Ulrike Schulte
„Natürlich“ Natur -
Die Beziehung zur Natur behalten
Beobachte ich draußen spielende, jüngere Kinder, so sehe ich immer
wieder Situationen, in denen sie ihr Spiel oder ihre Aktivität
unterbrechen, in denen sie innehalten und ihre Aufmerksamkeit einer
ganz anderen, sie fesselnden Sache widmen. Dann haben sie einen
Käfer, einen Regenwurm oder eine Schnecke entdeckt. Sie betrachten,
beobachten, bestaunen dieses Tier. Und natürlich wollen sie es
anfassen und es fühlen. Manche versuchen es in den Mund zu nehmen.
Klar, sie wollen, wie bei allen anderen Gegenständen, die ihnen
begegnen, ihre Entdeckung auf ihre kind-entsprechende Weise erleben
und kennen lernen.
Genau diese ganz ´natürliche` Aufmerksamkeit, dieses kindliche
Interesse, das Kennen-Lernen-Wollen der Umgebung und der Umwelt ist
für mich die Grundlage einer natürlichen, Kind entsprechenden
Umweltbildung, aus der sich ein verantwortungsvolles Umwelthandeln
entwickeln kann.
Bei den Kindern in der Schule beobachte ich sehr ähnliche Situationen
des Innehaltens, Betrachtens und Staunens, wenn sie im Schulgelände
beispielsweise eine Spinne und ihr Netz, eine Raupe oder eine fliegende
Libelle entdecken. Sofort zeigen sie das Bedürfnis dieser Entdeckung
nachzugehen, ihr auf die Spur zu kommen, mehr zu erfahren und
herauszufinden. Ihr Beobachten, ihr Forschen und Handeln geschieht
nun bewusster und gezielter. Sie möchten weiter erkunden und
kundschaften. Sie möchten draußen sein und sich selbst, das Leben und
die Welt entdecken. Dieses Bedürfnis wird begleitet von ihren
wundervollen, natürlichen Fähigkeiten sich von der Natur begeistern und
faszinieren zu lassen, zu staunen und zu wundern.
Unser Schulgelände bietet ihnen zahlreiche Möglichkeiten für
Beobachtungen, Erkundungen und Entdeckungen. Unser Schulvormittag
bietet ihnen Möglichkeiten darin zu forschen und zu arbeiten.
- Sie beobachten Spinnen und bestaunen deren Netze.
- Sie bewundern die Libellen.
- Sie betrachten Steine, Blätter oder Erde unter dem Mikroskop.
- Sie zeichnen Bäume, Sträucher und Blätter ab und erstellen
Pflanzenbücher.
- Sie erforschen Kaulquappen oder Libellenlarven im stehenden
Gewässer.
- Sie beobachten den Schleiereulenkasten und untersuchen das
Gewölle.
- Sie bauen Insektenhotels oder Fledermauskästen.
- Sie sammeln Vogelfedern, zeichnen sie ab oder forschen nach den
dazu gehörigen Vögeln.
- Sie legen Steinhaufen an für die Eidechsen oder Insekten
So gehören, ausgehend von den Erkundungen der Kinder, das Lernen
und Arbeiten in und mit der Natur und Umwelt ganz selbst verständlich
und gleichermaßen zu unserem Schulleben und unserem Schulalltag wie
alle anderen Lernprozesse auch. Es ist ein beständiger, dauerhafter,
sich stetig entwickelnder Vorgang.
Die Kinder bringen ihre Entdeckungen und Arbeiten ein in das
Geschehen der Klasse. Eifrig erzählen sie von ihren Beobachtungen.
Aufgeregt zeigen sie gefundene Libellenkörper, Vogelfedern oder
gesammelte Insekten. Stolz präsentieren sie ihre Zeichnungen oder
Werkarbeiten. Mit leuchtenden Augen und Wangen fordern sie
Erwachsene und andere Kinder gleichermaßen auf, mit ihnen raus zu
gehen, um die Natur zu bestaunen und ihre Begeisterung zu teilen.
In Gesprächsrunden tauschen die Kinder ihre Erlebnisse aus. Oft gibt es
Kinder oder Erwachsene, die Ergänzendes berichten, die vielleicht auch
schon das ein oder andere wissen und erklären können. Und so
gelangen die Kinder ganz selbstverständlich und natürlich an Fragen
nach Zusammenhängen oder an auftretende Problemstellungen. Und
schon sind sie mittendrin in der Auseinandersetzung mit den ihnen
bedeutsamen und wichtigen Inhalten. Sie wollen die Vorgänge in der
Natur kennen lernen. Sie wollen Erklärungen finden und erfahren. Sie
wollen Zusammenhänge erfassen und verstehen.
- Warum kommen denn die Kröten im Frühling aus dem Wald?
- Wie sollen denn die Kaulquappen und Molche überleben, wenn
alles Wasser verdunstet?
- Welche Früchte von unserem Schulgelände kann man denn nun
essen?
Welche verschiedenen Spinnen gibt es bei uns?
Immer wieder initiieren wir mit ganzen Klassen oder in Lerngruppen
Erkundungen im Schulgelände oder in der näheren Umgebung der
Schule:
- Die Kinder beobachten unseren Fluss, die Sieg, im Jahreslauf.
- Sie messen die Fließgeschwindigkeit des Flusses bei
unterschiedlichen Wasserständen.
- Sie tragen die Kröten im Schmelztal über die Straße.
- Sie ernten die Äpfel oder Pflaumen auf unserem Schulgelände und
verarbeiten die Früchte zu Marmelade, Gelee oder Apfelsaft.
- Sie bestaunen den zugefrorenen Siegarm und die schneebedeckte
Wiese
- Sie entdecken mit einer Biologin die Wiesenblumen und entfernen
die Unmengen an Springkraut.
- Sie verabreden sich am späten Abend mit den
Fledermausexperten zur Fledermausexpedition.
- Sie erkunden mit einem Gewässerexperten die Lebewesen und die
Wasserqualität eines Baches.
- Oder sie untersuchen die von der benachbarten Tierärztin
mitgebrachten Tierskelette.
Die Kinder bemerken die Veränderungen der Natur im Jahreslauf: Sie
pflücken Wiesenblumen, ernten Äpfel oder Pflaumen, fotografieren
Eiszapfen an den Bäumen oder retten die Kaulquappen in
austrocknenden Wasserlachen.
In dieser unmittelbaren, beständigen und vor allem aus ihrem natürlichen
und (sich) selbst verständlichen Verhalten heraus stattfindenden
Begegnung mit der Natur erleben und verstehen die Kinder die
ökologischen und biologischen Zusammenhänge. Sie begreifen die
Bedeutung der Lebensräume und Lebensbedingungen für die darin
lebenden Lebewesen, ob Tier, ob Pflanze oder Mensch. Und es ist ihnen
ein ehrliches und bedeutsames Anliegen diese Lebewesen in ihren
Lebensräumen zu schützen.
Schützen möchte man das, was man schätzt bzw. wertschätzt. Und
wertschätzen kann man das, zu dem man einen Bezug hergestellt oder
gar eine Beziehung entwickelt hat. Eine Beziehung zu etwas aufbauen,
kann man, indem man damit umgeht und es kennen lernt.
Daher ist für mich das Beobachten, Aufgreifen und Ernstnehmen des
kindlichen Interesses, dieses Kennen-Lernen-Wollen der (Um)welt die
Grundlage zur Entwicklung eines verstehenden und nachhaltigen
Weltbildes.
Umweltbildung braucht ´natürlichen` Umgang mit der Natur, Umweltbildung
braucht Austausch und Auseinandersetzung, Umweltbildung
braucht Nachhaltigkeit, um Zusammenhänge sehen, erkennen und
verstehen zu können.
Wie sonst kann man sich selbst (seine Innenwelt) und sein Handeln in
Bezug setzen zur Außenwelt, wenn man nicht die Zusammenhänge
einzelner Geschehnisse oder Handlungen selbst kennen gelernt und zu
verstehen gelernt hat.