Die unbeirrbare Studentin Donna Federica de la TH
Eine Adaption der Abenteuer des fahrenden Ritters Don Quijote de la Mancha von Miguel de Cervantes
An einem Orte nahe der TH lebte vor nicht allzu langer Zeit eine Studentin der Kindheitspädagogik; eine von jener Sorte, die einen Stift im Haar, einen großen Rucksack,einen Drahtesel und zu allem eine Meinung haben.Es streifte das Alter unserer Studentin um die vierzig Jahre; sie war von normaler Körperbeschaffenheit, nicht hager am Leib, nicht sonderlich dürr im Gesicht. Man erzählte, sie habe den Namen Friederike oder Franziska getragen, wie wohl durch glaubwürdige Quellen sich vermuten lässt, dass sie Friederike Franziska hieß. Doch dies soll hier nur nebensächlich sein; der lehrreichen Erzählung und ihrer unabsprechbaren Wahrheit muss genüge geleistet werden.
Besagte Studentin gab sich dem Lesen pädagogischer Schriften hin, mit so viel Eifer und Obsession, dass sie fast alles darüber hinaus vergaß. Ihre Wissbegier und Begeisterung waren bereits soweit gegangen, dass sie ihre Anstellung gekündigt hatte, um sich dem Studium der Kindheitspädagogik gänzlich widmen und immer noch mehr Texte lesen zu können.Besonders gut gefielen ihr dabei alternativ- und reformpädagogische Ansätze, Ideen von einer nicht-direktiven Pädagogik vor allem in der Schule. Nächte und Tage, Tage und Nächte hatte sie so viel gelesen und geschrieben, sich so in ihren Studien vertieft, dass der stete Schlafmangel und die vielen Gedanken übers Reformieren ihren Verstand benebelten.
Als ihre Euphorie fast irrwitzige Züge angenommen hatte, kam Friederike Franziska auf die heroische Idee, sie wolle fortan eine praktizierende Pädagogin sein, diesem Ziel zuträglich,sich ein Praktikum suchen und in Abenteuer stürzen, um heldinnenhaft und systemkritischden Kampf gegen bestehendes Unrecht in der Schule anzutreten.
Sie putzte sich heraus, rüstete sich mit Lektüre und Selbstvertrauen und fühlte sich durch ihre Studien gewappnet und durch ihre Überzeugung ermutigt.
Nachdem sie ihren geliebten Drahtesel in Päädante umbenannt hatte – was in einer Kölsch-spanischen Mischung sinngemäß gleichermaßen soviel bedeuten sollte wie früher ein Pferd, nun ein penibler Besserwisser – änderte sie auch ihre eigene Anrede klangvoll in Donna Federica de la TH. Und da jede Pädagogin etwas hat, das sie umtreibt, einen Ansporn, der Herz und Glauben einnimmt, erklärte sie kurzerhand romantisch die Kindheitspädagogik zur personifizierten Aufrührerin ihres Herzens und gab ihr den tugendhaften Namen Pedagogíader Infancia. (In ihrem Anspruch meinte sie damit die Pädagogik der Kindheit in ihrer reinsten und edelsten Form, nach der es zu streben, zu gründen, zu leben gelte, der aber kaum jemals jemand gerecht würde.) Beflügelt von den Errungenschaften und Erkenntnissen bekannter Namen wie Montessori und Wild, Fröbel und Freinet, Piaget, Schäfer, Hüther, Renz-Polster und Juul trat sie bald darauf ihr großes Abenteuer in der Schulsozialarbeit einer Grundschule an. Doch ihr Mut und ihrIdealismus erhielten binnen kürzester Zeit herbe Dämpfer in mancherlei Unterfangen. Geschwächt durch erste Rückschläge nahm sie sich zurück und pflegte die Wunden, die ihremSelbstvertrauen und ihrem Enthusiasmus zugefügt worden waren. Jedoch schon kurz darauf zog sie erneut ins Feld mit noch mehr Hingabe und in Begleitungihrer treuen Freundin Frieda Franza. Diese war ganz anders als Federica. Sie war Mutter und Erziehende, bodenständig, warmherzig, genügsam, stets dem Kinde zugewandt (und manchmal auch einfach sich selbst); sie scheute zumeist jegliche Auseinandersetzung und war doch durch und durch eine treue Seele. Frieda erkannte auf Anhieb die Versponnenheit Donna Federicas und war sich der Aussichtslosigkeit ihrer Reformierungsversuche bewusst.Dennoch blieb sie loyal an ihrer Seite und hielt sich an der Aussicht auf Belohnung (in Form eines guten Praktikumszeugnisses oder einer späteren Option auf Anstellung) fest.Gleich nachdem sie sich zu ihrem ersten gemeinsamen Projekt aufgemacht hatten, trafen sie auf eine gigantische Windmühle. Donna Federica war sich sicher, es hier mit dem gefürchteten Riesen namens „Schulsystem“ zu tun zu haben, dessen vier gewaltige Arme „Leistungsdruck“, „Normierung“, „Lehrplan“ und „Hierarchie“ nach ihr greifen wollten und die sie ihm abschlagen musste. Frieda Franza hingegen erkannte die Mühle, versuchte ihre Freundin zur Vernunft zu bekehren und dazu zu bringen, die Realität anzuerkennen. Doch vergeblich. Federica trat bereits kräftig in die Päädale, raste auf Päädante dem vermeintlichen Riesen entgegen und rief dabei tapfer: „Im Namen der Pedagogía der Infancia, ergib dich!“
Kaum hatte sie ihre spitze Schreibfeder in den ersten Windmühlenflügel gebohrt, zog ein raues Lüftchen auf. Die Windmühle fing an, sich zu drehen, Federica und Päädante wurden erfasst und mit einigem Schwung hoch durch die Luft geschleudert. Geprellt und geschunden blieben sie liegen und Frieda Franza lief mit großem Schreck auf die tapfere Kämpferin und ihren zerbeulten Drahtesel zu. Sie erkundigte sich nach dem Befinden und etwaigen Schmerzen. Doch Donna Federica richtete sich auf und verkündete voll Stolz, Pädagoginnen hätten keinen Kummer und keine Schmerzen und wenn doch, so würden sie sich niemals beklagen.
Da dachte sich Frieda, wie gut es doch sei, dass sie keine große Pädagogin wäre und half ihrer Freundin auf. Als sie weiterziehen wollten, hing die Pädagogin krumm und schief auf ihrem Sattel, Päädante hatte ein mächtiges Ei und sie kamen kaum einen Meter voran. Da beschlossen sie, an Ort und Stelle zu rasten. Während Donna Federica sinnierte und vor lauter Gram über ihre Niederlage weder essen, noch trinken oder gar schlafen konnte, holte Frieda Franza ein Spielbrett mit schwarzen und weißen Steinchen hervor.
Sie überredete Escolar, den kleinen Knecht, der in der Windmühle schwer schuftete, mit ihr zu spielen. Escolar lernte schnell und hatte sichtlich Freude an dem Kurzweil. Sie spielten, aßen, tranken und redeten die halbeNacht. Und für einige Stunden schienen die Flügel der Mühle still zu stehen und die harteArbeit im System blieb vergessen. Frieda Franza wusste, Mühle spielen, statt gegen Mühlen zu kämpfen, war nicht nur erquicklicher, sondern für den Moment auch oft die richtige und wichtige Lösung...
Und wenn Ihr nun denkt, dies sei die Erkenntnis der Geschichte, so lasst Euch gesagt sein: Am nächsten Morgen zogen die beiden Gefährtinnen weiter. Dies’ Mal übernahm Frieda Franza die Führung und gab die Route vor. Doch dann und wann, wenn es die Situation zuließ, stiegen sie gemeinsam auf ihren Drahtesel Päädante, nutzten Mittel und Möglichkeitenund stellten sich mutig, kritisch und mit dem illusorischen wie visionären Weitblick von Revolutionären den Hindernissen, die ihren Weg kreuzten, boten manchem Scheinriesen dieStirn und fochten manch kleinen Aufstand.
Denn, im Namen der Pedagogía der Infancia, wenn Du denkst, du kannst nichts mehr verändern, dann hör auf!
Text:Friederike Franziska Hagin
Illustration:Eva Maria Hamacher (nach einer Lithographie von Pablo Picasso
Literaturquellen: De Cervantes Saavedra, Miguel (1605/ 1615): Der sinnreiche Junker Don Quijote von derMancha.
Übersetzung Braunfels, Ludwig (2000). Artemis und Winkler: Düsseldorf.Kästner, Erich: Don Quichotte. Cecilie Dressler Verlag GmbH & Co. KG: Hamburg (2007).Artrium Verlag AG: Zürich (1956)