik, die alle Ressourcen zur Erweiterung der Lerngelegenheiten für die Kinder nutzte.
Einerseits geht es darum, die Selbständigkeit des Lernens der Kinder, die freie Themen- und Methodenwahl zu fördern. Ziel ist die Selbstbestimmung der Inhalte und mit ihr die Entwicklung des eigenen, bewusst selbstgesteuerten Lernertyps zu fördern. Dies geschah oft genug mit weniger Erwachsenen. Erwachsene nehmen Kindern gerne die Selbständigkeit, was einige Kinder „aus Gewohnheit“ annehmen. Wenn dem gegengesteuert wird, müssen Erwachsene lernen nicht immer helfen zu wollen.
Andererseits geht es um die freie Wahl der Schüler*innen bei der Findung sie interessierender Themen, Menschen, Orte und Zeiten. Im Sinne Wygotskys soll nach dem Ausschöpfen der eigenen Lernleistungen das nötige weiterbildende Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung mit anderen Erwachsenen und Gleichaltrigen erreicht werden.
Wir begannen mit der Gründung der Schule erste Eltern zur Mitarbeit anzuwerben. Die ersten Mütter übten gerne das laute Vorlesen oder wollten Hausaufgaben betreuen. Sie von einem das Lernen der Kinder begleitenden Wirken zu überzeugen, war harte Arbeit. Wir betrieben eine regelrechte pädagogische Ausbildung mit den Eltern, damit sie verstanden, wie ihre Kinder anders mehr lernen konnten.
Irgendwann klappte es. Da waren Eltern, die machten eine Wikinger-AG mit Lehmofenbau, Gewändernähen und dem Besuch eines Anwohners, der ein Wikingerboot nachgebaut hatte. Ein anderer Vater baute eine echte, an der Schule wirkende Kinderfeuerwehr auf. Mütter unterrichteten Französisch, Türkisch oder Spanisch (übrigens auch für Erwachsene, die lernend neben den Kindern saßen). Andere kamen regelmäßig zum Drucken der Kindertexte und ihrer Plakate. Wieder andere nähten Kostüme für den Karnevalszug, bestellten mit den Kindern Hochbeete und einen Garten. Andere lehrten das Spiel von Instrumenten, halfen beim Einsammeln von Kröten, Äpfeln oder Müll. Die Zahl der mitarbeitenden Eltern wurde größer und größer und mit ihnen die Ideen und die Vielfalt der Angebote.
Mehr und mehr Eltern kamen in die Klassen, um Kindern begleitend und betreuend beim eigenen Lernen zu helfen. Immer breiter wurde der Kanon des angebotenen Wissens und der Möglichkeiten der Erkenntnissammlung. Da kamen Ärztinnen und Ärzte, Museumspädagogen, Musiker, Künstler, Computerfachleute, Hausfrauen zum Kochen und Backen, Förster, Bäuerinnen, Schriftstellerinnen, Kräuterkundige, Psychologinnen, und, und, und.
Immer mehr kamen, um in der Kinderuni oder im laufenden Schultag in Vorlesungen, Arbeitsgruppen und Seminaren ihre Hobbies, ihr Wissen, ihre berufliche Erfahrung, ihre erworbenen Kompetenzen „vorbeizubringen“.
Da hielt ein Vater einen Vortrag um wirklich alle Dinosauriergattungen vorzustellen. Eine Mutter stellte alte Instrument vor, eine andere das Spiel auf der Harfe. Einer brachte Bienenvölker mit, ein anderer Hunde oder selbst gezüchtete Medusen. Sie spielten Theater mit den Kindern, lehrten sie Tänze, das Menschenschattenspiel. Sie erfanden Spiele mit ihnen, lasen aus Büchern vor oder stellten ihnen Experimente vor. Fast jede Woche gab es einen Vortrag von Eltern, der das Schulleben der Lerngelegenheiten wurde bereichert.
Bald kamen auch Großeltern. Die eine erzählte vom Schickmachen früher, der andere wie er als Junge die Lügen der Nazis durchblickte. Sie erzählten von ihrem und dem Dorfleben, ihren Familien und der Arbeit früher oder ihrem jetzigen Leben als ältere Menschen. Ein halbjähriges Projekt zur Hundertjahrfeier des Orts, ein Hundertjahr-Museum und ein Theaterstück als Zeitreise entstanden.
Auf Empfehlung des örtlichen Schul- und Sozialamts kamen die Menschen, die für eine Mark oder einen Euro pro Stunde zusätzlich arbeiteten. Der eine hängte Bilder auf, der andere baute die Druckwerkstatt auf. Die nächste sang und musizierte mit den Kindern, die andere lernte mit ihnen Mathematik um das nachzuholen, was sie in der Schule selbst nicht gelernt hatte. Die andere schrieb mit Kindern, die nächste spielte Spiele oder machte Sport. Einer sprach mit den Kindern nur Englisch. Sie übten Einmaleinsreihen oder forschten mit den Kindern zu ihren selbst gewählten Themen. Sie lernten gemeinsam Präsentationen zu gestalten.
Lange diskutierten wir, ob wir in der Lage wären, dieser staatlichen Einrichtung positive Seiten für die Betroffenen selbst abzugewinnen, als auch, - u.a. unter Sicherheitsaspekten, - ob die Einordnung in einen ordnungsgemäßen Lernbetrieb gelänge. Nicht zuletzt die Erfahrungen unserer englischen Freunde mit ihren Teaching Assistants ermunterte uns es zu probieren. Viele von ihnen bildeten wir nach diesem Vorbild selbst aus. Die „Ein-Euro-Kräfte“ waren nicht seltene Gäste, sondern bald hatte jede Klasse seine „eigene“ Hilfe, während auch die Zahl klassenübergreifender schulischer Angebote nicht weniger wurde. Sie wuchsen in ihrer Wertanerkennung durch ihre sinnvolle Arbeit und durch die dankende Wertschätzung der Kolleg*innen. Diese Erfahrung übertrugen sie auf die Kinder.
Nicht nur unter diesem Aspekt galt es immer nicht nur „das Lernen hochzuhalten“ (Peschel), sondern die Qualität des Lernens, der Lehre, der Lehrer*inne und aller Erwachsenen ständig zu steigern. Es galt nie Inhalte des Lernens zu vereinfachen, sondern Kinder eher zu überfordern. Individuelle Forderung war immer die beste Form der kollektiven Förderung.
Dann bekamen wir mit Hilfe des kommunalen Schulamtes heraus, dass es bei der ARGE besondere Mittel für „schwer vermittelbare“ Menschen gab. Wir bezahlten entweder durch den Förderverein oder den Ganztagsverein einen kleineren monatlichen Anteil und sie bekamen richtige 30- bis 40-Stundenjobs. Sie wurden wieder krankenversichert und hatten für viele Jahre eine sinnerfüllte Arbeit. So konnten unser Kunstraum oder unsere Küche entstehen. Wir bekamen einen echten Hausmeister und professionelle Hilfe im Lernen von Gitarren- und Schlagzeugspiel. Unsere Schulband wurde eine feste Einrichtung.
Es kamen Menschen, die bei uns soziale Dienste ableisteten oder über lange Zeiten ihre Berufsfindungspraktika absolvierten. Wenn vorher gar keine Sekretärin da war, waren es nun zwei. Und eine davon verstand ihren Job so, dass die Schule dazu da war, das Lernen der Kinder zu fördern. Sie arbeitete aktiv an der Gestaltung des täglichen Lernprogramms. Wenn vorher gar kein Hausmeister da war, waren es nun ebenfalls zwei. Und beide nahmen die Kinder mit zu ihrer Arbeit oder fanden ihren Weg arbeitend zu den Kindern.
Wenn vorher nur das Schulbrot mit in die Schule gebracht wurde, gab es nun eine eigene Küche mit einem eigenen täglichen Mittagessen und einer täglichen kostenfreien immer gesünderen Jause für alle Kinder. Sie lernten was sie wie aßen und veränderten ihre Essensgewohnheiten mit ihren kochenden Erwachsenen so, wie sie ihr gesamtes Lernen erweiterten und verbesserten.
Es gelang uns aus einer Behindertenwerkstatt eine feste Kraft zu beschäftigen, die schon seit vielen Jahren in unserer Küche arbeitet. Nicht nur die Kinder begriffen, dass die Inklusion die Teilhabe aller Kinder ist, sondern auch aller Erwachsenen.
Die Kirchen, die Kreispolizei und andere schickten feste Mitarbeiter und Referenten, die unser Programm erweiterten und viele spannende Themen in die Schule brachten. Die Eigengestaltung des wöchentlichen Gottesdiensts wurde Sache der Kinder. Unter anderem fand ein Gottesdienst vollständig in englischer Sprache statt. Sie gestalteten eine eigene Wallfahrt, die über die Höhen führend, ein riesengroßes Mandala, eine Himmelsmeditation oder ein gemeinsames Essen von Brot und Weintrauben gestaltete. Mit der Polizei ging es auch schon einmal zu einem Hausbesuch oder wir fuhren in kleinen Gruppen mit dem Fahrrad zur 30km entfernten Jugendherberge. Das Zähneputzen wurde ein anderes und ebenso das Fahren mit dem Bus.
Immer häufiger kamen Expertinnen und Experten zur Schule. Dies war der Schauspieler Haydar Zorlu, der den Kindern Goethes Faust nahe brachte. Dies war das Zartbitter-Theater, das alle zwei Jahre an die Missbrauchsproblematik wieder aufarbeitete. Da kam regelmäßig der Clown Francesco oder die kommunale Theatergruppe der Eitorfer Frauen, da kam die Waldschule, der Mann, der Medusen züchtete, Ritter in voller Rüstung, die Miniphänomenta oder der Friese aus dem Jahr 800. Da kamen Künstler, Schriftstellerinnen, Tänzer, Theaterleute, Briefmarkensammler, Handwerker, Bastler, Sammler, Wissenschaftler und Menschen, die Selbstverteidigungskurse anboten. Da kamen die Kommunalpolitiker zur Diskussion, ein studierter Philosoph, die Vogelkundlerin, der Fischforscher. Ein Amtsrichter hielt im Rollenspiel einen Scheidungsprozess ab, der Pfarrer erzählte von der Entstehung der Bibel und Eltern boten Plätze beim Kinderberufspraktikum an. Wöchentlich kamen unsere Druckmütter, die Büchereimütter, unsere Ruinenbauer und Computerbetreuer.
Schüler des Gymnasiums bauten unser Computernetzwerk auf und betreuten es über viele Jahre. Sie nutzten die Schule –als Gegenleistung – an Wochenenden als Treffpunkt für ihre LAN-Parties, als Computer zum Mit-Einander-Spielen noch vor Ort verbunden und verkabelt werden mussten.
Ehemalige Schülerinnen und Schüler kamen nicht nur bei Boys- und Girlsday vorbei, um qualifizierte Angebote zum Satz des Pythagoras oder zum Ausdauertraining zu machen oder um beim Lernen einfach zu so helfen, wie sie selbst gelernt hatten. An freien Tagen ihrer „weiter“führenden Schulen sind sie wieder da. Sie wissen, wie die Lernarbeit an der Grundschule Harmonie geht. Die ersten haben ihre Examina als Lehrerin absolviert.
Als der Ganztag entstand arbeiteten bald über zehn weitere Menschen fest an der Schule. Welch eine Bereicherung waren und sind seit vielen Jahren ihre qualifizierten Angebote. Tag für Tag, Nachmittag für Nachmittag fördern sie die Spiel- und Lernarbeit der Kinder über den Vormittag hinaus. Sie bieten Lerngänge, Kreativkurse und Arbeitsgruppen jeder Art an. Da werden Specksteine , Holz, Metalle, Textilien oder Kunststoffe bearbeitet, Computer auseinander, Kapplasteine und Maschinen zusammen gebaut, Laternen gebastelt, elektronische Baukästen genutzt, Filme gedreht oder Lehrfilme angeschaut.
Wieder mit Hilfe des kommunalen Schulamts wurde eine Schulsozialarbeiterin eingestellt, die bald mit ihrem „Waldraum“ eine feste Größe wurde. Sie beschaffte viele staatliche Mittel für Familien und Kinder, führte Gespräche, vernetzte, stellte Verbindungen her und bot den Kindern das Arbeiten aus ihrer und deren Sicht an.
Dann wurde unsere immer schon vorhandene Inklusionsarbeit mit allen Kindern zur gesellschaftlichen Aufgabe. Das Schulamt schickte uns eine Sonderpädagogin. Die vielen Jugendämter, mit denen wir zu kooperieren lernten, schickten uns täglich bei uns arbeitende Integrationshelfer“. Die Zahl dieser „Schulbegleiter“ betrug bald mehr als zehn.
Hinzu kam, dass der neue Inklusionsstudiengang der Uni Siegen uns entdeckte und wir ihn. Seit nun mehr vielen Jahren kommen jeweils für drei Semester(!) einmal in der Woche drei bis fünf Studentinnen. Sie begleiten Kinder bei der Arbeit, machten besondere Angebote und initiierten eigene wissenschaftliche Untersuchungen. Dass es bei uns ein Jahr lang Chinesischunterricht gab, verdankten wir einer der Studentinnen aus der Volksrepublik China.
Immer war mindestens eine Lehramtsanwärterin oder ein Lehramtsanwärter für ein bis zwei Jahre bei uns. In unseren besten Zeiten waren fünf gleichzeitig da. Ihre Arbeit garantierte den Kindern immer zusätzliche Angebote. Andererseits führte die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung immer zu einem hohen Niveau modernster Lernangebote.
Zunehmend absolvierten auch zukünftige Sozialarbeiterinnen die Praktika ihrer Ausbildung bei uns. Diese brachten wieder neue Sichtweisen, neue Lernmethoden und Lerninhalte mit sich.
Einmal im Monat nahm über viele Jahre eine außerschulische Mitarbeiterin der Eitorfer Elternberatung an unsere Lehrer*innenkonferenz teil. Von ihr lernten zu allererst die Lehrer*innen eine systemische Betrachtungsweise der Kinder und der eigenen Arbeit. Sie brachte uns bei, dass wir nicht alle Probleme lösen können, dass wir weder Sozialarbeiter, noch Therapeuten noch Psychologen sind, sondern Profis in der Lernarbeit sein sollen und müssen.
Über ein Jahr konnten wir durch eine zusätzliche Lehrkraft den Kindern ein Lese- und Lernstudio in der Kinder- und Jugendbuchbücherei anbieten. Die, die in ihrer Leseentwicklung stockten, weil sie nicht „ihre Literatur“ fanden, weil die Schriftgröße nicht stimmte, weil sie Zeit brauchten, dass sinnentnehmende Lesen für das eigene Verstehen (!) zu entwickeln, oder weil die fehlende Brille einen Augendefekt nicht behob. Sie fand es heraus und entwickelte mit jedem betroffenen Kind eine dem Kind eigene Lesestrategie.
Immer wieder schickte das Schulamt eine „zusätzliche Lehrkraft“, so wie es andere Jahre gab, wo auch schon mal eine Planstelle, die uns zu stand nicht besetzt wurde. So hatten wir eine „Vorschullehrerin“, die aus einer eigenen „Vorklasse“ ein integriertes Programm in den Klassen entwickelte. Bald wurde sie Klassenlehrerin einer „Regel“klasse und entwickelte als erste das altersgemischte Lernen von 1 bis 4. Eine andere war nur als Förderlehrerin in Sachen Mathematik unterwegs.
Wir alle lernten in der sich täglich verändernden Arbeit als Erwachsene Kinder selbst erwachsen werden zu lassen, dass sie selbst für ihr Lernen verantwortlich sein dürfen. Wir lernten unser Können zu erweitern. Wir lernten zu kooperieren, im Team zu arbeiten, uns fortzubilden, Neues zu lernen und vor allem in der Kinderuni die Dinge besser und tiefsinniger zum Lernen anzubieten.
Eine große Hilfe war uns dabei, dass wir nicht einfach Alle alle Fächer unterrichteten, sondern unsere Qualifikationen vorantrieben. Als eine Musik- und eine nicht in dem Fach ausgebildete Lehrerin wöchentlich eine zweijährige Ausbildung bei der Bertelsmannstiftung machen konnten, gestalteten sie zweiwöchentlich die Lehrerinnenkonferenz, um uns allen beizubringen, was sie gelernt hatten. In der Sporthalle gab es Konferenzen in denen wir uns gegenseitig unser Knowhow beibrachten. Englisch machten wir eh gemeinsam. Halbjährlich machten wir große Konferenzen mit den Schüler*innen, in dem wir unser Englischlernen evaluierten und zur Konzeption neuer Lerngänge kamen. So arbeiteten wir regelmäßig an unserer Weiterbildung in allen Fächern.
Eine besonders veränderte, pädagogisch „aufgeklärte“ Grundhaltung erzielten wir neben den wöchentlichen Lehrerinnenkonferenzen und den schulinternen Fortbildungen durch eine morgendliche „Frühkonferenz“. Wir trafen uns täglich um 7.15 um jeden Schultag gemeinsam zu planen.
Eine weitere Unterstützung unserer Arbeit bildete die Tatsache, dass wir - bei in der Regel zehn ausgebildeten Lehrpersonen im Kollegium - immer mindestens zwei bis maximal fünf männliche Lehrer zur Verfügung hatten. Eine ausgewogene Zahl weiblicher und männlicher Erwachsener im Lernprozess ist eine große Hilfe!
Als es noch keinen staatlichen Englischunterricht gab, boten wir bereits mit von den Eltern finanzierten Native Speakern aus Eitorf wöchentlich Englischkurse für alle Kinder an. Später übernahmen alle von uns das Englischlehren. Wir taten es ohne Schulbücher, mit unseren eigenen Fähigkeiten. Auch hier suchten sich die Kinder ihre Lehrpersonen, ihre Themen, ihren Schwierigkeitsgrad und ihr Lern- und Arbeitsthemen selbst aus.
Fast jede Woche besuchten uns 20 Jahre lang drei- bis 30 Personen starke Besuchergruppen. Schnell hatten die Kinder heraus, sie zum aktiven Besuch zu verleiten. Gerne nutzten sie deren Fähigkeiten und deren Wissen. Mal spielten sie Schach mit ihnen, zapften ihre Englischkenntnisse an, bearbeiteten mit ihnen ihre Hundertertafeln oder vertieften sich mit ihnen in ihre selbst gewählten Aufgabenstellungen. Sie erklärten ihnen ihre Schule, ihr eigenes Arbeiten und Lernen. Sie zeigten ihnen wie sie mit Muggelsteinen umtauschend das Zehnersystem begriffen oder ihre eigenen Texte schrieben. Sie versprachlichten und veranschaulichten ihre Selbstständigkeit und ihr demokratisches Miteinander.
Dies wiederum lockte regelmäßig ganze Seminare verschiedener Universitäten an. Sie blieben immer wieder mehrere Tage und verstärkten die Arbeit an der Schule. Es fanden Fachtagungen und Weiterbildungen, oft genug mit Kindern und Eltern im Haus statt. Die Schule wurde ein Ort des Lernens für alle.
Wir luden Universitäten aus Köln, Siegen, Aachen, Klagenfurt und Bielefeld erfolgreich zu wissenschaftlichen Untersuchungen ein. Das Jahrgangsübergreifende Lernen, das Lernen selbst, die Inklusion, das Kinderparlament, das demokratische Lernen, das Freizeitverständnis von Kindern oder der Sprachgebrauch wurden untersucht und erforscht.
Es verging kein Jahr, in dem nicht das Team eines Fernsehsenders oder einer Rundfunkanstalt vorbei schaute. Ein Jahr lang filmte die Sendung „Menschen hautnah“ Falko Peschels Arbeit. Stern-TV, RTL, der WDR, viele wissenschaftliche Univerlage oder wir selbst drehten Filme, um unsere Arbeit festzuhalten. Dies war immer eine seltene Lerngelegenheit für die Kinder zu sehen, wie das entsteht, was ihren Alltag und ihre Lebenswirklichkeit so intensiv prägt.
Wir kooperierten mit Vereinen der Region, viele Jahre mit den Kirchengemeinden, dem benachbarten Männerchor, den Chören Harmonie und Young Hope. Hier gibt es heute sogar einen eigenen Kinderchor. Besondere Verbindungen gab es immer zur türkischen Gemeinde, zu den Sintis in der Kommune, zum Golfclub, den Fußball- und Karnevalsvereinen. Der örtliche Bläserchor spielt nicht nur bei jedem Sankt-Martins-Zug bei uns, sondern brachte in der Schulzeit Kindern die Beherrschung von Blasinstrumenten bei. Mit den Harmonie eigenen Vereinen wurde manche Ausstellung und manches Fest gestaltet. Besonders intensiv ist die gemeinsame Arbeit mit der örtlichen Inklusionsinitiative.
Doktoranden und meist über mehrere Wochen bleibende universitäre Praktikantinnen aus dem In- und Ausland waren für die Kinder präsent. So hatten wir wiederkehrende Besucher*innen aus Köln, Siegen, Bremen, Heidelberg oder Koblenz da, aber auch aus Österreich, der Schweiz, England, Lettland, Luxemburg und Kroatien.
Immer hatten wir viele Partnerschulen und Hochschulen, die uns im Rahmen von Comeniusprojekten, dem selbst organisiertem „Freinetz“ und „Blick-über-den Zaun-Kooperationen besuchten. Besonders erfreulich war hierbei die 10jährige Zusammenarbeit mit der englischen Lark Rise School. Immer wieder unterrichteten Lehrkräfte aus England, Finnland oder Österreich.
Wir lernten gemeinsame Konferenzen und schulinterne Fortbildungen aller an der Schule tätigen Erwachsener zu gestalten, um das gemeinsame Verständnis unserer Arbeit voranzutreiben. Besonders anrührend war, dass die Lehrer*innen einmal im Jahr alle mitarbeitenden Erwachsenen zu einem gemeinsamen Essen im Forum der Schule einluden.
Nach der Gestaltung eines eigenen „Tom-Sawyer-Schulgeländes“ im Jahr 1998, kamen einmal im Jahr Kinder, Erwachsene, Nachbarn und Jugendliche in einer eintägigen Schulgeländeaktion an einem Samstag im Mai zusammen. Das Gelände wurde weiter gestaltet und alles zu repariert, was dem gesellschaftlichen Vandalismus zum Opfer gefallen war. Nicht nur hier sahen Kinder ihre Erwachsenen arbeiten und Erwachsene sahen, was ihre Kinder leisten. Dieser Tag hat wohl die größte Symbolhaftigkeit in der Geschichte der Schule, die aufhört, wenn dieses Arbeitsfest nicht mehr stattfindet.
Last but not least lernten unsere Kinder selbst zu lehren. Sie taten dies täglich in ihren altersgemischten Klassen und besonders in ihren Kinder eigenen Angeboten der Kinderuniversität. Sie lernten auch Kindergärten zur Kinderuni einzuladen, als auch mit Kindern anderer Schulen bis nach Eitorf, Köln, Dunstable, Klagenfurt, Rostock, Brüssel und Luxemburg zu kooperieren.
Oft entstand bei Besuchern der Eindruck jede Klasse habe drei oder mehr Lehrkräfte. Auf den ersten Blick war kaum zu unterscheiden, wer Lehrerin war und wer nicht.
Die studierten Lehrkräfte lernten als Klassenleitungen mehr und mehr die pädagogische Arbeit der Klasse mit Kindern und Erwachsenen zu organisieren und zu führen. Im Sinne von Aristoteles entwickelten sie sich mehr und mehr von Pädagog*innen zu Lehrer*innen.
Der Grundschule Harmonie war immer klar, dass das Lernen der Zukunft nicht alleine die Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern sein kann. Bildung von jungen Menschen braucht heute mehr denn je das gesamte elektronische Netz, viel mehr Erwachsene in der Schule und die Schule im Dorf, um alle (!) Ressourcen der Region zu erreichen.
Mehr denn je braucht Erziehung das ganze Dorf. Und das Dorf von heute sind wir[1].
Literatur:
[1] Walter Hövel. Kinder brauchen das ganze Dorf. In: Rabensteiner/ Rabensteiner. Internationalization in Teacher Education. Interculturality. Volume 2. Schneider Verlag. 2014. S.187-214
Walter Hövel. Children Need the Whole Village. In: Rabensteiner/ Rabensteiner. Internationalization in Teacher Education. Interculturality. Volume 2. Schneider Verlag. 2014. S.215-240
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