Walter Hövel

Die Linken sind im Englischen, die die bleiben, die Zurückgelassenen, the „left“.

Sonst sind es nur die, die im bürgerlichen Parament links sitzen.

 

Geboren in eine „ungünstige Zeit“?

Oder wird mensch immer in „ungünstige“ Zeiten hineingeboren?

 

Ich wurde direkt nach dem 2.Weltkrieg geboren, noch vor der Gründung der Bundesrepublik. Das Land war wie meine Familie, meine Erziehung, meine ganze Kindheit verseucht von einer Blut- und Boden-Ideologie der Herrenmenschen, die den Krieg verloren hatten.

 

Kaum etwas war geblieben von den Schulen der Reformpädagog*innen, der weltanschaulichen Schulen und den linken Ansätzen in der Bildung. Nach dem Krieg ging es darum eine Demokratie nach amerikanischem Muster auszubauen. Dies galt vor allem für ihre Bildung und Schule und die Widersprüche eines Anspruchs an Demokratie und dem Gewinnemachen einer kapitalistischen Gesellschaft.

 

Aber da wo Bildung war, gab es eine linke Erinnerung. Ich wurde Freinet- und Bauhauspädagoge. Ich lernte meine Theorie sofort in tägliche Praxis umzusetzen. Und genau dafür liebe ich diese Pädagogiken.

 

Erst herrschte „Kalter Krieg“ gegen einen „Realen Sozialismus“. Die USA, die NATO und auch der „Ostblock“ führten ihre Kriege. Die USA von 1945 bis 2000 über 50, die Sowietunion in der Zeit vielleicht fünf. Nach der Besiegung des „sozialistischen Lagers unter russischen Führung“ gab es nur noch ein Gegeneinander der monarchistischen und kapitalistischen Nationen, die ihre wichtigsten internationalen Geschäfte von China oder den USA aus machen.

 

Im Schulbereich kam mit John Dewey und der streng katholischen Maria Montessori eine Welle der Wirtschaft und ihrer „Wunder“ auch über die Schullandschaft. Alle reformpädagogischen Ansätze waren rechts, ob sie Petersen, Waldorf, Daltonplan oder Montessori hießen. Nur zaghaft wurde die Freinets und Freire oder Neill, Tolstoi und Korczak ausgepackt.

 

Célestin Freinet würde 125, Elise Freinet 123 Jahre alt.

 

In der DDR wurde eine spießige, deutsche Pädagogik von Margot Honecker oder Professor Joachim Lompscher ausgeschüttet. (Lompscher vertrat wenigstens noch Wygotski, Leontiew, Rubinstein, Galperin oder Lurija).

 

Es obsiegten die deutschen Bildungs- und wissenschaftstriefenden Ideologien von Ministerien, Hochschulen, Seminaren, Verlagen und Stiftungen der Industrie. Sie propagierten alle von den Mächtigen gemachte und kontrollierte Bildungseinrichtungen. Alle linken Ansätze von Bildung verschwanden, oder wurden integriert, auch bei den Kirchen oder den Grünen. (Die Grünen vertraten - bevor sie selber "Macht"

haben wollten - in ihren Anfangsjahren wenigsten noch Gedanken der Einheits- und Gesamtschule und der linken Reformpädagogik.) Heute halten sich alle Parteien an den Pakt eines „Schulfriedens“.

 

Nur hier und da gab es seit 1990 bis heute noch „Inseln“ in Kindergärten, Grundschulen oder an Hochschulen.

 

Linke Bildung fand keine Öffentlichkeit, Unterstützung oder gar Geldgeber, außer bei Eltern und den Kindern. Nicht zuletzt das Erfolgsmodell einer Grundschule Harmonie wurde wegen der linkspolitischen und reformpädagogischen Orientierung von bürgerlichen und reaktionären Kräften wieder zurückgebaut.

 

Bildung heute bleibt vor allem in Deutschland lehrend, gefächert, gesellschaftlich selektierend, zertifiziert, aufgespalten in Länder, Ministerien und Ressourcen, Rechtssein vertretend, Worte verdrehend, Vielfalt mit Freiheit verwechselnd, ohne Lobby, aber mit einer einheitlichen Zielsetzung. Ziel bleibt und blieb die Verwertbarkeit der Menschen im industriellen und elektronischen Prozess. Die Kindheiten lernen so zu denken wie ihre Altvorderen, nämlich Natur ausbeutend, gehorsam in der Gesellschaft, funktionierend im Arbeitsprozess, militaristisch, akzeptierend und gelenkt in Konsum und in der herrschenden Ideologie. Sie lernen "neu" zu denken, nämlich selber rechts, mit Schüssen von Rassismus, Nationalismus und Militarismus, aber "machtgeil".

 

Die bis jetzt 70 Jahre meines Lebens sind gefüllt von einem Vormarsch demokratischer Ansichten bei gleichzeitigem Zurückdrängen linker Bildungsmodelle. „Linker Sumpf“ wird einfach ausgetrocknet. Mit Demokratie, Migration, Inklusion, Gleichgeschlechtlichkeit wird vorsichtiger operiert. Expert*innen, öffentliche Meinungsmacher*innen und Pressevertreter*innen sind „gut erzogen“.

 

Scheinbar regungsunfähig wird einer Privatisierung der Schulen durch Industrie, Religionen, Firmen und vor allem begüterten Eltern zugeschaut. Bildung wird nur thematisiert, wenn es der Wirtschaft nutzt, also dem Verdienen. Beim Zurück zum rechten Denken wird weggeschaut, oder es wird als „normal“ betrieben.

 

Heute wird zurückgegriffen auf die große Zeit der Reformpädagog*innen, um eine Tradition kompetenter europäischer Pädagogik zu begründen.

 

Mehr und mehr gibt es öffentliche und private (bezahlte) Bildung in Kindergärten, Schulen, Hochschulen und in Berufen. Mehr und mehr übernehmen elektronische Medien, Werbung und Konsum die Bildung der Menschen. Eine „gesunde“ öffentliche Meinung wird gepflegt. Mann und Frau bleiben vielerorts auf dem rechten Auge blind, und das wird als Mitte verkauft. Linkssein oder linke Pädagogik wird als Historie gesehen. So ist Freinet heute überflüssig oder angepasst.

 

Ich lebe, wie alle meine Vorfahren, in der "permanenten Krise". Gerade herrscht Corona. Covid 19 zeigt durch das Selbstbezahlen des Lernens der betuchteren Menschen, durch das Geld der Zweidrittelgesellschaft, die Unnötigkeit von Bildung. Sollen doch die für ihre Aus-Bildung selbst sorgen, die einen guten Job wollen.

 

Aber unsere Vorfahren haben am Blut der Geschichte geleckt und wollen, dass alle Menschen gebildet werden. Sie wollen ihre Notwendigkeit bei der Bildung, der Versorgung mit Zeit, Liebe, Essen und Gesundheit aller, der Ideologisierung auch der verarmten oder immer noch unterversorgten Teile der arbeitenden und nichtarbeitenden (Versorgungsreserve) in- und ausländischen Bevölkerungsschichten.

 

Die Menschen werden durch Werbung und Konsum zum Wegsehen erzogen. Sie sehen ihr privilegiertes „Über“leben, ihre Sicherheit. Nur wenige kümmern sich um Menschenrechte und Freiheit.

 

Mich treiben heute viele Fragen.

 

Wann war das nicht so in der Vergangenheit? Geht es „uns“ heute wirklich besser? Haben meine Vorfahren nicht alle überlebt, ihre Häuser besessen? Konnten Menschen nicht schon lange denken? Wussten sie ohne Schule weniger? Ist nicht immer Wissen, Erkenntnis und Bildung kanalisiert worden? Gab es nicht immer schon den Wunsch nach Freiheit, nach einem „besseren“ Leben? War nicht Armut immer schon der Ausdruck von Krieg und Herrschaft? Gab es immer oben und unten, nicht links und rechts? Leben heute nur mehr Menschen, die ernährt werden? Wissen die, die die Macht behalten wollen, nicht schon immer die Antworten auf meine Fragen? Hat sich die Qualität der Antworten verbessert? Geht „Fortschritt“ wirklich nach Vorne? Fehlt die Hoffnung einer verbesserten Zukunft? Ist das Verschlimmern unserer Situation nicht eine ernstzunehmende Drohung? Waren „Linke“ oder besser, die von Unten nicht immer die, die die Gesellschaft wirklich veränderten oder blieb sie immer gleich, nur sich selbst verändernd? Bleibt Veränderung so lange, wie uns gelingt die gleichbleibende Zahl fortschrittlich denkender Menschen zu reproduzieren? Habe ich nur das Problem altmodisch als Kind meiner Zeit zu sein, Neues zu langsam zu begreifen? Fehlt es mir an Ehrgeiz oder Selbstwichtigkeit?

 

Ich bin als Unterschichtenkind ein Emporkömmling. Schon „Linke“  in der Studentenzeit bezeichneten mich als einen „verkappten Rechten“, einen "Aufsteuger" oder einen „Träumer“. In der Tat konnte ich mich nie auf „Linke“ verlassen. Immer musste ich selber herausfinden, was“links“ ist.

 

Ich definiere „links“ anhand der Rechte aller Männer, Frauen und Kinder, selbst der Lebewesen und der Natur. Manchmal tue ich auch etwas nicht.

 

Ich merke oft erst im Nachherein, was ich tat.

 

Schule machte ich ohne ein Konzept. Ich hatte nur eine Haltung, die lernte.

 

 

Ich bin ein unbequemer Freinetlehrer.