Viktor Frankl
Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten
- das Leben zu ver-antworten hat.
Walter Hövel
Den Traum von der Freiheit lernen
Ich wurde arm geboren, ohne zu hungern. Ich war begabt, ohne Bildung. Ich war einer von 5% Unterschichtler, die das Abitur machten. Wie viele hatten diese Chance nie! Wie viele sind heute immer noch ohne sie!
Wie wenige von uns gibt es noch. Wie wenige wollen sich an ihre Herkunft erinnern. Wie viele wurden integriert in das große Heer der Dienenden.
Wie wenige, oder eben viele von uns traten für die Rechte der Kinder ein, das der Frauen, das der Armen, der Behinderten oder das derer, die anders sind.
Die einen sind heute Bürgerkinder wie all die anderen, die für sich die individuelle Freiheit und das kreative Anderssein in der Mitte bis hin zum Buddhismus entdeckt haben. Die anderen sind die wissenschaftlichen und politischen Bürger, die die Welt verbessern wollen.
Einige von Ihnen wissen "still", dass von uns begonnene Kriege, unser Wirtschaftssystem, unsere Geheimdienste Abertausende auf der Welt umbringen, ausspionieren, ausbeuten, manipulieren, andere arbeiten mitten unter den sich immer wieder selbst entstehen lassenden Eliten. Sie sind von ihnen benutzt, aber gehören ohne den nötigen Stallgeruch nie zu ihnen.
Seit 1959 setzte man mich jeden Morgen in eine Straßenbahn und ließ mich als einziges Kind einer großen Arbeitersiedlung im Westen einer Kleinstadt in ein Kölner Gymnasium fahren. Die Lehrkräfte machten sich ein Vergnügen daraus jede Woche genüsslich die Berufe der Väter aus dem Klassenbuch vorzulesen. Sie machten sich ein Vergnügen daraus uns mit Schlägen und Bemerkungen davon abzuhalten unsere Sprache, den rheinischen Dialekt zu sprechen. Wir wurden – Hochdeutsch sprechend – integriert.
Ich werde heute in einer Zeit alt, in der Menschen ihre Eliten, ihre scheinbar ewigen Systeme leid sind. Sie begehren mit weniger Bildung, Geld und Macht auf gegen die herrschende Bildung, ihr Geld und ihre Macht. Sie fordern Bildung, Geld und Macht für sich selbst und Ihresgleichen.
Ernst Bloch in den 1960er Jahren:
Aber es gibt zweierlei Pack: das oben, kaum am Leben, plärrend schon, doch verdörrt und verdustert. Leer wie ein ausgetrunkener
Weinschlauch. Und dann das andere, das von unten, dreckig gewiss, aber wie! Offenherzig, aber auch lauernd: will zugreifen, trockenes Pack: wie euch die Kugeln um die Ohren pfeifen
werden!
Vor nunmehr fast 25 Jahren sitze ich in meiner Prüfung zum Schulleiter und leite eine Konferenz. Mitten drin kommt mir der Gedanke aufzustehen und zu gehen. Ich will nicht den Job meiner Vorgesetzten in einem feudalen System Bildung und Schule machen.
Ich machte weiter und half in den nächsten Jahren vielen Benachteiligten, Mädchen und Jungen angesichts ihrer Eltern, den vielen Migranten, ob Kurden, Türken, Syrer oder Sinti. Ich half manchem behinderten Menschen hinüber in die Teilnahme, wenigsten in der Zeit an unserer Grundschule. Ich half vor sexualisierter Gewalt. Ich konnte manchen bei der eigenen Rettung vor psychischem und sozialem Niedergang helfen.
Ich lernte als unbedeutender Intellektueller bei der Integration der wenigen Unterschichtler zu helfen und viele Fälle von Mittelschichtler kennen. Ich durfte an der Schaffung von Konzepten und Realitäten mitwirken, die eine Teilhabe aller an Demokratie und Gemeinsamkeit aufzeigen.
Aber immer blieben die gleichen Familien reich und bestimmen meine Gesellschaft. Nur wenige fielen nach oben oder unten. Die Chefs sind immer noch Kinder von Chefs. Viele leben vom Geld, dass ihnen Eltern und Großeltern gaben.
Immer noch bestimmt ein Schulsystem, wer in welcher Schicht bleibt dadurch, dass er in welche Klasse geht.
Bürger meiner Gemeinde fürchteten mich. Sie fürchteten die Kraft der Seilschaften, Förderer und Vernetzungen. Sie wussten nicht, wie weit Demokratie, Menschenrechte und Inklusion reichen. Sie fürchteten das Fremde, das Unbekannte, den Mut.
Viele unterstützten die Veränderung. Sie bauten mit an einer Umverteilung des Wissens und Lernens. An die nachhaltige Umverteilung von Geld und Macht kamen wir nie ran.
Ich lernte mit „den Bürgerlichen“, die für Menschenrechte, Demokratie und Inklusion eintreten, zu arbeiten. Ich lernte Unterschiede zu akzeptieren.
Ich lernte jene auszuschließen, die nicht von rechtem und faschistischem Gedankengut lassen konnten. Ich lernte, welche Unterschiede ich nicht akzeptierte.
Ich lernte zu verlieren ohne aufzugeben.
Heute weiß ich, dass zunehmend viele Menschen spüren, dass sie die Bevormundung durch ihre Eliten leid sind. Nicht, dass ich zu den Eliten aufgerückt wäre. Aber tue ich nicht ihren Job, als ihr Dorfmeier, Lehrer oder Polizist?
Ich lebe noch ein paar Jahre oder nicht. Ich will sie genießen. Nicht dadurch, dass ich jetzt aufstehe und gehe. Nicht, dass ich aufstehe und jetzt etwas anders mache als vorher. Ich will so lange sagen und tun, was ich kann, solange ich es kann.
Angesichts der sich anti-elitär gebenden "neuen" alten Eliten um Trump, Erdogan, Petry oder Le Pen, deren Namen ständig wechseln, muss ich fürchten, dass sie uns wieder Krieg führen lassen. Ich kann nur dagegen auftreten, meinen Teil sagen, bis ich mich hinlege oder hingelegt werde.
I remember the back streets of Naples
… touched with a burning ambition
To shake off their lowly-born tags.
So they try