Walter Hövel
Aus einem Brief an einen Schulleiter
Zur „Kontrolle der Entwicklung von Schulen“
Hatte ich von unserem QA-Besuch von vor 3 Wochen berichtet?
Die Inspektorin aus dem Grundschulbereich nannten wir nur "Dolores Umbridge". Bei Harry Potter setzte sie Albus Dumbledore als Schulleiter ab, weil er die staatlichen Kriterien nicht erfüllte [1].
Wir waren die erste Schule dieser Inspektorin! Die Schulrätin nannte sie im Vorfeld nur „die Novizin“. Sie zeigte ihre Kompetenz durch ein sehr forsches Auftreten. Sie agierte – wie die gesamte „Qualitätsanalyse“ - mit den Kriterien zu „gutem Unterricht“ von Professor Hilbert Meyer von der Uni Oldenburg. Meyer machte sich in den 70er Jahren einen guten Namen in der Pädagogik und wurde nach dem Jahr 2000 als Schulentwickler in Deutschland in den Fokus gestellt.
Ein weiteres Problem war für die Inspektorin, dass ich mit ihrem Chef seit vielen Jahre gerne gemeinsame Wege der Demokratisierung von Schule und fachlicher Besserqualifizierung, vor allem der Schulmathematik, ging.
Das andere war, dass ich Hilbert Meyer persönlich kenne, und dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten - auf der Grundlage der von uns vertretenen Grundrichtung der Demokratisierung der Pädagogik - mündlich und in Korrespondenz seit Jahren gerne auseinandersetzten.
Sie, die Inspektorin, hatte einen diagnostischen Defizitblick, und war Lenkungs-, Kontroll- und Dokumentationsgeil! Und genau diese Tugenden fand sie an unserer Schule und bei mir nicht wieder!
Heute weiß ich, dass sie ihren Job in der QA nicht lange machte. Sie wechselte.
Wir haben uns damals geweigert, sie mit ihrer Grundhaltung entsprechenden Papieren zu bedienen. Alles lief auf einen echten Skandal hinaus.
Mit viel gefressener Kreide – umgeben von Unterstützern der Grundschule Harmonie – schaffte ich es korrekt zu bleiben. Ich habe aber unsere Position nie verlassen und sie da, wo sie es suchte, auflaufen lassen.
Wir haben ihr 1300 Seiten eigene Artikel und andere ausgesuchte Schriftstücke über unsere Schule gegeben, also keine Fachpläne oder andere Verschriftlichungen, die wir weder benutzen noch brauchten. Das fiel ihr sehr schwer! Sie klammerte sich an gelernte Abläufe und bekannte Erscheinungsmuster.
Natürlich waren die Eltern super, die dem QA-Team immer wieder sagten, sie sollten ja die Finger vom Lern- und Menschverständnis unserer Schule lassen. Die Kinder und die Kollegen waren hochgradig qualifiziert ihre Art des Lernens und Lehrens zu vermitteln. Und sogar der Schulträger, als auch die Schulaufsicht verhielten sich sehr jovial. Wir sind mit einem absoluten Top-Ergebnis rausgekommen.
Sie versuchte trotzdem in „einer Schlussbesprechung“ der Schule vorzuwerfen, sie hätte bei den Kindern die Teamarbeit vermisst. Dies ließ die anwesende Schulrätin zu einer eindeutigen Bemerkung des Nichtverstehens dieser Einschätzung hinreißen. Offen arbeitende Kinder sind Meister der Kooperation! Selbstverantwortetes Lernen unter Bedingungen der Demokratie und Inklusion fordern und fördern neben vielen anderen genau diese Qualitäten.
Wenn man etwas noch nie gesehen hat, sollte man nicht das suchen was man kennt, sondern das Neue erkennen. Das konnte sie nicht. Sie suchte ihren Unterricht und sah das Lernen der Menschen nicht.
Ich tendierte dazu, das nicht der Frau anzulasten, sondern den „Kriterien zum guten Unterricht“ der staatlichen Kommission. Sie konnten und wollten nicht erfassen, dass Lehrkräfte zu Lernkräften geworden waren. „Unterrichtskriterien“ können Menschen nicht genügen, die nicht mehr unterrichtlich belehrt werden, sondern Schule als Ort der Lerngelegenheiten und als eine Zeit erleben, in der sie ihr Lernen selbst bestimmen. Hierüber stritt ich auch mit Hilbert Meyer.
Ein Gespräch hierüber hatten die staatlichen Kontrollbeauftragten niemals vor. Wir wären als Schule gerne auf einen kompetenten Gesprächspartner in dieser dringend notwendigen Entwicklung von Schule gestoßen.
Wären sie an die Frage gegangen, dass nicht alle Lehrkräfte dem Anspruch der Gesellschaft und ihrer Schule und dem der bereits existierenden Lehrpläne genügten, wäre es spannender gewesen. Denn der Staat, also die von ihnen vertretene Institution, bildet diese Leute aus und schickt sie in die Schulen.
Sie „lehren“ anstatt zu lernen und ignorieren, dass Schulen und Lehrer lernen sollten um sich und die Schule entwickeln zu können. Du musst als Schulleiter genau mit den Leuten klarkommen, die du hast! „Andere gibt es nicht“, sagte schon Adenauer.
Ich verbreite, welch falscher Ansatz hinter der QA steht. Der Vorgang hat weder eine Pädagogik der Heterogenität und Diversität, noch die fachliche Reifung weiter entwickelt, noch ein fortschrittliches System gestärkt.
Am meisten regte mich auf, wie Schulen in der Öffentlichkeit gut dastanden und dastehen, die pädagogisch und fachlich schlecht arbeiten. Abschulung, Benotung, Fehlertesten, Lehrerzentrierung, Schmalspurinklusion, Schul- und Prüfungsangst, soziale Benachteiligung, Vorgabe zum Lernzwang der Inhalte von Lehrplänen, Ignorierung von Pädagogik, etc., standen nie zur Debatte.
Zum Thema fallen mir einige Zitate ein:
Die Schule sei keine Tretmühle, sondern ein heiterer Tummelplatz des Geistes (Johannes Amos Comenius)
Alle öffentlichen Schulen sind auf die mittelmäßigen Naturen eingerichtet (Friedrich Wilhelm Nietzsche)
Wenn Sie das Kind etwas lehren, so hindern Sie es daran, es
selbst zu entdecken. Sie stiften Schaden (Jean Piaget)
Während meines neunjährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern (Bertolt Brecht)
Menschen mit negativen Lernemotionen neigen eher zu rigiden Lernstrategien wie Auswendiglernen. Sie lernen lieber fremdbestimmt und befolgen eher extern vorgegebenen Regeln.
Menschen mit Lernfreude erfahren flexibles, transfer- und verständnis-orientiertes Lernen. Ihre Selbstregulierung führt zu größerem Lernerfolg. Lernfreude fördert die Ausdauer und Bereitschaft zur Anstrengung (Frenzel, Stephens, Hagenauer, Hascher)
Schule war für uns Zwang, Öde, Langeweile, eine Stätte, die auf unsere realen und auf unser persönliches Interesse keinerlei Bezug haben konnte. Schule war um des Lernens willen, das was uns die alte Pädagogik aufzwang (Stefan Zweig)
Die Schule verwischt die Eigentümlichkeit eines Menschen (Franz Kafka)
Daher muss die Schule nicht so oder so sein, sie muss so und so sein, und die eine Schule so und die andere so (Paul Michael Meyer, Schweizer Pädagoge)
Nach alledem besteht die Forderung nach einem ganz anderen Unterricht zu Recht (Friedrich Weinreb, jüdisch-chassidischer Schriftsteller)
Die Schule sollte in unserer neurotischen Gesellschaft mehr denn je ein Ort sein, an dem das akzeptiert und angenommen wird, was anderswo verboten ist. Sie könnte zur Wiederherstellung des Gleichgewichts verhelfen (Paul le Bohec)
Der Unterricht tötet unsere Fähigkeit, uns zu wundern. Nur ein Genie kann davon unverdorben bleiben (Albert Einstein)
Die von Parteien bestimmte Stromlinienförmigkeit reicht bis in Medien, Justiz, Bildung, Kultur und Kirche (Richard von Weizsäcker)
Es wäre töricht zu glauben, dass die in den kommenden Jahren erforderlichen Veränderungen ohne grundlegende in der – individuellen wie kollektiven – Arbeitsweise von Institutionen möglich wäre (Peter M. Senge)
Wir sind Schüler von heute*, die durch Lehrer von gestern in einem System von vorgestern auf die Probleme von übermorgen vorbereitet werden sollen. Die Schule hat keine Veränderungstradition. Sie hat keine Übung darin, mit Wandel umzugehen (Wilfried Schley)
Schülerorientierter Unterricht ist ein logischer Widerspruch in sich selbst. Die Verwirklichung der Schülerorientierung ist identisch mit der Aufhebung der Schule (Hilbert Meyer)
Vielleicht würden wir es selbst auch als konkrete Utopie ansehen, hätten wir nicht die Erfahrung in unseren eigenen Klassen gemacht – und vorzuweisen (Falko Peschel)
Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, als arbeitender Mensch zu funktionieren, sondern als lebender Mensch zu existieren (Gerald Hüther)
Die einzige Form zu lernen, besteht in der Begegnung (Martin Buber)
Der Mensch kennt zwei Lehrmeister, die Kunst und die Tortur. Ich habe mich für die Kunst entschieden (George Bernard Shaw)
[1] Am besten auf der Hörbuchkassette anhören, da spricht sie auch noch Wienerisch.