Georg Alef
Wie die Bauhausidee nach Eitorf kam

 

„Hör mal, Georg, ich wünsche mir von dir einen Artikel für die Eitorfer Heimatblätter, und zwar unter dem Titel „Wie kommt das Bauhaus nach Eitorf?“, so lauteten ungefähr die einleitenden Worte von Walter Hövel während eines Telefonats im Herbst 2019.

 

Und damit meinte er wohl nicht die etwaige Ansiedlung eines Hauses der allseits bekannten Heimwerkerkette… Nein, er meinte tatsächlich die Bauhausidee, die im Jahre 1919 in Weimar durch Walter Gropius ins Leben gerufen wurde, basierend auf der Verbindung der „Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für bildende Kunst“ und der Sächsischen Kunstgewerbeschule.

 

Er meinte also tatsächlich das „staatliche Bauhaus“, das so berühmte Namen wie Klee, Kandinsky, Schlemmer, Itten – um nur einige zu nennen – hervorgebracht hatte.

 

Mein erster Gedanke war: „Walter, du bist verrückt! Was soll das? Was soll so ein Thema in den Eitorfer Heimatblättern und wer will so etwas lesen?“

 

Aber nach und nach dämmerte mir, wo er damit hinwollte, hatten wir doch bei unserem letzten Gespräch unsere gemeinsame Begeisterung zum Bauhaus und vor allen Dingen zur „Bauhaus-Idee“ oder besser noch zu den Bauhaus-Ideen festgestellt.

 

„Nichts anderes verfolgt ihr doch, wenn ihr mit eurem Medium ,Feuerwerk‘ kreativ seid!“, waren damals Walters Worte. Stimmt eigentlich, dachte ich, so weit hatte ich die Sache noch nie zu Ende gedacht.

 

Aber halt! Legen wir den Schalter nochmal zurück auf Anfang: Wie sind wir damals eigentlich auf „Bauhaus“ gekommen?

 

Man muss vorausschicken: ein Gespräch mit Walter Hövel ist für mich immer ein „Performance-Ritt“ durch eine Ideen-Welt mit höchstem Kreativitätspotential. Wir kommen im besten Sinne vom Hölzchen aufs Stöckchen und so ein Gespräch dauert selten unter einer Stunde. Und so ganz nebenbei erwähnt: Diese Hövelschen Potentiale lassen mich hoffen, dass ein Erreichen der Rentenaltersgrenze von 65 nicht einhergehen muss mit Langeweile, Ideenlosigkeit oder gar dem Verlust des „Lernenkönnens“.

 

Ausgangspunkt unseres Kennenlernens war das Erwachsenen-Inklusionsprojekt von Walter Hövel in der Gemeinde Eitorf. Hier war ich als Vortragskünstler zum Thema „Wie gestalte ich ein Feuerwerk?“ von ihm vorgesehen. Viele andere interessante Themen wie z. B. „Wie funktioniert eigentlich ein Motor?“ fanden sich im Angebot der Gemeinde Eitorf wieder. Interessierte Bürgerinnen und Bürger konnten sich zu den verschiedenen Kursen anmelden. Die entsprechenden Fachleute – und da gab es einige in Eitorf – referierten dann zu den einzelnen Themen, und zwar garniert mit einem hohen Praxisanteil.

 

Und genau dieser Praxisanteil war äußerst wichtig, da gerade er bei den Beteiligten, so z. B. auch bei meinem Thema, ungeahntes Kreativitätspotential freisetzte. Die vorher im Kurzvortrag kennen gelernten pyrotechnischen Gegenstände im Laufe des Nachmittags und des Abends dann in einer kleinen selbst kreierten Show in Szene zu setzen verfehlte seine Wirkung bei den Probanden (glaube ich) nicht. Selbst die eine oder andere Dame, aber wohl auch Walter Hövel selbst, die allesamt dem Thema „Feuerwerk“, sagen wir mal, eher kritisch gegenüberstanden, gingen mit glänzenden Augen und sehr zufrieden nach Hause – wir Feuerwerker hatten sie quasi infiziert! Der Pyrotechniker sagt dazu: „Sie/ Er ist vom Feuer geküsst worden.“

 

Jungen, vom Feuerwerk begeisterten Menschen etwas beizubringen, sie auch in der Praxis zu unterrichten, war mir damals allerdings nicht ganz neu, unterrichtete ich doch damals schon seit ca. 15 Jahren angehende Pyrotechnikerinnen und Pyrotechniker bei der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie in Laubach, bereitete sie auf die praktische und theoretische Prüfung vor und nahm diese gemeinsam mit der zuständigen Behörde auch ab, mit einem entscheidenden Unterschied allerdings: Bei diesen sprengtechnischen Lehrgängen fehlte doch meistens der komplette künstlerische und kreative Part.

 

Der Schwerpunkt liegt hier eigentlich immer im Bereich „Anwendung des Sprengstoffgesetzes“ und „Anwendung der arbeitsschutzrechtlichen und berufsgenossenschaftlichen Vorschriften“ sowie im Vermitteln von Produktkenntnissen zu den „generischen Typen“ der verschiedenen Feuerwerkskörper und deren Eigenschaften.

 

Aber immer dann, wenn ich auf diesen Lehrgängen die Kunst- und Kreativitätspotentiale des Feuerwerks ins Spiel brachte, hingen die Probanden nicht nur an meinen Lippen – nein, sogar bei der praktischen Prüfung, die immer beim Aufbau und Abbrennen eines Feuerwerks stattfand, wuchsen so manche Prüflinge über sich hinaus.

 

Ich teile mittlerweile immer drei Gruppen ein, die drei voneinander unabhängige Feuerwerke kreieren, planen, sicherheitstechnisch betrachten, aufbauen, abbrennen und last but not least wieder abbauen müssen. Ich fordere sie auf, sich innerhalb kürzester Zeit zu organisieren, einander zu helfen und damit zu lernen, während der Prüfung auf sich selbst und vor allen Dingen aufeinander achtzugeben und aufzupassen.

 

Heraus kommen immer drei wundervolle kreative Shows, und das trotz Prüfungsstress und reduziertem Materialeinsatz!

 

„Aber wo bitte ist jetzt hier das Bauhaus?“, fragen Sie vielleicht, und nochmals muss ich hierzu in die Geschichtenkiste greifen.

 

Im Jahre 2015 bekam ich einen Anruf eines jungen Pyrotechnikers, der als Student der Soziologie eine außerfachliche Vorlesung zum Thema „Die Kunst der Pyrotechnik“ zu organisieren hatte und mich bat, als Referent tätig zu werden. Die Vorlesung sollte nicht nur einen theoretischen Teil haben. Besonderen Wert legte man auf den praktischen Part, für den man alle behördlichen Genehmigungen bereits organisiert hatte. Der Ort des Geschehens war die Bauhaus-Uni in Weimar, das Referentenhonorar war minimal, beim praktischen Teil erhoffte man sich ein Sponsoring, aber für eine Fahrtkostenerstattung und Hotelübernachtung war gesorgt. Und schwups, einer inneren Stimme folgend, sagte ich zu.

 

Und dann kamen sie, meine Schwierigkeiten. Wie packe ich das, was einen Teil meiner Arbeit so wunderschön und spannend macht, was ich in meinen Gedanken, manchmal in meinen Träumen an Kreativität und Ideen, Bildern während der Vorbereitung auf die großen Feuerwerke wie Kölner Lichter oder Montréal so in mir trage, in einen Vortrag und vor allen Dingen in Schriftform? Kurzum: Wie formuliere ich Gefühle??

 

Ich entschied mich, dies mit einem „Framework“ aus verschiedensten Bildern zu realisieren, frei nach dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Und so stand ich dann an einem Donnerstagmorgen in der Bauhaus-Uni Weimar vor ca. 17 Studentinnen und Studenten aus verschiedensten Fachrichtungen. So langsam dämmerte es mir, was es mit der Bauhaus-Idee bzw. -Pädagogik so auf sich hat. Zukünftige Architekten, Stadtplaner und Bauingenieure wollten freiwillig etwas zum Thema „Feuerwerk“ lernen.

 

Und ich lernte, über das, was meine Passion ist, geschlagene zwölf Stunden lang reden zu können, junge Menschen begeistern und zu höchsten kreativen Leistungen führen zu können.

 

Ich glaube, ich hätte auf jegliches Honorar verzichtet, es war eines der wundervollsten Erlebnisse meines Lebens und ein tolles Kompliment, als man mich einlud, mit in die urigste Studentenkneipe und auf die nachfolgende WG-Party zu kommen…

 

Und ich lernte die drei Säulen der Bauhaus-Idee kennen:

  • Kunst

  • Handwerk

  • industrielle Produktion

 

Es lohnt sich nun, die drei Bauhaus-Säulen und ihren Bezug zum Feuerwerk zu betrachten.

 

Doch bevor ich dies tue, komme ich nicht umhin, eine vierte Säule hinzuzufügen: die Wissenschaft!

 

Einen gravierenden Schwerpunkt bildet hier selbstverständlich die Chemie, aber auch die Verfahrenstechnik.

 

Natürlich subsumieren die frühen Bauhäusler die Wissenschaften wie Chemie, Materialkunde usw. eher unter das Handwerk, aber dies teilweise aus ideologischen Gründen.

 

Das wäre aber aus heutiger Sicht zu kurz gegriffen, spielt doch die Chemie in der Pyrotechnik eine tragende Rolle.

 

Nicht verleugnen lässt sich, dass in der Lustfeuerwerkerei bis in unser heutiges Jahrhundert eher empirisch geforscht wurde, aber spätestens mit der Einführung der Theater- und Spezialpyrotechnik sowie schon sehr früh im Bereich der militärischen Pyrotechnik sind wissenschaftlich chemische und physikalische Grundlagen von essenzieller Bedeutung.

 

Nehmen wir hier als Beispiel die Steuerung der Reib- und Schlagempfindlichkeit einer Feuerwerksrezeptur, bei der allein die stöchiometrische Zusammensetzung, die Kornfeinheiten, aber auch die Oberflächeneigenschaften der einzelnen eingesetzten Rohmaterialien darüber entscheiden, ob die Rezeptur bei o. g. mechanischer Belastung nur abbrennt oder sogar explodiert.

 

Verlassen wir nun die von mir eingebrachte 4. Säule und wenden wir uns der bauhäuslich wichtigsten Säule zu, dem Handwerk.

 

Handwerkliche Fähigkeiten sind in der Feuerwerkerei immer noch von großer Bedeutung, da aufgrund von Empfindlichkeiten pyrotechnischer Sätze oftmals eine maschinelle Fertigung nur eingeschränkt möglich ist. Besonders große Feuerwerkskörper mit hohen Pulvergewichten werden auch heute noch in der ganzen Welt von Hand gefüllt und hergestellt. Als Beispiel seien hier die italienischen oder maltesischen Zylindermehrschlagbomben genannt, die auf ihrem Weg zu ihrem Zenit im Nachthimmel bereits mehrfach ihre feurige Fracht in verschiedenen Höhen verteilen! In zeitlich aufeinander folgenden Figuren werden Kometenteppiche, Mosaike, Ringe aus Silberwirbeln und verschiedenste Farbkompositionen und Arrangements in einem Feuerwerkskörper untergebracht. Eine sogenannte Mehrschlagbombe hat nicht selten eine Länge von bis zu 1,20 m und einen Durchmesser von bis zu 300 mm und bringt ein Gewicht von über 50 kg auf die Waage. Die Hülle so eines handwerklichen Meisterstücks besteht lediglich aus vielen Lagen Kraftpapier und wird mit Hanfschnur gewickelt.

 

Aber auch in unserem Pyrotechniker-Team haben die Handwerker das Sagen. Wie sonst kämen aus Holz gefertigte Feuerbilder, z. B. zwei Feuerdrachen im Jahre 2012 zum Thema „Städtefreundschaften“, zu den Kölner Lichtern auf die Hohenzollernbrücke oder das Gesicht der „Königin der Nacht“ passend zur gleichnamigen Arie an den Kran des Feuerschiffs… (?)

 

Für mich persönlich war der „kunsthandwerkliche Höhepunkt“ aber, einem japanischen Hanabishi (Feuerwerksmeister) beim Füllen einer 300 mm großen Feuerwerksblume über die Schulter schauen zu dürfen!

 

In fast kontemplativer Arbeit stellte dieser Meister eine in 350 m Höhe explodierende Himmelsblume mit einem Effektdurchmesser von 300 m her – nein, er stellte nicht her, er zelebrierte das!

 

Neben dieser Standardgröße 300 mm werden in Japan auch noch Himmelsblumen mit der Größe von 650 mm, 900 mm und einmal im Jahr 2 Kugeln von 1.200 mm für ein Feuerwerk in Katakai hergestellt. An einer solchen Himmelsblume arbeitet ein Feuerwerksmeister fast ein Jahr. Viele dieser handwerklichen Fähigkeiten haben wir in Deutschland leider vernachlässigt oder gar vergessen. Aber als letzter Hersteller in Deutschland versuchen wir diese alten Handwerkskünste wiederzuentdecken und zu pflegen.

 

Wenden wir uns nun der 2. Säule des Bauhauses zu, der Kunst.

 

Mit Feuerwerk kann man malen; man kann mit ihm Geschichten erzählen und Theater spielen; man kann mit Feuerwerk Musik sichtbar machen. Aber ein Umstand beschert dem Feuerwerk ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den anderen Künsten!

 

Sehr lange schon habe ich mir Gedanken darüber gemacht, warum gerade Feuerwerk so eine emotionale Wirkung auf Menschen ausübt. Und ich komme immer wieder zu der Erkenntnis: es ist die Vergänglichkeit.

 

Man könnte nun tiefenpsychologisch deuten, aber ich glaube, wir Menschen verbinden evtl. unbewusst die Vergänglichkeit des Lebens mit der Vergänglichkeit eines Feuerwerks. Kaum ist der schöne Effekt da, ist er auch schon wieder vergangen – quasi ein Leben in Kurzform…

 

Natürlich tun die Größe am Himmel, der Überraschungsmoment, die Farbenvielfalt, teilweise die Präzision, aber auch das Unkontrollierte, Lebendige und Wilde ihr Übriges dazu, aber der wichtigste Punkt, den ein Feuerwerksmeister zu beachten hat, ist und bleibt die „Kunst der Vergänglichkeit“.

 

Ein Feuerwerker, der diesen Punkt nicht bei seiner Arbeit beachtet, der z. B. versucht, Effekte zu verlängern, zu wiederholen, Größe und Lautstärke bis zum Exzess auszureizen, wird natürlich auch Emotionen erzeugen. Aber diese sind dann oft eher Langeweile bis hin zu Aggression!

 

Zu guter Letzt möchte ich in „guter Bauhaus-Tradition“ die 3. Säule betrachten.

 

Wie überführe ich Kunst, Wissenschaft und Handwerk in eine mehr oder weniger industrielle Produktion und mache Feuerwerkskörper so für den Endverbraucher nutzbar und unter sicheren Bedingungen erlebbar?

 

Aber warum ist das überhaupt nötig, ist das nicht zu gefährlich?! Reicht es nicht aus, dass uns professionelle Feuerwerker mit ihren Künsten aus sicherer Entfernung beglücken?

 

Früher war es doch auch den Adelshäusern vorbehalten, große Feuerwerksschauspiele zu ihren festlichen Anlässen wie Taufen, Vermählungen, Siegen etc. zu organisieren, um so das gemeine Volk von der eigenen Macht zu überzeugen. Und genau in diese Zeiten müssen wir zurückgehen, um zu verstehen, warum sich neben der professionellen Kunstfeuerwerkerei eine kulturelle Parallele ausgebildet hat. Dieser Prozess ist in der ganzen Welt zu beobachten.

 

Viele Menschen haben diese Affinität zum Feuer, diese „Angstlust“, aber auch mittlerweile das künstlerische Bedürfnis, das Feuer selbst erlebbar in die Hand zu nehmen. Oftmals stelle ich fest, dass gerade in Staaten, in denen eine Entwicklung in eine demokratische Richtung stattfand bzw. stattfindet, das Endverbraucherfeuerwerk Einzug hält. Und wir sind in Deutschland mit unserer Silvestertradition nicht allein auf der Welt.

 

Nur einige Beispiele seien hier genannt: Am Guy Fawkes Day am 5. November hat die englische Bevölkerung ihren großen Feuerwerkstag. Am 19. März zu den „Fallas“ verjagen die Spanier mit lautem Getöse den Winter und begrüßen den Frühling, gefolgt von den Franzosen am 14. Juli zum Unabhängigkeitstag. Die Schweizer Bevölkerung schießt am 1. August, was das Zeug hält! Am 4. Juli zelebriert fast jede amerikanische Familie mit Feuerwerk ihren Independence Day.

 

Selbst die chinesische Regierung musste dem Druck der Straße nachgeben und zu „Chinese New Year“ dem Volk das Feuerwerk legalisieren.

 

Diese Liste könnte ich unendlich fortsetzen und ich konstatiere: Feuerwerk als Kulturform ist auch eine Folge einer demokratischen Entwicklung!

 

Wir haben es uns in Eitorf bei WECO zur Aufgabe gemacht, sicheres Feuerwerk unter sicheren Bedingungen teilweise handwerklich, aber auch und vor allen Dingen industriell herzustellen, damit Menschen in Europa unter sicheren Bedingungen Feuerwerk nutzen können. Und in Deutschland ist dies an nur einem Tag im Jahr ohne zusätzliche Ausnahmegenehmigung möglich.

 

Dies war und ist bisher bei uns demokratischer Konsens. Und in eigener Sache sei mir erlaubt zu sagen: Dies muss auch so bleiben, wir würden uns selbst eines Kulturgutes berauben!