Walter Hövel
Warum Schulleitungen funktionieren sollten…
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hielt am 3. Februar 2007 eine bildungspolitische Grundsatzrede. Noch nicht einmal eine schlechte. Er verteidigte wissentlich und von ihm laut gesagt nicht das gegliederte Schulwesen und zitierte immerhin Wilhelm von Humboldt, um die Grundrichtung zurück zu einem Menschen zentrierten Bildungsbegriff, weg von der Paukschule, vorzugeben.
Im Laufe seiner Rede forderte er mehrmals die Lehrenden, die Schulen und ihre Leitungen auf, nicht ständig zu fragen, ob sie das tun dürfen, was sie tun könnten, um Schule zu verbessern. „Machen Sie einfach!“, rief er mehrfach.
Ähnliches beschwor der Bundespräsident vor einigen Wochen bei der Verleihung des Deutschen Schulpreises: “Gebt dem kreativen Potential, den pädagogischen Persönlichkeiten Freiräume! Behindert sie nicht bei der Veränderung der Schullandschaft!“.
Die Politik will dem Kapital des Landes und den öffentlichen Haushalten nicht mehr Geld für die Bildung, die Kinder und die Zukunft abringen. Aber sie wissen gleichzeitig, dass ihre Bildungs- und Schulpolitik in einer Sackgasse ist. Sie wollen die „Finanzierung“ der Bildungsreform durch Investition von „Humankapital“ bewerkstelligen. Sie setzen auf eigen-sinnige Veränderung lernende und installierende Individuen, und sie setzen auf „individuelle Förderung der Lernenden als Leitidee schulischer Praxis“.
Das, liebe engagierte Kolleginnen und Kollegen, liebe Reformerinnen und Reformer, das sollte eine neue weitere Chance sein, konkret Schulen zu verändern! Die Freiräume scheinen zu entstehen. Sie entstehen aber nur, wenn wir sie öffnen und nutzen! Es wird „Gegenreformer“ geben, die mit „Rollback“-„ und „Backlash“-Ideen und gewerkschaftsähnlichem Jammern „ihre alte Schule“ behalten wollen. Schule ist hier und jetzt im Sinne der Deweys und Freinets, der Demokraten und Humanisten, der Kinder und ihrer Rechte veränderbar!
Und in dieser Zeit sollten wir dann alle, Lernende und Lehrende, Kinder, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieher, Hausmeister, Sekretärinnen und all die anderen nicht vergessen, die Verfügung über eigene und mehr Planstellenmittel, bedeutend mehr Personal, ausreichende bauliche Mittel, echte Ganztagsschulen, echte Gesamtschulen[1] im Sinne bis zu zehnjährigen Grundschulen, mehr Zeit und Geld, Abschaffung der Noten, mehr Demokratie in der Schule und ein freies Lernen zu fordern!
Insbesondere gilt dies für tausende von engagierten Schulleiterinnen und Schulleiter, die sie als Motoren einer Niedrigkosten-Reform installiert werden sollen, oder schon unterwegs sind. Sie haben diese als ihre Bildungsreformreserve entdeckt.
Ein Berufsstand, der besonders im Grundschulbereich, wo offensichtlich die größten und erfolgreichsten Veränderungskräfte wirken, mit dem Anfangsgehalt eines Studienrates „bezahlt“ wird. Ein Berufsstand zu dem es noch nicht einmal eine Ausbildung gibt. Ein Berufsstand, der von Ministerien und Regierungen täglich alleine gelassen und vernachlässigt wird. Ein Berufsstand, der abertausende von kleinen und großen „Bildungsbetrieben“ am Leben erhält, obwohl der Gesamtbetrieb eher pleite ist und das Management in der Regel nicht brauchbare Anweisungen gab. Ein Berufsstand, der immer dann zur Verantwortung gezogen wird, wenn etwas nicht funktioniert. Zaghaft und kostenneutral beginnt man immerhin mit der öffentlichen Auslobung guter Arbeit dieses Berufsstandes.
Ich habe einmal „genüsslich“ zusammengeschrieben, welches Bild heutzutage von „funktionierenden Schulleitungen“ gezeichnet werden kann. Das Problem dabei ist, dass diese Aufzählung recht realistisch beschreibt, was eine „gute Schulleitung“ heute so alles leistet, aber gleichzeitig dies auch ohne eine Gegenleistung zu erbringen, vom Staat mehr denn je eingefordert wird. Ein weiteres Problem scheint mir zu sein, dass diese Arbeit Erfolg und Freude bringt, aber auch viel Kraft und manches Opfer fordert.
Wir müssen mehr denn je zusammenstehen, kooperieren, mit den Kindern, den Eltern, allen Kolleginnen und Kollegen, mit anderen Schulleitungen und jenen, die uns in Ministerien, Wissenschaften und Öffentlichkeit unterstützen. Daher müssen wir auch aussprechen, was wir leisten und wie wir es leisten, bis zu den Forderungen, die Menschen erheben können und müssen, wenn sie aus eigener Kraft etwas leisten.
Die „gute Schulleitung“ ist:
Eine funktionierende Pressestelle
Eine funktionierende Sozialberatungsstelle
Eine funktionierende Familienberatungsstelle
Eine funktionierende Vertretungsreserve
Ein funktionierendes Personalbüro
Eine funktionierende Weiterbildungsagentur
Eine funktionierende Hausmeistervertretung
Eine funktionierende Ausbildungseinrichtung
Eine funktionierende Netzadministration und Homepagebetreuung
Eine funktionierende Therapievermittlungsstelle
Eine funktionierende Reinigungsaufsicht
Ein funktionierendes Sprachrohr des Ministeriums
Ein funktionierendes Callcenter mit Telefonvermittlung
Ein funktionierendes tägliches Krisenmanagement
Eine funktionierende Lernberatung
Eine funktionierende Lehrberatung
Eine funktionierende Hochbegabtenberatungsstelle
Eine funktionierende Kinderschutzbehörde
Eine funktionierende Geldbeschaffungseinrichtung
Eine funktionierende Projektmittelbeschaffungsagentur
Eine funktionierende Elternberatungsstelle
Eine funktionierende Erziehungsberatungsstelle
Eine funktionierende Schulwegberatungsstelle
Eine funktionierende Kinderpsychologenberatungsstelle
Eine funktionierende Förderberatungsstelle
Eine funktionierende Schullaufbahnberatungsstelle
Eine funktionierende Teamberatungsstelle
Ein funktionierendes Team von Persönlichkeiten
Eine funktionierende Sich-Selbst-Beratungsstelle
Eine funktionierende Werbungaussortierungsstelle
Eine funktionierende Emailadresse
Eine funktionierende Medienauftrittspersönlichkeit
Eine funktionierende Konferenz- und Arbeitskreisleitung
Eine funktionierende Moderationspersönlichkeit und Gesprächsleitung
Eine funktionierende Frohnatur
Ein funktionierender Festreden- und Powerpoint-Darbietungsgarant
Eine funktionierende Sicherheitsbeauftragungsstelle und BAD-Außenstelle
Eine funktionierende Konfliktlösungsinstitution
Eine funktionierende Kinderrechtsstelle
Eine funktionierende Beratung für individuelles Lernen und Lehren
Eine funktionierende Beschwerdestelle und Infothek
Eine funktionierende Selbstdarstellungsagentur
Eine funktionierende Medienbetreuungsstelle
Eine funktionierende Berichtsstelle für die vorgesetzte Behörde und Dienstwege
Ein funktionierendes Programmschreibungsbüro
Eine funktionierende Festorganisation mit Kateringservice und Eventmanagement
Eine funktionierende Briefschreibstube
Eine funktionierende Billighort- und Betreuungsstellenorganisation
Ein funktionierender jeder Zeit bereiter Ansprechpartner
Eine funktionierende Zentrale der außerschulischen Kooperation
Eine funktionierende Comenius- und -Partnerschuleinrichtung
Ein funktionierendes Umweltberatungsbüro
Eine funktionierende Energiesparstelle
Ein funktionierender Dauerworkshop zur eigenen Lehrkräftebeschaffung
Eine funktionierende Organisationsentwicklungsbehörde
Ein funktionierendes Planungsbüro
Ein funktionierendes Institut für Evaluation, empirische Forschung und Nachhaltigkeit
Eine funktionierende Reiseleitung
Ein funktionierendes pädagogisches Vorbild
Ein funktionierendes Expertenbüro für wissenschaftliche und pädagogische Forschung
Ein funktionierendes Ordnungsamt
Ein funktionierendes Sprachstandsüberprüfungamt
Eine funktionierende kommunalpolitische Einrichtung
Eine funktionierende Stelle für Vernetzung und Regionalarbeit
Eine funktionierende Minderheitenschutz- und Antidiskriminierungsstelle
Eine funktionierende demokratische Einrichtung
Eine funktionierende öffentliche Bibliothek
Eine funktionierende Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsbehörde
Ein funktionierender Garant für guten Unterricht und zuverlässige Schule
Eine funktionierende Chefetage mit entwickelter Personalführung
Eine funktionierende Eigenverantwortlichkeit
Eine funktionierende Beratungsstelle für Verhaltensauffälligkeiten
Eine funktionierende Schwangeren-Immunitätsüberwachungs-Einrichtung
Eine funktionierende Integrationsbehörde
Eine funktionierendes Vorbild der Inklusion
Ein funktionierendes Mobilitätsinstitut
Eine funktionierende Koedukationslenkungs- und Gleichstellungsbehörde
Eine funktionierende und begnadete Stelle für Delegation von Aufgaben
Eine funktionierende Außenanlage- und Schulhofgestaltungsfirma
Ein funktionierendes Organisationsbüro für ehrenamtliche und unentgeltliche Helfer
Ein funktionierendes Verwaltungs- und Statistikamt
Ein funktionierendes Finanzamt unter Haushaltssanierungs- und Sparkonzept-Zuverlässigkeit
Eine funktionierende Behörde zur Verhinderung von Unterrichtsausfall
Eine funktionierende Behörde für Expertisen und Gutachten
Eine funktionierende Agentur für Kreativität, Ideen und neuer Ressourcen
Ein funktionierendes Inneneinrichtungsbüro
Eine funktionierende Agentur für immer neue Kompetenzentwicklungen
Ein funktionierender Hüter von Brauchtum, Festen und Traditionen
Eine funktionierende Agentur für immer neue Lösungsorientierungen
Eine funktionierende Agentur für die Einhaltung von Beamtenrecht, Gesetzen und Erlassen
Eine funktionierende Diagnostik-, Test- und Leistungserhebungsbüro
Eine funktionierende Agentur für immer neue Praktikumsplätze
Ein funktionierender Vorposten der Ärzte, Gesundheitsämter und Versicherungen
Ein funktionierender Partner der Regierung, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit
Eine funktionierende sich selbst organisierende Haushaltsstelle
Ein funktionierendes Institut zur Erhaltung von Sinnhaftigkeit und Standards
Wir sollten in den Kollegien, auf Elternabenden, in Schulleitertreffen, in der Öffentlichkeit mit einander und anderen besprechen, was hiervon zu streichen ist, fehlt oder von anderen geleistet werden muss.
Wir sollten besprechen, wie wir bei dieser Arbeit besser unterstützt und gefördert werden müssen.
Wir sollten besprechen, wie wir unsere Vorstellungen durchsetzen und uns nicht verzetteln oder verbrauchen.
Wir sollten unsere Kräfte bündeln und kooperieren.
[1] Die heutigen „Gesamtschulen“ machen sich durch ihre innere Gliederung wiederum zum Teil eines gegliederten Schulsystems