Walter Hövel
Von den Kindern, mit den Kindern lernen
Forderungen der Kinder ernst nehmen

 

 

 

Immer wieder holte ich eine Gruppe von Schüler*innen zusammen, um mit ihnen zu reden.

 

 

In diesem Fall holte ich elf Kinder zusammen, von denen zehn Unterschichtenkinder waren. Ich wusste von allen (!), dass die Eltern recht rigide, teils altmodische Vorstellungen von Schule hatten. Und so bekam ich – von den Kindern – einige recht eindeutige Elternantworten. Es waren auch Antworten dabei, die sie „für Ihre Lehrer*innen“ sagten. Im Kern aber waren es ihre Antworten!

 

 

 

Ich ging nicht hin und stellte Fragen wie „Was hast du heute gemacht?“, „Was hat dir besonders viel Spaß gemacht?“, Was machst du nicht so gerne?“ oder „Wann lernst du am Liebsten und am besten?“ Das tat ich an anderer Stelle.

 

Stattdessen fragte ich wie ein Erwachsener: „Was erwartest du von Schule?“ und „Was erwartet die Schule von dir?“

 

 

 

Und ich bekam entsprechende Antworten:

 

 

 

-       dass der Lehrer um 8 Uhr in der Klasse ist,

 

-       dass die Schule die Beste wird,

 

-       dass wir besser Mathe lernen,

 

-       dass wir gut werden

 

-       dass wir gut in Geometrie werden,

 

-       die Studenten sind zu nett.

 

 

 

-       dass wir lernen,

 

-       dass die Türen auf sind.

 

 

 

-       dass die Klos nicht verstopft sind,

 

-       ich erwarte ein gutes Zeugnis.

 

 

 

-       alle Türen sollen offen sein,

 

-       die Kinder sollen nett sein.

 

 

 

-       dass ich ein gutes Zeugnis kriege.

 

 

 

-       nette Jungs,

 

-       einen Billardtisch,

 

-       nette Lehrer,

 

-       Kinder die sich verstehen.

 

 

 

-       dass die Türe offen ist,

 

-       dass die Kinder, wenn sie kommen arbeiten.   

 

 

 

-       einen Chemieraum,

 

-       einen Pool,

 

-       rostfreie Edelstahltoiletten.   

 

 

 

-       dass die Klos nicht verstopft werden,

 

-       keiner soll schlagen,

 

-       offene Türen.                

 

 

 

    - dass wir vom Lehrer empfangen werden.     

 

 

 

-       das ich begrüßt werde,

 

-       pünktliche Lehrer,

 

-       saubere Tische,

 

-       dass alle leise arbeiten.             

 

 

 

Und Antworten zur Frage „Was erwartet die Schule von mir?“

 

 

 

-       dass ich lerne,

 

-       leise bin,

 

-       andere nicht störe,

 

-       andere Klassen nicht störe,

 

-       nicht im Flur renne.  

 

 

 

-       dass ich die Klos sauber halte,

 

-       dass ich gut arbeite,

 

-       dass ich nicht zu spät komme.          

 

 

 

-       dass ich leise bin,

 

-       dass ich nett zu anderen Kindern bin.        

 

 

 

-       leise sein,

 

-       melden,

 

-       arbeiten,

 

-       nicht mit den Falschen zusammen sein, die Unsinn machen,

 

-       gut zuhören.             

 

 

 

-       im Flur nicht laufen,

 

-       dass ich mich melde,

 

-       dass ich mit allen gut umgehe.         

 

 

 

-       dass ich direkt arbeite, wenn ich komme,

 

-       dass ich leise bin.                    

 

 

 

-       leise sein,

 

-       nicht im Flur laufen,

 

-       nett zu anderen sein.           

 

 

 

     -  dass ich nicht mehr Quatsch mache.     

 

 

 

-       arbeiten wenn ich komme,

 

-       keinen Blödsinn machen,

 

-       keine Kinder ärgern

 

 

 

-       dass ich arbeite,

 

-       nicht mit Schuhen reingehen,

 

-       dass ich aufmerksam bin,

 

-       dass ich alle Sachen dabei habe, die ich brauche.             

 

 

 

-       dass wir nicht mit Schuhen reingehen,

 

-       nicht im Flur rennen.             

 

 

 

-       kein Blödsinn machen,

 

-       dass ich gut voran komme,

 

-       immer aufräumen,

 

-       Themen gut bearbeiten,

 

-       dass ich Diktate übe und für meine Rechtschreibung was tue.  

 

                

 

Es wurde mir damals klar, wie nahe Kindern auch noch die bestehende Schule sein kann. Mir wurde klar, dass vieles so läuft wie es läuft, immer noch mit Druck geschieht. Mir wurde klar, dass sie viele „typische Lehrersätze“, wie auch wir „typische Kinder“ hörten.

 

 

 

Mir wurde klar, wie wichtig der tägliche Klassenrat, die Schulversammlung, das Kinderparlament, die Feedbackrunden und „Teilversammlungen“ waren.

 

 

 

Sie betten Menschen in eine Atmosphäre ein, die sie demokratischer reagieren lassen. Oft genug orientieren Kinder sich an den Meinungen ihrer Freunde. Durchaus „opportunistisch“ sagen sie, was eher zur großen Gruppe passt, als das, was sie „gelernt“ haben.

 

 

 

Wie wichtig es doch ist, als Lehrer*in oder Schulleitungen genauer darauf zu achten was man oder frau wie sagt!

 

 

 

Wir sind Vorbilder! Freunde sind meinungsbildend! Elternmeinungen sind manchmal für Kinder so weit weg, wie Rom für Kölner Katholiken.

 

 

 

Es recht eben nicht, die Schule offener und demokratischer zu gestalten. Wir bilden uns durch unsere Sprache und mit unserer Bildung die Sprache.

 

 

 

Mir war klar, dass hier nicht die Mehrheit unserer Kinder sprach. Viele Kinder erklärten Hospitanten gerne und ausführlich wie unser Lernen funktionierte.

 

 

 

Wichtig war aber zu wissen, wie noch immer Elternmeinungen und altes Denken auf Kinder und Erwachsene wirken.

 

 

 

Immer wieder hörte ich gerne zu, was Kinder über die Schule erzählten. Sie beschwerten sich gerne, dass sie zu wenig Zeit für das Spielen hatten. Sie beschwerten sich, dass sie zu wenig Zeit für sich selbst hatten.

 

Sie erzählten, dass andere Kinder von ihren Eltern geschlagen wurden. Sie erzählten, dass sie vor einem Lehrer Angst hatten. Sie erzählten, wer nicht zuhörte. Sie erzählten, was sie traurig machte. Sie erzählten, dass das Funktionieren als Schule einigen wichtiger war als ihr Lernen. Sie erzählten, dass Eltern sie unter Druck setzten.

 

 

 

Oft genug lag der Grund bei uns, bei der Schule. Und es galt dies als „Kidsmanager“[1], Lehrer*in, Schulleiter und Lernender zu verändern.

 

 

 

Mal waren die „Stellschrauben“ die Mädchen- oder Jungenversammlung, wo wir die Sauberkeit unserer Klos in den Griff bekamen. Immer und immer wieder wurde in den Frühkonferenzen, den Wochenkonferenzen, auf dem Elternabend, in den Klassenräten, in Gesprächen daran gearbeitet, dass das individuelle selbst bestimmte Lernen wichtiger war als ein Lernziel.

 

 

 

Es wurde an der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Lehrer*innen, ihrer Freundlichkeit und Würdigung des Kinderverhaltens, gearbeitet.

 

 

 

Wir – die Kinder und wir – machten regelrechte Kampagnen für Fächer wie Mathematik oder für das Experimentieren.

 

 

 

Wir verstärkten die Offenheit der Türen, verbesserten die Qualität des Essens, unsere Tischmanieren. Wir arbeiteten an der Kooperation, dem Schutz der Kinder, der Inklusion und der achtenden Kommunikation.

 

 

 

Wir minderten die Bedeutung von Noten, bis sie aus unserem Alltag vollkommen verschwunden waren.

 

 

 

Wir – die Kinder und die Erwachsenen – arbeiteten verstärkt mit unseren Ganztagskräften, Lehramtsanwärterinnen, Schulbegleitungen, Ein-Euro-Kräften und Studies am demokratischen Profil unseres Lernens und unseres Ganztags.

 

 

 

Wir richteten neue Räume ein und arbeiteten an der Ästethik der Schule und des Geländes.

 

 

 

Die Kinder wurden nicht der Schule und ihren Regeln angepasst. Umgekehrt machten wir „ihre“ und „unsere“ Schule und unsere Regeln nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen.

 

 

 

Leider bekamen wir nie einen Chemieraum oder ein Schwimmbad, aber viele andere Räume, wie einen Waldraum, einen Minisportplatz oder eine eigene Küche, die selber kochte.

 

 

 

Wir bekamen nie Edelstahltoiletten, aber hatten immer Deckel auf den sauberen Klos.

 

 

 

Wir Lehrer*innen setzten uns auch mit unseren Ansichten in einigen Fragen durch. So wurde weder „das Melden“, die „Hausaufgaben“, die Schulglocke, noch, dass alle immer alles „dabei“ haben mussten, wieder eingeführt.

 

 

 

Auch die fünf Grundregeln der Schule blieben erhalten. Sie wurden aber auch nie mehr:

 

Jede rennt draußen und geht drinnen.

 

Jeder trägt Hausschuhe.

 

Niemand wird mit Worten oder Taten verletzt.

 

Niemand wird ausgelacht.

 

Jeder arbeitet s, dass andere auch arbeiten können.

 

 

 

Vor allem rückten wir nie von unserem Hauptanliegen ab. Die Kinder lernten mehr und mehr ihr eigenes selbst bestimmtes offenes Lernen.

 

 

 

Was Kinder uns sagten, war immer wieder entscheidender Gegenstand des Lernens unserer Schule, um dorthin zu kommen.

 

 

 



[1] Die Kinder wählten jährlich ihre beiden „Kidsmanager“, die an den wöchentlichen Kinderparlamentssitzungen mit den Regeln, die für alle galten, allerdings ohne Stimmrecht, teilnehmen durften.