Paul le Bohec ist tot.
Paul le Bohec war ein Denker, und einer, der handelte, nicht zögerte, bremste, sondern aufforderte, antrieb, Mut machte eigene Wege zu gehen. Er wandte sich immer Neuem und Neuen zu, hörte aufmerksam zu, erkannte den Wert des Gesagten oder Erfahrenen, auch wenn er anderer Meinung war oder sein wollte. Er dachte quer, tief und weiter!
Er hat der Freinetpädagogik ein Stück des neuen Weges nach Célestin und Elise Freinet gezeigt. Er gehört zu denen, die Freinetpädagogik weiter gedacht und verhandelt haben, so dass diese Pädagogik nicht in der eigenen Rezeptur stecken blieb, sondern heute als weiter entwickelte praktizierte „Moderne Schule“ existiert. Er entwickelte die „Natürliche Methode des Lernens“ weiter, den Freien Ausdruck, ob beim Schreiben, beim Zeichnen oder im Gesang, er trieb die Abhebung der Mathematik von ihrer eigenen Verschulung voran, - für mich vor allem durch die „Matheerfindungen der Kinder“ - und arbeitete an einer „Psychologie der Freinetpädagogik“.
Er konnte widersprechen, Widersprüche aufzeigen, streiten. Er konnte leiden, sich aufregen, - genießen, sich freuen und loben!
Er hatte eine durch und durch humanistische Einstellung zum Menschen. Er sprach einmal darüber, dass er als Kind die „Gewalt der anderen Kinder“ gefürchtet hatte. Er habe immer daran arbeiten wollen, dass schon die Kindheit und das Lernen friedlich und demokratischer werden. Es ist ihm gelungen, seinen Beitrag zu dieser Entwicklung zu leisten.
Paul war und ist für mich mein pädagogischer „Ziehvater“. Nicht, dass ich ihm so oft begegnet wäre, einen ständigen engen Kontakt mit ihm hätte pflegen können, noch hätte ich alle seine Aufsätze und Bücher lesen können, da ich kein Französisch kann.
Ich begegnete ihm. Auf meinem ersten Freinettreffen 1982 traf ich ihn zum ersten Mal. Ich hörte ihn zur „Natürlichen Methode in der Mathematik“ und zu „Patricks Zeichnungen“. Die Begeisterung über ihn, brachte mich dazu, meinen eigenen Weg in eine solche Richtung gehen zu wollen. Er hatte die Gabe und die Kraft Beispiel zu geben. Seine vielfältigsten intelligenten und einfühlsamen Gedanken, Dokumentationen und Analysen haben mich von nun an immer wieder angestoßen und selbst zum Denken und Handeln animiert.
Ich traf ihn auf einem internationalen Treffen, besuchte ihn mit Jochen Hering in seinem Haus in der Nähe von Rennes. Dort machten wir ein für mich wieder zutiefst beeinflussendes Interview, dass im Buch „Immer noch der Zeit voraus“ veröffentlicht wurde. 1997 besuchte Paul unsere Schule, die Grundschule Harmonie. Es war eine Freude zu sehen, wie er auf die Kinder zuging, sie in seinen Bann zog, - wie er uns inspirierte und animierte.
Paul war Gast bei Uschi und mir zuhause. Unvergessen bleiben mir die vier Stunden an einem der beiden Abende, die Paul und ich allein verbrachten – wir waren ohne Dolmetscherin. Paul sprach kein Deutsch, kein Englisch, ich kein Französisch, geschweige denn Bretonisch. Wir haben uns ohne jede Pause unterhalten, ungehemmt von Sprache. Paul hätte vielleicht gesagt: „Die Sprache beherrschen wollend beherrschten wir sie, bevor uns die Sprachlosigkeit beherrscht hätte“). Ohne Unterlass redeten wir darüber, warum Lesen-durch-Schreiben a la Jürgen Reichen im Französischen nicht funktioniere, warum beim Englischlernen die Methode Naturelle nochmals eine besondere Rolle einnimmt, warum man in der Freinetpädagogik nicht nur die Druckerei und die Arbeitspläne, sondern auch die Wandzeitungen und Klassenräte weglassen könne und über den 1.FC Köln und den Rennes F.C.
Paul hat die europäische und weltweite Pädagogik bereichert, er hat mir und vielen vielen anderen geholfen, den eigenen Weg zu finden.
Ich bin froh, dass es dich gab, Paul. Ich danke dir für dieses große Leben, das du uns geschenkt hast!
Walter Hövel