Walter Hövel
Ich will aber nicht
Die Geschichte habe ich von einer Kollegin an der privaten FH in Jena gehört:
Die Mutter sagt zu ihrer Tochter: „Komm an meine Hand“. „Nein“, antwortet das Kind.
„Warum nicht?“, fragt die Mutter. „Ich will nicht!“ antwortet das Kind.
Die Mutter gibt nicht auf: „Du musst an meine Hand, weil ich dich sicher über die Straße bringen will.“ Das Kind bleibt dabei: „Ich will aber nicht an deine Hand!“.
Mutter: „Es ist aber besser, wenn du an meine Hand kommst“ Kind: „Ich will aber nicht!“
Erst mit der nächsten Frage hat die Mutter das Nein ihres Kindes gehört: „Was willst du denn?“ Das Kind: „Ich will sagen, wenn grün ist.“
Das eine ist es, das Nein zu hören, dann es zu verstehen. Das nächste anders zu handeln.
Die Geschichte erzählte sie in einer Phase, als dem Kollegium klar wurde, dass zunehmend immer mehr Studentinnen und Studenten auch dann nicht die von den Dozentinnen und Dozenten gewünschten Erfolge zeigten, wenn die Themen suboptimal didaktisch-pädagogisch und wissenschaftlich-fachlich von den Lehrenden aufbereitet und offeriert waren.
Es wurde ihnen für Augenblicke klar, dass jeder Mensch jedes Thema nur auf seine Art und Weise versteht! Das herrschende Schulsystem will nur ein Ergebnis, das RICHTIGE, und zwar möglichst individuell und kreativ und intelligent.
Für einige Augenblicke war das Kollegium bereit, die Wahl der Themen, die Bearbeitungsart und -inhalte, die Wahl der Lerngemeinschaft, die Länge der Lernzeit und die Richtung der Lernziele den Lernenden selbst zu überlassen. Sie waren sogar bereit, selbst Lerner zu werden.
Dann fiel ihnen aber ein, dass sie das nicht gelernt hatten und hörten das Nein so vieler Studierender nicht mehr! Sie beredeten die Realität so lange, bis sie wieder in ihre Realität passte.
Viele Schülerinnen und Schüler sagen nicht „Ich will aber nicht“. Sie passten sich an, schon als Kinder. Da sie kooperieren wollen, fügen sie sich so, dass die Gesellschaft so weiter funktioniert wie bisher.
Und wie viele Erzieherinnen und Erzieher, wie viele Lehrende sind nur deshalb Lehrkräfte geworden, weil sie sich selbst angepasst haben. Wie sagt Hüther: „Ein guter Schulabschluss ist kein Indikator für Intelligenz, sondern von guter Anpassungsfähigkeit“.
Wie viele Erwachsene – und darauf weist Wolfgang Mützelfeldt seit Jahren hin – geben „ihren“ Kindern und Lernenden zuhause, in Kindergarten, Schule und Hochschule genau das Recht nicht, was sie als Kind schon nicht hatten. Wie schnell sind die Sätze gesagt: „Nun stell dich nicht so an“, „Das musste ich auch lernen“, „So geht das im Leben eben“ oder „Ich musste mich auch fügen“.
„Verhaltenskreative“, „Schwierige Kinder“ oder „Lerngestörte“ sind nicht unsere Problemfälle!!! Sie können oft nur nicht ausdrücken, was schief läuft. Oder sie haben es aufgegeben, weil die Erwachsenen sie eh nicht verstehen oder nicht zuhören“.
Wie glücklich kannst du zuhause, in Kindergarten, Schule oder Hochschule sein, wenn jemand sagen kann „Nein, ich will nicht!“ Toller ist es, wenn wir Erwachsenen die Fragen zu stellen lernen, die uns Antworten geben, wie „Ich will sagen, wenn grün ist“! Oder bei dir selbst bestimmt gelernt wird.