Daniela Hofstetter
Wie aus Langeweile Lernfreude wird
Interviewpartner Walter Hövel, ein weiterer Schulleiter und vier Grundschulkinder

Die mehr als 50 vorhergehenden Seiten der Bachelorarbeit von Daniela Hofstetter aus dem Jahr 2017 zeigen, „dass Langeweile im Unterricht keineswegs eine Randemotion ist. Eher handelt es sich dabei um eine grundlegende schulische Erfahrung.

Lernfreude andererseits hat in der ersten Schulstufe ihren Höhepunkt und sinkt ab da stetig. Weiters wird deutlich, dass Unterrichtsmethode und -inhalt die Hauptursachen für Langeweile darstellen und dass dies den Lehrpersonen durchaus bewusst ist.

Mit einem Blick auf die Auswirkungen beider Emotionen, die alles in allem auf der schulischen Leistungsebene sichtbar werden, sollten Pädagogen und Pädagoginnen auf die Relevanz eines emotionsgünstigen Unterrichts hin sensibilisiert worden sein.“

Zu diesem Thema interviewt Daniela Hofstätter zwei Lehrer und vier Grundschulkinder. Ausschnitte aus diesen Interviews werden im Folgenden aus ihrer Arbeit wiedergegeben.

„Beide Lehrer praktizieren oder haben innerhalb eines Regelschulsystems aus ihrer Sicht einen offenen Unterricht praktiziert.

Walter Hövel war Mitbegründer der Schule, in der er bis zur Pensionierung 19 Jahre lang Schulleiter war. Daniela Hofstetter hospitierte zwei Tage an der Grundschule Harmonie in Eitorf und führte dort vertiefende Gespräche mit ihm und weiteren Lehrpersonen im März 2016.

Lehrer B kann mittlerweile auf 22 Jahre Berufserfahrung zurückblicken und seit acht Jahren leitet er seine eigene Schule. An dieser absolvierte die Autorin 2016 ein vierwöchiges Praktikum.

„Sowohl der Lebenslauf von Walter Hövel, als auch der von Lehrer B ist charakterisiert durch eine Unzufriedenheit gegenüber traditioneller, Lehrer*innenzentrierter Unterrichtsformen. Sie haben sich damit reflexiv auseinandergesetzt und sich für einen neuen Weg in der Pädagogik entschieden.

Zentral dafür ist die Orientierung am Individuum. Jenes Individuum, das tagtäglich vielfältigste Emotionen durchlebt. Diese Tatsache und die vor Ort als positiv wahrgenommene Haltung der Schüler/-innen gegenüber Lernen und Schule hatten Daniela Hofstetter zur Auswahl dieser beiden Persönlichkeiten als Interviewpartner veranlasst.

Die empirische Untersuchung wurde im April 2017 über Telefon durchgeführt, begründet durch die räumliche Distanz von Interviewerin und Untersuchungspersonen. Nachteil gegenüber einem face-to-face Interview ist die fehlende nonverbale Kommunikation (vgl. Flick 2014, S. 233).

Im September wurden 2017 insgesamt vier Interviews mit Schüler/-innen der Schule von Lehrer B geführt, jedoch zu der Forschungsfrage „Wie nehmen Kinder Lehrer/-innen zentrierten bzw. Schüler/-innen zentrierten Unterricht wahr?“ Daraus ließen sich zusätzlich einige Aussagen entnehmen, die Unterricht und Emotionen aus Kindersicht darstellen.

Interviewpartnerin E ist 9 Jahre alt. Sie verbrachte ihre ersten Schulwochen in einem Lehrer/-innen-zentrierten und auf Homogenität ausgelegten Unterricht. Veranlasst durch eine starke Unterforderung wurde sie in die zweite Schulstufe versetzt. Allerdings trat hier Überforderung auf. Der Ausweg war ein Schulwechsel, durch den sie an die Schule von Lehrer B kam.

Interviewpartnerin F ist 12 Jahre alt und verbrachte vier Jahre an der Schule von Lehrer B. Danach wechselte sie an ein Gymnasium, das traditionellen, Lehrer/-innen-zentrierten Unterricht praktiziert.

Schülerin C ist 9 Jahre alt und seit ihrem Schulbeginn an der Schule von Lehrer B.

Schülerin D ist ebenso 9 Jahre alt, auch sie verbrachte ihre gesamte bisherige Schullaufbahn an der Schule von Lehrer B und kann somit nur auf persönliche Erfahrungen im schüler/-innen-zentrierten Unterricht zurückblicken. Allerdings besucht ihre ältere Schwester ein Gymnasium mit lehrer/-innen-zentriertem Unterricht. Durch Erzählungen darüber konnte sie eine Vorstellung davon gewinnen.“

Langeweile
 „Mir fällt jetzt zum Beispiel der Bericht eines Schülers einer Sudbury-Schule ein, der irgendwie sagte, er hätte ein halbes oder irgendwie ein Jahr auf der Fensterbank verbracht und das wäre das Wichtigste seines Lebens gewesen. Weil er sich da irgendwie klargeworden wäre, was er später einmal machen will. Und hat das danach dann voller Elan angegangen.“ (Interviewpartner B)

Innerhalb dieser Kategorie soll Langeweile in der Praxis näher beleuchtet werden. Es sollen Arten, Charakteristika, Ursachen und Auswirkungen dieser Emotion erfasst werden.

Beide Lehrer sind sich einig, dass Langweile im Sinne von „Zeit totschlagen“ negative Effekte auf Lernen hat. Lehrer B bezeichnet die großen Entwicklungsunterschiede, die zu Beginn der Volksschule 3-4 Jahre betragen und zu Beginn der Sekundarstufe sogar 7-8 Jahre, als eine der Hauptursachen von Langeweile im Unterricht. Gleichschrittiger Unterricht „geht somit an den Kindern vorbei“ und führt zu Langeweile. Als weitere Quelle von Langeweile wird von Lehrer B die Inkongruenz zwischen Lernstoff und Interesse bzw. Bedürfnissen genannt.

Schülerin C geht mit dieser Einschätzung konform und nennt eine zu niedrige kognitive Anstrengung und zu wenig Abwechslung als Ursachen für Langweile.

Andererseits beschreiben Walter Hövel und Lehrer B eine positive Langeweile, die als Muße verstanden werden und Wege zu sich selbst eröffnen kann. Ihre Auswirkung auf das Lernen ist positiv. Diese Form der Langeweile, auch da herrscht Einigkeit, müsse aber, aufgrund der Gewohnheit eine Ablenkung zu suchen, erlernt werden.

Lernfreude
„Also diese Erlebnisse [prozessorientierte Lernfreude] gibt es sicherlich. Dieses Reinversinken in Sachen und so weiter. Aber ich glaube, dass es realistischer ist, Lernfreude eher so zu sehen, dass sie einfach gerne an ihren Sachen arbeiten. Und das kann auch sein, um irgendein Ziel zu erreichen oder auch um in der Grundschule ist das sicherlich auch nicht unüblich, um jemand anderen damit zu gefallen oder wie auch immer.“ (Interview B)

Mithilfe dieser Kategorie soll eruiert werden, in welcher Form Lernfreude in der Praxis auftritt und welche Motive dahinterstehen.

Beide Lehrpersonen waren sich einig, dass prozessorientierte Lernfreude in der Praxis nur vereinzelt vorkommt. Sollte dies doch der Fall sein, kann dadurch eine Begeisterung entstehen, die auf andere übertragbar ist (vgl. Interview B). Jedoch wird bezweifelt mit reinem Blick auf prozessorientierter Lernfreude die schulischen Leistungsanforderungen erfüllen zu können (vgl. Interview B).

Sowohl Walter Hövel, als auch Lehrer B meinten, dass Lernfreude in der Praxis eher prospektiv vorkommt. Die Schüler/-innen haben entweder spezifische Ziele im Visier oder streben nach Anerkennung ihrer Leistung, die fernab von Noten aus Präsentation der Ergebnisse, sowie Selbsteinschätzung mit anschließendem würdevollem, konstruktiv-kritischem Feedback bestehen kann.

Lehrer B nennt prospektive Lernfreude als wertvolle Basis für Schule denn durch sie lernen Kinder gerne und selbstverständlich und erreichen gleichzeitig schulische Ziele.

Dahingehend begründen auch Schülerin C und D ihre Freude am Lernen. Sie argumentieren mit der Erreichung von Zielen, mit Anerkennung, aber auch mit Spaß an der Arbeit selbst.

Umgang mit Lernemotionen
Walter Hövel: „Also ich würde das gar nicht offen nennen, sondern, dass man es [Lange-weile] zulässt, dass man das erkennt als Lerngegenstand. Dass man dann aber nicht das Kind alleine lässt, sondern sagt: „Okay, jetzt finde raus, warum du dich gerade langweilst. Finde raus, welches Thema da drinsteckt. Womit beschäftigst du dich gerade?“ Und dann kann es passieren, dass sie es deutlich sagen, dass sie sich für etwas nicht interessieren … Und dann ist wieder meine pädagogische Kunst als Lehrer, dass ich mit diesem Menschen darüber rede, was denn passieren muss, damit ihn Mathematik interessiert. (…) Also, wie ihn das begegnen kann, mit welchen Menschen, ob ich da einen Freund finde, ob er einen Matheprof braucht, der an irgendeiner Uni ist. Ob ich das selber als Lehrer kann. Ob ein anderer Lehrer das könnte. Ob er mit Material arbeiten muss oder ob er spannende Aufgabenstellungen haben muss. All das kann ich dann rausfinden.“

Mithilfe dieser Kategorie soll eruiert werden, wie in der Praxis konstruktiv mit Langeweile umgegangen wird, um daraus Lernfreude zu erzeugen.

Beide Lehrer stimmen überein in der Behauptung, dass es kein rundum Rezept für Lernfreude im Unterricht gibt, da sie stark kindes-, tages- und stimmungsabhängig ist. Walter Hövel spricht sich für die Zulassung von Langeweile als Muße aus und befürwortet eine Behandlung beider Formen von Langeweile als Lerngegenstand. Schüler/-innen sollen offen sagen dürfen, wenn sie etwas als langweilig empfinden. Durch Nachfragen der Lehrperson soll dann eine Auseinandersetzung mit dieser Emotion angeregt und, wenn nötig, dadurch Ursachen und Wege aus der Emotion gesucht werden.

Walter Hövel: „Statt sich also die Frage zu stellen, wie unterrichtet werden soll, dass man Lernfreude fördert und Langeweile abschwächt, soll die Aufmerksamkeit auf dem Menschen und der Gestaltung seines Lernens gelegt werden, damit dieser mit Langeweile umgehen und seine eigene, intrinsische Lernfreude behalten kann.

Aus der Lehrendenperspektive
Walter Hövel: „Also die Kinder an unserer Schule wissen alle: Diese Gesellschaft verlangt Rechtschreibung. Ich muss mir das irgendwie reinziehen. Ich muss rechnen können, sonst habe ich schon in der Schule danach verloren. Wenn ich nicht Kopf-rechnen kann, kann ich keine Mathearbeiten mitschreiben. Ich werde Mathearbeiten schreiben müssen. (…) Und wir haben (…) das so gemacht, an unserer Schule, dass wir zuallererst dieses selbstständige Lernen gefordert und gefördert haben und dann haben wir über Kinderuniversität, über Einzelarbeit mit Kindern, sind wir hingegangen und haben auch all das angeboten, was man in Schule lernen muss, weil du sonst diskriminiert wirst in der Gesellschaft.“

Diese Kategorie betrachtet Selbstbestimmung aus der Sicht von Lehrenden und dient zur Evaluation, inwiefern ein emotionsgünstiger Unterricht Selbstbestimmung braucht. Weiters soll bestimmt werden, welche Ebenen der Selbst-bestimmung angesprochen werden sollen und wie damit Lehrplanziele erreicht werden.

Alle zwei Pädagogen waren der Meinung, dass emotionsgünstiger Unterricht stattfindet, sobald Menschen Selbstbestimmung erleben. Kurzfristig könne zwar eine Steigerung der Lernfreude auch durch Beziehungsarbeit und Motivationsspiele erzielt werden, langfristig sei jedoch nur der Weg der Selbstbestimmung wirksam. Weiters meinte Lehrer B, dass es sich bei Lernfreude durch Selbstbestimmung weniger um Spaß zu haben, sondern eher um Freude im Sinne der Kompetenzentwicklung handle, die meist auch mit Anstrengung einhergehe.

Laut Lehrer B sei es aber essentiell, Selbstbestimmung nicht wie in der Praxis häufig anzutreffen, nur auf ihre organisatorische Ebene zu reduzieren. Beide Lehrpersonen sind sich einig, Selbstbestimmung auf die inhaltliche, methodische und organisatorische Ebene auszudehnen. Lehrer B beschreibt zusätzlich noch die soziale Selbstbestimmung, innerhalb der Schüler/-innen Unterrichtsabläufe, -absprachen und Regeln demokratisch aushandeln und bestimmen dürfen.

Einigkeit herrschte auch bei der Frage nach der Lehrplanabdeckung durch selbstbestimmten Unterricht. Die Befragten meinten, dass die Kinder lernen würden, ihren eigenen Themen nachzugehen, aber dabei gleichzeitig wüssten, was die Gesellschaft von ihnen verlangt. Neben dem selbstbestimmten Lernen bietet Walter Hövel Lerngelegenheiten für größere Gruppen oder Einzelförderung an, um den Lehrplanzielen gerecht zu werden.

Aus der Lernendenperspektive
„Mir gefällt die Schule, weil man sich aussuchen darf, was man arbeitet. Das finde ich besonders toll.“ (Interview D)

Diese Kategorie soll die Meinungen und ihre Begründungen, sowie Erfahrungen der Schülerinnen zu selbstbestimmten Lernen, andererseits aber auch zu fremdbestimmten Unterricht erfassen.

Alle interviewten Kinder betonen, dass ihnen ihre Schule besonders gut gefällt, weil sie selbstbestimmt lernen dürfen. Begründet wird diese Vorliebe durch eine höhere Bedürfnisgerechtigkeit und eine genauere Passung zwischen Lernstand und Lernstoff. Diese führe nach Schülerin F zu mehr Lernfreude.

Fremdbestimmter Unterricht dagegen findet bei allen vier interviewten Kindern Ablehnung. Schülerin D spricht von Zwingen und einem damit einhergehenden negativen Gefühl („blöd fühlen“). Schülerin F begründet ihre negative Einstellung durch ein Gefühl der Unterwerfung und weniger Spaß aufgrund von Vorschreibungen. Darüber hinaus führe Gleichschritt zu weniger Effizienz im Unterricht aufgrund von Wartezeiten von schneller arbeitenden Schüler/-innen. Diese würden gelangweilt werden. Langsamer arbeitende würden einem höheren Druck ausgesetzt sein und dadurch weniger sorgfältig arbeiten.

Diese Ineffizienz spürte Schülerin E in ihrer alten Schule am eigenen Leib: „Da musste ich halt die Sachen, die ich wusste, zum Beispiel die Buchstaben, die konnte ich in- und auswendig, alle noch mal schreiben“. Schülerin C bringt ihre Einstellung dazu mit der Aussage „ich finde das einfach für ein Kind der Horror“ auf den Punkt. Gemeint ist auch hier die Inkongruenz zwischen Lernstand und Lernstoff.

Lehrperson
Walter Hövel: „Also, es ist eher das, was man so landläufig als Partnerschaft auf Augenhöhe versteht. Das heißt, wir sind nicht diejenigen Menschen gewesen, die mit einem großen pädagogischen Zeigefinger kamen und sagen „Hör mal, du musst aber jetzt noch deine Einmaleins-Reihen lernen.“ (…) Sondern wir haben gesagt: „Du weißt, dass du in der Grundschule ja Einmaleins-Schreiben lernen musst. Wir müssen jetzt rausbekommen, wie das bei dir geht. (…) Gehst du über die Kunst da dran, dass du über die Muster da drangehst? Musst du die Einmaleins-Reihen abgehen in großen Kreisen, die wir aufgemalt hatten am Schulhof. Musst du die Einmaleins-Reihen begreifen über die Addition? Kannst du Einmaleins-Reihen darüber begreifen, dass wir Mathematik noch einmal ganz von vorne anfangen, damit du einen vollkommen eigenen Einstieg hast. Oder bist du der Lerntyp, der das einfach runterlernt, direkt auswendig kann und fertig. Und diese Wege haben wir mit den Kindern rausbekommen.“

Diese Kategorie soll die Rolle der Lehrperson, ihre Haltung und Einstellung in einem emotionsgünstigen Unterricht beschreiben.

Laut Lehrperson B ist die Rolle als Animateur nicht zu empfehlen. Walter Hövel bekräftigt, dass auch die Rolle als Wissensvermittler seit den neuen Medien als überholt und überflüssig gilt. Weiters seien Lehrende nicht mehr da, um Vorschreibungen zu machen. Ihre Verantwortung würden sie übernehmen, indem sie eine Auseinandersetzung mit Lernprozessen, Fortschritten und Zielen bei den Kindern anregen. Die Kinder selbst würden die Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen. Somit könne von einer Partnerschaft auf Augenhöhe gesprochen werden.

Ähnlich sieht dies auch Interviewpartner B, der die Aufgabe der Lehrperson darin sieht, herauszufinden, womit sich die Kinder wirklich beschäftigen wollen und ihnen dort größtmögliche Freiheit zu überlassen.

Besonders wichtig war Walter Hövel, die Haltung würdigen statt werten zu wollen, dabei jedoch Ehrlichkeit beizubehalten. Dies sei besonders bei Anerkennung von Leistung zu berücksichtigen, wobei diese subjektiv ist und stets am Individuum gemessen werden soll.

Der Unterschied zwischen Würdigung und Wertung und seine Auswirkung wurde von Schülerin F anhand des Beispiels der Präsentation beschrieben. Schafft man eine Atmosphäre, die es zulässt ohne Druck und Scham vor anderen zu präsentieren und betont man beim Feedback zuerst die positiven Aspekte, um anschließend Verbesserungsvorschläge anzubieten, regt dies die Motivation zu präsentieren und sich stetig zu verbessern an. Vorgegebene Termine, sowie die Betonung negativer Aspekte üben Druck auf die Schüler/-innen aus und bewirken einen Anstieg von Demotivation.

Soziales Klima
„Ich hatte da aber auch eher das Problem, dass ich (…) in der Klasse auch gemobbt wurde und dass ich dann damit eher die Probleme hatte und dann keine Lust auf Schule hatte und generell da hinzugehen.“ (Interview F)

Diese aus der Forschung entstandene Kategorie fasst den Einfluss des sozialen Klimas auf Lernemotionen zusammen. Es werden hilfreiche und weniger hilfreiche Maßnahmen bei sozialen Problemen genannt. Weiters wird ein lernförderliches Klassenklima umschrieben.

Zwei von vier Schülerinnen betonen die Relevanz des sozialen Klimas für die Lern- bzw. Schulfreude. Beide haben selbst Erfahrungen zu Mobbing gesammelt und dadurch eine Verringerung ihrer Schulfreude verzeichnet. Als hilfreich wurden der Beistand der Lehrperson und offene Gespräche innerhalb der Gruppe empfunden. Weniger hilfreich waren soziale Spiele. Sie ignorierten das tatsächliche Problem und änderten nichts an der Situation.

Schülerin F beschreibt ein schulisches Wohlfühlklima genauer und spricht dabei eine Atmosphäre an, die auf Gleichberechtigung basiert und dadurch offene Gespräche zulässt. Daraus würde eine Gemeinschaft mit Zusammenhalt entstehen, die sich positiv auf Schul- bzw. Lernfreude auswirkt. Würden sich Lehrende dagegen als Richter für Recht und Unrecht sehen, würde dies ein gegenseitiges Ausspielen fördern.

DISKUSSION UND INTERPRETATION DER ERGEBNISSE
Daniela Hofstetter: „In der verwendeten Literatur wurden der Langeweile ausschließlich negative Folgen für Lernen zugeschrieben. Dies mag für Lehrer/-innen-zentrierten Unterricht auch der Fall sein. Weniger Beachtung fand darin, die von beiden Lehrern beschriebene Langeweile als Muße, der in selbstbestimmten Settings eine tragende Rolle zukommen kann. Wichtig erscheint es, beide Fälle als Lerngegenstand anzuerkennen.“

„Neue Erkenntnisse liefern die Ergebnisse auch in Hinblick der Definition von Lernfreude. Sie nur als gegenwartsbezogene Emotion aufzufassen, wäre in der Praxis zu einschränkend. Eine Begriffs-bestimmung, die sie als Freude an der Anerkennung der Leistung, Zielerreichung und/oder Kompetenzentwicklung beschreibt, wäre zu bevorzugen, wobei es sich bei der Zielerreichung aller Voraussicht nach um die eigenen Ziele handeln muss, um Motivationstricks unterlassen zu können (siehe Kapitel 3.5).

Summa summarum hat Freude an der Tätigkeit viele positive Effekte auf Lernen, ob die Motivation dahinter gegenwarts- oder zukunftsbezogen ist, ist dabei nebensächlich.

Wie in Kapitel 3.5 erwähnt, kann es nie den lernfreudegenerierenden Unterricht geben. Diese Aussage bestätigen auch die Interviews. Lernfreude ist ein höchst individuelles Empfinden, das neben den in Kapitel 3.4 genannten Einflussmöglichkeiten innerhalb des schulischen Rahmens auch einer Beeinflussung durch Stimmung, Tagesverfassung etc. unterliegt. Insofern kann nur versucht werden, den Bereich, auf den Lehrpersonen Zugriff haben, so emotionsgünstig wie möglich zu gestalten. Zusätzlich sollte den Schüler/-innen aber ein konstruktiver Umgang mit destruktiver Langeweile ermöglicht und erlernt werden.

Sowohl aus der Literatur, als auch aus den Schülerinnen- und Lehrerinterviews geht hervor, dass Lernfreude am ehesten über Selbstbestimmung zu generieren ist. Dabei sind die organisatorische, methodische und inhaltliche Autonomie wesentlich. Eine Ausdehnung in den sozialen Bereich könnte eine zusätzliche Stärkung des Klassenklimas bewirken. Fremdbestimmung dagegen löst negative Gefühle/Emotionen bei den Lernenden aus.“

„Als Lehrperson sollte man stets die Rolle der Beobachterin/des Beobachters einnehmen und langfristige Lernziele und individuellen Bedürfnisse im Blick haben. Falls Notwendigkeit soll eine Auseinandersetzung mit dem Lernfortschritt, dem Lernprozess, den Emotionen etc. angeregt und somit die Rolle der Impulsgeberin bzw. des Impulsgebers eingenommen werden.

Lernprozesse sind so individuell, wie die Kinder selbst. Diese Individualität soll in die Anerkennung der Leistung miteinfließen und zu einer Würdigung statt Wertung führen.“

„Mehrwert der Kinderinterviews war sicherlich auch die Betrachtung des Einflusses des sozialen Klimas, der so in der Literatur nicht vorkam. Gerät dieses aus dem Gleichgewicht, kann selbst die positivste Lernemotion zu einer negativen werden. Eine Anbahnung von Gleichberechtigung zwischen Lernenden und Lehrenden würde einen positiven Beitrag zum Klassenklima leisten.“

SCHLUSSBETRACHTUNG
Walter Hövel: Die vorliegende Arbeit verdeutlicht den Zusammenhang von Emotionen und Lernen und der nie zu unterschätzenden Bedeutung des Zusammenhangs von der Freiheit der Lehrpersonen und der Lehrenden für ein erfolgreiches offenes Lernen.

„Neben einer anfänglichen rein destruktiven Betrachtung von Langeweile, ergab sich aus der empirischen Untersuchung eine weitere Form dieser Emotion, die lernförderlich wirken kann. Spannend finde ich, dass auch dieser in manchen selbstbestimmten Settings Raum gegeben wird. Von der Lehrperson wird dabei aber sehr viel Vertrauen und Ausdauer abverlangt, da Erfolge sehr zeitverzögert auftreten. Welche Auswirkungen Langeweile als Muße in der Schule (auf Kind, Mitschüler/-innen, Eltern, etc.) nach sich zieht und welche Voraussetzungen seitens der Lehrperson gegeben sein sollten, wären interessante Fragestellungen weiterführender Forschungen.

Lernfreude rein prozessorientiert zu definieren und diese dann als Ziel von Unterricht zu deklarieren, würde zu kurz greifen. In der Praxis dominieren vor allem Freudeerlebnisse aufgrund von Anerkennung der Leistung oder Zielerreichung, was einer prospektiven Lernfreude entsprechen würde. Primär ist aber vor allem, dass Lernfreude erhalten bleibt. Ob Ziele dahinterstehen oder nur die Tätigkeit an sich Auslöser ist, ist erstens nebensächlich und zweitens vermutlich in der Praxis ohnehin kaum zu differenzieren.

Im Laufe der Arbeit und vor allen Dingen innerhalb der Forschung ist mir klargeworden, dass es sich bei den Erkenntnissen dieser Arbeit nicht um einen strikten Leitfaden handeln darf, den es akribisch zu verfolgen gilt.

Eher soll der Fokus auf das einzelne Kind gelegt und versucht werden sein individuelles Lernen zu fordern und zu fördern. Die Kinder sollen ihre eigenen Themen auf ihren individuellen Wegen bearbeiten dürfen und erhalten sich so sehr wahrscheinlich ihre Lernfreude von selbst bei. Über-dies werden durch einen selbstbestimmten Unterricht, meinen Einschätzungen zufolge, einige Aspekte des emotionsgünstigen schulischen Rahmens von Vornherein berücksichtigt (z.B. die veränderte Rolle der Lehrperson). Der vorgelegte Rahmen soll somit vor allem eine Reflexionsgrundlage für die Praxis darstellen.

Dennoch kann nie, und das ist ebenso Teil meines Lernprozesses, eine Gewährleistung für Lernfreude gegeben sein, denn nicht alle Umstände liegen in der Hand der Lehrperson.“

„Zudem hatten für mich die Interviews mit den Schülerinnen, abseits der dadurch erweiterten inhaltlichen Betrachtungsweise, einen weiteren hohen Erkenntniswert: Erstaunlich finde ich die ausgeprägte Reflexionsfähigkeit der Schülerinnen in diesem Alter. Sie waren bereits in der Lage auf eine Metaebene zu treten und über ihre Erfahrungen, Emotionen und deren Ursachen und Begründungen zu sprechen.

Sicher kann man eine derartig entwickelte Reflexionsfähigkeit für diese Altersgruppe nicht verallgemeinern, aber durch Förderung ist es scheinbar möglich, sie auf ein höheres Level zu heben und damit einen konstruktiven und reflexiven Umgang mit Langeweile zu erreichen. Weiters sehe ich darin die Möglichkeit, sich nicht nur mit Pädagoginnen und Pädagogen oder Eltern über die Emotionen der Kinder auszutauschen, sondern diese selbst zu fragen, was sie brauchen, damit sie Freude am Lernen haben.

Ich möchte meine Arbeit mit einem Zitat von Walter Hövel schließen, der darin sein Verständnis von Lernen mit einer Metapher umschreibt und darauf eingeht, wie ein solch gedachter Unterricht das Bewusstsein für das eigene Lernen fördert“:

Die wissen ja, wie sie lernen. … Die sind ja nicht immer nur gefüttert worden. Sondern sie haben gelernt zu essen. … Und wenn ich die immer nur füttere, diese Tiere werden ewig gefüttert werden müssen. Und wenn ich aber lerne, wie ich mir selber mein Essen besorge, wie ich damit umgehe, was ich brauche im Körper, wie ich mir etwas besorge, was ich gerne hätte. So verstehen wir lernen.

INTERVIEWAUSZUG
D (immer für Daniela Hofstetter): Meine erste Frage wäre, wenn Sie den Titel meiner Arbeit hören – „Wie aus Langeweile Lernfreude wird“, welche Relevanz für den täglichen Unterricht können Sie ihm abgewinnen?

W (immer für Walter Hövel): Ja, da ist sofort der Begriff der Langeweile. Da gibt’s halt total verschiedene Begrifflichkeiten.

Einmal ist Langeweile eine Kunst, das ist die Muße. Das ist total toll, wenn Kinder das schon können. (…) Also, wenn ein Kind draußen im Schulgelände sitzt, im Klassenzimmer zum Fenster rausgucken kann und kann träumen, kann imaginieren. Das ist toll.

Oder einfach auch nichts tun, einfach nur, ach da gibt’s doch ein schönes österreichisches Wort für. Auf Deutsch heißt das „Löcher in die Luft schauen“. Ins „Narrenkastl schaun“.

D: Ins Narrenkastl, ja (lacht).

W: Meine Frau sagt das manchmal. Die ist Wienerin.

… die gebraucht manchmal diesen Ausdruck … Also das halt ich für eine Kunst. Und das ist toll. Das möchte ich auch, dass Kinder das können. Andererseits weiß ich, dass Langeweile der größte Gegner des Lernens ist.

Also gerade die Medienindustrie bietet Kindern ungezählte Möglichkeiten an Zeit totzuschlagen. Einfach mit unsinnigen Spielen oder auch unsinniges Lernen in der Schule, wie Abschreiben oder sonst was. Einfach Zeit totzuschlagen.

Das geht, das ist eine Kleinigkeit. Aber das halt ich für den größten Gegner von Lernen. Da bin ich so ein Fan davon, dass Kinder/Menschen lernen ihre eigenen Themen zu haben, ihren eigenen Sachen nachzugehen.

Und das kann man nicht automatisch, weil wir sind dazu erzogen, wenn uns langweilig wird, eben zu einer Ablenkung zu greifen. Und ich denke, wenn es gelingt, das zu einer Muße des Lernens zu machen, also dieser Eifer etwas lernen zu wollen, dann hast du ein Programm gegen Langeweile und dann hast du etwas total Spannendes. Aber immer unter dem ersten Aspekt: Langeweile als solche ist was Tolles, wenn du sie als Muße verstehst.

D:  Langweile als Muße, wie kann man sich das dann in der Schule vorstellen?

W: Also es ist eine ganz einfache Situation, die ich tausendfach erlebt habe. In dem Augenblick, wo du dich mit den Kindern morgens in den Kreis setzt und die Kinder fragst: „Was machst du heute?“ (…) Da gibt es Kinder dabei, die antworten, ganz selten, aber sie antworten dann auch „Ich lege mich erst mal hin, ich habe diese Nacht nicht geschlafen.“

… Dann lass ich die schlafen. Es gibt Kinder, die sagen: „Ich geh‘ jetzt raus, setz mich auf die Wiese und ich habe keine Ahnung, was dann passiert.“ Dem stimme ich dann zu. Oder ein Kind sagt: „Ich will das richtig mal erforschen, was ist Langeweile? Was machen wir eigentlich, wenn wir nichts tun? Ich werde Interviews mit anderen Menschen darüber machen“ etc. Das heißt, ich sehe diesen Augenblick nicht als verlorene Zeit an, sondern ich thematisier das Thema selber und sage: „He Kind, wenn du dich mit Langeweile beschäftigen willst, tu das jetzt. Das ist super. Das ist ein ganz wichtiges Thema in unserer Gesellschaft.

Und von daher kommt das bei mir im Lernprogramm vor. Innerhalb dieser Kategorie soll Langeweile in der Praxis näher beleuchtet werden. Es sollen Arten, Charakteristika, Ursachen und Auswirkungen dieser Emotion erfasst werden.

D: Mithilfe dieser Kategorie soll eruiert werden, wie in der Praxis konstruktiv mit Langeweile umgegangen wird, um daraus Lernfreude zu erzeugen.

W: „Also ich würde das gar nicht offen nennen, sondern, dass man es [Langeweile] zulässt, dass man das erkennt als Lerngegenstand. Dass man dann aber nicht das Kind alleine lässt, sondern sagt: „Okay, jetzt finde raus, warum du dich gerade langweilst. Finde raus, welches Thema da drinsteckt. Womit beschäftigst du dich gerade? Und dann kann es passieren, dass sie es deutlich sagen, dass sie sich für etwas nicht interessieren … Und dann ist wieder meine pädagogische Kunst als Lehrer, dass ich mit diesem Menschen darüber rede, was denn passieren muss, damit ihn Mathematik interessiert. (…) Also, wie ihn das begegnen kann, mit welchen Menschen, ob ich da einen Freund finde, ob er einen Matheprof braucht, der an irgendeiner Uni ist. Ob ich das selber als Lehrer kann. Ob ein anderer Lehrer das könnte. Ob er mit Material arbeiten muss oder ob er spannende Aufgabenstellungen haben muss. All das kann ich dann rausfinden.“

D: Diese Kategorie betrachtet Selbstbestimmung aus der Sicht von Lehrenden und dient zur Evaluation, inwiefern ein emotionsgünstiger Unterricht Selbstbestimmung braucht. Weiters soll bestimmt werden, welche Ebenen der Selbstbestimmung angesprochen werden sollen und wie damit Lehrplanziele erreicht werden.

W: „Also die Kinder an unserer Schule wissen alle: Diese Gesellschaft verlangt Rechtschreibung. Ich muss mir das irgendwie reinziehen. Ich muss rechnen können, sonst habe ich schon in der Schule danach verloren. Wenn ich nicht Kopfrechnen kann, kann ich keine Mathearbeiten mitschreiben. Ich werde Mathearbeiten schreiben müssen. (…) Und wir haben (…) das so gemacht, an unserer Schule, dass wir dieses selbstständige Lernen gefordert und gefördert haben und dann haben wir über Kinderuniversität, über Einzelarbeit mit Kindern, sind wir hingegangen und haben auch all das angeboten, was man in Schule lernen muss, weil du sonst diskriminiert wirst in der Gesellschaft.“ 

D: Diese Kategorie soll die Rolle der Lehrperson, ihre Haltung und Einstellung in einem emotionsgünstigen Unterricht beschreiben.

W: „Also, es ist eher das, was man so landläufig als Partnerschaft auf Augenhöhe versteht. Das heißt, wir sind nicht diejenigen Menschen gewesen, die mit einem großen pädagogischen Zeigefinger kamen und sagen „Hör mal, du musst aber jetzt noch deine Einmaleins-Reihen lernen.“ (…) Sondern wir haben gesagt: „Du weißt, dass du in der Grundschule Einmaleinsreihen, Schreiben, etc. lernen musst. Wir müssen jetzt rausbekommen, wie das bei dir geht. (…)

 

Gehst du über die Kunst da dran, dass du über die Muster drangehst? Musst du die Einmaleins-Reihen abgehen in großen Kreisen, die wir aufgemalt hatten am Schulhof. Musst du die Einmaleins-Reihen über die Addition begreifen? Kannst du Einmaleins-Reihen darüber begreifen, dass wir Mathematik noch einmal ganz von vorne anfangen, damit du deinen vollkommen eigenen Einstieg hast. Oder bist du der Lerntyp, der das einfach runterlernt, auswendig lernen kann und fertig. Und diese Wege und viele andere Wege haben wir mit den Kindern rausbekommen.“