Walter Hövel
Nomen est Omen
Zur Bedeutung unserer Namen
Ich glaube, dass der Name jedes Menschen etwas mit jedem Menschen zu tun hat. Es ist nichts „neben“ ihm. Mit den Namen bekommen wir ein Programm, unsere Persönlichkeit, ein Teil unserer Identität, unsere Individualität -und unser Lernen und Zusammenleben.
Die Geschichte der Sinti und Roma
Zumindest sind unsere Namen heute zu wenig geschützte Identifikationsdaten. Bei Volkszählungen, in Pässen und Ausweisen, in Geburtsregistern oder Buchungslisten dienen sie der Wiedererkennung oder Wiederfindung von Personen.
So benutzen die Mitglieder der Roma- und Sintifamilien nach den Erfahrungen der Ermordung durch die deutschen Nationalsozialisten zwei Vornamen. In den offiziellen staatlichen Dokumenten heißen sie – für die Behörden - Maria, Sara, Gerd oder Daniel. In ihren Familien heißen sie Moseli, Bruce Lee, Loretta oder Joana.
An unserer Schule durften wir sie mit ihren echten, den familiären Namen anreden. Es war der höchst mögliche Ausdruck von Vertrauen von Seiten der Eltern und Kinder.
Die Geschichte der türkischen Namen
Bei allen türkischen Namen hat der Vor- oder Rufname als auch der Nachname noch die Bedeutung in der gebrauchten Sprache. Sie heißen „Meer“, „Bächlein“, „Blumenstrauß“, „Letzte Rose“, „Delfin“, „Meine Liebe“, „Vollkommenheit“ oder „Frieden“, also Deniz, Irmak, Demet, Songül, Yunus, Sevim, Kemal oder Bariş. Mit Nachnamen heißen sie - erst seit 1934 - Yilmaz (der Unbezwingbare), Kaya (Fels aus dem Ararat), Özdemir (reines Eisen), Şahin (Bussard, Falke) oder Erdoğan (als Mann geborener).
Die Geschichte der deutschen Namen
Bei unseren „christlichen“ Vornamen ist es schwieriger. Sie sind ihre Wege über das Griechische, Hebräische, Lateinische, Germanische, Keltische, Slawische und viele andere Sprachen gegangen.
Aber du bekommst immer noch raus, wer „der Fersenhalter“, „die Gesalbte“, „der Heerführer“ oder „der Richter Gottes“, wer „der Männer abwehrende Beschützer“, „die kleine Bärin“, „die Löwin“, „der edle Wolf“ oder „der Herr ist gütig“ ist[1].
Unsere wichtigsten Nachnamen sind einfacher. Sie sind in aller Regel Berufs- (Müller, Schmidt, Schneider, Fischer, Weber, Wagner, Becker), Standesbezeichnungen (Meyer, Schulz oder Hoffmann) oder Ortsnamen wie Wald, Berg oder Feld.
Die Geschichte der Familiennamen
Familiennamen heißen noch Nachname, Geschlechtsname, Hintername, oder Hausname. In Österreich und Bayern werden sie gerne noch dem Vornamen als Hofname vorangestellt, also z.B. „die Hintermeier Hanni“.
Familiennamen waren ganz früher „Beinamen“ des Dorfes, der Gegend, des Hofes oder „Spitznamen“,.
Ich heiße z.B. „Hövel“. In meinem Dialekt heiße ich „Hüvvel“. Ich bin also einer vom Hügel. In England heißen wir „Hill“ und in Frankreich „Collines“
Erst das Bürgertum mit seiner Verwaltung sorgte dafür, dass wir alle einen „Zunamen“ bekamen. Im 9. Jahrhundert wird erstmals in Venedig ein Beiname vererbt. Immer 100 Jahre später ging es über Norditalien und Südfrankreich, Katalonien und Nordfrankreich, England und die Schweiz. Danach wurde der Gebrauch eines festen Familiennamens auch in den west- und süddeutschen Städten üblich. Noch im 15. Jahrhunderts sind Familiennamen noch nicht durchgehend im deutschen Sprachraum anzutreffen.
Der Familienname hatte bis ins 18. Jahrhundert hinein zumeist nur untergeordnete Bedeutung. Der Ruf- oder Vorname blieb der eigentliche Name. Bäuerliche Gegenden kamen bis zum 17. oder 18. Jahrhundert ohne einen festen Familiennamen aus, in Friesland wurde er erst im 19. Jahrhundert gesetzlich verpflichtend. 1875 wurden im Deutschen Reich die Standesämter eingeführt und die Vor- und Familiennamen festgeschrieben.
Die Bürgerlichen übernahmen die Sitte des Adels, der seit 1037 feste Familiennamen als Erbanspruch trug. Andere reiche Menschen, also die, die „wichtig“ waren, hatten schon lange vorher feste und viele Namen. So heißt Caesar eigentlich Gaius (Vorname) Julius (Familienname) Caesar (Titel oder Cognomen).
Eine Auswertung von rund 225.000 Datensätzen deutscher Benutzer des Karrierenetzwerkes XING ergab 2013, dass Nachnamen Einfluss auf den beruflichen Erfolg haben könnten. Adlig klingende Namen, waren mit 2,7 % häufiger in gehobenen Positionen, nicht nur in der Bundesregierung, vertreten. Lokal ist die Zahl der Einstellungen oder Bevorteilungen nach Namen sicherlich noch höher.
In den Patriarchaten verlieren die Frauen ihren Geburtsnamen und bekommen den der Familie des Mannes. In matriarchalen, also älteren, Ursprüngen bleibst du Mitglied deiner Geburtsfamilie und alle tragen den Namen der Mütter.
Geschichte einiger Besonderheiten von Familiennamen in Europa
In Griechenland bedeutet bis heute der Name der Ehefrau „Frau des Soundso“. Neuerdings wird auch für Ehefrauen dieselbe Form wie beim Ehemann gewählt.
In Island gibt es überhaupt keine durchgehenden Nachnamen. Beispiel einer Generationenfolge: Gustav Jóhansson – dessen Sohn: Helgi Gustavsson – dessen Sohn: Ívar Helgason – dessen Sohn und Tochter: Lars Ívarsson und Jóhanna Ívarsdóttir usw.
In Italien heißen die Familien gerne Esposito (Findelkind), Bianchi (weiß, blond), Colombo (Rufname Kolumbus), Ferrari (Schmied) oder Romano (Römer). Den größten prozentualen Anteil haben die Herkunftsnamen wie Napolitano (aus Neapel), Toscano, Calabrese oder Forlan. Etwa 10 Prozent aller italienischen Nachnamen stammen von Rufnamen germanischer Herkunft wie Endrizzi (von Enrico =Heinrich), Gualtieri (von Gualtiero = Walter), Fedrizzi (von Federico = Friedrich).
In Schweden, Dänemark, Norwegen und teilweise auch Norddeutschland enden Familiennamen häufig auf -son oder abgeschwächt –sen, wie Jensen/Jenson/Jensson. Verbreitet sind in Schweden aber auch Herkunftsnamen wie Lindberg (lokal, vom Lindesberg).
In Finnland haben Familiennamen oft eine Beziehung zur Natur, beispielsweise Virtanen (Fluss/Strom), Mäkinen (Berg/Hügel), Järvinen (Binnensee).
In Russland heißt du meistens Иванов (Iwanow, von Iwan= Johannes), Смирнов (Smirnow, von smirny: still, ruhig) oder Попов (Popow, von Pope, also Priester).
In Spanien und in den meisten Ländern Hispanoamerikas zeigt sich der Nachname des Vaters im ersten Teil eines Nachnamens, der mütterlichen im zweiten Teil. Der Namensteil der Mutter geht zwar noch auf ihre Kinder, aber nicht mehr auf ihre Enkel über. Seit 1999 ist dies in Spanien nicht mehr zwingend.
In Portugal und im portugiesisch geprägten Brasilien ergeben sich die Nachnamen des Kindes aus den jeweils zweiten Nachnamen der Eltern, wobei der der Mutter zuerst genannt wird. Wie im spanischsprachigen Raum werden auch hier die Nachnamen patrilinear weitergegeben, da die Kinder sowohl vom Vater als auch von der Mutter den zweiten, väterlichen Nachnamen erhalten.
Die Geschichte der US-amerikanischen Namen
In den USA heißt man Smith, Johnson, Williams, Brown, Jones, Miller, Davis, Garcia, Rodriguez, Wilson, Martinez usw. Dabei wurde aus Bellini Bell, aus Johansson Johnson, aus Müller Muller oder Miller oder aus Kiriakidis glatt „Kirk“. Namen wie Williams, Jackson, Robinson, Harris, Davis, Brown und Jones weisen gerne auf afroamerikanische Ursprünge. Übrigens war nicht nur George Washington Sklavenhalter und adliger Herkunft.
Geschichte einiger Besonderheiten von Familiennamen in Asien
Familiennamen in China, Korea und Vietnam werden traditionell fast ausschließlich mit nur einem chinesischen Schriftzeichen geschrieben. Der häufigsten Familiennamen in China ist 王 (Wang = König), gefolgt von 李 (Li), was „Pflaume“ bedeutet, 张 (Zhang = Bogenbiege) und 刘 (Liu = Weide). Der häufigste Name der Welt - mit über 90 Millionen Familien - ist Wang.
Japanische Namen sind Takeda (竹田 = Bambusfeld), Shuzō (酒造 = Sakebrauer) oder Mitsubishi (三 = Drei Rauten, abgeleitet vom Familienwappen).
In Indien, mit seinen vielfältigen kulturellen Traditionen, und über 100 Sprachen, existieren mehrere grundverschiedene Systeme der Namensgebung. Obwohl in Indien in den 70er Jahren Personalausweise eingeführt wurden, besitzt ein Großteil der ländlichen Bevölkerung keinen. So kommt es häufig vor, dass der Name einer Person amtlich nicht erfasst ist. Beliebige Änderungen von Vor- und Familiennamen sind häufig und einfach.
In Indien heißt man „Kumar“, vom Sanskrit-Wort kumara = „Sohn“ oder „Prinz“, Lal = „Liebling“ oder Sharma = „Freude oder Zuflucht“. Du kannst auch Gandhi = „Apotheker“, „Krämer“ oder „Dalal“ = „Makler“ heißen.
In Nordindien wird ein System ähnlich wie in Deutschland bevorzugt: Die Ehefrau übernimmt den Nachnamen des Mannes, den auch die Kinder übernehmen.
In Teilen Zentralindiens wird ein patrilineares System bevorzugt, das den Vornamen des Vaters zum Nachnamen des Sohnes macht: Selvarasa Selvarainjan ist z. B. der Sohn von Selvarainjan Parthasarathy. Ein die Familie kennzeichnender Name existiert nicht.
In Südindien steht der „Hausname“, also der Familienname, zuerst. Diese Namen sind oft Herkunftsnamen, so der Sastri (Gelehrter) aus Nilakata, der Ayar (Brahmane) aus Kallidaikurichi.
Wenn du „Singh“ (Löwe) heißt, bist du Sikh, Panjabi oder Hindu. Die Frauen heißen Kaur (Prinzessin).
Indonesische Namen bestehen im Allgemeinen aus mehreren Teilen, die alle nicht erblich sind. Deutsche Behörden machen gerne und irrtümlich den letzten Namen zum Familiennamen. Es gibt aber auch Personen, die keinen Familiennamen und nur einen Vornamen haben, wie Sukarno und Suharto.
Geschichte einiger Besonderheiten von Familiennamen im Kongo
In der Demokratischen Republik Kongo wird zwischen dem Familiennamen einerseits und dem Nachnamen andererseits unterschieden. Dabei ersetzte der „authentische“ Nachname (französisch: postnom) den „europäischen“ Vornamen. Aus Joseph-Désiré Mobutu wurde Mobutu Sese Seko. Kongolesische Reisepässe weisen entsprechend auch die drei Rubriken prénom (Vorname), nom (Name), postnom (Nachname) auf.
Klassische arabische Personennamen bestehen üblicherweise aus mehreren Teilen: Der ism (اسم) ist der persönliche Name wie Muhammad, Ahmad, Mahmud, Abd Allah, Umar, Uthman, Ibrahim). Die kunya (كنية) ist ein persönlicher ehrenvoller Beiname wie „Vater“ (Abu) oder „Mutter“ (Umm) von …. Der nasab (نسب) bezeichnet die Abstammung, vielfach über drei Generationen: „Sohn“ (Ibn) oder „Tochter“ (Bint) von … Die nisba (نسبة), auch Nisbe, ist die Zugehörigkeit zu einem Stamm, die Herkunft von einem Ort (z. B. at-Tabari, „der aus Tabaristan“), oder auch die Konfession oder Berufsbezeichnung (al-Māwardī, „der Rosenwasserhändler“). Ferner können ein oder auch mehrere laqab hinzutreten. Dies kann ein (vorangestellter) Ehrenname (z. B. Saif ad-Dīn, „Schwert der Religion“) oder ein (nachgestellter) Spitzname (z. B. at-Tawīl, „der Lange“) sein.
Laurins Geschichte
Zum ersten Mal richtig aufgefallen ist uns die Bedeutung der Namen an der Grundschule Harmonie. Wir begriffen ein Kind, das „Laurin“ hieß, nicht. Bis unsere Kollegin uns die Geschichte von „Laurin“ erzählte. Bis dato hingen wir beim Lorbeer und den mit Lorbeer Gekrönten fest.
„König Laurin war der sagenhafte Zwergenkönig des Rosengartens, der im Kampf Dietrich von Bern unterliegt. Als der König an der Etsch seine schöne Tochter Similde vermählen wollte, wurden alle Adeligen der Umgebung eingeladen, nur König Laurin nicht. Dieser nahm mit Tarnkappe als unsichtbarer Gast. Als er Similde sah, verliebte er sich sofort in sie, setzte sie auf sein Pferd und sprang mit ihr davon. Sofort zogen die Recken aus, geführt von Dietrich von Bern, um Similde zurückzuholen und standen kurz darauf vor König Laurins Rosengarten.
Er band sich seinen Wundergürtel um, der ihm die Kraft von zwölf Männern verlieh, und stellte sich dem Kampf. Als er sah, dass er trotz allem verlor, zog er sich die Tarnkappe über und sprang, unsichtbar wie er nun zu sein glaubte, im Rosengarten hin und her. Die Ritter aber erkannten an den Bewegungen der Rosen, wo der Zwergenkönig sich verbarg. Sie packten ihn, zerstörten den Zaubergürtel und führten ihn in Gefangenschaft. Laurin aber drehte sich um und belegte den Rosengarten, der ihn verraten hatte, mit einem Fluch: Weder bei Tag noch bei Nacht sollte ihn jemals mehr ein Menschenauge sehen. Laurin hat aber die Dämmerung vergessen, und so kommt es, dass der Rosengarten beim Sonnenauf- und -untergang blüht.“
Die Mutter bestätigte uns den Zusammenhang der Namensgebung und der Geschichte. Welch eine Bürde das Kind hatte, die er gar nicht kannte. Wir erzählten ihm die Geschichte, seine Geschichte. Und es ging ihm besser.
Die Indianergeschichte
Vor vielen Jahren hörte ich von Indianern, wo nicht die Eltern ihren Kindern einen Namen geben, sondern die Kinder sich selbst. Bei der Geburt bekommen Kinder einen provisorischen Namen bis sie ihren Traum träumen, der ihnen ihren Namen gibt. Du magst dann „Tanz zuerst“ oder „Hustender Fisch“ heißen.
Unsere Geschichte
In unserer Kultur war es so üblich dem Kind den Namen einer heiligen Person zu dessen Schutz zu geben. In aller Regel nahmen die Eltern den Namen der Heiligen des Geburtstages des Kindes. Daher
(!) feierten die Katholiken früher nie den Geburtstag der Menschen, sondern den Namenstag der Heiligen. Bei mir liegen diese beiden Tage nur vier Tage auseinander.
Später wurden die Namen der vorherigen älteren Familienangehörigen ausgewählt oder weiterhin „schützende“ oder sonst wie sinntragende Namen ausgesucht. Dieses Prinzip findest du in der Gegenwart in der Familienaufstellung oder in der Psychoanalyse wieder.
Die heutige Geschichte
Heute versuchen Eltern in vielen Ländern gerne „vollkommen neue“ Namen zu erfinden, ob Fenia oder Liam. Sie landen oft bei uralten Namen.
Gerne „schleppen“ wir mit unseren Namen einiges rum, was uns die Eltern mit der Namensgebung „anhängen“. Es ist ein subtiler Ausdruck unserer Erziehung, dass die Altvorderen den Jüngeren „etwas mitgeben wollen“. Das Erbrecht wurde zu einer Art Erbpflicht. Es ist also nicht nur das vordergründige Helikoptertum oder das Machtgebalze mancher Väter, welches Kinder und Erwachsenen belasten kann. Es ist wie so oft „eigentlich gut gemeint“.
Vielen hilft die Erforschung des Namens bei der Selbsterforschung. Ob Sie an die Bedeutung eines Namens für die Entwicklung der Persönlichkeit glauben oder nicht, bleibt ihnen überlassen. Manchmal hilft es halt beim Verstehen seines Selbsts und/oder der anderen.
Sollten Lehrer*innen nicht zumindest wissen, was ihre eigenen Namen bedeuten? Wenn sie verstehen wollen, wie sie was in ihrer Praxis als Lehrer*innen und Erzieher*innen tun? Warum sie so agieren und reagieren, wie sie seit ihrer Kindheit wurden.
Wir wissen heute, dass man sich selbst verstanden haben muss, wenn frau oder man mit Kindern arbeitet. Als „Lehrende“ sollte jede(r) zumindest wissen was sie oder er tut. Und wenn es Ihnen nicht hilft, seien Sie gewiss, dass es den Lernenden hilft.
Und wenn Sie lernende Menschen nicht als „ihre“ Schüler*innen, „Zöglinge“, „zu benotende und zu testende Objekte“ verstehen, sondern sie selbst lernen lassen, - wenn sie mit ihnen lernen wollen - sollten Sie mehr über sich selbst und die anderen wissen wollen.
Ein Weg dorthin ist ihren Namen zu kennen. Sie können Sie, Kinder stärker würdigend, wissen, was der Name des Kindes bedeutet. Umso mehr werden Lehrerinnen und Lehrer anhand der individuellen Namen über Kinder verstehen. Nur die Kenntnis des Familiennamen verstärkt eher die PISA-Tendenz der in aller Breite existierenden sozialen Bevorzugung der Ober- und oberen Mittelschichten.
Die alte Geschichte der Spitznamen
Leider tritt eine Tradition unserer Kultur ab. Zu den offiziellen Vor- und bald Zunahmen hielten sich lange die den Menschen von Menschen gegebenen „Spitznamen“. Sie hießen z.B im Rheinland „Lippenbill“ oder „Flabes“, „Fressklötsch“ oder „Möhn“, woanders „profesor“, „advocato“, „witch“ oder „sainte“.
Die Geschichte der Künstlernamen und Pseudonymen
Noch heute haben Fußballer Spitznamen wie Chicharito (die „kleine Erbse“ heißt eigentlich Javier Hernández Balcázar) oder Messi (Lionel Andrés Messi Cuccittini). Früher hießen sie Ente Lippens oder Helmut Rahn „der Boss“. Franz Beckenbauer wurde bevor seine „Verdienste“ in voller Größe bekannt werden sollten, gerne „der Kaiser“ genannt.
Sängerinnen nennen sich Madonna (Madonna Louise Ciccone) oder Lady Gaga (Stefani Joanne Angelina Germanotta). Schriftsteller drehten ihren Namen rum, z.B. von Kremer zu Remarque. Dean Martin hieß eigentlich Dino Paul Crocetti, Willy Brand Karl Frahm, Lenin Wladimir Iljitsch Uljanow oder Farrokkh Bulsara war Freddy Mercury. Grigorij Nefimowitsch Nowych nannte sich Rasputin und Herr Komensky Comenius.
Im späten Mittelalter gab sich Herr „Peter Wolf“ mit „Petrus Canisius“ einen lateinischen Namen. Die nächste katholische Pfarrei in meiner Gegend nennt sich noch immer noch nach ihm. Er, ein blutiger Bekämpfer der Reformation, konnte einen lateinischen Namen wohl besser gebrauchen.
Päpste legen sich einen neuen Namen zu um kundzutun, was sie vorhaben. Beatgruppen nannten sich „Beatles“ nach dem „Beat“. Die Mitglieder von „Queen“ wollten sich als Schwule outen und AC/DC wollte für heterogenes Sexualverhalten werben. Königinnen und Könige kennst du meist nur mit Vornamen.
Die Geschichte des „Spiels“ mit Namen
Den einen König nannte man „Barbarossa“, weil er wirklich einen roten Bart hatte und Alexander wurde erst nach tausenden von Jahren, im 18.Jahrhundert zu „Alexander dem Großen“ gemacht. Adlige geben gern durch eine Unmenge von Namen ihren Kindern ihre ganze Adelsherkunftsgeschichte mit.
Ganz lange kam hinter den Vornamen auch einfacher Menschen der Name des Paten. Sklaven und ihre Nachfahren wollten mehr Kraft und Bedeutung und gaben ihren Kindern zweite Namen wie „Luther“ in Martin Luther King, oder Herr Clay hieß „Cassius“ nach dem römischen Kaiser. Seinen Heiligentitel vor dem Namen erwarb man und frau in der Regel durch Geld und Macht.
Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sind die Namen Chantalle, Jaqueline und Kevin in Schulen Garanten für realitätsschaffende Vorurteile in Sachen Bildungsferne, Bindungsprobleme, Verhaltensauffälligkeiten und Lernstörungen.
Wichtiges wird im „Namen von Jemandem “ gesagt. So beginnt das Vaterunser mit „Im Namen des Vaters …, ein Gerichtsurteil mit „im Namen des Volkes“ oder ein Edikt oder eine Verordnung wird „im Namen der Regierung oder es Herrschers“ erteilt. Andere Politiker reden gerne „im Namen der Gerechtigkeit“ oder „im Namen ihrer Wähler“. Dagegen beginnen die Menschenrechte mit „We“[2].
Selbst Atombomben, Autos, Handys, Filme, Kriege, Spiele oder Autobahnen bekommen Namen. Kein Tier, kein Wochentag oder Monat, kein Verb oder Kleidungsstück bekommt keinen Namen. Unsere Sprache, unsere gesamte Kommunikation ist Namensgebung. Doch davon später.
Janoschs Geschichte
Vor Tagen begegnete ich einem Kind namens „Janosch“. Sofort musste ich an ein Zitat des Künstlers Janosch denken und fand dies auch in dem Kind wieder: „Das Schlimmste, was ich erlebt habe, war die Schule. Wenn ich das noch einmal erleben müsste, würde ich lieber sterben. Ich will schon allein deshalb keine Kinder haben, weil sie in die Schule gehen müssten.“
Ellas Geschichte
Eines meiner Enkelkinder heißt „Ella“ Am Tag ihrer Geburt ging ich in Köln zu meiner Hochschule. Plötzlich sah ich vor mir einen „Stolperstein“, der an den Abtransport einer jüdischen Mitbürgerin von 1943 erinnern sollte. Dort stand der Name „Ella Grundmann“.
Meine Geschichte
Ich heiße Walter. Ich mochte meinen Namen nie. Meine Eltern hatten mir zwei Geschichten erzählt, warum ich diesen Namen bekam. Die eine war, das der im Krieg als Soldat sterbende Freund meines Vaters Walter hieß. Mein Vater schwor, sein Kind nach ihm zu benennen. In der anderen Geschichte verdanke ich meinen Namen dem Nazi-Polizeipräsidenten von Köln. Er hieß „Walter Hövel“.
Alleine von der Bedeutung des Namens her, war mein Leben angefüllt mit dem „Verwalten von Heeren“.
Die Geschichte von Max und Moritz
Ich kannte einen jungen Mann namens Hubert. Er ließ sich in Max umbenennen, weil sein Sohn Moritz hieß. Was aus ihnen wurde, weiß ich leider nicht.
Saulus nannte sich Paulus. Viele Menschen finden einen neuen Namen, z.B. wenn sie die Religion wechselten. Cassius Clay nannte sich bei seinem Übertritt zum Islam Mohammed Ali und Cat Stevens wurde Yusuf Islam.
Geschichten des Zufalls?
Alle folgenden Beispiele aus vierzig Jahren schule bleiben ohne Namensnennung: Wenn der Name aus einem Salzmineral und dem „Feuer“ zusammengesetzt ist, wundert es da, dass er einen Penner anzündete? Wenn sie „die reiche Heimat“ war, wundert es da, dass sie auch 40 Jahre später die ist, die noch immer die ganze Klasse zusammenhält.
Dieser „Älteste“ war einer, der damals eine Sonderschulklasse geschmückt hätte. Er hielt aber – mit der Hilfe der Mutter - an der Regelschule durch! Heute entspricht er seinem Nachnamen und hat ein besonders intelligentes Geschäft durchgesetzt.
Ihr Vater verprügelte den Bruder. Sie setzte sich durch. Und geht heute einen sehr eigenen Lebensweg. Sie ist die „Reine“. Ihre Familie machte eher in Düfte und Handel. Tut sie es auch?
Er ist der „Tapfere“ und kommt aus einer Familie der Unternehmer. Er selbst wollte da als Jugendlicher nicht reinpassen. Heute sorgt er in den USA dafür, dass andere Jugendliche „ihren Weg“ finden.
Diese Geschichten mögen der eigenen Fantasie des Zusammenhags entspringen. Spannend werden sie, wenn die Menschen selber ihren eigenen Namensspuren nachforschen.
Ihre Geschichte
Stellen Sie sich vor, Sie sind immer der Erste oder Größte. Stellen sie sich vor, sie sollen ernst sein. Stellen sie sich vor, sie müssen ein Engel sein. Stellen sie sich vor, sie haben etwas von der Göttin des Lichts oder sie könnten ewig herrschen…
Wie heißen Sie? Kennen Sie Ihren Namen? Was macht er mit Ihnen. Was machen Sie mit ihm? Was macht er mit Ihnen beim Lernen?
Wäre es da nicht wirklich anders, wir könnten uns unseren Namen selbst wählen. Vielleicht hießen einige „Normal“, „Heterogen“, „Schmetterling“ oder „Lerner“.
Erst unsere Geschichten machen uns zu Menschen.
Wir sind Sprache. Als Johannes sein Evangelium schrieb begann er mit den Worten „Am Anfang war das Wort.“ Der Volksmund sagt, wenn ich den Namen einer Person kenne, habe ich Macht über ihn. Die Freinetpädagogik will Demokratie beim Lernen verwirklichen, indem sie „Kindern das Wort gibt“. Wir glauben „Tieren“ überlegen zu sein, sie sogar essen zu dürfen, weil wir sprechen und denken könnten, Tiere nicht …
In der Tat hat jede unserer Sprachen um 40% zugelegt. Wir schaffen unterdessen sogar Dinge, die wir erst in Worte kleiden können. Erst dann entdecken wir sie oder weisen ihre Existenz nach. Wir können heute vollkommen neue Realitäten schaffen, weil wir Namen auch für Dinge finden, die es noch gar nicht gibt.
Wir nennen sie Namenswörter oder Nomen. Verben, selbst Präpositionen „heißen“ so, wir geben ihnen Namen. Die Wörter wiederum sind, so weiß es heute die Sprachforschung, nichts als Bilder, die unsere Laute „malen“ können. Jede unserer Schriften, nicht nur die Hieroglyphen und die chinesische Schrift sind ursprünglich Bilder.
Wir machen uns von allem, angefangen von der Liebe, dem Baum, dem Mitmenschen und uns selbst, von allem was es gibt und nicht gibt, ein Bild, damit wir „es“ erfassen, verstehen und mit unserem Geist gemeinsam begreifen können. Wir sind im Bilde. Und mögen es nicht, wenn wir uns von etwas oder jemanden ein falsches Bild machen.
Von Menschen haben wir ein Bild und nehmen sie beim Wort. Wir nennen diese Bilder Wörter und diese sind allesamt Namen.
Im Deutschen nennen wir das Ganze „Bildung“ und meinen zunehmend was wir sagen.
Ein Helmut Kohl, Exkanzler der Republik, sagte 1994 „Es ist in Deutschland modern links zu schreiben und rechts zu leben.“ Diese Herangehensweise trägt leider heute einige Früchte. Einige Leute reden auch wieder rechts.
Der bekannte Psychologe und Verhaltensneurobiologe Prof. Dr. Niels Bierbaumer sagte dazu passend 2016: „Unser Gehirn ahmt „hirnlos“ alles nach, was Erfolg und Effekt verspricht. Deshalb müssen wir uns anstrengen, unseren Lebenskontext, unsere sozialen Lebensbedingungen demokratisch zu halten, damit das plastische Gehirn uns nicht so oft zu Denunziation, Mord und Totschlag verführt“.
Aus der Geschichte der Bildung in ein neues Studium generale
In früheren Zeiten wurden die großen Geister gelobt, ob sie Platon, Sokrates, Aristoteles, Konfuzius, Buddha, Kleopatra, Christus, Goethe, Michelangelo, Hildegard von Bingen, Kant oder Humboldt hießen. Heute kann kein Mensch mehr alles wissen. Das haben wir der Elektronik und der Menschheit in Gänze überlassen.
Immer wieder suchen wir uns selbst in der alten Zeit. So gibt es gerne eine Sehnsucht nach einem Studium generale, einer breiten Vermittlung von der Wissenschaft des Lebens. Es wird versucht auf alte Werte zurück zu greifen um uns selbst zu verstehen.
Wenn das nicht funktioniert liegt dies auch daran, dass wir zunehmend den Anspruch bekommen, dass alle Menschen, ohne Ausnahmen, Zugang zur gesamten Bildung bekommen.
Auch hierfür haben wir Namen. Es sind Menschenrechte, Demokratie, Selbstverwirklichung, Inklusion, Heterogenität, Diversität, Systemik. All das bündelt und fokussiert sich in der immer wichtiger werdenden heute zentralen Fähigkeit der Menschen zu sprechen. Es ist unsere Kommunikation, unsere Sprache und unser Denken, die mehr und mehr uns zu Menschen macht.
Nicht mehr Maschinen verändern die Welt, sondern unsere Sprache.
Niemand sollte mehr Lehrerin oder Erzieherin werden ohne in Sprache gebildet zu sein. Sprache und ihre Wissenschaften sollten das neue Studium generale sein. Das fängt beim eigenen und dem Namen der Mitmenschen an.
[1] Jakob, Christa, Walther, Dan, Alex, Uschi, Lea, Adolf, Giovanni, Johanna oder John
[2] „We hold these truths to be self-evident, that all men are…