Walter Hövel
Kinder schreiben Lehrer*innen Zeugnisse

Was macht Lehrer*innen aus?

 

„Meine“ Klasse, die „Sternschnuppen“ schrieben mir Ende des dritten Schuljahres ein Zeugnis. Ich hatte damals, 2002, die ersten sieben Jahre meiner Arbeit an der Grundschule Harmonie hinter mir. Damals und heute, fast 15 Jahre später konnte ich sehen, wie Kinder ihren Lehrer einschätzten.

 

Eigentlich mochte ich die damalige Modeerscheinung nicht. Es schwang für mich so ein bisschen das Einschmeicheln bei Kindern, das Anbiedern als „Kinderversteher“ mit. Ich besprach im Kreis, mit den Schüler*innen, was sie davon hielten.

 

Sie sahen es als echte Möglichkeit auch mir einen Bericht über meine Arbeit und meine Leistungen am Schluss eines Schuljahres zu geben. So schrieben sie mir Zeugnisse, die in ihrer Art stark wiederspiegelten, wie ich mit ihnen beim Beschreiben des letzten halben Jahres in der Schule umging.

 

Dieses umgekehrte Zeugnisschreiben darf kein Demokratiespiel zur Verbesserung der Atmosphäre sein. Du kannst ziemlich genau ablesen, was dir als Lehrer*in gelingt, und was nicht. Du siehst sehr deutlich, was du tust und kannst, wo deine Stärken und wo deine Schwächen sind.

 

Wie sagt der Volksmund „Kindermund tut Wahrheit kund“ und „Wie du in den Wald rufst, so schallt es heraus“.

 

Schon damals waren die Zeugnisse der dritten Klassen an der Grundschule Harmonie Noten frei. Wir lebten schon einen Schulalltag ohne Benotung, Testbewertung und Klassenarbeitenschreiben zur Leistungsfeststellung.

 

Sicherlich haben die Schüler*innen hier nicht alle Aspekte der Einschätzung einer „Lehrer*innen-Leistung“ wiedergeben können. Es gibt es sicherlich viele andere Aspekte, die wichtig sind, wenn du als Lehrer*in erfolgreich sein willst.

 

Ich gebe hier nur wieder, was die Kinder im Jahre 2002 sahen. Die gesammelten Aussagen der Kinder sind im Folgenden alle kursiv und fett in Anführungszeichen gesetzt. Zwischendurch gebe ich in größeren Lettern einige Gedanken wieder, die mir heute, nach über 20 Jahren auch ganz persönlicher und der Chance einer 20jährigen pädagogischen Entwicklung, in den Sinn kommen.

 

 

 

Du solltest als Lehrer*in selber überzeugend lernen! Nur lernende Lehrer*innen entwickeln Lehrkräfte für Kinder.

Kinder wissen, was du kannst!

 

„Ich lerne sehr viel von dir. Ich lerne viel und gerne von dir. Du kannst einem viel bei-bringen. Du kannst gut mit Kindern umgehen und ich lerne viel von dir. Ich finde gut, dass du uns unterrichtest. Ich finde den Unterricht bei dir sehr gut. Du kannst gut mit Kindern arbeiten. Du bist ein sehr netter Lehrer. Du bist ein guter Lehrer und ein guter Schulleiter.

 

Du musst als Lehrer*in deine Fächer können!

 „Du bist gut in Mathematik. Deine Stärke ist Mathematik, deine Schwäche ist Sachen zu behalten. In Englisch und Mathe bist du sehr gut. Dein Englischunterricht ist toll und gut zu verstehen. Deine Stärke ist Englisch. In Mathe und Englisch bringst du uns viel bei. Deine Stärke ist Mathematik. Du hast uns viel in der Mathematik erklärt. In Malen, Sprache, Mathematik, Projekt, Englisch und Sport bist du gut. In Rechtschreiben hast du kleine Probleme. In Rechtschreibung hast du klitzekleine Schwächen, zum Beispiel hast du in meinem Zeugnis „Liebes Nils“ anstatt „Lieber Nils“ geschrieben. Deine Stärke ist Arbeiten, deine Schwäche ist die Rechtschreibung. Ich habe gerne mit dir Sport gemacht, das hat viel Spaß gemacht. Sport mag ich mit dir sehr gerne und du hast gute Ideen. Du gehst selten mit uns Golfen und nie mit schwimmen. Leider haben wir keinen Sport mehr bei dir.

Ich mache gerne die Dichterlesung mit. Ich schreibe gerne. Spannend finde ich es, wenn du vorliest. Ich finde gut, dass du Harry Potter vorliest. Du kannst gut vorlesen.

 

Kinder wissen, ob du das gleiche kannst, was du von ihnen verlangst
„Du arbeitest sehr gut und du schreibst sehr oft. Du arbeitest schnell und gut.

Du schreibst gut und machst oft Scherze.

Du liest sehr gut und du bist oft in der Klasse.

Ich finde den Wochen (Jahres)abschlusskreis gut. Die Dichterlesung und den Wochenabschlusskreis mag ich bei dir auch sehr gerne. Ich finde die Experimente gut. Du arbeitest mit uns oft über Sterne. Du bist ein guter Sänger.“

 

Langeweile ist der größte Gegner des Lernens. Unterfordere oder unterschätze Kinder niemals!

„Du machst spannende Sachen, aber auch schwierige Sachen. Du gibst uns viel Arbeitszeit an eigenen Themen.“

 

Kinder sind die größten Experten in Sachen Kooperation

„Du verstehst dich sehr gut mit Kindern. Du bist immer nett zu anderen Menschen. Du verstehst dich gut mit Menschen. Du arbeitest gerne mit anderen Lehrern zusammen.“

 

Benutze als Lehrer*in deine eigene Stärke!! Jede*r hat eine andere. Meine Stärke war immer, dass ich in jeder Situation aus einer Unmenge von Ideen schöpfen konnte.

„Du hast viele und gute Ideen. Du hast sehr gute und viele Ideen. Du hast immer gute Ideen. Walter, du hast gute Ideen. Deine Ideen sind sehr gut. Du hast immer viele Ideen fürs Lernen. Du hast sehr viel Fantasie und erklärst uns sehr gut.“

 

Gelassenheit! Professionelle Nähe bei Distanz zur Sache! Selbstwertfindung für Kinder und Lehrer*innen

„Du bist manchmal streng, aber immer nett. Du bist lustig, aber auch ernst. Du bist sehr lustig und das ist das Allerbeste an dir.

Bei der Arbeit ist dein Verhalten gut. Dein Verhalten ist sehr gut, am wenigsten bist du böse. Du bist oft gut drauf. Dein Verhalten ist sehr gut. Du bist ein netter Typ. Dein Verhalten ist gut.
Dein Geschriebenes ist gut zu verstehen.“

 

Du musst als Lehrer*in aushalten, wenn Kinder als „andere Menschen“ eine andere Sicht von dir haben als du selbst!

„Dein Arbeitsverhalten ist gut, aber deine Kunst ist nicht besonders gut, aber das ist nicht schlimm.

Deine Ordnung ist nicht besonders gut. Deine Ordnung ist gut, aber manchmal auch nicht.

Du bist ruhig und hast eine gute Ordnung.

Du solltest mehr Zeit für uns haben. Du hast sehr viel Zeit.“

 

Und wo sie Recht haben, haben sie Recht.
„Nachdenken ist deine Stärke, Behalten ist deine Schwäche.
Deine Schwäche ist, wenn es laut ist in der Klasse.“

 

Zum Lehrer*innensein gehört ein ganzes Ensemble von Dingen, auf die du achten musst!

„Die Regeln hältst du ein. Du rennst nur bei Notfällen über den Flur. Du hältst alle Regeln ein. Du schlichtest öfters Streit. Mit Problemen gehst du gut um. Du verhältst dich normal.
Du bist sehr, sehr nett und ich lerne viel von dir.“

 

Der Faktor Zeit wird in Erziehung und Bildung gerne unterschätzt!

„Du hast sehr viel Zeit. Du hast sehr viel Zeit für uns. Du bist nicht sehr oft in der Klasse und das ist doof. Unterrichtet uns leider nicht so oft.“

 

Selbst dein Aussehen wird gesehen

„Deine Haare sehen immer frisch aus. Du kleidest dich immer sehr ordentlich und fein und hast nur ein Bein. Du kleidest dich immer sehr gut und hast viel Mut.“

 

Nimm ernst, was die Kinder dir sagen! Arbeite daran!

„Wir sollten noch mehr über die Natur lernen. Du redest oft in der Schulversammlung rein. Deine Schwäche ist die Lautstärke.“

 

Kinder wissen genau, ob sie ernst genommen werden

 

„Und du kannst sehr gut mit Kindern umgehen. Ich lerne viel von dir, du kannst Kinder gut leiden. Du kannst Kinder sehr gut leiden.

Du liebst unsere Arbeit und unsere Geschichten und unsere Projekte. Wir alle lieben dich. Du bist wie ein Hai im schönen blauen Meer.“

 

 

Mochten die Schüler*innen das Offene Lernen?

 

Aufgefallen ist mir, dass Schüler*innen das Aufrechterhalten oder Garantieren von Offenem Lernen, wie an der Grundschule Harmonie, nicht zu den ersten Kriterien für eigene Erfahrungen in der Schulzeit machen. Ähnliches erfuhr ich von meiner aller ersten Kölner Hauptschulkasse. Als ich sie nach 20 Jahren wiedersah, hatten sie nicht so sehr den veränderten Unterricht in Erinnerung, als vielmehr das, was ich ihnen als Lehrerpersönlichkeit mitgeben konnte. Auch hier spiegeln sie im Grunde genommen die Einstellung wieder, die Lehrer*innen einer offenen Lernkultur ihnen mitgegeben haben: Es ist zu allererst immer die demokratische und menschfreundliche Haltung, die die Arbeits-, Lern- und Lebensbeziehung mit einander prägen.

Dieses sehr wohl strukturierbare Denken geht nicht von einer das Lern- und Lehrerverhalten anleitenden Struktur aus, sondern gebiert sich selbst immer und immer wieder neu aus der Einstellung zum Menschen und seinem Lernen.

 

Wie sie Schule erlebten war für die Schüler*innen selbst verständlich. Sie beschreiben in der Tat nicht ihr eigenes Lernen, sondern ihre Begegnung mit dem mitlernenden und lehrenden Erwachsenen. Heute sage ich, dass sie in dem Dorf lernten, dass ihre Schule war.

 

Sie schauen eher darauf, was Erwachsene können müssen, damit sie mit ihnen – auch offen lernend - lernend kooperieren.

 

„Du machst viele Fortschritte.

 

Du kannst ins nächste Schuljahr.
Mach‘ weiter so!“