Walter Hövel
Protokollierung eines Vorgangs aus dem Jahr 2011
Wie mit Kindern gegen Kinder gearbeitet wird

„Wie ich Ihnen vor einigen Tagen nach einem mündlichen Bericht in gleicher Angelegenheit zugesagt habe, fasse ich noch einmal das Vorgehen eines Mitarbeiters des Jugendamtes zusammen:

 

Das betroffene Kind ist im ersten Schuljahr Schüler*in unserer Schule. Es lebt bei seiner Mutter, seine getrennt lebenden Eltern haben das gemeinsame Sorgerecht.

 

Es ist ein Kind, das in emotionalen und Verhaltensbereichen viel Unterstützung braucht. Seine Mutter, die selbst schwer erkrankt ist, sorgt sich liebevoll und intensiv um ihr Kind. Sie pflegt den regelmäßigen Kontakt zur Schule und ist ausgesprochen kooperativ.

 

Da das Kind ‚zu aggressivem Verhalten‘ reagierte, organisierte die Mutter in Absprache mit der Schule eine Hilfe beim Jugendhilfezentrum.

 

Es geht seitdem nach der Schule in eine Tagesgruppe (teilstationäre Einrichtung) des JHZ. Diese wird von … geleitet, das Kind von Frau/Herrn … vom JHZ betreut.

 

Die Leiter*in der Tagesgruppe nahm Ende Februar, Anfang März - ohne jede Absprache mit der Mutter, ohne Ansprache mit uns - Kontakt zur Grundschule in … auf. Sie/er berichtete der Schulleitung, dass die Pädagogik der Grundschule Harmonie nicht das Richtige für das Kind sei und fragte, ob es einen Platz an der Grundschule … haben könne. Die dortige Schulleitung bestätigte mir gegenüber diesen Vorgang.

 

Das Kind ist intelligent und  in kognitiver Hinsicht in keinster Weise auffällig, ist  in Mathematik und Deutsch auf dem "Soll-Stand" eines Erstklässlers. Sein Schwachpunkt ist das Lesen. Mitarbeiter der Tagesgruppe äußerten sich gegenüber dem Kind mit Aussagen wie "Die anderen können schon lesen, du nicht!" und  leiteten hieraus – ohne jedes Gespräch mit uns, ohne jede Kenntnis unserer Arbeit, ohne jede Sach- oder Fachkenntnis – ihre Initiative zum Schulwechsel ab. Auch die zuständige JHZ-Betreuung der Familie nahm keinen Kontakt zu uns auf.

 

Im Folgenden forderte die Leiter*in der Tagesgruppe die Mutter auf, ihr Kind an die Schule in … wechseln zu lassen und teilte ihr mit, dass dies bereits mit dem Vater abgesprochen sei und es bereits einen Vorstellungstermin an der neuen Schule gäbe.

 

Die Mutter wies dieses Ansinnen zurück und informierte mich und die Klassenlehrerein über diesen Vorgang.

 

Die Leiter*in der Tageseinrichtung macht auch in anderen Situationen keinen Hehl daraus, dass sie/er glaubt zu wissen, was für Kinder die „richtige“ und die „falsche“ Pädagogik sei. So äußerte sie/er sich gegenüber der Konrektor*in einer anderen Grundschule auf der letzten Sitzung des „Arbeitskreises Kindeswohl“ im März 2011: „Es gibt Schulen, die für manche Kinder nicht geeignet sind. Wir werden aktiv, damit Kinder Schule erfolgreich erleben“.

 

Vor wenigen Jahren wurde schon einmal von Betreuer*innen der Tagesgruppe empfohlen, zwei Geschwisterkinder,  … von unserer Schule an die gleiche Grundschule … wechseln zu lassen. Hierzu notierte die damalige Klassenlehrer*in: „Den Betreuer*innen der Tagesgruppe erschien die pädagogische Arbeit unserer Schule „ungeeignet“. Die Eltern sind damals der Empfehlung gefolgt. Die Probleme der Kinder und die der Eltern, die im familiären und nicht im schulischen Umfeld begründet waren, ließen sich dadurch nicht lösen und nicht entschärfen. Eher schien der Druck auf alle Beteiligten anzuwachsen und nach kurzer Zeit brach die Familie auseinander. Die Mutter suchte für sich und die Kinder Schutz in einem Frauenhaus.“

 

Es ist erschreckend, dass die Leiter*in und die Tagesgruppe sich niemals mit uns auseinandersetzten, sondern „qua Amt“ sich selbst beauftragen solche Vorgänge einzuleiten.

 

Ich bitte um Klärung dieser Vorgänge, da diese Übergriffigkeit in pädagogischen Fragen gegenüber unserer Schule, Kindern und Eltern eine sonst gute Zusammenarbeit mit der Leitung des Jugendamts beeinträchtigt.“[1]

 

Und niemand hindert niemanden.
Vielleicht ging das Schreiben auf diese oder jene Art „unter“. Auf die angezeigte Problematik hin gab es keinerlei Reaktion, obwohl die Schule Harmonie sonst immer unterstützt wurde.

 

Vielmehr waren solche Vorgehensweisen gegenüber der Grundschule Harmonie ein gelebter, nicht sichtbarer, aber immer spürbarer Alltag, initiiert von Personen der Verwaltung, politischen Parteien, kirchlichen Würdenträger und anderen Teilen der Öffentlichkeit.

 

Viele Eltern und Unterstützer der Schule wurden immer wieder unter Druck gesetzt. Unterstützer der Schule berichteten, wie sie gezwungen wurden, gegen uns zu arbeiten. So gab es Menschen, von deren „Doppelrolle“ wir wussten.

 

Mit der Hilfe anderer Personen aus der gleichen Verwaltung, aus den gleichen Parteien, mit der Hilfe kirchlicher Würdenträgern der gleichen Kirchen und wieder anderen Teilen der Öffentlichkeit gelang es 20 Jahre lang eine Schule zu schaffen, die weit über die Grenzen des Orts hinaus im In- und Ausland auch heute noch höchste Anerkennung genießt.

 

So fiel einmal der Satz an Schulleiter: „Sie müssen nicht begreifen wie die Grundschule Harmonie arbeitet, aber begreifen, dass es geht, was sie tun.“

 

Es mangelte nie an Sympathie und „verdeckter“ Unterstützung. Auch bei öffentlichen Anlässen stand „man“ zur Schule. Aber niemals wurde offensiv – aus eigener Kraft – eine Bildung oder Politik für die Rechte der Kinder gemacht. Da förderte man auch die, die eine Behandlung der Kinder nach alten Mustern glaubten durchsetzen zu müssen.

 

Niemand hindert niemanden. Es gilt ein gesellschaftlicher Darwinismus mehr als eine demokratische Steuerung.

 

So bleibt vieles länger beim Alten. Die Abgänge von Erzieher*innen, Lehrer*innen und Schulleiter*innen bedeuten zu oft eine Unterbrechung ihrer Schule und Bildung entwickelnden Arbeit. Immer dann scheinen jene zu obsiegen, die vorher die Existenz von Neuerungen nicht verhindern konnten. Aber es kommen immer neue Zeiten und jene Menschen, die sie verstehen!

 



[1] Im Text sind alle Namen außer dem der Grundschule Harmonie entfernt und alle Bezeichnungen gegendert.