Walter Hövel
Reform- Pädagogik
Die uns bekannte Pädagogik, die die bestehende Schule ist, wird schon seit hunderten von Jahren reformiert. Bis ins 18.Jahrhundert waren sie die Schulen der Händler, der Priester und
Verwaltungskaste. Sie war hauptsächlich für Jungs. Sie blieb nur ganz wenigen „Gebildeten“ vorbehalten.
Vor gut 300 Jahren entstand eine breite Volksbewegung, die das Recht einer Bildung für alle auf ihre Fahnen schrieb. Hervorgerufen wurde sie von der Notwendigkeit ein wenig Bildung für alle zu gewährleisten, damit Arbeiter*innen ihren Lebensunterhalt in Fabriken, Verwaltungen und dem Militärdienst verdienen und ihre Arbeitskraft „verkaufen“ konnten.1 Die Ausbeutung der Welt, des Klimas und des Menschen wurde vom „Kapital“ übernommen. Die Zahl der Bevölkerung konnte milliardenfach wachsen, mit ihr die Bildung der Menschen.
Die Bildung der Kinder der reichsten hundert Menschen der Erde ist mir unbekannt. Vielleicht spielt ihre Bildung keine Rolle.
In Deutschland wurde die Schulpflicht2 erstmals um 1750 gesetzlich formuliert, aber erst 1919 für das ganze Reich verpflichtend eingeführt. Seit 1923 gibt es die Grundschule, als einzige Gesamtschule oder Einheitsschule für alle. Das blieb in Deutschland, mit der Ausnahme der DDR, bis heute so. Der Staat wurde „das Mündel der Schulfähigen“3
Die ersten Lehrer (fast nur Männer) waren hauptsächlich ehemalige Militärangehörige (,“weil sie die Welt gesehen hatten“) oder Absolventen der Kirchen (,“weil sie wenigstens in Seminaren eine Ausbildung bekommen hätten“).
Politische Rechtskräfte und Reaktionäre wollten Schulen nie entwickelter haben. Sie wollten keine langfristige Profitmaximierung. Sie sahen nicht die Notwendigkeiten einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung für ihre Geschäfte und Macht. Fortschrittliche Vertreter*innen der Industrie und des Staates, sowie Anhänger der Menschenrechte und der Demokratie wollten Schulen „verbessern“. Anders ausgedrückt schienen ihnen gesellschaftliche Weiterentwicklung und demokratische Entwicklung an einander gekoppelt.
Die Reformpädagog*innen waren alle Kinder ihrer Zeit. Die Personen der Reformpädagogiken prägten sehr deutlich auch die „heute übriggebliebenen“ Pädagogiken. Die letzte alte Reformpädagogik endete wohl 1983 mit dem Tod von Elise Freinet.
Schule und Bildung mussten sich immer verändern, um den Anforderungen der Gesellschaft gewachsen zu sein. Heute haben die „Wissenschaften“ und Hochschulen eine staatliche Zugehörigkeit der Schulreform erobert. Aber nichts und niemand hat „die Führung“. Die sich sehr schnell verändernden Pädagogiken der Gegenwart und Zukunft haben sich in die NGOs und Staaten der UNO und UNESCO verlagert. Es erscheinen tausende von Aufsätzen in Büchern, online und Zeitschriften. Niemand weiß, was stimmen könnte.
Die alten und auch die neuen Richtungen teilen sich gerne in Reformator*innen der bestehenden Schulen, Kindergärten und Hochschulen auf, in Reformpädagog*innen, die eine andere Bildung fordern und „alternative“ Pädagoginnen, die bis zur Abschaffung jetziger Schule überhaupt gehen.
Die wohl größte reformpädagogische Richtung begründete Maria Montessori. Sie war Ärztin und spezialisierte sich auf das „Kinderheilen“. Sie lebte von 1870 bis 1952. Sie war Tochter einer großbürgerlichen Familie und setze ihr Studium als eine der ersten promovierten Frauen durch. Sie setzte ihr Handeln mitten in eine bürgerlich-katholischen Welt des Königtums, des Faschismus und der Demokratiebewegungen. Noch heute sind viele ihrer Ansichten pädagogisch, vor allem aber politisch, revolutionär. Sie erkannte, dass die Erziehung des Kindes ein Hineinzwingen in die Welt der Erwachsenen ist.
Die Waldorfpädagogik wurde von Rudolf Steiner gegründet. Sein Vater war ein österreichischer Bahnbeamter. Rudolf Steiner wurde 1861 geboren und verstarb 1925. Er wurde geprägt von den deutschen und österreichischen Kaiserzeiten und den Anfangszeiten der Demokratien. Er war teilweise im Zeitgeist rassistisch geprägt, vertrat aber eigene Theorien, die zumindest ungewohnt waren und die „Anthroposophie“ begründeten. Steiner und seine Waldorfpädagogik vertraten nie ein pädagogischen Konzept der bürgerlichen Staatsschule. Sie setzten ihre relative Unabhängigkeit durch.
Peter Petersen lebte von 1884 bis 1952. Er wurde als Kind einer bäuerlich - evangelischen Familie geboren. Er war antidemokratisch-kaiserlich geprägt und schloss sich den Nationalsozialisten an. Nach dem Krieg warf er Hitler sein Versagen - von rechts - vor. Er begründete in deutschen Ländern die "Erziehungswissenschaften".
Elise (1898 – 1983) und Célestin (1896 bis 1966) Freinet waren alternative Linke. Célestin war ein Bauernkind, Elise eime Künstlerin. Er wurde wegen Anti - Stalinismus aus der KP geworfen, sie war eine „frühgrüne“ Kommunistin. Beide vertraten eine moderne, demokratisierte Schule und eine stärkere Kinderorientierung (Methode Naturelle, „Den Kindern das Wort geben“).
Sie bekämpften aktiv Feudalismus und Faschismus, die durch eine demokratische Ordnung abgelöst wurden. Sie traten immer für alle Kinder, Jugendliche und Menschen, gerade für Unterschichtler ein. Ihre Stärke waren der Stage oder selbst organisierten Seminare, die das Know-How eines anderen Lernens weitergaben oder hier entwickelten.
Spätestens seit der letzten „Rechtschreibreform“ sind diese Möglichkeiten in die Hände von großen Verlagen und Stiftungen verschwunden. Corona und die Politik untersagen nun sogar jede Form von menschlichen Treffen.
Es gab und gib noch bekannte Reformpädagog*innen wie Freire, Neill, Makarenko, Tolstoi, Parkhurst, Korczak, Malaguzzi, Greenburg, Pikler, Karsen und sehr, sehr viele andere4. Sie verbindet, dass sie für das Wohl der Kinder als Menschen eintreten.
An die Spitze der deutschen Reformpädagogen setzte sich Hartmut von Hentig. Es stellte sich heraus, dass er und sein Freund Gerold Becker sich an Kindern und Jugendlichen vergangen hatten. Von diesem Schlag erholt sich jede Kinder orientierte Pädagogik in Deutschland nur schwer. Auch die Pädagogik, das Lehrer*innensein leiden darunter.
Es gab John Dewey in den USA. Er lebte 1859 bis 1952. Er war Reformpädagoge, der eine Verbesserung der Einrichtung „Schule“ als demokratische Bewegung und Entwickler des bestehenden Systems anstrebte. Er prägte vor allem nach dem 2.Weltkrieg Generationen von Veränderern der Schule und ihrer Reformator*innen auf der ganzen Welt. Mit ihm gab es eine spürbare Verschmelzung der reformatorischen Kräfte.
Seit den 50er Jahren gibt es eine Verschmelzung verschiedener staatlicher, freier, alternativer und reformpädagogischer Ansätze unter dem Dach der staatlichen Wissenschaften. Es wird jetzt hauptsächlich von "education" und "paedagogy" gesprochen. Eine Individualisierung des Lernens wird angestrebt, aber auch ihre Rettung als Lehre der Erwachsenen.
Zur Zeit verändert sich durch Restauration und Abschaffung die jetzige Form von Bildung. Ich wage nicht in eine rechte Zukunft der vollkommenen Überwachung oder eine Öffnung zur Individualisierung und Diversität der Menschenrechte zu blicken. Ich weiß nur, dass die Zukunft der Bildung sich immer wieder weiter entwickeln wird. Pflegen wir unsere Herkunft und unser demokratisches Wollen in der uns unbekannten Zukunft. Eine Richtung scheint mir eine „Liberistik“, also ein weiteres Ansteigen der Entscheidungsgewalt von Kindern zu sein. Die Staaten versuchen aber auch ihre Verwissenschaftlichung eines lenebenslangen Lernen vorzunehmen.
1https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-Seit-wann-gibt-es-die-Schulpflicht-_arid,364171.html
2https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/185878/geschichte-der-allgemeinen-schulpflicht
3https://www.zeit.de/2001/49/Schulpflicht_muss_nicht_sein
4Walter Hövel. Bedeutende Pädagoginnen und Pädagogen. Gedanken zur Verbesserung des Lernens. Eitorf 2018. Download: https://www.walter-hoevel.de/p%C3%A4dagogische-beitr%C3%A4ge/bedeutende-p%C3%A4dagog-innen/